Wie fast jedes Jahr entzündet sich das meiste Feuer im Vorfeld des NFL-Drafts auch diesmal um die Leuchtturm-Position im American Football, die Quarterbacks. Wie immer ist mindestens eine Handvoll Mannschaften auf der Suche nach einem neuen Stamm-Quarterback, was für gewöhnlich ein paar knackige Szenarien schon in der ersten Runde garantiert. In diesem Jahr gilt die Klasse der Quarterbacks als eher durchwachsen, mit einer zwar breit gestreuten Gruppe an guten Talenten, aber das ganz große can’t miss prospect soll fehlen.
Wie sich das Lechzen nach Quarterbacks am nächsten Donnerstag entwickelt, wird die Dramaturgie im Draft massiv beeinflussen. Ein Sturm auf die talentiertesten Jungs in den Top-Ten ist ebenso nicht auszuschließen wie ein Szenario analog dem letzten Jahr, als alle bis auf einen aus der ersten Runde fielen.
Die Quarterback-Vorschau 2014 habe ich aufgrund der Ausführlichkeit in diesem Jahr aufgeteilt. Heute beginne ich mit dem Trio, das die meisten Schlagzeilen kassiert und sich nach landläufiger Meinung als Spitzentrio herauskristallisiert hat.
Der Komplette: Teddy Bridgewater
Hätte man vor drei Monaten nach dem favorisierten Quarterback des Drafts 2014 gefragt, die Antwort wäre fast unisono „Teddy Bridgewater“ gewesen. Bridgewater kommt als Quarterback der Louisville Cardinals aus der American Athletic Conference in die NFL. Er war dort der Stamm-QB der letzten zweieinhalb Jahre.
Weiterführendes
Sein Coming-Out vor nationalem Publikum hatte Bridgewater in der Sugar Bowl 2013, als er die Monster-Defense von Florida im Alleingang und Spielzug für Spielzug blitzsauber auseinander nahm. Er ging als Nummer-1 QB in den vergangenen Herbst und enttäuschte die Erwartungen nicht.
Bridgewater gilt als reifster, komplettester Quarterback im Draft. Er strahlt eine innere Ruhe aus, die selbst in brenzligen Situation in nicht mehr als ein paar Körperzuckungen „ausartet“. Bridgewater kriegt im Angesicht eines Blitzes keine kalten Füße, sondern schmettert den großen Einschlag mit einem leichtfüßigen Schritt ab. Er kennt die NFL-Standardoffense aus dem College, wo er überwiegend West-Coast Prinzipien sah und mit eindrucksvoller Konstanz ausführte.
Bridgewaters größtes Verkaufsargument neben seinem guten Nervenkostüm sein Wissen um die Komplexität des Spiels. Er durfte bzw. musste am College recht viel auf eigene Faust an der Anspiellinie operieren. Er bekam zwar die Spielzüge durchgesagt, aber Anpassungen aufgrund Defensiv-Aufstellungen waren ihm erlaubt. Für viele Coaches am College ist solches Vertrauen in den Quarterback unerhört. Nicht für Louisville. Und Bridgewater zahlte es mit exzellenten Vorstellungen zurück.
Bridgewater ist mobil, aber er ist kein Scrambler. Seine Stärken liegen ganz klar in der Pocket und er wartet notfalls auch bis zum letzten Moment, um einen Pass anzubringen. Er lässt sich vom Druck der Defense nicht nervös machen und beginnt beim Kollabieren der Pocket nicht auf de Passrush zu starren, sondern hält seine Augen stets bei seinen Anspielstationen im Defensive Backfield. Er ist mobil genug um sich den Platz in der Pocket zu verschaffen und er kann Rollout-Spielzüge bis ins Detail präzise ausführen.
Bis zum Saisonende war er der klare QB-Favorit 2014. Erst mit Einsetzen der Scouting-Periode ab Mitte Februar wurden die Zweifel an Bridgewaters Kandidatur lauter. Das offensichtlichste Fragezeichen ist seine Statur: Der Teddy ist mit 1.84m 1.87m kein Zwerg, aber eben auch locker sieben, acht Zentimeter kleiner als der NFL-Prototyp für seine Position. Er ist klein und schmächtig und damit ein Freak in einer Liga, die nach den 1.93m, 115kg schweren Spielmachern lechzt.
Es gibt zwar „kleine“ Quarterbacks, die sich in der NFL durchgebissen haben, aber es sind nicht viele. Brees und Russell Wilson, aber sie sind eher die Ausnahme denn die Regel. Wilson profitierte zudem von einer funktionierenden Mannschaft, die sich erlauben konnte, eine konservativere Offense mit einfachen Packages zu spielen, ein Luxus, den nicht viele Quarterbacks bekommen.
Eine Figur als Hüne hilft in der NFL mit ihren immer größer werdenden Defensive Linern natürlich ungemein. Ein groß gewachsener Spieler sieht mehr, ein groß gewachsener Spieler wird weniger Bälle schon an der Anspiellinie abgefälscht sehen. Obwohl Bridgewater mobil genug ist um sich eine freie Wurfbahn zu verschaffen, bleibt es ein Wettbewerbsnachteil.
