Die Big 12 Conference ist eine für College-Football Verhältnisse junge Liga, die in den Neunziger Jahren aus einer Fusion von Big 8 und Southwest Conference hervorging. Die unbestrittenen Könige jener beiden Staffeln waren über Jahrzehnte die Oklahoma Sooners und die Texas Longhorns, die seit Gründung der Big 12 auch als Speerspitzen – und zwischendurch fast als Sargnägel – der Conference agierten, und seit deren Gründung auch jeweils einen Landesmeistertitel einfuhren.
Diese Dimensionen sind jedoch historisch. Während man Sooners und Longhorns nie für längere Zeit abschreiben sollte, haben sich in deren Windschatten in den letzten Jahren auch kleinere, ewige Underdogs in den Vordergrund gespielt. Zum Beispiel letztes Jahr, als die Baylor Bears und TCU Horned Frogs nicht nur das Spiel des Jahres absolvierten, sondern sich letztlich auch den Conference-Titel teilten. Zu einer Qualifikation für die Playoffs reichte es für beide aus fadenscheinigen Gründen nicht, aber die gewaltigen Vorstellungen des letzten Jahres sorgten immerhin dafür, dass sowohl Baylor als auch TCU in dieser Preseason als brandgefährliche Meisterschaftskandidaten gehandelt werden.
TCU Horned Frogs
Die Texas Christian University gilt nach der großartigen letzten Saison (12-1 Siege) in vielen Preseason-Polls als Top-3 Team und somit Mitfavorit auf den Landesmeistertitel. Der Hype kommt etwas überraschend, handelt es sich bei den Horned Frogs doch um eine Mannschaft, die erst vor kurzem den Sprung zurück in die Elitewelt des College-Football geschafft hat, nachdem man zuvor jahrelang die Mid-Majors gemeinsam mit Boise State dominiert hatte. Mid-Majors zu dominieren, gilt bei den Alteingesessenen im College-Sport jedoch nicht als wirklich lobenswerte Leistung – allen statistischen Gegenbeweisen zum Trotz.
TCU ist das Werk von Head Coach Gary Patterson, der sei eineinhalb Jahrzehnten in Fort Worth arbeitet und in dieser Zeit ein einmaliges Werk im Football geschafft hat. Weil Fort Worth zwar in Texas und somit aus einem reichhaltigem Talentpool an Highschool-Footballern fischen kann, die besten dieser Talente aber durchwegs bei der regionalen Konkurrenz in Oklahoma, Texas oder Texas A&M anheuern, hat Patterson ein Scouting-Netz aufgebaut, das exakt mit einem Ziel arbeitet: Geeignete Youngster aus der zweiten Reihe zu verpflichten, die perfekt in das – in „sein“ – System passen: Die 4-2-5 Defense [1][2], die jedes Jahr zu den besten im College-Football gehört, egal welche Spieler Patterson ins Getümmel wirft.
Hindernis bei TCU war lange Jahre die Offense, die regelmäßig kollabierte. Pattersons riskanter Move, im letzten Sommer in Doug Meacham und Sonny Cumbie gleich zwei OffCoords einzustellen, zahlte sich aus: Meacham wie Cumbie kommen aus der Air-Raid Tradition der Rednecks, und sie impften dem Angriff Tempo und Passgewalt galore ein.
Niemand profitierte mehr von dem Move als QB Trevone Boykin. Im letzten Sommer wollte man ihn noch zum Wide Receiver umschulen, doch im neuen System trumpfte Boykin sensationell auf: Sacks und Interceptions wurden halbiert, und bei fast unveränderter Completion-% brachte Boykin 7.4 NY/A im Pass, fast 800 Rush-Yards und insgesamt 4730yds bei 41 Touchdowns zustande – Werte, die aus Boykin einen Heisman-Anwärter machten.
2014 war das erste Mal, dass man TCU nicht bloß als Abwehrwalze wahrnahm, sondern auch und vor allem als Punktemaschine im Angriff. Oklahoma wurden 37 Punkte eingeschenkt, Texas wurde 48-10 gekillt, das überzeugende Ole Miss hatte beim 42-3 keine Chance und gegen Texas Tech (82-27!) wäre es um ein Haar dreistellig geworden. Das sind selbst in der passgewaltigen Big 12 Conference fantastische Werte.
Abseits von Boykin wäre es auch nicht so, dass man allzu abhängig von einigen Schlüsselspielern gewesen wäre: Fünf Ballträger mit über 50 Carries und gleich zwölf Receiver mit über 15 Anspielen! Für 2015 bleibt die Offense passenderweise nahezu unverändert: Fünf Offense Liner, 4/5 der Ballträger, 10/12 der Receiver plus Boykin kehren zurück.
In der Defense muss man immerhin drei der fünf Stamm-DBs plus die beiden überragenden Linebacker (Paul Dawson + Marcus Mallett) vorgeben – aber Patterson spielt bekannterweise gern plug’n’play und so wird es nicht lange dauern, bis die Unit wieder zu alter Hochform aufläuft.
