Die Florida State Seminoles sind regierender Landesmeister im College-Football und gehen als solcher trotz einiger Änderungen im Kader wieder als großer Favorit auf die National Championship in die anstehende Saison. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, daran hatten viele schon gar nicht mehr geglaubt.
Die Florida State University beherbergte in den 1990er Jahren unter dem Head Coach Bobby Bowden mehrere der berühmtesten und erfolgreichsten Teams, die es im College-Football jemals gab. Noch heute schwärmen viele von der Spielweise und der Dynamik dieser Mannschaften, die wie wenige vor ihnen die Professionalisierung des College-Sports vorangetrieben haben. Aber die Zeit verzeiht nicht, und Bowden, der dieses einst so kleine Footballteam überhaupt erst groß gemacht hatte, verkalkte mit zunehmender Zeit immer mehr, und so dümpelte der einstige Gigant Florida State im vergangenen Jahrzehnt hinab in die Mittelmäßigkeit.
Bobby Bowden dankte schließlich erst vor vier Jahren als 80-jähriger ab und überließ seinem Nachfolger in spe, Jimbo Fisher, den Cheftrainersessel. Fisher galt als Mann, der bei den besten Lehrmeistern gelernt hat, einem Nick Saban oder einem Tommy Bowden. Jimbo Fisher galt auch als herausragender Recruiter, und wenn es im Haifischbecken des US-Südostens eine Fähigkeit gibt, die du beherrschen musst, ist es das Rekrutieren von Highschool-Talenten.
Nicht, dass die Regionen in und um Florida, Georgia, Alabama nicht viel an Talent hergeben würden. Es ist für die Florida State University jedoch schwierig, sich in einem Feld zu behaupten, in dem die überaus reichen Universitäten aus der Southeastern Conference (SEC) ebenso mitspielen, Universitäten, die mehr bieten können als FSU: Größere Stadien, stärkere Liga, größeres Budget.
Wo eine University of Florida seit vielen Jahrzehnten gewachsene Strukturen bieten kann, gibt es bei Florida State, einem vergleichsweise jungen College (erst 1947 wurde es von einem reinen Mädchencollege geöffnet), noch immer keine vollständig vernetzte Booster-Gesellschaft, die die Millionen in das Programm pumpt wie in den SEC-Unis. Von den TV-Verträgen ganz zu schweigen: Die Atlantic Coast Conference (ACC), in der FSU antritt, ist nur noch die fünftstärkste Liga in den Vereinigten Staaten.
Aber Fisher behauptete sich und fuhr eine große Recruiting-Klasse nach der anderen ein. Obwohl Fisher als Offensiv-Coach gilt, dessen Wurzeln in der Entwicklung von Quarterbacks liegen, legte er sehr schnell seinen Fokus auf das Verpflichten von Abwehrtalenten, nach dem Credo, das er auf all seinen Stationen bis dahin gelernt hatte: Eine schnelle, athletische Defense ist die Basis, um gegen die besten – also die SEC – mitzuhalten.
Der Haken an der Sache war bloß: Während Fisher all das Talent der Welt nach Tallahassee locken konnte, blieb der Durchbruch aus. Man möchte meinen, drei oder vier Jahre seien keine lange Zeit und man sollte einem Neuling doch erst einmal die Zeit geben, aber dann versteht man die Menschen auf dem Campus nicht, die sich nur allzu gern an die großen Neunziger Jahre erinnern und nach Titeln lechzen und vergessen, wie weit Florida State in der Zwischenzeit in Rückstand geraten ist.
Fisher war alsbald als Recruiter verschrien, der nicht imstande sei, sein Spielertalent zu entwickeln. Er schickte große Mannschaften auf das Spielfeld, die immer eines oder zwei entscheidende Spiele gegen vermeintliche Außenseiter verloren. 2010 in seinem ersten Jahr verzieh man es ihm noch: Anfängerpech, wird schon. 2011 war es dann schon schlimmer, als man ohne den verletzten Quarterback E.J. Manuel gleich drei überflüssige Niederlagen einstecken musste. 2012 sollte dann das große Jahr werden: Aber FSU verlor ein peinliches Spiel gegen North Carolina State, und später sogar gegen den Erzrivalen Florida, und so fühlte sich die Saison trotz des erstmaligen Conference-Gewinns seit vielen Jahren seltsam leblos und enttäuschend an.
