Es mag Verklärung der Geschichte sein, auch weil es mein erstes richtig „volles“ NFL-Footballwochenende war, aber die Divisional Playoffs 2003/04 bleiben die beste Serie, die ich jemals gesehen habe. Ist das erstmal notiert, kann man sich der zweitbesten zuwenden, und diese liegt nur vier Tage zurück. Ein sehr gutes Patriots-Texans Spiel war das mit Abstand „langweiligste“ des Wochenendes. Damit ist alles gesagt. Fast.
Denn was wäre ich, ohne nach dieser Prognose nicht den Mann zu stehen, und das viertlängste Spiel der NFL-Geschichte zu diskutieren? Denver-Baltimore war nicht bloß vom angekündigten 17pts-Spread meilenweit entfernt, sondern auch das mit eins der größten Playoff-Upsets der letzten Jahre. Ein ganz gutes Gefühl für den Spielverlauf gibt das GWP-Chart von Brian Burke, das schön zeigt, warum und wie Baltimore gewann: Big Plays, massive Pendelumschwünge (gleich alle sechs Scores):

GWP-Chart DEN-BAL von Advanced NFL Stats
Dass Baltimore von Haus aus außer dem extremen Matchup in der Secondary für sich (#82 Torrey Smith gegen #24 Champ Bailey), mit dem sie noch zweimal öfters fast Erfolg gehabt hätten, nicht viel zustande bekamen, wurde schon rauf- und runter diskutiert, ebenso wie alles weitere diskussionswürdige.
Bei den Broncos bleibt nach dem zurecht kritisierten – und störrischen – Head Coach John Fox und dem Bild des ins Leere greifenden Safetys Rahim Moore natürlich vor allem Peyton Manning und seine Playoffbilanz: Elfmal Zwölfmal angetreten, achtmal ohne Sieg nach Hause gefahren. Manning, der Playoffloser, hätte diese Partie gewonnen, wenn Moore so zum Ball geht, wie man es gelehrt bekommt. QB-Lusche und strahlender Held liegen so eng beieinander, dass ein Safety der eigenen Defense über das Schicksal entscheidet.

Matt Ryan hat gewonnen – Bild: ESPN.com
Von den Playoff-Äffchen kann auch Matt Ryan ein Liedchen singen. Wenn K Bryant den letzten Ball nicht reinnagelt, ist da nix mit „validation“, sondern schlimmer: Ryan ist der Depp, der im Alleingang 20 Punkte in einem Viertel auf die Seahawks eingebüßt hat. Die Ära Smith/Ryan wird stärker hinterfragt als je zuvor.
Fazit einmal mehr: So wichtig Quarterbacks sind, sie gewinnen es nicht alleine, und sie verlieren es nicht allein. Und zwischen Sieg (=Hero) und Niederlage (=Idiot) liegt so wenig, dass das Aufhängen an Siegen und Niederlagen nicht mehr als nette Schlagzeilenmache ist. Die Wahrheit ist komplizierter. Sie ist auch unkontrollierbarer.
Seattle fliegt derweil raus, aber der gute Gesamteindruck bleibt. Es gibt immer mal wieder eine Mannschaft, die ich aus unerfindlichen Gründen in mein Herz einschließe, und die 2012/13er Hawks sind eine von ihnen. QB Russell Wilson machte erneut ein beeindruckendes Spiel. Diese Moves in der Pocket, dem Passrush zu entfleuchen, sind McNair-würdig, und als Atlantas Abwehr nur ein Minimum an Aggressivität verlor, wäre der Top-Seed der NFC fast aus den Playoffs geflogen.
Atlanta kann seinerseits stolz sein: Sie haben eine sehr, sehr gute Mannschaft geschlagen.
Auf die Palme bringen konnte das Game-Management von Pete Carroll in den letzten Spielsekunden. Das Freezing ist eine Sache, und wir wissen, dass es keine gute Idee ist. Aber: Hallo, das war Carrolls letztes verfügbare Timeout, und die Uhr zeigte 13 Sekunden an! Nach ausgeführtem Kick kannste minimum 8-9sek für deinen letzten Ballbesitz einplanen. Sofern dir der Return nicht 4-5 Sekunden frisst, ist dieses letzte Timeout extrem wertvoll, weil es dir immense Flexibilität für den vorletzten Pass gibt, der eine mögliche Hail Mary vorbereitet. Ohne Timeout musst du 3yds nach außen zur Seitenlinie nehmen – und die Defense weiß das. Mit Timeout kannste das komplette Spielfeld nutzen – und die Defense weiß das. Carroll beging Idiotie, und es wurde Gott sei Dank nicht belohnt.
Bei den Texans, meinem Superbowlfavoriten aus der AFC, zeigte sich das, was viele schon lange vermuteten: Sie sind gut, aber nicht großartig. QB Matt Schaub steht Synonym für diese Mannschaft, ein sehr guter Mann, der aber nicht den Eindruck macht, ein Team „tragen“ zu können, und dabei meine ich nicht mal die „Crunch Time“. Schaubs Petto scheint nicht mit den Bradys und Mannings mithalten zu können. Das ist keine Schande. Schaub ist ein überdurchschnittlicher Mann. Aber ähnlich wie bei Dalton von den Bengals gilt hier das latente, nicht näher beschreibbare Gefühl, dass man ihm schon ein wahnsinnig gutes Team zusammenbauen muss, damit die ohne Freakunfälle drei oder vier Spiele durch den Jänner gehen können. Schaub, Kubiak: Texans galore.
Wahrscheinlichkeiten für die Conference-Finals
Zum Modell: Die Divisional-Playoffs sahen nach dem perfekten Wildcard-Auftakt eine 2-2 Tippbilanz (über die Saison: 149-66, 69.3%). Beide Fehltipps (DEN, SEA) waren heiße Dinger; lass einen Safety am rechten Ort stehen oder ’nen Coach ein Icing vergessen und wir sind wieder voll dabei.
Der Ravens-Sieg trotz nur 14% Siegchance war ein kolossales Upset. Aber: 14% entspricht immer noch einem Auswärtssieg in Denver in sieben Versuchen (1/7 = 14%). Unwahrscheinlich, aber keine Jahrhundertsensation. Und sie brauchten alles Verrückte, das du in einem Spiel bekommen kannst, um die Sensation perfekt zu machen.
Die Wahrscheinlichkeiten für die beiden Conference-Finals sind wie folgt:
HOME % AWAY %
Atlanta 36 San Francisco 64
New England 71 Baltimore 29