Green Bay Packers in der Sezierstunde

Die Green Bay Packers können nur hoffen, dass das Ende ihrer Titelträume 2014 heilende Wirkung hat – dass sie Head Coach Mike McCarthy von seinem Kickerfetisch befreit. Selten, nein: Nie, wurde eine Mannschaft derart im Alleingang von ihrem eigenen Chef aus dem Titelrennen gecoacht wie die Käsköpp im Conference-Finale in Seattle.

Mike McCarthy ist eine tragische Figur. Im Tagesgeschäft muss der Mann sehr gute Arbeit leisten, denn es ist auch als Cheftrainer einer von QB Aaron Rodgers angeführten Mannschaft nicht selbstverständlich, jedes Jahr in Titelnähe mitzuspielen. Und darum geht es in der von Salary-Cap und sozialistischer Umsatzverteilung geprägten NFL: Einen Kader zu bauen, ein Team zu coachen, das mit den besten mithält.

Über den Rest entscheiden bekanntlich Kleinigkeiten, über die Kontrolle zu gewinnen schwierig ist. Schwierig ist jedoch nicht unmöglich. Es gibt Stellschrauben, an denen man drehen kann. Es gibt Faktoren, die man für sich nutzen kann. Aus einem Zentimeter Entfernung den Weg in die Endzone zu suchen ist eine von ihnen.

Mike McCarthy ließ alle Gelegenheiten verstreichen bis es zu spät war. Hernach butterte er seinen Backup-Tightend in den Boden, weil dieser nicht nutzen konnte, worüber es eh keine Kontrolle gibt – kullernde Eier.

Aber McCarthy scheint lernfähig zu sein. Nach der Saison gab er seine Aufgabe als PlayCaller in der Offense ab. McCarthy will sich künftig verstärkt um die strategische Ausrichtung im Team kümmern – und um die Special-Teams. Dort kann McCarthy den ganzen Tag lang Fieldgoals trainieren lassen ohne größeren Schaden anzurichten.


Haupt-Thema bei den Packers waren die Einigung mit zwei Leistungsträger in der Offense – WR Randall Cobb und RT Bryan Bulaga – sowie das Remake der Secondary. Ein Thema, das man vermisste: Aufbau in der Defensive Front Seven.

Die Packers-Offense steht diese Offseason überwiegend still, was kein schlechtes Zeichen ist. Die Offensive Line gilt mittlerweile als eine der besseren in der Liga, das Laufspiel ist nicht überragend, aber zumindest brauchbar. Definiert wird der Angriff sowieso wie immer vom Einen MannQB Aaron Rodgers, dem amtierenden NFL MVP.

Rodgers wurde kürzlich von Football Perspective im „ewigen Ranking“ auf #21 der Quarterback-Liste gesetzt, und obwohl er nur quasi sechseinhalb Jahre als Stammspieler absolviert hat, halte ich ihn damit für klar unterschätzt. Rodgers ist der absolute Maßstab der Gegenwart. Brady, Manning, Brees, Rivers – all ihre Glanzzeiten reichen nicht an Rodgers 2010-2015 heran. Wie die Philadelphia Eagles im letzten Herbst in hellste Flammen gesetzt wurden, war höchste QB-Kunst, selbst wenn wir die (suspekte) Qualität der Defense beachten. Und es sieht so leicht aus.

Dass der WR-Kern um Jordy Nelson (105 Catches, 1612yds, 13 TD) und Cobb (106/1465/13) zusammen beiben wird, ist ein großartiger Move der sportlichen Leitung. Nelson/Cobb sahen zusammen 52% der Anspiele der Packers-Offense.

Hinter dem Top-Duo gilt WR Davante Adams als angehender Superstar. Adams wird den Luxus vieler relativ seichter Coverages sehen. Dahinter stehen junge Talente wie Abbrederis oder Rookie Ty Montgomery schon Schlange. Diese Offense riecht schon jetzt wieder nach rund 7.5 NY/A im Passspiel, so lange sich das Goldene Trio Rodgers/Cobb/Nelson nicht verletzt.

