Um zum Einstieg dogfood von Allesaussersport zu recyclen:
Ich habe für die CFL einen ganz großen, weichen Fleck in meinem sonst harten Herzen. Das ganze CFL-Ambiente strahlt eine sympatische Kuscheligkeit aus. Das Land Kanada, der Sommer. Der Versuch diese Profiliga mit wenig Resourcen gegen das Monster aus dem Nachbarland NFL aufrecht zu erhalten. Diese leicht freakigen Regeländerungen. Namen, teilweise verbrannte NFL- oder College Football-Talente die wieder auftauchen. Alles andere als glamourös, aber irgendwie freut man sich jedes Jahr darauf, alte Bekannte wieder zu sehen.
Ein Absatz, der genau so unterschrieben werden will, und es seien noch was ergänzt: Diese wunderschönen, uralten Stadien aus den 50ern mit ihren kilometerlangen Haupttribünen. Die völlige Unberechenbarkeit vor jedem Saisonstart. Die Saskatchewan Roughriders mitten aus der kanadischen Tundra, diese „Packers des Nordens“ mit ihrem leidenschaftlichen, allen Wettern trotzdenden Publikum. Das ist Football auf die bodenständige Art.
Eine erklärende Einführung zur Canadian Football League habe ich am Montag gegeben. Die Einträge zur aktuellen Saison werden unter dem Schlagwort „CFL 2012“ zu finden sein. Ich hoffe sehr, die aktuelle Saison etwas stärker begleiten zu können als in den vergangenen Jahren. Zum einen, weil ESPNA wieder eingestiegen ist. Zum anderen, weil die CFL heuer einen Hauch von Aufbruch versprüht, nachdem am Saisonende der einhundertste Grey Cup ausgetragen wird, mit großen, tagelangen Feierlichkeiten rund um den Austragungsort Toronto.
Heute: Die Eastern Division in der Vorstellung. Jene Eastern Division, die über Jahre als Domäne der Montreal Alouettes galt, aber zu Beginn dieser Saison erstmals seit längerer Zeit als wirklich ausgeglichen und dem Westen deutlich überlegen angesehen wird… und dann verloren am vergangenen Wochenende just alle vier Ost-Teams gegen die Konkurrenz im Westen.
Toronto Argonauts
Für die wirtschaftlich schwache CFL sind die Argonauts aus der Millionenmetropole Toronto die Schlüssel-Franchise schlechthin – dumm bloß, dass just jene Argonauts seit Jahren im unteren Mittelfeld kränkeln und mit dem unpopulären Rogers Centre (ehemals „SkyDome“) und einem faulen Publikum (schlechtester Zuschauerschnitt der Liga) zu kämpfen haben. Da man stadtintern wenigstens einmal pro Saison Konkurrenz von den Buffalo Bills aus der NFL hat und die eigenen – zweifelhaften – Werbeaktionen verpuffen, steht die Mannschaft in dieser Saison auch aufgrund des wichtigen Finale dahoam besonders unter Druck.
Dafür hat man nach einer schwachen Saison 2011 (mit 6-12 die zweitschlechteste Bilanz der CFL) in der Offseason mächtig umgestellt. Jim Barker beförderte sich vom Chefcoach/GM zum alleinigen General Manager und kaufte mit dem 38jährigen Scott Milanovich den jungen OffCoord der Montreal Alouettes als Head Coach ein.
Und Milanovich, der Architekt einer der über Jahre besten Angriffe in Montreal, bekam Spielzeug. Die Quarterbacks Lemon/Jyles wurden entsorgt und im Gegenzug in einem viel diskutierten Trade der 32jährige QB Ricky Ray (2x Grey Cup Champ) aus Edmonton geholt, einer der wenigen veritablen „Franchise-Spieler“ in der CFL. Man erwartet, dass die Offense mit Milanovich, Ray und einem ausgeglichenen WR-Corp schnell wiederbelebt werden kann.
