Die Big Ten Conference wähnt sich nach dem Landesmeistertitel der Ohio State Buckeyes sowie der Verpflichtung von Jim Harbaugh als neuem Head Coach in Michigan im Aufwind, doch bei genauem Hinsehen ist die älteste und stolzeste Conference im College-Football noch immer einige Schritte entfernt von den großen Ligen im US-Süden (SEC) und Westen (Pac-12).
2015 wird die Big Ten aber immerhin ein Elite-Team (eben Ohio State), ein sehr starkes Team (Michigan State) und eine Handvoll respektabler Mannschaften (Minnesota, Penn State, Michigan, Wisconsin, Nebraska) stellen. Das Problem sind eher die Hinterbänkler: Zu viel Mittelmaß.
Eastern Division
Qualitativ die hochwertigere Division ist sicherlich die Ost-Staffel. Krösus ist natürlich Ohio State, wo man sich nach dem überragenden Finish von 2014/15 auch diesmal als Topfavorit auf den Landesmeistertitel sieht. Zu Ohio State werde ich im Verlauf dieser Saison sicherlich das eine oder andere Mal etwas mehr schreiben, deswegen halten wir uns heute eher kurz.
Ja, die Umstände, unter denen die Buckeyes ins Playoff gehievt wurden, waren zweifelhaft. Aber andererseits: Wer nacheinander Wisconsin 59-0 (!!!), Alabama 42-35 und Oregon 42-20 platt macht, gegen den hast du im Rückspiegel wenige Argumente. Zumal Ohio State diese Spiele mit dem dritten Quarterback bestritt.
Head Coach Urban Meyer hat in zwei Jahren als Chef in Columbus ein einziges Spiel verloren und dem Team spätestens in der letzten Saison seinen Stempel aufdrücken können. Die Offense ist eine einzige Dampfwalze, die in der Kombination aus Speed und Power gegen Ende der Saison aussah wie die SEC-Granden LSU oder Alabama zu ihren besten Zeiten.
Der Sensations-QB der letztjährigen Post Season, Cardale Jones, wird höchstwahrscheinlich nur die #2 bei den Buckeyes in dieser Saison sein. Als Favorit auf den Starter-Job geht J.T. Barrett (letztes Jahr bis zur Verletzung 2834 Pass-yds, 34 TD, 10 INT, plus 1094 Rush-yds und 11 Rush-TD) ins Rennen. Der beste Quarterback der Universitäts-Geschichte, Braxton Miller, ist nach überstandener schwerer Verletzung auch wieder im Kader – er wird umgeschult auf Wide Receiver. Luxus-Probleme, die nur Ohio State haben kann. Zweiter Motor der Offense ist RB Ezekiel Elliott, letztes Jahr eine Augenweide mit 1878yds und 18 TD und dem Gefühl einer nicht zu stoppenden Maschine in den Playoffs. Die Offense Line besteht nur aus 4-Star Recruits. Es bleibt allenfalls abzuwarten, wie sich der OffCoord-Wechsel von Tom Herman (wird Headcoach bei Houston) auf Ed Warriner auswirkt.
In der Defense sind die Stars der DE Joey Bosa (13.5 Sacks) und FS Vonn Bell (6 INT). Bosa gilt als Kandidat auf den Top-Draftpick 2016 und ist sichtlich die treibende Kraft hinter einer monströsen Defensive Line. Bosa wird allerdings wie einige seiner Teamkollegen zum Saisonauftakt wegen einer internen Sperre aussetzen müssen. Allenfalls die Lauf-Verteidigung zeigte letztes Jahr gelegentlich Risse.
Bei Ohio State erinnert man sich natürlich am meisten an die sensationelle Wucht, mit der die Post Season bestritten wurde. Aber das Team war nicht immer so dominant. Kaum ein Team wird in diesem Jahr mit dem Spielermaterial von Ohio State konkurrieren können, aber schon bessere Mannschaften sind an der Titelverteidigung des National-Title gescheitert.
Zweitbestes Team sind nach landläufiger Meinung die Michigan State Spartans, die unter Headcoach Mark Dantonio immer eine superbe Defense aufstellen, und heuer in QB Connor Cook (letztes Jahr 3200yds, 24 TD, 8 INT) auch einen der besten Quarterbacks im Lande haben. Cook gilt als möglicher 1st-Round Draftpick, und er soll nach dem Abgang von RB Langford den Angriff anführen. Michigan State muss keine 50 Punkte/Spiel scoren, da man die beste Front-Seven im Lande hat, angeführt vom herausragenden DE Shilique Calhoun (12.5 Sacks) und OLB Eddie Davis (7 Sacks) – das Team gilt im Schlepptau von Ohio State als zweiter möglicher Playoff-Kandidat aus der Big Ten.