Nach der Saison 2012 gingen gleich elf Leistungsträger aus der Mannschaft in die NFL, unter ihnen hohe Draftpicks wie QB E.J. Manuel, CB Xavier Rhoades, DE Björn Werner oder OL Menelik Watson. Schlimmer noch: Der halbe Trainerstab verließ die Universität. Der Defensive Coordinator der besten Abwehr im College-Football, Mark Stoops, wurde in Kentucky Head Coach, und nahm eine Handvoll Assistenten mit sich. Der Offensive Coordinator wechselte zum anderen Erzrivalen Miami.
Es gerüchtelte, dass Jimbo Fishers harscher Umgang mit Spielern und Trainern an diesem Abfluss nicht ganz unschuldig gewesen sei. Fisher ging in dem Winter 2013 ganz tief in sich und schwor sich auf Anraten seiner Berater, seine Gefühle in Zukunft besser im Zaum zu halten. Dafür brauchte er aber Leute im Trainerstab, denen er vertrauen konnte. Er holte sich sehr erfahrene Leute für seine Offensive, und er verpflichtete als Defensive Coordinator Jimmy Pruitt von Alabama, der Uni, an der sein Lehrmeister Nick Saban das Sagen hat.
Fisher gefiel die blitzfreudige Defense von Pruitt, und er wusste auch, dass er diese Blitzes brauchen würde, nachdem die besten Defensive Ends die Mannschaft verlassen hatten. Er wusste auch, dass der unerfahrene Pruitt ein Risiko war, aber er schwor sich, Pruitt machen zu lassen. Ihm nicht ständig drein zu quatschen, wie er es mit dem vorherigen Trainerstab gemacht hatte. Er schwor sich, dass er den Kontrollfanatiker in sich ruhen lassen konnte.
So konnte sich Jimbo Fisher in der Vorbereitung ganz auf seine liebste Aufgabe konzentrieren: Die Entwicklung seines neuesten Schützlings QB Jameis Winston, dem man wahre Wunderqualitäten nachsagte. Winston war ein Freshman, dessen Lieblingshobby eigentlich Baseball gewesen war, der aber so gut Bälle werfen konnte, dass es auch für den Football reichen musste.
Zu sagen, dass die Erwartungen an Jameis Winston im Sommer 2013 hoch waren, wäre eine glatte Untertreibung. Die Erwartungen waren astronomisch. Winston konnte sich eigentlich gar nicht erfüllen, aber dann passierte etwas völlig Unerwartetes: Jameis Winston übertraf sie, spielte sich und seine Noles in einen Rausch, und so wurde aus dem eigentlich geplanten „Übergangsjahr 2013“ mit all seinen Spieler- und Trainerabgängen und dem Wechsel auf einen Freshman-Quarterback das erfolgreichste Jahr, das die Florida State Seminoles jemals hinlegten. Es führte mit ausschließlich Kantersiegen in das BCS-Endspiel. Dort gewann man einen echten Thriller gegen die Auburn Tigers, auch eine Universität, an der Jimbo als Assistent gelernt hatte, und wurde zum dritten Mal in überzeugender Manier National-Champion.
Jimbo Fisher ist noch immer nicht völlig unumstritten in seinen Entscheidungen, die er im laufenden Spiel trifft. Aber alle bescheinigen ihm, dass er sein Temperament mittlerweile so gut im Griff hat, dass es seinen Trainern und seinen Spielern wieder Spaß macht, mit ihm zu arbeiten. Er hat bei Florida State ein Team geschaffen, das gänzlich seinen Vorstellungen entspricht: Sehr große, kräftige, schnelle Athleten in den beiden Linien an der Anspiellinie. Hünenhafte Tight Ends und große, kräftige Wide Receiver. Runningbacks, die sich die Arbeit aufteilen. Ein wieselflinkes Defensive Backfield. Und als Draufgabe das größte Quarterback-Talent, das der College-Football momentan zu bieten hat.
Mit dem Gewinn des National-Titles hat er sich sein Denkmal in Tallahassee schon verdient. Er ist aus dem Schatten des großen Bobby Bowden getreten, jenes Bobby Bowden, der die Größe hatte, nach seinem nicht ganz freiwilligen Abgang seinen Nachfolger in Ruhe arbeiten zu lassen. Der sich von der Mannschaft fernhielt, anstelle zu jedem Move des Nachfolgers seinen Senf dazuzugeben.