Die Defense schaut personell etwas ausgedünnt aus, dürfte aber allein durch die Verpflichtung des schenialischen DefCoords Chris Jones (aus Calgary) ein paar Prozentpunkte an Qualität zulegen können (die Front-7 sah schon mal ganz ordentlich aus).
Toronto ging am letzten Wochenende allerdings ausgerechnet in Edmonton (Rays letzte Station) 15-19 baden, aber nicht aller Tage ist noch Abend: Trotz einer insgesamt horrenden Vorstellung der Offensive Line war wenigstens die zweite Halbzeit von der Offence richtig ansehnlich und machte Hoffnung, aber Milanovich wird nach einer fassungslosen Unzahl an Penalties noch an der Disziplin seiner Truppe arbeiten müssen.
Hamilton Tiger-Cats
Nicht nur die Argonauts treten mit neuem Chefcoach und neuem QB an, sondern auch deren nächster Lokalrivale aus Hamilton (ca. 75km süd-westlich von Toronto), die Tiger-Cats (zum Fachsimpeln bitte: „Ticats“), wo nach drei Jahren Stagnation (9-9, 9-9, 8-10 mit Playoffsieg) zur Komplettrasur angesetzt wurde.
Marcel Bellefeuille wurde durch den neuen Head Coach George Cortez ersetzt und Cortez fackelte nicht lange. Nicht nur der charismatische Oldie QB Henry „Smilin’ Hank“ Burris ist in der Arbeiterstadt Hamilton neu am Werkeln, sondern nach dem Austausch fast aller Skill Players und einiger zentraler Figuren in der Defense eigentlich der komplette Mannschaftskern. Wobei „neu“ bei vielen Einkäufen mit bereits geschehener Vorwahlwechsel (auf die „3“) auch ein fragwürdiger Begriff ist. So viel Umbruch für Hamilton nach dem ersten Playoffsieg seit Äonen!
Burris und Cortez sind alte Bekannte (2008 gewann man gemeinsam mit Calgary den Grey Cup). Burris soll im Spätherbst seiner Karriere noch einmal zünden, weswegen man zusätzlich zu den blutjungen Granaten-WRs Chris Williams & Bakari Grant auch noch eine Ikone aus Saskatchewan eingekauft hat: WR Andy Fantuz. Man erwartet von den Ticats nichts anderes als ein Passfeuerwerk, nachdem das Laufspiel auf den alternden Schultern von RB Avon Cobourne (früher in der NFLE) liegt: Der junge Hoffnungsträger Martell Mallett hat sich jüngst den Knöchel gebrochen. Und sollte Burris nicht zünden, so steht der während der Vorbereitung verpflichtete QB Dan LeFeveaur bereit, den man noch aus College (ehemalige TD-Rekordler) und NFL kennt.
Das Auftaktspiel gegen Saskatchewan bescherte allerdings eine Blamage (16-43 Pleite). Aber auch hier gilt: Vorschnelle Schlüsse sind unangebracht, da das Passspiel durchaus über weite Strecken klickte. Die Probleme lagen mehr in der Abwehr, wo die für ihre harten Hits berüchtigten Linebackers um den neuen Stareinkauf Kevin Eiben zahm wie meine drei Wochen alten Kätzchen blieben.
Montreal Alouettes
Die Als dürfen sich als die sportlich beste Franchise der letzten CFL-Saisons sehen, und ein Mann steht dabei permanent im Mittelpunkt: Der erfolgreichste Quarterback aller Zeiten und schon im vierten Frühling, Anthony Calvillo. Dem Mann, der schon zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs Touchdowns warf, hat Michael Weinreb zum Yards-Rekord im vergangenen Oktober einen faszinierenden Artikel bei Grantland gewidmet – unbedingt lesenswert!
