Ich höre keine Autokorsi aus dem Tal, was meistens das Ausscheiden der italienischen Mannschaft von der Weltmeisterschaft bedeutet. Und was für ein Ausscheiden: Chancenlos gegen eine unterirdische uruguayische Elf geflogen, in einem der schwächsten Spiele des Turniers. Italiens Einbruch war so verheerend, dass sich selbst im Mainstream kaum Stimmen (außer jener des erregten Cesare Prandelli) findet, die dem durchaus streitbaren Schiedsrichter Vorwürfe bestreitet.
Einhelliger Tenor: Die Azzurri haben komplett versagt. Sah man in der blamablen 0:1-Klatsche gegen Costa Rica noch einen Betriebsunfall, gerät nun alle Arbeit Prandelli ins Visier. Zugegeben: Prandellis Umstellungen gingen in beiden Spielen in die Hose. Darmians Seitenwechsel erwiesen sich als Griff ins Klo; Abate wurde rein und schnell wieder rausrotiert. Der zu Turnierbeginn gegen eine schwache englische Abwehr überzeugende Candreva enttäuschte gegen Costarica, bekam gegen die Urus keine Chance mehr, weil der phlegmatische Parolo den Vorzug bekam.
Italien, schon gegen Costa Rica nach spätestens einer Stunde konditionell in den Seilen und nach 75 Minuten komplett shot, bot gegen Uruguay erneut eine peinliche Vorstellung. Es gab kaum Versuche, Offensiv-Aktionen zu setzen. Stattdessen stellte man sich hinten rein und war nach dem 0:1 zu keiner Reaktion mehr imstande. Lag es an der berechtigten roten Karte (man schaue sich das Nachtreten direkt vor dem Schiri an) für Marchisio? Kaum, denn auch vor dem Platzverweis waren Offensivbemühungen ein zartes Pflänzchen.
Hernach übte der heute rehabilitierte Buffon dann auch noch deutliche Kritik an der jungen Spielergeneration, und meinte dabei wohl vor allem den komplett durchgeknallten Balotelli, der auch heute wieder am Rande eines Platzverweises wandelte und notgedrungen ausgewechselt werden musste. Das sind Nachwehen von Trainern, die große Ethik-Kodexe ausrufen nur um sie nach dem ersten Vergehen zu widerrufen. Das sind Abbilder einer italienischen Kultur der Verdrängung, die sich seit vielen Jahren im Staate nicht mehr verdrängen lassen, und die mittlerweile auch im Fußball wohl nicht mehr verdrängt werden können.
Ich bin überrascht von der minderen Qualität des italienischen Gebotenen. Ich hatte von dieser Mannschaft deutlich mehr erwartet. Es hatte eigentlich gut begonnen gegen England, und war danach völlig eingebrochen. Das Aus hat auch was Gutes für Italiens Fußball: Es gibt erneut die Chance, sich zu überdenken, und letztlich erspart man sich ein null zu vier im Achtelfinale gegen Kolumbien.
Uruguay wird Zweiter. Das ist bemerkenswert, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Meter man nach dem Auftaktspiel gegen Costa Rica schon unter der Erde lag. Das war eine Mannschaft, die nicht mehr zuckte. Komplett tot. Dann reagierte Coach Tabarez, verbannte die desolate alte Garde um Forlan und Lugano aus der Startelf und wurde mit zwei besseren – nicht guten! – Vorstellungen gegen England und Italien belohnt.
Tabarez ließ in den beiden Spielen eine Art 5-3-2 spielen, mit einem zuletzt nach innen gezogenen Caceres in den Abwehr. Das funktionierte um Welten besser als die starre 4-4-1-1 Formation zum WM-Beginn. Besonders gut war’s trotzdem nicht. Man ist zwar bissig, aber spielerisch können die Urus nix. Sie sind ein reines Zufallsprodukt und gehören in dieser Form in kein WM-Achtelfinale, aber immerhin zeigten sie Willen.
Die Drama-Queen Suarez ist auch so ein Sonderfall. Sportrecht ist zu kompliziert und zu undurchsichtig, um es heranzuziehen, daher können wir es uns in diesem Falle einfach machen und populistisch den einzigen richtigen Schluss fordern: Suarez aus dem Verkehrt zu ziehen.
Der Staffelsieger der Gruppe D ist wie vor der WM von allen erwartet Costa Rica. Diese Jungs sind eine fantastische Geschichte. Verdient nacheinander Uruguay und Italien geschlagen, und mit viel Glück einen Punkt gegen England geholt. Spielerisch ist das ausbaufähig, aber sie rennen bis zum Umfallen und sind auch in der Lage, kluge Gegenangriffe zu setzen – wohlgemerkt „klug“, nicht „schnell“, dafür fehlt diesem Team die Qualität. Costa Rica baut auf eine bockstarke Defensive und ein 5-2-3 System, in dem man vorne viel Vertrauen in die Qualitäten vom Stürmer Campbell legt, der bereit ist für höhere Aufgaben. So viele Fünferketten in nur einer Gruppe, da wirst du ganz wuschig.
Die einzigen, die ohne spielten, wurden abgeschlagene Letzte: England. Aber halt: So schwach waren die Engländer nicht. Die guten Ansätze hatte ich schon in den letzten Tagen diskutiert, und ehrlicherweise muss man ihnen auch einen großen Batzen Pech zugestehen. England spielte erfrischend, und auch wenn dabei ganze zwei Tore heraussprangen, so sehe ich durchaus Potenzial für mehr.
Man war sicher naiv, und das 4-2-3-1 ist vor allem in der Mittelfeldzentrale noch zu schwach (oder zu alt?) besetzt, und die komplette linke Abwehrseite erwies sich als Knackpunkt, aber diese jungen Offensivspieler sind alle Hoffnungsträger. Ohne soweit gehen zu wollen, den Engländern schon in zwei oder vier Jahren Titelchancen zuzutrauen, aber: Die Richtung stimmt dort. Trotz des Ausscheidens gegen zumindest zwei Mega-Enttäuschungen des Turniers (Italien, Uruguay).
Nachtrag: Kaum sinniert, erklären Prandelli und Verbandspräsident Abate ihre Rücktritte in der Pressekonferenz.