Ein weiterer Teil von Faszination College Football – heute dran: Wie sich ein Spieltag an der Universität präsentiert. Versehen mit einem etwas kräftigeren Schluck Authentizität, denn die Federführende ist eine Ehemalige der Florida State University. Sabine, hier des Öfteren als Seminole unterwegs, bekommt mal wieder die Bühne.
First things first: Ich wusste, dass es American Football gibt, bevor ich vor drei Jahren die Chance auf ein Semester im US-amerikanischen Ausland wahrnehmen durfte. Ich wusste nicht, was Sacks, Punts und Draws waren, aber ich wusste, worum es sich bei Quarterbacks und Runningbacks handelte. Als Austauschschülerin war ich schon vor Jahren nahe der Penn State University mal ein paar Monate Wahlamerikanerin gewesen. Und hatte bei einem Host Daddy gewohnt, Bengals-Fan mit Leib und Seele, durfte oder musste erleben, wie ein Hardcore-Footballfan innerlich zusammenklappt, wenn nach zwei Jahrzehnten Siechtum beim Franchise-Quarterback und Hoffnungsträger im ersten Playoffspiel gleich sämtliche Kreuzbänder zerreißen.
Und ein paar Jahre später – diesmal als Austauschstudentin – kam Tally.
Genauer gesagt: Florida. Mittlerweile weiß ich, was Sacks, Punts und Draws sind. Ich wüsste auch über dedication oder committment zu referieren. Und ich weiß, dass „Florida“ ein Schimpfwort ist. Denn: Was rockt, ist „Florida State“.
Das ist die Denke an “meiner” Florida State University. Und analog wohl auch an der verabscheuten Uni von Florida. Und an jeder anderen Uni quer über die Staaten verteilt. College Football ist nicht nur einfach Sport. College Football ist identitätsstiftend, vergleichbar mit der Begeisterung während einer Fußball-Weltmeisterschaft, nur eben tagtäglich und durch gute und schlechte Zeiten.
Affinität für Profimannschaften wechselt, aber deine Uni wird wie dein Heimatland immer die gleiche bleiben. Und Amerikaner lieben ihre Uni. Ich glaube, auch und ganz besonders wegen College Football.
Seminoles Football
Das Footballprogramm der Florida State University, die Florida State Seminoles, ist nicht das traditionellste von allen. Aber dank einer einzigartigen Erfolgsserie in den 80ern und 90ern und dank des fast ewigen Head Coaches Bobby Bowden sind die Seminoles heute eines der mächtigsten und beliebtesten (und verhasstesten) Teams im gesamten Universitätssport.
Die Seminoles sind – noch – das Team, das für den Staat Florida steht. Nicht die Miami Dolphins, nicht die Tampa Bay Buccaneers, ja nicht mal die Miami Hurricanes und schon gar nicht die Jacksonville Jaguars oder die Miami Heat. Die Mighty Seminoles aus dem Provinzstädtchen Tallahassee, ein nettes Nest, das aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen zufällig auch noch Floridas Hauptstadt ist.
In den letzten Jahren sind aber die Florida Gators bedrohlich nahe gerückt, und werden mit ihrer überlegenen SEC und ihrer Marketingmaschine demnächst vorbeiziehen. Das spürt man auf dem Campus, in der Stadt, überall.
Ein Spieltag ist immer noch ein Feiertag, für viele Menschen ist die Atmosphäre aber nicht mehr mit der aus den überlegenen 90er Jahren vergleichbar. Ich mische mich da nicht ein. Für mich war alles neu. Mir fehlen die Vergleiche.
Ein Gameday ist ein riesiges Zeltfest, eine Party über den ganzen Tag einschließlich Rahmenprogramm und man kann an der FSU allenfalls attestieren, dass das letzte Quäntchen Wow-Faktor fehlt.
Samstachs, am Morgen
Irgendwie zählt der Freitagabend mit zum Spieltag. Wenn die Noles zuhause spielen, ist der Freitagabend mehr als nur simples „Aufwärmprogramm“. Die Wochenendparty beginnt in den unzähligen Studentenkneipen und Nachtclubs und sie endet nicht selten erst in den frühen Morgenstunden – oder gar nicht.
Denn auch wenn die Noles erst zu Mittag oder am Nachmittag spielen: Tailgating beginnt schon mit dem Frühstück. Allenorts wird schon in aller Herrgottsfrüh der Grill angeworfen. Ob man nun mit dem Auto in Stadionnähe parkt und „original“ tailgatet, oder einfach nur auf dem Campus ein paar Hamburger zu literweise Dosenbier verdrückt, wen interessiert’s? Wichtig ist das Beisammensein, bei Warmwetter und Sonnenschein bis tief in den November hinein.