Michigan State hat in den letzten Jahren dem einstigen Big-Ten Flagschiff, den Michigan Wolverines, den Rang angelaufen. Trotzdem schauen in diesem Herbst alle auf Ohio State und… Michigan. Zu groß, zu wichtig, ist das Wolverines-Programm noch immer, zu groß ist aber vor allem der Name, der dort in Ann Arbor heuer verpflichtet wurde. Der eine oder andere wird es vielleicht mitbekommen haben: Jim Harbaugh, der Mann, der Stanford groß machte und die San Francisco 49ers bis in die Super Bowl führte, ehe er wegen zu viel Erfolgs entlassen wurde.
Harbaugh versprüht einen Optimismus, der aus einem Cheese-Steak eine genießbare Angelegenheit werden lässt, und er hat allen Grund dazu: Sowohl Stanford als auch San Francisco machte er über Nacht von Lachnummern zu Titelkandidaten. Was der Mann angreift, wurde zuletzt wenn nicht zu Gold, dann zumindest zu Silber. Und: Michigan ist seine Uni, an der er selbst schon als Quarterback spielte.
Harbaugh gilt als fantastischer QB-Entwickler, der aus Luck und Kaepernick NFL-Stars machte. Bei Michigan wird er mit weniger talentierten Spielern auskommen müssen, denn die QB-Position gilt als schwächste im gesamten Kader. Dafür gilt RB Derrick Green als großes Versprechen. Die Defense war letztes Jahr sehr effizient (Top-15 Unit). Es sind einige Leistungsträger in die NFL gewechselt (DE Frank Clark, LB Jake Ryan), aber der große Kern bleibt zusammen. Man erwartet, dass die Defense der bessere Mannschaftsteil im anstehenden Herbst ist.
Michigan war letztes Jahr nur 5-7, eine Schande für diese Uni, aber mit besserem Coaching hält es jeder für möglich, dass es diesmal hoch bis auf 9 oder 10 Siege gehen kann. Michigan State und Ohio State müssen beide in das 114.000 Zuschauer fassende Michigan Stadium antanzen, und wenn zumindest eines der beiden Spiele gewonnen wird, könnte Michigan als ganz großes dark horse in die nächste Saison gehen.
Da bleibt die vierte Uni im Bunde der großen, Penn State, ja fast wie ein blasses Mauerblümchen außen vor. Die Nittany Lions konnten letztes Jahr den Übergang von Head Coach Bill O’Brien auf Head Coach James Franklin relativ nahtlos gestalten und mit 7-6 Siegen erneut eine positive Saison ablegen (man durfte sogar nach verkürzter Sperre an der Bowl-Season teilnehmen).
Franklin gilt als exzellenter Recruiter, und seit man wieder mehr Scholarships nutzen kann, wird auch der Kader wieder aufgepeppt. Nicht zu vergessen: Penn State durfte nach dem großen Skandal um Sandusky/Paterno für Jahre nur limitierte Sportstipendien ausstellen.
Star der Mannschaft ist QB Christian Hackenberg, der als möglicher 1st-Rounder im Draft 2016 gehandelt wird. Beim Blick auf die Stats möchte man das gar nicht meinen: Hackenberg hatte 2014 nur 55% Completion-Rate bei 12 TD und 15 INT und 8.3% Sack-Rate. Man schreibt ihm aber zugute, dass das Material, mit dem er arbeiten musste, unter aller Sau war: Freshmen ohne Ende, eine Offensive Line, die sich den Namen nicht verdiente, und kein Laufspiel zur Entlastung. Hackenberg gilt als Kämpfer und geht notfalls trotz schwerer Beine auch mal den Weg zu Fuß, und heuer soll er zumindest mit einer eingespielten Offense für einen großen Sprung nach vorne sorgen.
Western Division
Die beiden größten Universitäten im Westen treten jeweils mit neuen Coaches an. Bei den Wisconsin Badgers ist Paul Chryst der dritte Headcoach in vier Jahren, nachdem Gary Andersen völlig überraschend nach nur zwei Spielzeiten seinen Abgang verkündete. Andersen ging wie sein Vorgänger Bret Bielema (wechselte 2012 zu Arkansas) nicht zu einem großen Team, sondern mit Oregon State zu einer eher kleinen Mannschaft. Prompt kochten die alten Gerüchte wieder hoch: Wisconsin sei ein Programm, bei dem du als Cheftrainer nicht arbeiten kannst, weil du im Hintergrund mit Barry Alvarez einen zu mächtigen Athletic-Director hast. Zudem werden immer wieder die miserablen Gehälter für die Assistenzcoaches von Wisconsin kritisiert.