Defense

Eines der Probleme in der Packers-Defense von Dom Capers war in den letzten Jahren die häufig saftlose Front-Seven. Diese wurde 2015 nicht wirklich adressiert, obwohl man letztes Jahr mit nur 50% Success-Rate gegen das Laufspiel Schlusslicht der NFL war.

Man scheint zu hoffen, dass Edge Rusher Julius Peppers noch ein letztes exzellentes Jahr im Tank hat, dass sein Counterpart Nick Perry im vierten Jahr doch noch den Durchbruch schafft, und DL Datone Jones (drittes Jahr) seine Versprechen einlösen kann.

Alle drei Dinge gelten als zentral wichtig, da sie eine Bedingung dafür sind, dass Capers seinen vielseitigsten Verteidiger, LB Clay Matthews, in der Defense nach „innen“ auf Middle Linebacker stellen kann. Matthews spielte letztes Jahr halbe/halbe innen und außen, aber als Quarterback hinter der Defense Line galt er als deutlich wertvoller – hier schlägt das seit Jahren bestehende Problem der mangelnden Qualität bei den Linebackern wirklich heftig zu.

In der Secondary ließ man CB Tramon Williams und CB House aus Alters- bzw. Cap-Gründen ziehen und draftete mit den ersten beiden Picks schon deren Nachfolger in spe: Demarious Randall und CB Quinton Rollins. Beide Picks wurden in den Medien kritisch hinterfragt.

Randall spielte am College ausschließlich Safety, doch dort sind die Packers mit Burnett und Clinton-Dix so gut wie lange nicht mehr besetzt. Randall könnte nun entweder in den Slot auf Cornerback gespielt werden, aber es gibt auch noch die Option, dass er von Capers ähnlich eingesetzt wird wie der einzigartige Charles Woodson, der um die Jahre 2006-2011 eine Art Freelancer-Mitteldings zwischen Corner und Safety gab.

Entgegen kommt den Packers, dass sie in CB Shields und dem famosen CB Casey Hayward bereits richtig gut auf beiden Außenpositionen besetzt sind. Hayward gilt zudem nicht bloß als verlässlicher Manndecker, sondern kann problemlos auch in den Slot gestellt werden.

Green Bay hatte über die letzten Jahre durchaus nicht immer die beste Passverteidigung:

Jahr NY/A   INT-Quote
2009  5.6   5.6%
2010  5.4   4.6%
2011  7.2   4.9%
2012  5.7   3.2%
2013  6.8   2.0% 
2014  6.0   3.2%

Letztes Jahr war man immerhin besseres Liga-Mittelmaß, obwohl man doch gegen einige exzellente Angriffe auflaufen musste. Bei Capers ist immer die Gefahr, dass die Defense zu passiv, zu spekulativ wird und darauf vertraut, im rechten Moment die Interception zu fangen, aber rein vom Personal in der Secondary war man vielleicht seit Jahren nicht mehr so gut besetzt, was sowohl Qualität als auch Quantität angeht. Die Frage ist, ob die Front-Seven hält.

Ausblick

Und genau die Defense ist am Ende des Tages häufig der entscheidende Faktor bei den Packers. Green Bay weiß, was es in der Offense hat. Problem war in den letzten Jahren neben McCarthys PlayCalls letztlich meistens ein Zusammenbruch der Defense.

Sofern die Packers wenigstens in Anflügen Passrush entfachen können und die Secondary damit ein Minimum an Unterstützung erfährt, sind die Packers für meinen Geschmack als NFC-Favorit anzusehen.

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12 Kommentare zu “Green Bay Packers in der Sezierstunde

  1. Für mich ist die Fokussierung auf McCarthy bzgl. des Debakels in Seattle zu einseitig. Natürlich, er hat zu wenig riskiert und auf den 4(?) Interceptions der Seahawks hat Green Bay zu wenig gemacht. Gerade der letzte Drive: Wie kann man da 3x laufen, nach dem man schon bei den ersten beiden Versuchen negative Yards gemacht hat? Da hätte ich mir deutlich mehr Risiko gewünscht. Vielleicht schon ne Slant-Route beim 1.Versuch, wo ganz Seattle auf Lacy schaut. Oder ein PA-Spielzug.