Dabei versucht auch die Florida State University, aus einem Spieltag einen Familientag zu machen: Dass die Fans von allein auf den Campus drängen, ist eine Mär. Vielleicht funktioniert sowas tatsächlich in Auburn oder Alabama.
In Tallahassee nicht, und auch wenn es tolle Rahmenveranstaltungen gibt wie die Skull Session – dabei spielt sich im Baseballstadion vor ein paar tausend Zuschauern die Marching Chiefs Band ein – oder Dixiekonzerte rund um das Stadion: Grenzenlose Euphorie kam nicht auf, zumindest nicht 2008. Die Universität ist daran nicht ganz unschuldig: Sie hat vor ein paar Jahren alle Parkplätze in Stadionnähe gesperrt und erlaubt dort nur noch Boostern und deren Anhang Tailgating.
Es gibt dort zwar auch gesponsortes Gratis-Tailgating in umfunktionierten Krankenwagen, aber die Studentenschaft hält sich überwiegend davon fern und glüht in ihren Verbindungen vor. Auf jeden Fall lohnt sich frühes Aufstehen. Schon allein um zu sehen, wie ganze Rinderherden um das Doak Campbell Stadium geröstet werden und Bäche an Dosenbier verdrückt werden.
Samstachs, wenn die Sonne hoch steht
Die gelb-weinrote Armada zieht meistens anderthalb Stunden vor Spielbeginn gen Stadion. Denn auch im wunderschönen Doak Campbell Stadium wird Warm-Up bei 30° betrieben. Ich muss korsakoff widersprechen: Auch am College haben laute Boxen Einzug gehalten, wenn auch immer noch nicht vergleichbar mit der Stadionbeschallung in einer Allianz Arena.
Die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt kurz vor dem Einlauf der Spieler, wenn Chief Osceola und Renegade das Spielfeld betreten – Osceola war ein Häuptling der Seminoles und seit über 30 Jahren darf Florida State diese Marke benutzen. Osceola reitet mit brennendem Speer („unconquered spear“) auf das Feld und rammt den Speer unter dem Grölen von 80.000 ins Spielfeld, ehe die Spieler einlaufen. Es gibt Leute, die das für die beste Tradition im College Football halten. Video gefällig?
Ständiger Begleiter von Osceola und überhaupt aller Angriffsspielzüge der Seminoles: Der Fighting-Song der Universität, ein Ohrwurm und wer auch nur einmal ein Seminoles-Spiel auch nur im Fernsehen gesehen hat, dem werden diese Klänge sofort bekannt vorkommen:
Seminoles-Fans haben während des Spiels was rowdyhaftes, selbst in der Studentenabteilung hinter der Nordwest-Endzone. Man geht nur nebensächlich mit der Mannschaft mit, konzentriert sich lieber darauf, die Referees zu beschimpfen und auszupfeifen.
In der Halbzeit marschiert die Marching Chief Band auf, was sehenswert ist, und nach dem Spiel begibt man sich entweder nach Hause, wenn man aus dem Umland mit Freunden und Familie angereist ist, oder begibt sich in eine gemütliche Kneipe, zu einem Barbeque zum Ausklang des Tages (und einige Auserwählte sind auf der Spielerparty eingeladen).
Conclusion
Sicherlich ist Florida States Fankultur in den letzten Jahren ruhiger geworden, was mit der Apathie der letzten Jahre unter dem großen, alten Headcoach Bobby Bowden einhergegangen ist. Vielleicht wird es unter Jimbo Fisher wieder besser, wenn die alten Erfolge zurückkommen. Der Spirit vom Ganztagsfest ist für jedermann spürbar. Es ist wie ein großes, eintätiges Volksfest einschließlich Ständen, Zelten, Grill – und natürlich auch inklusive haufenweise Betrunkener. Nur, dass eben auch ein Footballspiel dazu stattfindet.
Aber vergleichbar mit dem gigantischen Auflauf in Nebraska oder Alabama ist Florida State nicht. Ein bisschen ist man eben auch im College Football Eventfan.
Alle Einträge über die Themenwoche Faszination College Football finden sich unter den Tags oder im Portal über College Football beim Sideline Reporter. Fragen? Nur zu – was beantwortet werden kann, wird beantwortet.