Der zweite Knackpunkt bei Bridgewater ist sein tiefer Ball. Bridgewater hat keine Rakete von Wurfarm vom Schlage eines Matt Stafford, aber sein Arm gilt als gut genug um die meisten Pässe sauber zu werfen – bis auf den einen: Den tiefen eben. Bridgewaters tiefe Pässe sind nicht nur unpräzise; sie verlieren nach 30, 40 Yards an Power und hängen merkwürdig kraftlos in der Luft. Ein fehlender tiefer Ball wird dich in der NFL immer verfolgen, weil dir eine der wichtigsten Dimensionen abgeht, und versuchst du es trotzdem, ist jedesmal Gefahr durch Abfangjäger gegeben.
Der Teddy hätte viele dieser Zweifel mit gewaltigen Offseason-Workouts widerlegen können, manövrierte sich dann aber mit schwachen Trainingseinheiten noch weiter in eine Ecke, in der er momentan von der Öffentlichkeit festgenagelt ist: So wirkt Bridgewater mit jeder Woche, die dieser Scouting-Prozess dauert, mehr wie ein zu klein geratener, einen Tick zu blasser Typ mit zu schwachem Arm aus, der auch nicht so unglaublich präzise ist wie ursprünglich angenommen.
Bridgewater, der Mensch, ist als Typ unangreifbar. Er hat sich nie auch nur Kleinigkeiten zu Schulden kommen lassen, sondern galt stets als Führungsspieler und Teamkollege der ersten Kategorie. So wirkt der ganze Blues um Bridgewater noch immer wie ein kleines bisschen wie das alljährliche Spielchen, in denen sich Scouts an ein, zwei Flauseln aufhängen und einen Spieler weiter zerreden als es notwendig ist. Warum fällt Bridgewaters schmächtiges Äußeres erst in der Combine wie Schuppen von den Augen? Wie kann ein einziger schlechter Pro-Day fast drei Jahre einwandfreies Videobeweismaterial vernichten?
Die Stelle, an der Bridgewater nächsten Donnerstag vom Tablett gehen wird, wird finales Zeugnis einer wilden Scouting-Periode sein. Sollte die sicherste Tüte im Draft tatsächlich aus der ersten Runde fallen, wäre das nichts anderes als eine riesige Sensation.
Der Aufsteiger: Blake Bortles
Blake Bortles kommt von der University of Central Florida und ist quasi Phoenix aus der Asche. Er ist der Anti-Teddy. Er war viele Jahre lang nahezu unbekannt, bis er mit einer bärenstarken Performance in der Fiesta-Bowl am Neujahrstag 2014 auf dem Radar der Meute erschien – und seither trotz vieler Unkenrufe nicht wieder verschwand.
Bortles ist ein Hüne mit Zahnpastalächeln, 1.95m groß und 120 kg schwer und damit genau die Statur von Mann, die Konkurrent Teddy abgeht. Bortles ist dabei kein unbeweglicher Zeitgenosse vom Schlage eines Byron Leftwich, sondern ein durchaus mobiler Mann, den man als besseren Scrambler im Vergleich zu Teddy Bridgewater bezeichnen könnte.
Bortles orchestrierte bei UCF eine mit dem read-option Angriff sehr nahe verwandte Offense mit dem Ziel, dem Quarterback möglichst saubere Wurfbahnen zu verschaffen. Rollouts und kurze Scrambles gehörten zu dieser Offense wie Erbsen zum Speck. Bortles erledigte diesen Teil seiner Arbeit ganz zufriedenstellend, aber ist er ein Franchise-QB?
Anfangs dachte ich, oh, Bortles ist ganz praktisch, da er der Journallie einen letztlich chancenlosen Gegenspieler für Bridgewater anbiete. Dann dachte ich, oh, seine Freundin eignet sich für den Boulevard. Dann dachte ich, warum ist er noch immer ein Mitfavorit. Und dann, wie zum Teufel konnte er Bridgewater in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit schier überholen?
Bortles‘ hat genau einmeterfünfundneunzig Vorteile gegenüber einem Bridgewater. Körpergröße ist kein Vorteil, den man negieren sollte, aber man ist versucht, ihn immer und immer wieder zu unterstreichen, wenn es der einzige Vorteil ist.
Denn: Bortles‘ Wurftechnik ist am Arsch. Er wirft die Bälle nicht, er stößt sie so merkwürdig, dass spätestens die längeren Würfe nach 20yds saftlos zu Boden fallen. Mit Passrush im Gesicht bricht Bortles auseinander und wirft viele Pässe praktisch im Rückwärtsfallen. Die Technik ist wohl selbst mit gutem Coaching nicht mehr von Grund auf zu verändern, aber zumindest eine Verbesserung sollte noch drin sein.