Unter den Umständen ist es Chryst schon als Erfolg zuzuschreiben, dass er den hochgelobten jungen DefCoord Dave Aranda halten konnte. Chryst selbst gilt als „Wisconsin-Mann“. Er war als Student dort Starting-QB und später Assistent unter Alvarez und Bielema. Zuletzt sammelte er drei Jahre Headcoach-Erfahrung bei Pitt, wo er allerdings fast keine Entwicklung in der Mannschaft vorantreiben konnte.
Bei Wisconsin ist es normalerweise aber sowieso wurscht, wer den Coach gibt, denn „das System“ wird weiterlaufen wie geölt: Monströse Offensive Line, ein Laufspiel, das im Jahr 1 nach RB Melvin Gordon (2606yds, 32 TD) erneut über 2000yds bringen wird, und eine grundsolide Defense. Fragezeichen wie immer: Quarterback, wo man Joel Stave nicht zu vertrauen scheint.
Wisconsin gilt als bestbesetzte Mannschaft und als sicherster Tipp der Division, hat aber Auswärtsspiele gegen die beiden vermeintlich größten Konkurrenten im Kader.
Die andere Mannschaft mit neuem Coach sind die Nebraska Cornhuskers, jenes Team, das unter Bo Pelini jedes Jahr 9-4 oder 10-4 erreicht hat. Nebraska holte sich als Pelinis Nachfolger just jenen Coach, den oben genannter Gary Andersen bei Oregon State ersetzte: Mike Riley. Die Verpflichtung von Riley hatte keiner kommen sehen. Charakterlich ist er das komplette Gegenteil vom Schreihals Pelini: Riley gilt als supernetter Typ, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.
Mit seinen 61 Lenzen versprüht er jedoch nicht mehr unbedingt jugendlichen Charme, sollte aber als stabilisierende Kraft wirken bei einem Programm, das sich unendlich nach der Rückkehr großer alter Zeiten sehnt.
Nebraska ist ein schwieriger Laden: In den 70ern und 90ern stellte man epische Mannschaften, doch seither jagt man ihnen vergeblich nach. Das Recruiting in den menschenleeren Rednecks gestaltet sich zunehmend als schwierig und die jüngeren Generationen kennen die Option-Offenses von Tom Osbourne nur noch vom Hörensagen. Gleichzeitig feuerte man im letzten Jahrzehnt Coaches wie Frank Solich oder eben Pelini – beide mit im Schnitt über 9.5 Siegen pro Saison!
Riley ist ein Coach, der schon alles gesehen hat: Er hat die CFL gewonnen, er musste sich mit Draft-Flop Ryan Leaf herumschlagen, er machte die Oregon State Beavers groß. Nun bringt er sein Kurzpasssystem mit nach Nebraska, wo bislang fast ausschließlich Bodentrupps operierten. QB Tommy Armstrong ist als Beispiel ein Mann, der nur 53% Completion-Rate hat, aber 800yds erscrambelt. Wie sich diese Anlagen mit Riley verheiraten lassen, wird eine der spannenden Fragen der Saison.
Dritter Anwärter im Bunde auf den Divisionssieg sind die Minnesota Golden Gophers, die zuletzt auf 8-5 Siege kamen und sich im Aufbau befinden. Head Coach Jerry Kill wurde landesweit berühmt-berüchtigt für seine epileptischen Anfälle mitten im Spiel am Seitenrand, aber er gilt als Coach, der mit ruhiger Hand am steten Aufschwung arbeitet. Seit Jahren sind die Fortschritte erkennbar. Minnesota macht keine Quantensprünge, aber vermeidet die ganz großen Bolzen, die das Programm auf Jahre zurückwerfen.
Das zeigt sich im übertragenen Sinne auch im laufenden Spiel an der sehr banal wirkenden Offense: Geworfen wird eher selten, dafür spielt man in 77% der Snaps Laufspiel. Es ist ein Running-Game ohne großen ästhetischen Mehrwert wie z.B. eine triple-option Offense. Es ist schlicht… Laufspiel, Laufspiel, Laufspiel. Heuer muss man den „Franchise-RB“ David Cobb ersetzen und wird vermutlich auf den Kugelblitz Rodrick Williams zurückgreifen, der bei 1,77m mal eben schlanke 108kg auf die Waage bringt.
Bei Minnesota sorgen aktuell allerdings Unruhen im Athletic-Department für Wirbel. Athletic-Director Norwood Teague musste vor wenigen Tagen wegen sexueller Belästigung seinen Rücktritt einreichen – ein Aufsehen erregender Move, der landesweit Schlagzeilen machte und das Thema auf die Agenda brachte. Die betroffene Sportreporterin Amelia Rayno veröffentlichte in der Star Tribune sogar ihre eigene Version der Geschichte, was wiederum u.a. den renommierten Medienkolumnisten von Sports Illustrated, Richard Deitsch, animierte, eine generelle Bestandsaufnahme von sexueller Belästigung gegen Sportreporterinnen im US-Sport zu machen: Sexual harassment toward female sports reporters is far too common.
