Pragmatik schlägt Philosophie: Wie die Denver Broncos ihre Superbowl-Mannschaft formten

Die Superbowl 2014 bietet zwei Teams auf, die gemeinsame Geschichte als einstige langjährige Divisionsrivalen in der AFC West haben. Die Denver Broncos sind dabei die ältere, erfolgreichere Franchise, während die Seattle Seahawks die meiste Zeit ihres Bestehens vor allem als Mitläufer wahrgenommen wurden. Die heutigen Mannschaften wirken einzigartig und sind auch von der jeweiligen Franchise-Geschichte relativ losgelöst. Hatten wir in den letzten Jahren jeweils die Chance, über langjährige Philosophien der Endspiel-Kontrahenten zu sinnieren, sind es diesmal recht kurzfristig zusammengestellte Mannschaften.

Heute konzentrieren wir uns auf die Denver Broncos, zweifacher Superbowl-Sieger aus den 90er Jahren und schon zuvor insgesamt viermal als Verlierer aus dem größten Footballspiel des Jahres gegangen.

Die Geschichte der Denver Broncos ist, wie ich einst schon detaillierter nachzeichnete, in erster Linie die Geschichte des einen Mannes: QB John Elway. Elway kam 1983 nach Denver, weil er sich als Top-Draftpick geweigert hatte, für die Baltimore Colts zu spielen. Die Broncos akzeptierte er, und er wurde alsbald zu einem der herausragenden Quarterbacks in der NFL. Aber so oft Elway sein Team in die Super Bowl führte, so oft scheiterte er. Die AFC wurde damals als minderwertige Conference wahrgenommen, die gegen die NFC-Juggernauts aus San Francisco, Dallas, Washington oder New York wie die Lehrbuben aussahen. Denver: Gut genug um die AFC zu gewinnen, aber zu leichtgewichtig für die Lombardi Trophy.

Das änderte sich schließlich Ende der 90er, als die Broncos doch noch kurz vor Elways Ritt in den Sonnenuntergang zwei Titel abstaubten und somit nicht nur das Bild der kompletten AFC, sondern auch und vor allem der Denver Broncos wandelten. Die einstigen netten Verlierer waren als zweifacher Titelträger plötzlich wer. Sie gehörten mit einem Mal zu den Premium-Franchises in der NFL.


Die heutigen Broncos haben mit jenen Teams aus den 90er Jahren nicht mehr viel gemeinsam. Sie sind fast „zufällig“ so zusammengekommen, als eine Art Treffen der alten Männer, die gerade verfügbar waren. Aber sie alle haben ihren Beitrag geleistet. Sie haben einen Pfad eingeschlagen und eine dominierende Mannschaft gebaut.

Alles begann mit dem Ende der Ära von Head Coach Mike Shanahan, dem Superbowl-Coach aus den Neunzigern: Shanahan wurde nach der Saison 2008 nach einer wiederholten Implosion zu Saisonende und dem Verpassen der Playoffs gefeuert. Als Nachfolger wurde der heißeste Export aus den Neuenglandstaaten seit dem Indian Summer eingestellt, der Patriots-OffCoord Josh McDaniels.

Die Ära McDaniels verlief… nicht gut. McDaniels war ein Jüngling Anfang 30, der sich aufführte als hätte er das Rad der Zeit neu erfunden, und mit seiner herrischen Art vergraulte er nicht bloß den jungen Franchise-QB Jay Cutler, sondern auch alsbald den gesamten Kern der Offense. Nicht alle Moves des Josh McDaniels waren Idiotien, aber im Leben fällt es immer schnell auf dich zurück, wenn du mit deiner Art nicht ankommst und mit deinen Moves nur Fragezeichen produzierst, aber keine Resultate.