Diese Wurfbewegung und seine unkonstanten Leistungen sind die größten Killer bei Bortles, und so bleibt die Frage, wie ein Mann, der nur körperlich einen kleinen Vorteil besitzt, in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich an einem Bridgewater gefühlt vorbeiziehen kann. Keine drei Jahre nach Gabbert gilt schon wieder ein Mann mit nur wenig Spielerfahrung und suspektem Spielverständnis, mit kaum behebbaren technischen Mängeln und nach nur zwei, drei Heldenspielen als möglicher Top-Quarterback Pick im Draft.
Der Anarch: Johnny Manziel
Johnny Manziel war der größte Star des College-Football, seit ich selbigen verfolge. Er stellte Tebow in den Schatten und er stellte RG3 in den Schatten. Johnny Football war zwei Jahre lang Quarterback der Texas A&M Aggies, und eigentlich war er mehr als ein Quarterback. Er war die Offense der Aggies, Spielmacher, Playmaker, Zirkuskünstler, Herz, Seele und Lunge einer der besten Offenses des Landes. Er brachte in der defensivstarken Southeastern Conference (SEC) selbst die per Trademark geschützte beste Defense des Landes, Alabama mit Coach Nick Saban, an den Rand der Selbstaufgabe.
Johnny Manziel ist auch mehr als ein Footballspieler. Er ist ein Popstar, dessen Possen Futter für die Yellow-Press von Texas bis New York waren. Er ließ keine Fettnäpfchen aus, von Saufgelagen im Trainingslager über Studentenfeten im Haus des größten Rivalen hin zu zweideutigen Twitter-Publikationen war alles dabei, was ein normaler Mensch sich nicht erlauben sollte, aber Manziel verzieh man alles, ja mehr, man hoffte auf den nächsten… Ausrutscher kann man es nicht nennen… Egotrip dieses Jungen aus reichem Haus.
Manziel ist ein Anarch auf wie neben dem Feld. Er hat durchaus den Arm für das tiefe Spiel, wenn auch seine Wurfbewegung nicht die konventionellste ist. Er ist mit seinen 1.85m 1.90m zirka 1.80m und 95kg nur unwesentlich größer sogar etwas kleiner als ein Bridgewater, aber während dies bei ersterem zum Problem der Nation gestylt wird, schert sich bei Johnny Football kein Mensch um solche Nebensächlichkeiten.
Mit Manziel ist alles möglich. Er hat kein Gefühl für die Pocket, kein Gefühl für Timing, Präzision im Spielzugablauf, also ziemlich genau kein Gefühl für irgendetwas, das einen klassischen NFL-Quarterback erfolgreich macht. Seine absolute Stärke ist das Improvisieren, das Schaffen von sensationellen Highlight-Plays aus dem Gar Nichts, das Entzaubern von disziplinierten Abwehrbollwerken. Manziel ist am besten, wenn das Skript in sich zusammenfällt und er von der Leine gelassen wird.
Er ist ein Messi in einem Sport, der ansonsten versucht, seinen Akteuren jegliche Kreativität soweit es geht auszutreiben. Sein Paradespielzug ist die Pirouette mit dem Defensive End in der Fresse, nein, dem Defensive End ins Leere greifend, die Drehung und der Wurf downfield. Manziel ist kein Quarterback, er ist Playmaker. Er fühlt sich überall auf dem Spielfeld wohl, nur nicht in einer unbedrängten Pocket.
Es ist schwer, sich der Magie von Manziels Footballverständnis zu entziehen, aber die Frage ist wie sich dieses mit der NFL verheiraten lässt. Er wäre der erste Quarterback seit Äonen, der nicht primär von seiner Arbeit in der Pocket lebt. Er ist kein Timing-Spieler. Manziel ist das, was Scouts see it, throw it-Spieler nennen: Der Ball wird dann geworfen, wenn der Receiver offen ist. Antizipation als Fremdwort. Aber genau diese Antizipation ist das, was die heutigen QB-Superstars in der NFL ausmacht – für gewöhnlich.
Manziel ist aber nicht „gewöhnlich“. Kein Team, das sich nicht zumindest in Ansätzen an Manziels Spielweise anpassen will, darf ihn draften. Eine sehr klare Vorstellung, was du mit ihm anfangen willst, ist von Nöten. Du musst ihm eine Spread-Offense geben, die Manziel von der Leine lässt. Eine Einengung seiner Skills á la Michael Vick in Atlanta ist mit Johnny Football ein No Go.
Manziel wird von Mike Mayock als bester Quarterback 2014 gelistet. In der landläufigen Meinung ist er das dark horse unter den Spitzen-QBs. Er ist der Spieler, der vor erst vier, fünf Jahren vermutlich niemals auch nur in der Diskussion für die erste Runde gewesen wäre, aber in einem Jahr 2014, in dem read-option, Spread-Offense und experimentelle Offense mindestens genauso Regel wie Ausnahme sind, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Platz für Manziel in der ersten Runde finden.
Die Frage ist: Wer zieht ihn? Wer zieht sie alle, Bridgewater, Bortles und Manziel – wer und wann?