Abseits dieser äußerst unangenehmen Geschichte galt Teague als Segen für die University of Minnesota, der viele Projekte auch infrastruktureller Natur voranbrachte. Die Zukunft vieler dieser Projekte steht nun erstmal in den Sternen. Sie rückt aber vermutlich das in den Hintergrund, was uns als College-Football-Interessierte am meisten anspricht: Football. Dort wird Kill vermutlich diesmal einen echten Ausreißer nach oben brauchen, will er nicht im Winter von der ungeduldiger werdenden Anhängerschaft erstmals in Frage gestellt werden.
Ergänzend zu den Spartans könnte man anmerken, dass sie erstmals ohne Def. Coord. Pat Narduzzi auskommen müssen der seine erste HC Stelle bei Pitt angenommen hat. Narduzzi und D’Antonio haben bisher bei MSU immer zusammengearbeitet jetzt muss sich zeigen ,was D’Antonio ohne seinen Coord. wert ist.
Außerdem Ed Davis Out for season… ich glaube nicht daß MSU Ohio State gefährlich wird, eher muss man auf Penn St. und Michigan von unten aufpassen.
Sonst gehe ich d’accord. B1G Finale Ohio St. vs. Wisconsin. Endstand 59:0. 🙂
Kurze Frage zu den beiden Michigan Teams.
Die Wolverines gehören zur University of Michigan, die Spartans zur Michigan State University wenn ich das richtig verstanden habe.
Aber was genau ist der Unterschied zwischen diesen beiden Unis?
Klar jede Uni ist in einer anderen Stadt angesiedelt aber gibts da Unterschiede im Schulsystem oder ähnliches?
Würde mich mal sehr interessieren.
Mainfranke,
In Uni-Bildungsrankings ist Michigan State ziemlich gut platziert.
Ist einer der der besten staatlichen Unis in den USA.
Michigan U hat aber eine größere Sporttradition
Naja im Basketball ist Michigan Sate der größere Player, aber American Football ist halt die Nr.1 Sportart
@Mainfranke: Die University of Michigan und die Michigan State University sind zwei eigenständige staatliche Universitäten. Im Schulsystem gibt es keinen wesentlichen Unterschied. Michigan gilt akademisch als die etwas bessere, aber teurere Uni. Ihr Nachteil aus Studentensicht ist ihr dreigeteilter Campus, während Michigan State mehr Studenten und einen abgeschlossenen Campus hat.
Überhaupt sind die Unterschiede zwischen den „University of …“ und den „… State University“ in den USA hauptsächlich vom Namen. In manchen Staaten gehören diese Unis zum selben Universitätsverband, aber es sind eigenständige Einrichtungen.
Im Fall von Michigan und Michigan State bin ich mir nicht sicher, aber ich glaube, Michigan hat keinen solchen übergeordneten Uni-Verband, die Unis arbeiten aber trotzdem häufig in verschiedenen Belangen zusammen.
Ich hoffe, das beantwortet die Frage, ich bin mir nicht sicher ob ich sie richtig verstanden habe.
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Zu Michigan State (und zum Verhältnis zu Michigan) kam gestern ein langer Artikel in der NYT raus, sehr spannend wenn man sich für diese Rivalität + eine kleine Saisonvorschau interessiert (@Mainfranke)…
Dort wird Nick Saban – ehemaliger Spartans HC bis 1999 – zitiert:
“We were never No. 1,” he said. “That was always Michigan. It was always ‘U.M. this or that.’ ”
http://www.nytimes.com/2015/09/04/sports/ncaafootball/michigan-state-fifth-in-the-nation-yet-still-second-fiddle-to-michigan.html?smid=tw-nytsports&smtyp=cur
Ja, danke für den Hinweis. Es gibt im College Football zirka acht Universitäten, die noch zehn Jahre Graupenfootball spielen können und immer noch alles andere überstrahlen:
Alabama
Florida
Michigan
Notre Dame
Ohio State
Oklahoma
Texas
USC
Sozusagen die absolute Creme de la Creme, die Superschwergewichte. Michigan ist da definitiv mit dabei. Michigan State schafft es wohl nicht einmal in die zweite Stufe, die ich gefühlt so einschätzen würde:
Auburn
Florida State
Georgia
Louisiana State
Miami
Nebraska
Penn State
Tennessee
(Oregon)
Vielleicht Tier 3.
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