Mit weit über 5000yds in der abgelaufenen Saison, mit 32 TD und nur 7 INTs bei den mit Abstand meisten Passversuchen ligaweit, gehört Calvillo auch mit bald 40 Lenzen immer noch zur Créme de la Créme. Heuer muss er allerdings auf zwei wichtige Kollegen verzichten, den zurückgetretenen WR Kerry Watkins und den OffCoord Milanovich (wie oben geschrieben nun Chefcoach in Toronto).
Das entscheidende Duo neben Calvillo ist aber noch da: GM Jim Popp und der souveräne Head Coach Marc Trestman, unter dem Montreal sich von einem langjährigen Anwärter zu dem dominanten Team schlechthin gewandelt hatte – so dominant, dass das Playoffaus 2011 wie eine Katastrophe bejammert wurde.
Die Offence wird – man lasse sich von der blutleeren Vorstellung bei der hohen Schlappe gegen Calgary am ersten Spieltag nicht täuschen – passen. Dafür bürgen neben Calvillo vor allem eine breit gefächerte Armada um den MVP-Kandidat SB Jamel Richardson und den Rookie-RB Patrick Lavoie – so viel kann der blutjunge OffCoord Marcus Brady da gar nicht falsch machen, dass dieser Angriff nicht wieder über 25pts/Spiel scort.
Aufgabe der Defence um den ebenso neuen DefCoord Jeff Reinebold wird sein, „bend but don’t break“ zu spielen und sich nach einer radikalen Verjüngungskur bis in die Spätphase des Trainingslagers hinein einigermaßen durchzulavieren.
Winnipeg Blue Bombers
(WirsprechennunüberdenGejagtenimOstenindieserSaison) Die Defence war 2011 der wichtigste Faktor hinter dem völlig überraschenden Finaleinzug der Winnipeg Blue Bombers. Ohne Erwartungen in die Saison gestartet, aber dann dank der stolzen „Swaggerville“-Defence mit ihren unglaublich vielen Turnovers durchmarschiert und erst im Grey Cup gestoppt – der eigenwillige Head Coach Paul LaPolice legte 2011 in seinem ersten Jahr die Messlatte gleich mal ganz oben an.
Dass der Erfolg auf schwer wiederholbaren Faktoren (Turnovers!) fußte, könnte für den streitbaren LaPolice durchaus schneller als gedacht zum Problem werden, nachdem in der Abwehr auch noch der beste Pass Rusher, DE Odell Willis, bedenkenlos ziehen gelassen wurde. Überhaupt sieht die Front-7 nach zahlreichen Abgängen und Rücktritten ziemlich ausgedünnt aus, und einzig DB Jovon Johnson bekam einen neuen, teuren Vertrag.
Die Defence muss ihren Level wohl oder übel halten, da sie eine grenzwertige Offence durchschleppen muss. Dort ist mit dem neuen OffCoord Gary Crowton ein Mann am Werkeln, der das Passspiel am liebsten abschaffen würde und deshalb bereits mit Cheffe LaPolice in die Quere gekommen ist.
QB Buck Pierce ist meistens nach nur drei Spielen auf der Verletztenliste (harhar, diesmal schon die ersten Wehwehchen nach dem ersten Spiel), aber dank zahlreicher Kampfspiele und begeisternder „No risk, no fun“-Pässe zum absoluten Fanliebling mutiert. Vor der Auswechslung wegen Knieproblemen am ersten Spieltag produzierte Pierce sagenhafte 3 von 9 für 11yds.
Die Probleme sind nicht allein am QB auszumachen. Die Offence Line machte im Eröffnungsspiel einen verheerenden Eindruck und das Laufspiel liegt in den Beinen des blanken Notnagels Bloi-Die Dorzon (Samstag: 4 Carries für 5yds), nachdem der langjährige RB Reid nach Kreuzbandriss entlassen und dessen junger Nachfolger RB Chris Garrett sich 72h vor Saisonbeginn im Training die Achillessehne riss – out for the season… Mal sehen, ob sich die Wut der ewig Unterschätzten aus Winnipeg in positive Energie auf dem Spielfeld umwandeln lässt.