Das Auftaktwochenende im College-Football war in den letzten Jahren eines der größten Highlights des Sportjahres. Ich werde diese Orgie an Erstausstrahlungen nie vergessen, die es vor zwei Jahren bei ESPN America gab, als es von Samstagnachmittag an fast 24 Stunden lang ununterbrochen Bewegtbilder von den amerikanischen Universitätsgeländen gab. Unvergessen ist das geniale Baylor-TCU Spiel, das Coming-Out des RG3 und eines der besten Footballspiele der letzten zehn Jahre, das Auftaktspiel der Boise State Broncos, die in der Nacht die beste Leistung ihrer Teamgeschichte ablieferten, die ersten großen Auftritte des Honey Badgers (Tyrann Mathieu) und der Black Mamba (De’Anthony Thomas) sowie das gigantische Upset von Notre Dame. Ich könnte noch länger schwärmen über dieses unvergessliche Kickoff-Weekend, aber es ist 2013, ESPN America ist nicht mehr, und dafür gibt es ein vergleichsweise maues Auftaktprogramm im TV.
SPORT1 US steigt heute erst um 23h30 mit Alabama-Virginia Tech ein und bringt danach noch ein zweites Nachtspiel mit LSU-TCU aus Arlington. Wer mehr sehen will, muss schon zum ESPN-Player greifen. Nachfolgend das komplette Auftaktprogramm – und soooo schlecht ist datt eigentlich auch net…
Ab 18h: Einrollen
Diskutierte Spiele gibt es nur im ESPN-Player
#2 Ohio State rollt gegen die Buffalo Bulls aus der MAC ein. #10 Florida gegen Toledo. Florida ist natürlich klarer Favorit, aber Vorsicht: Toledo hatte in den letzten eine unbequeme Offense, und wir wissen: Die Florida Gators mögen es nicht, mit hoher Oktanzahl mitzugehen. Und Toledo schaffte schon vor wenigen Jahren um ein Haar die Sensation bei Ohio State. Minimini-Upsetpotenzial, vor allem als Saisoneröffnung, wenn man mich um Rat fragen würde. Zumindest, wenn die Gators eine zeitlang einem Rückstand hinterherlaufen müssen. Die #7 Texas A&M Aggies müssen ab 19h gegen die benachbarten Rice Owls aus Houston antreten. QB Johnny Manziel kommt erst um zirka 19h50 zum Einsatz, nachdem er von der NCAA zu einer sagenhaften Sperre von einem Spielviertel verdammt worden war (Grund: mögliche Geldannahme bei Autogrammstunden).
Ab 21h: S-p-r-e-a-d
Diskutierte Spiele gibt es nur im ESPN-Player
#13 Oklahoma State mit seiner krassen Spread-Offense gegen Mississippi State, das sich mitten im Umbruch befindet. Ich sehe da wenig Upset-Potenzial, aber man kann schon mal einen ersten Blick auf die OSU Cowboys und ihren Angriff der Extreme werfen. Ab 21h30 spielen die Penn State Nittany Lions gegen Syracuse. Penn State war letztes Jahr eine tolle Überraschung, ging 8-4 und spielte wegen eklatanter Kicker-Probleme ab Woche 3 fast jedes halbwegs machbare 4th Down aus. Was wird HC Bill O’Brien diesmal aus dem Zylinder ziehen?
Bei Arkansas – Louisiana-Lafayette kriegt man erste Blicke auf das neue System bei den Razorbacks, wo ja in Bret Bielema ein berühmter neuer Headcoach angeworben wurde. Die Zeiten der 4WR-Sets in Fayettville sind definitiv vorbei; es wird Laufspiel in Arkansas dominieren.
23h30: Alabama vs Virginia Tech
Spiel bei SPORT1 US und im ESPN-Player (aus Atlanta)
#1 Alabama geht als hoher Favorit in diese Saison College Football. Ich habe der Mannschaft gestern eine ausführliche Vorschau gewidmet. Alabama hat seit neuestem auch Gefallen gefunden, sich einen halbwegs ordentlichen Schedule außerhalb der SEC zurecht zu legen und trifft ein Jahr nach dem gehypten Auftakt gegen Michigan heute erneut auf einen Gegner mit gutem landesweiten Ruf: Die Virginia Tech Hokies aus der ACC.