    Aber ohne die diversen haarsträubenden Fehler (Onsidekick, kein Safety beim Touchdown in der Overtime, die Peppers/Burnett Nummer, wo Burnett noch locker 5-10 Yards gehen kann, bevor ein Verteidiger kommt) in den letzten Minuten hätten die Packers das Spiel nicht verloren und man hätte McCarthy vielleicht sogar gelobt, weil er die einfachen Punkte genommen hat. Wenn ich mich zudem richtig erinnere, hatte Green Bay diverse Versuche an der 1-yard-line und daraus nichts gemacht.

    Ein Punkte, der zu kurz kommt: Green Bay hat in der letzten Saison gefühlt so wenig Verletzungen wie noch. Das wird schwierig zu wiederholen sein.

  2. Super Artikel. Man könnte nach der Durchsicht meinen, dass es fast keine akuten Problemzonen bei den Packers gibt 😉

    Das Hauptproblemfeld sind für mich die ILB. Matthews wird/soll zwar dort eingesetzt werden, ist aber eigentlich gelernter OLB. (und lt. seinem kleinen Bruder spielt er ILB nicht so gerne :D)
    AJ Hawk, Brad Jones und Lattimore sind weg. Gedraftet hat man mit Jake Ryan einen nominellen OLB.
    Es ist wohl bei der History der Packers bzw. GM Thompson nicht davon auszugehen, dass da noch ein großer Blockbuster-Trade kommt.

    Weitere „komische“ Offseason-Moves sind für mich die 2 FBs im Kader (warum Anno 2015 einen 2. FB draften???), die ‚Verweigerung‘ auf TE aufzurüsten (zusätzlich wird Quarless wohl eine Suspension ausfassen) und warum man im Draft in den ersten beiden Runden 2 DBs geholt hat (ok, schaut nach best player available aus).
    Das Ziehen von QB Hundley in der 5. Runde ist da noch der harmlosere Move.

    Dazu kommt dass die NFC North heuer wohl eher eine breitere Kiste wird – ich traue den Bears und Vikings mehr zu als letztes Jahr.

  3. Bei den Vikings gehe ich mit, aber bei den Bears habe ich Zweifel. 2-3 schlechte Spiele von Cutler und das Theater ist wieder da.

  4. Unfassbar, dass es immer noch Menschen/Fans gibt, die die Schuld an der Niederlage der Packers NICHT bei McCarthy sehen. Ich habe es in den 13 Jahren, in denen ich mehr oder weniger Football schaue, selten gesehen, dass ein Coach ein Spiel so dermaßen für sein Team versauen kann.

    Der Leser VM beschreibt selbst Fehler McCarthys im Playcalling allgemein und am Ende des Spiels. Die kommen zu den unglaublichen Gehirnfürzen der FGs nur noch dazu. Muss aber auch nicht.
    Die beiden Entscheidungen, die vierten Versuche, nicht auszuspielen, reichten schon alleine, dass McCarthy fast alleine die Schuld am Ausscheiden trägt. Da braucht man auch nichts zu relativieren, oder die Schuld auf Glück und Zufall (Oneside Kick, TD-Wurf) etc zu schieben. Versuche, das zu kontrollieren, was sich einigermaßen erwarten lässt.

    “ weil er die einfachen Punkte genommen hat.“

    Sowas sind mittlerweile die Sprüche der notorischen Verlierer in der NFL. Barnwell, Stuart Chase, Chris Brown, 3 der wohl größten momentanen NFL-Experten, sahen die Entscheidungen von MM ebenfalls als komplett falsch an. Wenn du also nicht korsakoff oder Schreibern glaubst, dann hoffentlich den besagten Experten.