Die Besitzerfamilie der Denver Broncos zog bei McDaniels noch vor Ende seiner zweiten Saison den Stecker und schmiss ihn nach 29 Spielen als Head Coach raus. Wie lautet eine der Weisheiten für die Suche nach einem neuen NFL-Coach? Suche immer das Gegenteil jenes Coaches, den du grad rausgeschmissen hast. Egal welchen. Hauptsache, das Gegenteil.

McDaniels‘ Profil: Blutjung, keine Erfahrung, Offense-Geist, Kreator einer rekordträchtigen Pass-Offense, Image des innovativen Genies, aber mit einer ganzen Latte an höchst hinterfragenswerten Entscheidungen in seiner Zeit in Denver.

Da kam es für die Broncos nach Ende der Saison 2010/11 ganz recht, dass die Carolina Panthers den auslaufenden Vertrag mit ihrem Head Coach John Fox nicht mehr verlängerten. Fox‘ Profil liest sich in der Tat wie ein Anti-McDaniels: Weit jenseits der 50, neun Jahre Erfahrung im Team-Building in Carolina, Defense-Stratege, Footballphilosophie aus den 70ern (laufe in der Offense, stoppe den Lauf in der Defense), Image des biederen Arbeiters, in Carolina berüchtigt für konservative Entscheidungen bei Drafts und im Spiel.

Fox: Der ideale Mann, um ein in hellen Flammen stehendes Programm der Denver Broncos wieder aufzubauen.

Der zweite große Move von Owner Pat Bowlen in jenem Jänner vor drei Jahren: Er beförderte die Legende John Elway als vom einfachen Funktionär zum „Team President“ – quasi eine Rolle eines General Managers. Der Move sah seinerzeit fragwürdig aus: Einfach das bekannteste Gesicht der Franchise in den Vorstand befördern und zu hoffen, dass sich ein herausragender Wurfarm in gutes Verhandlungsgeschick transformieren lässt. Zu oft sind solche Moves schief gegangen. Aber der Geschäftsmann Elway, der schon eine Schnellimbisskette zu einem millionenschweren Geschäft gemacht hatte, fiel nicht in diese Kategorie.


Fox ging seine Arbeit in Denver nicht als großer Revolutionär an, sondern arbeitete an den Basics. Als erster bastelte er an seiner Defense und holte mit dem geschenkten hohen Draftpick den Abwehrspezialist DE/OLB Von Miller nach Denver. Miller schlug quasi von Tag eins an ein in Denver und war sehr schnell einer der besten Defensivspieler in der Liga.

Er verbesserte die Defense innerhalb seines ersten Jahres von der schlechtesten (471 Gegenpunkte, 7.2 NY/A) auf eine mittelmäßige (390 Gegenpunkte, 6.4 NY/A), aber die Story der Broncos war in jener Saison 2011 eh eine komplett andere: Tim Tebow.

Tebow.

Tebow war jener Quarterback, der nicht richtig werfen konnte, der aber seine Mannschaften mit purem Willen zu großen Siegen führen konnte. Ein Charismatiker, dessen Gottesfurcht und Einsatz gegen Abtreibungen das ganze Land in helle Aufregung versetzten. Bei dem tausende Mädchen die sich von ihm schwängern lassen wollten zu seinem Abschied vom College in Florida im Sonnenuntergang auf den Rängen geweint hatten. Den Josh McDaniels mit einem Erstrundenpick geholt hatte.

In der Retrospektive war Tebow den Draftpick gefühlt fast wert. Nicht sportlich, aber medial. Die Broncos wurstelten sich zu einer schier fassungslosen Serie an Freak-Siegen, und alles lief für sie: Gegner, die nur 2/8 Completions zuließen, aber in den letzten zwei Minuten plötzlich kollabierten. Gegner, die Fumbles in dümmsten Zeitpunkten begingen und dann noch aus dem Spielfeld traten. Und die Fans spielten verrückt. Und Fox schaute an der Seitenlinie mit einem säuerlichen Grinsen zu. Fox schaffte schon im ersten Jahr Divisionssieg und Einzug in die Playoffs, und dort gewann Denver sogar sein Wildcard-Spiel, das John 3:16 Spiel, den Höhepunkt von Tebowmania, gegen eine der besten Mannschaften der Saison, Pittsburgh.

