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NFL Power Ranking 2015, Week 6 | Ein Sonntagabend für Feinschmecker

Spätschicht am Sonntag bot mit den unterhaltsamsten NFL-Football in der kompletten laufenden Saison. Ein Protokoll.


Green Bay Packers 27, San Diego Chargers 20. Aaron Rodgers ist der beste Quarterback, den ich jemals habe live spielen sehen, aber Philip Rivers gibt mir optisch an guten Tagen sogar noch mehr. Was Rivers am Sonntag in Lambeau geliefert hat, gehört zum feinsten, was ich an NFL-Quarterbacking in nunmehr 15 Jahren gesehen habe.

Da sind zum einen die Zahlen: 43/65 für 503 Yards, 2 Touchdowns, 7.5 NY/A. Siebeneinhalb Yards pro Dropback über 65 Versuche in einer eindimensionalen Offense in einem Auswärtsspiel sind beeindruckend genug, aber bei Rivers muss man sich noch vor Augen führen, wie sie zustande gekommen sind: Hinter einem Torso von Offensive Line (3/5 der Starter fielen aus), quasi ohne nennenswertes Laufspiel, mit einem 35jährigen Tight End und prinzipiell nur einer NFL-reifen Waffe auf Wide Receiver (WR Keenan Allen, 14 Catches für 157yds).

Mit was für einer Eiseskälte Rivers seinen Mann in der Pocket steht, verlangt mir nichts anderes als immensen Respekt ab. Das Warten auf den allerletzten Moment bis zum Wurf, schon mit dem Mundgeruch vom Passrusher im Gesicht und dann noch mit diesem unkonventionellen Wurfstil die Rakete anzubringen: Ästhetisch schwer schlagbar. Rodgers ist auf der Höhe besser, Manning und Brady sind Legenden, aber möglicherweise ist Philip Rivers der am meisten unterschätzte Quarterback der letzten 20 Jahre.

Ich hatte vor der Partie ja einen Blowout erwartet. Geworden ist es vor allem dank Rivers eines der spannendsten, bestexekutierten Spiele des Jahres. Dass San Diego am Ende keinen Dreier mitnahm, lag neben der konstant schlechten Feldposition auch einer unglücklichen Goal-Line Serie in der letzten Minute. Der vorletzte oder drittletzte Pass von Rivers war vielleicht der einzige Bock des Tages – er hätte einen bis zwei Mann (Woodhead, im Zweifel auch WR Floyd) offen gehabt. Aber bei 65 Versuchen einen daneben zu setzen, ist für mich verziehen.


Seattle Seahawks 23, Carolina Panthers 27. Kai Pahl fand die Partie im Sofa-QB Podcast „merkwürdig“. Ich hätte eher die Vokabel „bemerkenswert“ gewählt. Carolina und Seattle lieferten sich eine Schlacht ziemlich genau nach Skript. Alle Mannschaftsteile spielten genau das, was sie können. Dass dabei viel Unruhe in der Pocket, einige Scrambles und etliche Hopp-oder-Topp Würfe dazugehören, wussten wir bereits vorher.

Die Story der Geschichte ist natürlich das beherzte Comeback der Panthers in den letzten vier Minuten. Seattle schenkt damit zum wiederholten Mal in den letzten Wochen und Monaten eine enge Partie in der Schlussphase her. Wer will, kann diese plötzliche Schwäche aus der oft zitierten geringeren Kadertiefe ableiten. Es kann aber auch Zufall sein. Auf alle Fälle ist die Aura der Seahawks damit ein bisschen flöten gegangen.

Viel neue Aura dagegen bei Panthers-QB Cameron Newton, der in meinem persönlichen Ansehen nur weiter steigt. Ich habe schon oft unumwunden zugegeben, dass Newton sich bei mir vom absoluten Unsympathen zu einem meiner Lieblingsspieler entwickelt hat. Der Mann spielt mit den Panthers die untypischste Offense der NFL, Eagles eingeschlossen.

Mehr noch: Trotz des Erfolgs von RB Stewart mit zirka siebenunddreißig gebrochenen Tackles: Newton ist die Offense. 2 INT aus abgefälschten Bällen, einige knapp überworfene Bälle und 2-3 weitere potenzielle INTs können nicht übertünchen, mit welchen Eiern Newton in Seattle 3x Drives über 80 Yards das Feld hinuntertrieb. Rivers ist ein absoluter Genuss. Aber Newton mit seinem wuchtigen Stil und seinen monströsen flachen Bomben hat auch absolut seinen Platz im oberen NFL-Echolon. Und ist für mich weiterhin MVP-Kandidat #1 der bisherigen Saison.


San Francisco 49ers 25, Baltimore Ravens 20. QB Kaepernick mit 27 Passversuchen, 16 Completions… und 340 Pass-Yards gegen den Trümmerhaufen von Ravens-Secondary. Ich gebe zu: So schlimm hatte ich die Abwehr-Probleme bei den Ravens nicht erwartet. Hinzu kam diesmal, dass der normalerweise sichere Kicker Tucker einen Ball an den Pfosten setze und die Ravens damit im letzten Drive auf eine Hail Mary angewiesen waren.