Das Gute für TCU: Die schwierigen Kaliber im Schedule kommen durchwegs erst im November. Bis dahin sollte die Maschine geschmiert sein. Man muss zwar am Ende des Tages zu den Oklahoma Sooners fahren, begrüßt aber den „anderen“ Conference-Favoriten Baylor im eigenen Stadion.
Bei so vielen Lobeshymnen sei aber auch darauf verwiesen, dass es durchaus Dinge gibt, die nach Regression zur Mitte schreien:
- Der Sprung der Offense 2014 war so gewaltig, dass der neue Level erst einmal gehalten werden muss
- Turnover-Glück: Adjustiere die INT-Werte von TCU 2014 gen Mitte, und du wirst bei einer um 12 INTs geplätteten Statistik landen (also 1/Spiel)
- Verletzungspech: 2014 verpasste kein Starter nennenswerte Einsatzzeit
TCU war schon letztes Jahr mein Conference-Favorit – eine damals skeptisch beäugte Prognose. TCU sollte auch heuer wieder oben mitspielen, auch wenn ich es für schwer machbar halte, erneut auf Top-5 Level landesweit mitzuhalten. Man sollte nur im durchaus möglichen Fall von 9-3 oder 10-2 nicht so tun als wäre man allzu enttäuscht.
Baylor Bears
Die Baylor Bears waren in den letzten zwei, drei Jahren insgesamt noch erfolgreicher als TCU, und trotzdem gelten sie in der öffentlichen Wahrnehmung als das unbekanntere Programm. Das mag an der verlorenen Bowl-Season liegen, das mag an der unspektakulären grünen Mannschaftsfarbe liegen, das mag auch daran liegen, dass TCU als bekannter „BCS-Buster“ in den letzten 15 Jahren noch etwas mehr Rabatz gemacht hat.
Baylor und TCU sind historische Rivalen, die schon vor 115 Jahren zum ersten Mal gegeneinander spielten und hernach viele Jahrzehnte lang Conference-Gegner in der Southwest Conference blieben – bis die SWC Mitte der 1990er auseinanderbrach. Während Baylor damals die Chance erhielt, in einer BCS-Conference (Big 12) weiterzumachen, versankt TCU in den Wirren und wechselte in die absurd kleine Western Athletic Conference.
Seit einigen Jahren sind beide Teams wieder in der Big 12 Conference vereint. Während TCU wie beschrieben jedoch in erster Linie eine Defense-Identität aufgebaut hat, sind die Bears unter Head Coach Art Briles in erster Linie eines: Pure Angriffsgewalt. Briles ist seit 2008 am Werk, und er hat aus Baylor eine der krassesten Spread-Offenses im Lande gemacht. Briles nutzt die breiten Hashmarks am College und stellt nicht selten alle vier Wide Receiver nahe an die Seitenlinie auf um die Verteidigungen auseinanderzuziehen.
Das übt Druck auf die eigene Offensive Line aus, macht den Job aber extrem Quarterback-freundlich. Kaum eine Offense im College Football, die in den letzten Jahren so viele exzellente QB-Statistiken hervorgebracht hat wie Baylor: Auf den Heisman-Trophy Sieger RG3 (2011) folgte der völlig unbekannte Nick Florence (2012), der wiederum von Bryce Petty (2013-2014) abgelöst wurde. Sie alle brachten um die 4000yds und über 30 TD zustande.
Der nächste in der Reihe soll der sehr mobile QB Seth Russell sein, der schon letztes Jahr in Kurzeinsätzen andeutete, was möglich ist: 48/85 für 804yds, 8 TD, 1 INT, kein Sack (9.5 NY/A), dazu 32 Rushes für 185yds und 3 TD. Mehr kannst du von einem Backup nicht verlangen. Russell soll nun reif für die Stammrolle sein.
Hinter Russell kehren alle nennenswerten Runnnigbacks (RB Shock Linwood ist der Star) und sechs der besten acht Ballempfänger zurück, plus vier Starter und fünf Backups aus der Offensive Line. Das ist extremste Tiefe.
Die Defense von DefCoord Phil Bennett gilt als bislang bestbesetzte und tiefste, seit Briles in Baylor arbeitet. In LB Bryce Hager kam zwar die zentrale Figur abhanden, aber das ist auch das einzige Problem: Alle anderen Starter sind wieder da. Die Front Seven gilt um NT Andrew Billings und DE Beau Blackshare sowie LB Taylor Young als absolutes Sahnestück und sollte die Secondary hervorragend entlasten können – auch Baylor spielt für gewöhnlich in einer Nickel-Aufstellung mit durchschnittlich fünf Defensive Backs.
So gilt Baylor unter Stat-Heads durchaus als noch größeres Versprechen für 2015 als TCU: Die Mannschaft ist noch tiefer, bringt außer QB und MLB alle relevanten Stammkräfte zurück, und die Formkurve des Teams ist über Jahre noch etwas stabiler als bei TCU. Der Schedule ist allerdings etwas ungünstiger für Baylor: Man muss diesmal auswärts gegen TCU antreten.