Trotzdem war allen klar: Tebow ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Tebow ist nicht die Antwort.

In Indianapolis war genau zu jener Zeit die QB-Legende Peyton Manning überflüssig geworden: Manning hatte just jene Saison aussetzen müssen, und ohne Manning waren die Colts krepiert zum Top-Draftpick, der in jenem Jahr 2012 den Spieler der Spieler, QB Andrew Luck, auf dem Servierteller präsentierte. Die Colts entschieden sich für Luck und gegen ihren Superstar Manning, der mit 36 noch ein letztes Halali blasen wollte.

Die Colts feuerten den besten Spieler ihrer Geschichte. Den Spieler, der ihre Franchise überhaupt erst wieder relevant gemacht hatte. Der sie zum Superbowl geführt hatte.

Und an der Stelle tritt Elway auf den Radar. Elway war eine der zentralen Figuren beim Einkauf von Peyton Manning. Man erinnere sich: Denver war weiß Gott nicht die „logischste“ Option für Manning, der sich seine letzte Mannschaft seiner Karriere auswählen konnte. Elway fungierte als das Gesicht, das im Werben um Manning die entscheidenden Trümpfe zog, und tatsächlich unterschrieb Peyton und machte die Broncos damit über Nacht zum Titel-Mitfavoriten.

Und die Broncos verschifften Tim Tebow nach New York. Tebow, den Spieler, der wie kein anderer einen landesweiten Hype ausgelöst hatte, dass du dich manchmal schon fragtest ob sie die Amis tatsächlich noch alle beisammen haben.

Peyton Manning anstelle von Tebow: Sportlich gibt es ein größere Upgrade nicht. Aber den Mut gehabt zu haben, den Medien-Superstar Tebow abzusägen, dafür gebührt Elway, Fox und der Broncos-Riege Respekt.


Den Broncos sind zwei wichtige Bausteine quasi in den Schoß gefallen: Head Coach Fox und Quarterback Manning. Es war harte Arbeit, die beiden zu verpflichten, keine Frage, aber sie waren eben genau zum richtigen Zeitpunkt auf dem Markt. Ein Champion muss gut sein, aber er muss auch Glück haben. Ohne Glück wirst du kein Champion.

Auch in Denver machte es die Mischung. Der Lauf-Fetischist Fox war pragmatisch genug um zu verstehen, dass eine Offense mit Peyton Manning auch die Handschrift des Peyton Manning tragen muss. Das mag ein banales Statement sein, aber wie oft enden solche Kooperationen in der NFL mit einem Gemetzel an Köpfen, weil die Führung zu starr auf ihre Linie vertraute.

Fox blieb ruhig. Er überließ die Offense seinem OffCoord Mike McCoy und später dessen Nachfolger Adam Gase, die sich schon an Tebows „Vorzüge“ anpassen konnten, und konzentrierte sich gemeinsam mit dem DefCoord Jack Del Rio, mit dem er schon gemeinsam in Carolina ein Traumduo gebildet hatte, auf die Verbesserung der Defense.

Nochmal: Innerhalb von fünf Jahren machten die Broncos vier grundsätzliche Wandlungen ihrer Offense durch: Vom zone blocking-Stil unter Shanahan, der ihnen die Superbowls in den 90ern geholt hatte zur Pass-Offense des Josh McDaniels zur Den-Veer Offense mit Tebow zu Manning. Eine solche Tour durch die Footballsysteme war in der NFL bis dahin quasi ungesehen.