Baltimore ist damit 1-5. Die Saison ist möglicherweise damit schon vorbei, auch wenn eine 1-5 Bilanz in engen Spielen nach Regression zur Mitte schreit. Im Wildcard-Rennen hat man gegen die AFC East und die Steelers schon beträchtlichen Rückstand.


Indianapolis Colts 27, New England Patriots 34. Weil Sideline Reporter zwar grundsätzlich nicht das macht, was der Mainstream macht, aber trotzdem die speziellen Momente ehren möchte: Hier ist der Moment, über den noch in zehn Jahren gelacht werden wird, und der dann als defining moment der Ära Chuck Pagano in Indianapolis gelten wird:

Yup. Hirnfurz von Griff Whalen. Ich habe auch manchmal Momente, nach denen ich nicht weiß WARUM. Zum Glück habe ich ihn nicht vor 20 Millionen im landesweiten TV. Pagano kann für die peinliche Ausführung ab dem Snap nichts. Pagano muss sich aber vorwerfen lassen, eine Situation zugelassen zu haben, in der sein Team völlig unvorbereitet aussah. Der Moment wird sich auch so im kollektiven Gedächtnis einprägen, weil keine Sau auf dem Platz wusste, was zu tun war. Dass das Play ohnehin zu einer Strafe wegen falscher Aufstellung geführt hätte, setzt dem ganzen nur die Krone auf. Gott sei Dank ging es schief, so gibt es wenigstens was zum Lachen.

Trotzdem ist es schade, dass dies der Moment der Pagano-Ära sein wird und nicht z.B. das Chuckstrong-Spiel. Denn Pagano coachte in dieser Partie im Prinzip mutiger als man es von ihm kennt: 4th Down nahe Goal Line zum TD verwertet, Onside Kick versucht, noch ein 4th Down mit einer speziellen Aufstellung… OK, lassen wir das, aber im Grunde vieles richtig gemacht. Und trotzdem hatte Indianapolis Mühe, sich in 2 TD Entfernung zu den Patriots im Spiel zu halten.

New England mit einer im Kern überlegen geführten Partie. Belichick muss sich nicht viel vorwerfen lassen, außer natürlich, dass er nach dem TD zum 33-21 keine 2pts-Conversion versuchte. Es war Anfang von Q4. 2pts = Muss. New England diesmal nicht mit 200yds Laufspiel, weil die Colts die Schotten dicht machten. Dafür antwortete QB Brady mit 7.7 NY/A im Kurzpassspiel. Auch Brady ist bislang einer der würdigen MVP-Kandidaten.


Zur NFL allgemein: Sehr erfolgreiche Saison bislang für das Passspiel. 6.5 NY/A sind über dem Schnitt der letzten Jahre (um die 6.3 NY/A). Die Vergangenheit zeigte, dass mit zunehmend kälter werdendem Wetter die Effizienz des Passspiels etwas nachlässt. Das dürfte auch heuer passieren. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass trotz überwiegend schlechten Offensive Lines (u.a. eine Latte an Strafen) und Verletzungen von zwei der besten Quarterbacks (Romo, Roethlisberger) so gute Zahlen rausspringen. In den Minnesota Vikings (5.6 NY/A) ist nur eine Mannschaft nennenswert unter der 6er Marke, und selbst der Wert der Vikings wäre in den letzten Jahren weit entfernt vom Liga-Bodensatz gewesen.

Power Ranking

Zum Power Ranking. Einige Auffälligkeiten im Vergleich zu konventionellen Rankings: Arizona übernimmt trotz der zweiten Niederlage (13-25 gegen Pittsburghs dritten QB Landry Jones) die Spitzenposition, u.a. dank 8.3 NY/A Passspiel im Angriff. Wie ich bereits letzte Woche schrieb: Die Cards stehen vor einem schweren Schedule und werden nicht mehr jede Woche Gegner abschießen.


Dagegen bewegt sich Pittsburgh trotz besagtem Sieg nicht nach oben. Um das zu verstehen, muss noch einmal kurz die Logik des Rankings erläutert werden: Das Ranking interessiert sich vor allem für die Effizienz pro Down, und es gewichtet die verschiedenen Kriterien (Pass + Lauf in Offense und Defense, Turnovers, Strafen) nach ihrer Wichtigkeit für Sieg und Niederlage.

Bei PIT vs ARZ am Sonntag hatten die Cardinals 40 Passversuche und dabei durchschnittlich 9.0 NY/A pro Versuch. Pittsburgh hatte nur 20 Versuche und 8.0 NY/A. Folge: Die Steelers-Defense leitet massiv unter dem Passfeuerwerk, steht diese Woche bei 6.8 NY/A Defense über die Saison (vs 6.3 NY/A letzte Woche). Die Stärke des Gegners hält Pittsburgh auf Rang 5, aber nach oben geht es mit solcher Defense nicht.