Das Baylor-Märchen könnte ganz schnell zuende sein:
http://www.inquisitr.com/2360435/sam-ukwuachu-former-baylor-de-sentenced-for-2013-sexual-assault-of-soccer-player/
http://sports.yahoo.com/blogs/ncaaf-dr-saturday/sam-ukwuachu-s-hs-coach-backs-up-what-art-briles-knew-about-player-s-past-230241843.html
https://www.insidehighered.com/quicktakes/2015/08/24/did-baylor-look-other-way-athletes-violent-past
Now Baylor and Boise State coaches are involved in a very public blame game over why Ukwuachu was able to transfer. On Friday, Art Briles, head coach at Baylor, denied he was aware of Ukwuachu’s history, saying there was „no mention“ of any violent incidents in conversations he had with Boise State officials. Chris Peterson, the head coach at Boise State at the time, responded, saying in a statement that he „thoroughly apprised Coach Briles of the circumstances surrounding [Ukwuachu’s] disciplinary record and dismissal.“
So schlimm die Geschichte ist, Baylor reiht sich damit nur ein in die Riege von LSU, FSU, Florida, PENN STATE und anderen großen Colleges ( ja es gibt viele Beispiele), wo über Jahre an mehr oder weniger schwerwiegenden Vergehen gütlich vorbeigeguckt wurde um den sportlichen Erfolg nicht zu gefährden. Nicht alle sind Sexualstraftäter aber häusliche Gewalt ist auch nicht viel besser. Was ist mit einem Jeremy Hill? Hat sich an einer 14 Jährigen vergangen. Stipendium bei LSU durfte er trotzdem behalten, heute jubelt ihm ganz Amerika in der NFL zu.
Ich sehe also kein Ende des Märchens bei Baylor. Ich hoffe die Sache wird gut untersucht und die Schuldigen (neben Ukwuachu) werden bestraft, aber solange Baylor oder die NCAA nicht Briles sperrt wird Baylor Football nicht viel passieren.
wieso wird überhaupt Chris Peterson in die Sache reingezogen?
Er hat Ukuchwe doch nach dem ersten Vorfall sofort rausgeworfen und die Vergewaltigung passierte erst als er schon längst wieder zu Hause in Texas war. Ob Peterson seinem Kollegen alle Risiken erzählt hat, ist für mich kein Argument.Kann ein Mann die Vergewaltigung voraussehen. Und selbst wenn Peterson lügt hätte Baylor immer noch genug Eigeninitiative zeigen können. Wenn ein Spieler bei einem fremden College suspendiert wird, stimmt etwas nicht. Warum das nicht untersucht wird ist Baylors Geheimnis.
Kommt mir doch einigermaßen strange vor, die ganze Story.
Ähnliche Kerbe in diesem sehr lesenswerten Stück von Charles Pierce: Something Rotten in Texas. Mal schnell einen Dritten in die Sachen reinziehen um von der Scheiße abzulenken.
Zum Thema Texas und ihr Talentpool,
ich finde es ziemlich faszinierend, dass die besten (und so viele) Talente aus Florida kommen.
New York/New Yersey, Illinois (Chicago) spielen bei der Talentenanzahl zum Beispiel eine ziemlich kleine Rollen, obwohl aus diesen Regionen viele gute Basketballtalente herkommen.
Könnte auch daran liegen, dass diese Regionen zu dicht bevölkert sind und es weniger Football-Plätze gibt?!
Bei Ohio ist die Talentenanzahl auch nicht recht groß obwohl American Football dort tief verwurzelt ist.
@Frank
Das hat überwiegend mit der Kultur des High School Football zu tun. In Texas z.B. ist Highschool-Football Religion mit etlichen Spielen um die 20.000 Fans und mehr, auch Florida und Kalifornien haben sehr traditionsreiche HS-Footballligen.
New York zum Beispiel hat keine Tradition im Football und die Highschool spielen vor leeren Rängen, dafür lebt die ganze Stadt auf wenn die State Championships im Basketball ausgetragen werden. New York ist eine Basketball-Stadt. Es ist lange vor unserer Zeit gewesen, aber alle sagen, dass die Stadt im Sport erst wieder richtig aufblüht wenn die Knicks mal wieder um den NBA Titel mitspielen, den sie letzens in den 1970er Jahren geholt haben.
Es gibt auch kaum traditionsreiche College-Footballmannschaften im Nordosten. Das einzige erstklassige Programm ist Penn State, aber das ist eben schon Pennsylvania, während das kleine Rutgers aus New Jersey sich zwar müht aber eben kein echter Anziehungspunkt ist.
Das sind nur einige Gründe. Siehe für vertiefende Lektüre diese beiden Artikel:
Can New York Football Become Relevant?
Why New York State is so bad at High School Football
PS: Dass Ohio nicht viele Talente herausbringt, ist eher ein Mythos, siehe diese Analyse.
Pingback: College Football 2015/16 – Die Eier fliegen | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!
Pingback: Mahlzeit. | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!