Virginia Tech gehört seit Ende der 90er zu den beständigsten Footballteams, spielte häufig in der BCS mit (einmal sogar im BCS-Endspiel), besitzt ein fantastisches Heimstadion, hat aber trotzdem erstaunlicherweise eher ein langweiliges Image. Ob es am stillen Head Coach Frank Beamer gilt, der lieber eine mehlige Defense spielen lässt anstelle die aufregenden alten Tage mit Michael Vick wieder auferstehen zu lassen?
Immerhin: Einen spannenden QB hat Beamer auch dieser Jahre: Logan Thomas, der 2m-Hüne, den viele schon mit Cam Newton verglichen, führt die Hokies nun ins dritte Jahr. Thomas ist athletisch so ziemlich alles, was NFL-Scouts aufhorchen lässt, außer das eine: Konstanz. Thomas macht zu viele Fehler, und konnte bisher die zugegeben hohen Erwartungen nicht erfüllen. Das geht soweit, dass er als Starter nicht mehr ganz unumstritten ist. Ein Spiel gegen Alabama kann da Fluch und Segen zugleich sein. Aber wenn schon Alabama, dann wenigstens im ersten Spiel.
Thomas muss den Angriff im Alleingang unterhalten, nachdem es schier keine Runningbacks und Wide Receiver von Format mehr geben dürfte: Alle abgewandert. Dafür sind Beamers Defenses meist unbestritten stark. Die 2013er Ausgabe gilt als unerfahren, aber BCS-würdig. VT ist heuer kein National Title Anwärter, insofern täte eine Niederlage auf neutralem Feld nicht weg. Man kann sich einspielen, aber es wäre eine Sensation, wenn die Hokies die Crimson Tide fällen würde.
02h00: Wie Hund und Katz
Diskutierte Spiele gibt es nur im ESPN-Player
Ab 02h kommt für viele das Topspiel des Wochenendes, und – ich konnte es gestern nicht mehr nachweisen – möglicherweise wird es im ESPN-Player übertragen: #8 Clemson Tigers – #5 Georgia Bulldogs. Beide Teams habe ich in den Previews ausführlich abgearbeitet, daher gehe ich an dieser Stelle nur kurz an die Rivalität zwischen diesen beiden Teams ein. Die Informationen habe ich aus einem hörenswerten Podcast von Solid Verbal (guter Tipp, wer fassungslos viele Details aus dem College-Umfeld lernen will) abgegriffen: Fighting Like Cats and Dogs.
Clemson und Georgia trennen kaum 120km Autobahn voneinander. Die beiden spielten in den 1890er Jahren erstmals gegeneinander. Damals waren Pioniere im US-Süden verantwortlich, dass der Football überhaupt vom hohen Norden dort nach drunten verfrachtet wurde. Clemson und Georgia gehörten zu den ersten Teams im Süden. Hauptverantwortlich waren zwei Jungs, die gemeinsam in Baltimore studierten, und sich Jahre später trafen und bei einem kühlen Blonden entschieden „Wir spielen jetzt einfach mal gegeneinander“. Damals waren die beiden im Süden angestellt: Der eine bei Georgia, der andere bei Clemson. Tja, und dann kam ein Dritter aus Auburn, und Clemson hatte schon seinen Nickname „Tigers“ (für Anfänger: Auburn hat auch „Tigers“). Die jährlichen direkten Duelle waren die absoluten Highlights, wer sie verlor, zahlte drauf.
In den späten 70ern und frühen 80ern hatten Georgia und Clemson dominierende Mannschaften. Mehrmals zerstörte der eine dem anderen mit der einzigen Saison-Niederlage den Titel. WiederZufalleswollte, gewannen die beiden Unis dann nacheinander, 1980 (Georgia) und 1981 (Clemson), dann aber doch, jeder für sich, den einzigen National Title ihrer Universitätsgeschichte.
Nach 1995 fiel die Rivalität, bei der beide Studentenschaften jeweils in den anderen Ort fuhren und sich zum GameDay zusoffen, dem Fortschritt (auch: Scheduling-Problem aufgrund neuartiger Dinge wie „BCS“) zum Opfer, und seither ist es das erste Duell Hund gegen Katz… und wiederZufallesnochmalwill, gehen beide mit den höchsten Erwartungen seit vielen Jahren in die Saison. Clemson kommt aus einer 11-2 Saison. Georgia aus einer 12-2 Saison. Georgia konnte sich letztes Jahr an einem absolut fantastischen Spiel gegen Alabama (knapp verloren) hochziehen. Clemson putzte zu Silvester in einem ähnlich guten Spiel die SEC-Grande LSU.