Die letzten beiden Jahre liefen, wie sie liefen: Denver beendete die Regular Season zweimal mit 13-3 Siegen und dem AFC-Top Seed. Der Kader von 2013 sieht nur noch etwas mehr als eine Handvoll jener Spieler unter Vertrag, die Fox vor nur drei Jahren von McDaniels übernommen hatte. Aber bis auf Von Miller waren es nicht unbedingt die großen Drafts, die Denver nach oben brachten; es war vielmehr der Einkauf von relativ preiswerten Free Agents, die andernorts nicht mehr gebraucht wurden.

Ein WR Wes Welker kam aus New England. Ein TE Tamme aus Indianapolis. Ein DT Knighton aus Jacksonville. Ein LB Shaun Phillips aus San Diego. Ein CB Rodgers-Cromartie („Erst in Denver sagte man mir, was ich alles falsch mache“) aus Philadelphia.

Plus natürlich Peyton Manning.

Es gibt natürlich die jungen Superstars, die in Denver gedraftet und aufgebaut wurden. Leute wie Decker oder Demariyus Thomas, die noch aus der McDaniels-Ära stammen. Oder Miller, der Diamant der 2011er-Klasse. Oder LB Danny Trevathan, ein billiger Pick aus der sechsten Runde. Oder S Rahim Moore.

Aber philosophisch wurde Denver ironischerweise erst dann zum neuen „Foxboro West“, als der „Foxboro-Mann“ McDaniels schon weg war. Dann begann man, Free Agents für billiges Geld zu holen. Kurze 1-2 Jahresverträge nahe dem Gehaltsminimum. Spieler, die sich beweisen wollten. Rodgers-Cromartie oder Knighton sind die Paradebeispiele. Das ist Patriots-esker als es den Patriots in den letzten Jahren gelungen ist.

Plus natürlich Peyton Manning.


Die Broncos von 2013 sind in der öffentlichen Wahrnehmung Peyton Mannings Mannschaft. Sie haben seine Identität. Die Offense scort in Rekord-Sphären. Sie hat ein unverwechselbares Gesicht in dem immergleichen und im Detail doch so variablen Kurzpassgewichse, das Manning in seinen mittlerweile 15 NFL-Jahren perfektioniert hat. Die Defense hält trotz extrem vieler Verletzungen gerade gut genug um den Großteil der Gegner locker zu putzen.

Manning selbst kann mit seinem zweiten Superbowl-Sieg seinen Platz im absoluten Thron der besten Quarterbacks der NFL-Geschichte zementieren. Er kann der erste Quarterback werden, der mit zwei Franchises den Titel als Stamm-QB gewinnt. Er kann seine rekordträchtige Karriere schmücken.

Fox kann zehn Jahre nach der ebenso dramatischen wie begeisternden Endspielniederlage gegen die New England Patriots Versäumtes nachholen und den lange fälligen Titel gewinnen.

Elway kann 16 Jahre nach seinem letzten Superbowl nun als Chef der Sportlichen Leitung eine dritte Lombardi Trophy abstauben.

Es wäre kein Sieg im klassischen „Broncos-Way“, sondern ein Sieg der Pragmatik.

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13 Kommentare zu “Pragmatik schlägt Philosophie: Wie die Denver Broncos ihre Superbowl-Mannschaft formten

  1. Danke für den Artikel.
    Wenn ich an Tebow denke, wird mir immer das Spiel gegen Pittsburgh in Erinnerung bleiben. Was für ein Leader.

  2. Was für ein Pass von ihm 🙂
    Ich stand damals mit offenem Mund vorm Fernseher so überrascht war ich…

  3. Den Tebow mochte ich. Vielleicht gerade weil er nicht dieser Prototyp des Vorzeige-QBs war. Schade, das er völlig von der Bildfläche verschwunden ist.

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  6. Ich versteh echt nicht warum jacksonville tim tebow holt. Würde doch super passen, fuer beide!

    Damit Tebow die Jaguars-Offense von 5.4 NY/A auf 4.7 NY/A downgradet – immer! Dann hast du wenigstens den Top-Pick 2015 sicher und kannst Jameis Winston draften.

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