  5. Ich muss ehrlich sagen, dass ich bei dem Seattle Spiel einfach fassungslos war, wie wenig auf Sieg man gespielt hat. Die beiden Fieldgoals, als man nur noch wenige Zentimeter brauchte waren schon schlimm, aber auch das allgemeine Playcalling vor allem mit den vielen unsinnigen Läufen auch am Ende war eine Katastrophe. Ich würde ehrlich gesagt wahnsinnig sauer auf McCarthy sein, da man einen (P-)fast sicheren Sieg (bei dem die Chance des Nicht-Eintretens überspitzt gesagt eine Nullmenge war) so dermaßen gegen die Wand gesetzt hat. Ein Championship Fenster ist oft sowieso ziemlich kurz und man braucht viel Glück, genau deshalb darf man so Chancen nicht wegwerfen, sonst steht man am Ende des Tages nach der Ära Rodgers mit „nur “ einer Superbowl da.

  6. Bei Experten sollte man Brian Burke nicht vergessen, den Vorreiter und besten aller Statheads im Footballbereich, der übrigens seit neuestem zu ESPN gewechselt ist und seine Seite Advanced-Football-Analytics (früher Advanced NFL Stats) aufgegeben hat.

  7. Off topic:
    Sat1 und ProSieben MAXX werden ihr NFL Angebot im Free-TV massiv ausweiten:
    – Jeden Sonntag ein Spiel um 19:00 und ein Spiel um 22:00 Uhr live auf ProSieben MAXX.
    – Playoffs (es wird nicht genau beschrieben ob vollstaendig oder nicht)
    Der Spass beginnt am Donnerstag, 10. September mit Regular Season Kickoff Patriots vs. Steelers 🙂

    http://www.ran.de/us-sport/nfl/news/nfl-live-ran-baut-football-berichterstattung-mit-50-live-spielen-plus-super-bowl-massiv-aus-1006662

  8. Oh shit. Das hat wohl schon jemand im Gamepass 2015 Thread geteilt… sorry for that 😀

  9. Oh‘ Gott, das Championship-Game… Furchtbar. Es war nicht nur das Offense-Playcalling (2x 4th & goal an der 1y-Linie) sondern auch Capers 3th & 19 ohne Passrush; das Fake-Field-Goal, die dritte, nicht gefangene INT von HHCD oder dessen Verhalten bei der 2Pt. Conversion; Burnetts INT, der Onside-Kick oder der Drop von Quarless, der für 4 neue Versuche gereicht hätte. Und warum hat eigentlich Matthews zum Ende nicht mehr gespielt? Sicher, die Superbowl-Teilnahme hat man weggeworfen, aber es ist nicht so, dass es McCarthy alleine war.
    Da den Packers das ST-Play nun (endlich) auf die Füße gefallen ist, ist es nur folgerichtig, dass sich McCarthy dem annimmt (u.a. Slocum, langjähriger Weggefährte McCarthys, entlassen). In den letzten Jahren sind seine angekündigten Verbesserungen alle eingetreten (Laufspiel, Reduktion der Verletzungen) – das muss man ihm lassen. In dieser Hinsicht passen die Draftpicks, sind doch nahezu alle ausgewiesene und erfolgreiche ST gewesen (Montgomery, Randall, Ryan). Folgerichtig bin ich guter Dinge.
    Für die FrontSeven hoffe ich auf B.J. Raji (ja, ja), Datone Jones und dass Sam Barrington seine Form aus der zweiten Saisonhälfte halten kann.
    Mit der weiteren Offseason bin ich zufrieden: Die richtigen Spieler wurden ziehen gelassen/ entlassen (Hawk, B. Jones, Bostick, Williams) und bei den Draftpicks habe ich insbesondere bei Q. Rollins große Erwartungen – auch wenn er sicherlich noch eine Weile brauchen wird. Gute CB kann man nie genug haben…

    @euterpe: Ich hatte zuletzt den Eindruck, dass sich Matthews mit seiner Rolle als Teilzeit-ILB angefreundet hat – vll. auch, weil seine Sacks in der zweiten Saisonhälfte da waren. Einen TE hat man nicht gezogen, weil außer M. Williams wohl nichts besonderes dabei war.

  10. Pingback: Die furchtlose NFL-Vorschau 2015/16 | Die Titelaspiranten | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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