GFWTC-Coverage
Ein mittlerweile fast vier Jahre alter Artikel über Aaron Rodgers und die Offense der Green Bay Packers ist mir immer noch im Ohr: „Für bessere Protection braucht es weniger Blocker“. Kontra-intuitiv, aber nicht unwahr. Die weiteren Kernaussagen dieses Artikels befassen sich mit Block-Philosophien, aber ich beschränke mich mal auf die Anzahl der Blocker, die natürlich direkt mit der Anzahl an potenziellen Ballfängern zusammenhängt.
Ich habe schon geschrieben, warum ich bei Aaron Rodgers lieber einen breit aufgestellten WR-Corp besitze als eine monströse Offensive Line: Rodgers kommt mit Druck ganz gut klar, vor allem wenn er über die Flanken kommt, denn Rodgers ist wendig und intelligent genug in der Pocket und Rodgers‘ Offense arbeitet mit einer Unzahl an schnellen, quirligen Receivern.
Einen hatte ich schon: Julio Jones, einen klassischen #1-Receiver, aber der reicht nicht. Es müssen keine Calvin Johnsons sein, aber es müssen drei, vier schnelle, athletische Jungs sein. Da Jordy Nelson zum Zeitpunkt des 99ten Picks bereits vom Tablett war, richtete ich meinen Fokus auf den Slot, den Platz in der Spielfeldmitte innerhalb der beiden Wideouts.
Der Slot ist der Ort, der den American Football in den letzten Jahren massiv veränderte, weil er die Defense mit einer dritten Anspielstation in der Aufstellung mittlerweile dazu zwingt, einen Linebacker vom Feld zu nehmen, und einen Nickelback einzuwechseln. Es gibt vielfältige Möglichkeiten: Quirlige Receiver oder hünenhafte Tight Ends. Die drei (für mich) attraktivsten WR-Optionen für den Slot sind:
- Percy Harvin: Einer meiner absoluten Lieblingsspieler, aber da ich nicht bereit war, ihn in Runde fünf oder sechs zu bezahlen, war klar, dass ich ihn nicht bekommen würde.
- Randall Cobb: Schon zu Kentucky-Zeiten einer meiner Favoriten, hat sich Cobb bei den Packers recht schnell einen Ruf als Allzweckwaffe im Slot und als exzellenter Returner gemacht.
- Victor Cruz.
Nachdem Harvin und Cobb vom Tablett waren, griff ich zu Cruz. Ich bin mir nicht sicher, ob Cruz mit der #99 nicht ein „reach“ ist, aber da der Talentabfall (bzw. Alters- und offenkundige Verletzungsrisiken) im Slot nach diesem goldenen Trio doch recht eklatant ist und Tavon Austin ineligible ist, musste ich zugreifen. Zumal die beiden Draftpicks danach beide Andy Goldschmidt gehören, der an einem Cruz möglicherweise nicht gänzlich uninteressiert ist.
Victor Cruz ist eine dolle Geschichte, nicht bloß eine für’s All-Pro Team, sondern für das All-Madden Team, eine fast noch höhere Auszeichnung, weil sie nicht nur sportlich einen herausragenden Akteur verlangt, sondern auch einen entsprechenden Typen bzw. Hintergrund. Den hat Victor Cruz. Cruz ist ein Underdog aus dem Bilderbuch: Am College bei UMass (damals noch FCS, ehem. Div I-AA) nicht weiter aufgefallen, als ungedrafteter Free Agent im Sommer 2010 aber einer der Glücklichen, die von einem Profiteam in der Nähe (New York Giants) einen Kaderplatz als Sparringspartner für die Trainingslager bekam („practice squad“), und nur eineinhalb Jahre später mit über 1500yds der wichtigste Offensivspieler nach QB Manning in einem sensationellen Superbowl-Run war.
Die sportliche Komponente
Cruz halte ich nicht für den besten Slot-Receiver in der Liga (das ist Harvin), und beim Durchschauen der Tapes wundert man sich schon, wie ein Mann mit diesen körperlichen Voraussetzungen (nur 1,83m, 94kg) und einem eigentlich relativ unspektakulären Spiel so gute Zahlen anschreiben kann. Cruz ist kein quirliger Mann wie Welker und kein Bolzen wie Boldin oder einst Terrell Owens. Cruz ist schlicht intelligent und sehr präzise, sehr exakt in dem, was er macht (sensationell wichtig für Aaron Rodgers). Ich interpretiere das Cruz’sche All-22 Tape so: Er wird seine Pace der letzten zwei Jahre (vor allem 2011/12) kaum halten können, weil einfach physisch zu limitiert. Aber er wird nicht von der Bildfläche verschwinden, weil exzellente Spielauffassung.
Eine potenzielle „Gefahr“ ist Cruz von wegen seiner Anlage: Gemacht ist er in erster Linie für etwas tiefere Routen. Es fällt bei den Giants auf, wie frappierend oft Cruz die tiefe „wheel route“ über die Spielfeldmitte läuft. Cruz wird relativ selten sehr kurz angespielt; Cruz läuft häufig 10, 15yds downfield, ehe der Ball kommt. Insofern war ich etwas überrascht, dass Cruz letzten Herbst nur 12.7yds/Catch machte. Ich bin mir nicht 100%ig sicher, inwiefern diese Spielanlage in eine Offense mit QB Rodgers passt.
Cruz galt in der abgelaufenen Saison 2012/13 als leichte Enttäuschung (logisch, nach dem unglaublichen Breakout 2011/12), der teilweise katastrophale Spiele einbaute. Einen Teil davon schreibt man dem fehlenden Support durch die häufig verletzten Nebenleute Nicks bzw. den abgewanderten Manningham zu, einen Teil dem heißkalten QB Eli Manning. Ein QB Rodgers dürfte konstanter spielen, und mit seinem Monsterarm durchaus auch froh sein um ein deep threat über die Spielfeldmitte.
Dass mein GM ihm diese Woche einen 5yrs-Vertrag über 43 Mio. Dollars gab, könnte angesichts manch anderer Verträge, mit denen in der NFL um sich geworfen wird, an der Grenze zum Schnäppchen sein, wenn wir bei Cruz den „guten“ Fall annehmen. Für den einst schon abgeschriebenen Cruz dürfte die Summe aber gigantisch sein; so gigantisch, dass ich hoffe, dass er nicht vom Phänomen des satten Profis erfasst wird.
Wenn wir aber davon ausgehen, dass 2012/13 die Norm ist, sind über 8 Mio./Jahr eher leicht überbezahlt. Ich nehme eventuell den hohen Preis (und den vielleicht hohen Draftpick), weil mir die verbliebenen Slot-Optionen nach Cruz, Harvin und Cobb missfallen und ein Cruz gepaart mit Julio Jones und Rodgers durchaus das Fundament für eine großartige Pass-Offense sein können, in der der Gegner nicht bloß mit zwei Outside-Cornerbacks verteidigen kann.
Der Pick macht mich nicht 100%ig glücklich, weil er möglicherweise keinen optimalen ROI bringt, aber angesichts der Umstände sah ich mich dazu gezwungen.