Nach dem National-Title verließ wieder eine Handvoll Leistungsträger die Mannschaft. WR Kelvin Benjamin wurde in der ersten Runde gedraftet. FS Lamarcus Joyner und DT Timmy Jernigan in der zweiten. SS Terrance Brooks in der dritten. RB Devonta Freeman und C Bryan Stork in der vierten, und LB Telvin Smith in der fünften. LB Christian Jones wurde nicht gedraftet, hat aber auch gute Aussichten auf einen Profivertrag. Das sind erneut sieben oder acht bedeutende Abgänge von Spielern aus der ersten Reihe. Es gibt ganz wenige Mannschaften, denen man zutraut, solch gravierende personelle Änderungen ohne Substanzverlust zu überstehen, und Florida State ist anscheinend mit dabei.
Man kann es ja auch so sehen: Die letzten beiden Quarterbacks von FSU, Christian Ponder und E.J. Manuel, waren jeweils Draftpicks in der ersten Runde, aber sie beide waren nicht annähernd so dominant wie ihr Nachfolger Jameis Winston.
Der schmerzhafteste Abgang könnte Pruitt sein. Der wechselte nur wenige Tage nach dem Meistergewinn zu Georgia. Nix genaues weiß man nicht, aber angeblich sollen Beziehungsprobleme der Grund für Pruitts Flucht aus Tallahassee sein. Sein Nachfolger wird Charles Kelly sein. Von ihm weiß man nur, dass er mit den Spielern sehr gut kann und dass er nicht so aggressiv wie Pruitt spielen möchte.
Der Heisman-Trophy Sieger Winston ist natürlich der wichtigste Faktor auf dem Weg der versuchten Titelverteidigung. Winston hat nicht nur mit seinem kometenhaften sportlichen Aufstieg ein rasantes Jahr hinter sich, sondern ist auch ein Medien-„Star“ geworden, aus den unterschiedlichsten Gründen. Da wären zum einen seine kecken Sprüche und der eloquente Umgang mit Reportern, der auch in die Tradition vom Charismatiker Bobby Bowden passt. Aber da ist auch der auch nach einem Freispruch schwelende Vergewaltigungsvorwurf gegen Winston, der wohl nie zur Zufriedenheit aller aufgeklärt werden wird.
Winston wird mit recht hoher Wahrscheinlichkeit 2015 in die NFL wechseln. Ihm folgenden könnten Teamkollegen wie RB Karlos Williams, WR Rashad Greene, TE Nick O’Leary (der schon einen Horrorunfall mit dem Motorrad überlebte) oder der über den grünen Klee gelobte DE Mario Edwards jr. Sie alle werden Eckpfeiler einer Mannschaft sein, die in dieser Saison, wenn alles wie gedacht läuft, erst in den Playoffs um die Jahreswende richtig gefordert sein wird. Im neuen College Football Playoff.
Für die Florida State University sind dies die Jahre, in der sie vermutlich noch mit den Großen mithalten kann. Es könnte durchaus die letzte richtig erfolgreiche Periode auf mal wieder absehbare werden, denn zu gut sind die regionalen Rivalen wie Alabama, Georgia oder Florida mit ihrer Hochglanzliga SEC aufgestellt, die Hochglanzliga, in die Florida State nicht zugelassen wird. Deshalb hofft man auf dem Campus trotz des gerade gewonnenen Titels ganz inständig, dass man nach dem erfolgreichen Ausklingen der BCS auch die neue Ära der Playoffs mit einem Pokal einläuten kann.
warum kann Florida state nicht in die sec?
@jack genau das habe ich mich auch beim lesen gefragt 😀
Es gibt wohl eine Art Gentlemens-Agreement zwischen den SEC-Unis, das festlegt, dass keine Uni aus dem Bundesstaat eines der Mitglieder in der SEC zugelassen wird.
Selbst wenn man diese Vereinbarung außer acht lässt, reicht es (sofern ich mich recht entsinne) wenn sich 3 der 14 SEC-Mitglieder ggn FSU aussprechen. Wenn man bedenkt, dass der größte Hemmschuh für das so schon sehr gute FSU-Recruiting die Mitgliedschaft in der Basketball-Conference AAC ist, kann man sich denken, dass sich wohl 3 Unis finden werden, die etwas dagegen haben, dass FSU im Recruiting gestärkt wird.