Warum Pittsburgh trotzdem gewann? Turnovers. PIT gewann das Turnover-Duell 3:0 gegen die Cards. Bloß: Die Historie zeigt uns, dass Turnovers sich nicht stabil verhalten, folglich werden sie für die Prognosefähigkeit entwertet.


Vorne mittlerweile eine Big Six, die von den Jets komplettiert wird. Die Jets mit überraschend guten 6.8 NY/A Passspiel, aber in der öffentlichen Diskussion um die vielen INTs (4.1% INT-Quote). Damit hat QB Fitzpatrick was von QB Cousins aus Washington. Praktischerweise wurde just der am Sonntag geschlagen.

Das ungeschlagene Denver (6-0) ist vier Plätze hinter den 2-4 Seahawks gerankt. Denver bislang mit extrem glücklichem Spielverlauf: 5-0 in engen Partien, eine schwer zu haltende Serie an TD-Returns der Defense und der bislang einfachste Schedule. Denver nach Effizienz im Power-Ranking nur ein Team, das gegen einen durchschnittlichen Schedule 5.9 Spiele über die ganze Saison gewinnt. Denver beendet die Saison möglicherweise trotz 6-0 Start nur mit 10-6 Siegen, oder so. Seattle dagegen dürfte eines der besseren 2-4 Teams der letzten Jahre sein und sollte noch im Playoffrennen sein.

New Orleans klettert erstmal unten raus. Atlanta fällt ins Mittelfeld zurück. Miami mit dem ersten Schritt in die richtige Richtung. Carolina mittlerweile ein gutes Oberklasse-Team. Baltimore trotz 1-5 noch in vager Nähe zum Mittelfeld. Detroit trotz glücklichem ersten Saisonsieg weiterhin Schlusslicht, u.a. mit der #32 Defense der Liga (8.0 NY/A).

NFL Power Ranking 2015, Week 6

NFL Power Ranking 2015, Week 6

Und so liest sich das ganze: Die erste Sektion (WP | E16) beschreibt die Stärke der jeweiligen Mannschaft. WP entspricht der Siegchance der jeweiligen Franchise gegen eine standardisierte, durchschnittliche NFL-Franchise, E16 ist WP hochgerechnet auf 16 Spiele (WP*16 = E16). Die zweite Sektion (SOS | Rs) beschreibt die Stärke des Schedules und die Platzierung des Schedules. OFF ist die Platzierung der Offense, DEF die Platzierung der Defense. LW ist die Platzierung der entsprechenden Mannschaften in der letzten Woche.

Hier weitere erklärende Grafiken mit den Statistiken hinter dem Power-Ranking und weiteren Zahlen. Bitte durchwühlen:

Sieg-Wahrscheinlichkeiten für Woche 7

Letzte Woche erzielte das Power-Ranking sowohl bei den Siegertipps als auch gegen den Point-Spread eine 7-7 Bilanz. Damit über die Saison nun 17-11 bei Siegertipps und 12-15-1 gegen den Spread.

In den Wahrscheinlichkeiten für diese Woche ist das London-Spiel Jacksonville vs Buffalo als Partie auf neutralem Feld gewertet. Miami vs Houston ist das bislang knappste Duell der Saison mit 0.27% Differenz im Ranking.

Sieg-Wahrscheinlichkeiten für Woche 7

Sieg-Wahrscheinlichkeiten für Woche 7

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7 Kommentare zu “NFL Power Ranking 2015, Week 6 | Ein Sonntagabend für Feinschmecker

  1. danke für den schönen kommentar.

    In Seattle fand ich vor allem die Intensität beachtenswert. Was da in der ersten Hälfte abging hatte schon eher playoff Charakter…

    Was mit „merkwürdig“ bzw. „zirkus“ gemeint ist kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Schau ich mir die letzten SPiele der beiden gegeneinander an, dann passt das hier doch ganz gut da rein….

  2. Ich bin ja mal gespannt, ob die Bye-Week den Broncos hilft sich in der Off. zu stabilisieren. Eine solche letzte Saison ist dem Manning ja nun wirklich nicht zu wünschen!

  3. Und lauf PFF sogar 46. 14 gegen JAX, 19 gegen BUF, 7 gegen PIT, 6 gegen IND.

  4. Die Eagles sind besser als die Chargers, Broncos und Seahawks? Glaube ich nicht so wirklich dran, dass die Eagles im direkten Duell gegen die gewinnen würden. Die offense war erschreckend schwach gegen die giants, bis auf ein paar ausreißer. Die Front7 in der defense ist wirklich stark aber sonst…

  5. Pingback: Date am Donnerstag 2015, Week 7: San Francisco 49ers – Seattle Seahawks Preview | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

  6. Pingback: Die furchtlose NFL-Vorschau 2016/17 | Die Kellerkinder | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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