03h00: Louisiana State – TCU
Spiel bei SPORT1 US und im ESPN-Player (aus Atlanta)
Diese Grande #12 LSU Tigers sieht heute Nacht einen gefährlichen Gegner: #20 TCU Horned Frogs. Man mag mich für verrückt halten, aber ich halte beide Mannschaften mit ihren Rankings für unterschätzt. Bei beiden Teams gibt es noch einige Fragezeichen, was Spieler-Verfügbarkeit angeht: Der kultige LSU-Coach Miles musste zuletzt viel Kritik einstecken, weil sie RB Hill trotz eindeutiger Policy wohl im Roster behalten werden, und bei TCU gibt es mehr als ein Fragezeichen hinter DE Devonte Fields. TCU-Coach Patterson war einer der lautesten Schreier gegen die Rehabilitierung Hills beim Gegner – ob er sich glaubwürdiger macht, wenn er seinen eigenen Problemfall Fields identisch behandelt? („Aber er macht es doch auch!“ *entrüstet dreinschau*)
Bei TCU empfehle ich immer, auf die geschwindige Defense zu schauen. Dieses 4-2-5 System ist klarer ausgedrückt als bei allen anderen Teams, und keine Defense macht aus ihren Talenten mehr als jene von Patterson. Aber dieses Jahr ist es, siehe verlinkte Preview, auch die Offense, die potenziell begeistert: QB Pachall kehrt nach Drogensperre zurück und dürfte sich zumindest mit dem Widersacher QB Trevor Boykin die Spielzeit teilen.
So, und jetzt die Tipps: Georgia-Clemson ist für mich ein Münzwurf. Ich würde sagen, Georgia hat das bessere Team. Aber Clemson hat das grandiose Heimpublikum, und Clemson hat eine derartige Wucht im Angriff, dass die Combo Stimmung+Hochform durchaus ein kleines Upset bringen könnte. Zumal Georgia auf seine beiden besten Defensive Backs verzichten muss (Sperre+Verletzung). Bei LSU-TCU? LSU ist für College-Verhältnisse eine traubenreife Mannschaft und einer der absoluten Topfavoriten auf den BCS-Titel. LSU hat genügend Man-Power, um die Protection für die TCU-Quarterbacks zu zerbröseln. Aber ich glaube an TCU. Die Wucht der fantastischen Defense Line reicht, um LSUs Laufspiel einzubremsen, und das Spiel in die unsicheren Hände QB Mettenbergers zu legen.
04h00: Washington – Boise State
Nur für Trüffelschweine
Vorneweg: Über offizielle Wege ist Washington gegen Boise State in Europa nicht zu empfangen, und gescheite ruckelfreie Bilder dürfte es nur dann geben, wenn das Spiel eventuell in einigen Tagen bei Youtube hochgeladen wird (Fragezeichen). Trotzdem geht es um einiges, und das soll nicht unerwähnt bleiben. #19 Boise State hat dieses Jahr erneute BCS-Ambitionen und könnte ein letztes Mal jenes System spoilern, das es groß gemacht hat. Die Offense hat die Voraussetzungen: QB Southwick hat das Kurzpassspiel mittlerweile drauf und RB Ajayi ist ein würdiger Nachfolger Doug Martins. Die Defense Line ist wirklich gut, allerdings gibt es Fragezeichen, ob das Defensive Backfield hält. Washington hielt zuletzt im Dezember in der Bowl Season gegen Boise lange Zeit sehr, sehr gut mit, war phasenweise sogar die etwas bessere Mannschaft, aber der QB Keith Price überzeugt mich nicht ausreichend, um den Huskies hier die Favoritenrolle zuzuschachern.
Was wir leider auch nicht zu sehen bekommen: Das neue Huskies Stadium in Seattle, das für fast 300 Millionen Dollar renoviert wurde und als eines der stimmungsvollsten im Lande gilt. Seattle und laute Footballstadien: Wie Arsch und Eimer.
Nommal: Übertragungsprogramm
SPORT1 US Programm
Sa/So 23h30 Alabama - Virginia Tech (aus Atlanta) Sa/So 03h00 Louisiana State - TCU (aus Dallas)
Wdh. gleich in Dutzenden.
ESPN-Player Schedule (ESPN-markierte Spiele sind im ESPN-Player).