Heute wird in den USA Erntedank („Thanksgiving“) gefeiert, das größte Familienfest des Jahres, mit reichlich fettigem Truthahn und viel Football aus der NFL. Die Klassiker gibt es natürlich auch heuer in Detroit und Dallas. Diese beiden Spiele haben auch nach dem ESPN Playoffhebel die massivsten Implikationen für die Post Season.
- 18h30: Detroit Lions – Minnesota Vikings
- 22h30: Dallas Cowboys – Los Angeles Chargers
- 02h30: Washington Redskins – New York Giants
Die beste Ansetzung des Tages ist vermutlich schon das 18h30-Spiel zwischen den Detroit Lions (6-4) und Minnesota Vikings (8-2) aus der NFC North. Es ist eine Partie, die durch die Ergebnisse von letztem Sonntag zusätzlich an Thrill gewonnen hat – die letzte Chance für Detroit, in der Division Schritt zu halten und gleichzeitig die goldene Chance für Minnesota, sich in der NFC North schon einen vorentscheidenden Vorsprung zu erspielen.
Ich betone es seit Wochen: Die Vikings sind einer der großen NFC-Mitfavoriten in dieser Saison. Minnesota spielt quasi schon die gesamte Saison mit dem third stringer auf Quarterback, Case Keenum, der sich noch auf keiner seiner vielen Stationen in der NFL lange auf seinem Posten halten konnte. Bis jetzt.
Keenums Entwicklung diese Saison ist exzellent. Er war im „Hinspiel“ gegen Detroit in Woche 2 zum Beispiel noch nicht so weit. Detroit gewann damals knapp 14-7, die schwächste Vorstellung der Vikes-Offense in der gesamten Saison. Seither hat sich aber einiges geändert: Die Offensive Line ist nicht überragend, aber die beiden Tackles Riley Reiff auf links und Mike Remmer rechts halten die Pocket lange genug sauber, dass Keenum einen seiner phantastischen Wide Receiver #14 Diggs oder #19 Thielen oder wahlweise TE #82 Rudolph finden kann. Verwertet Keenum damit vier bis sechs 3rd Downs zu neuen Angriffsserien, kann das schon ausreichen, denn Minnesota kann sich beruhigt auf die Qualität seiner Defense verlassen, die Detroit nicht viele Punkte schenken wird.
Fazit: Keenum begeht keine katastrophalen Bolzen – und das reicht schon, weil seine etwas unpräzisen Pässe von hervorragenden Pass-Catchern trotzdem gefangen werden und seine Abwehr die Spiele knapp hält. Keenum bleibt trotzdem nur Statthalter für Teddy Bridgewater, der ganz einfach multidimensionaler ist und die Vikings-Offense noch einmal einen Level nach oben hieven kann – eigentlich ein erschreckender Gedanke.
Die Lions-Offense dagegen spielt eine etwas durchwachsene Saison. Sie ist relativ stark abhängig von den Launen von QB Matthew Stafford, dessen Saison ich anfangs als eher schwach empfand, aber mit jeder zusätzlichen Woche muss ich meine Meinung mehr und mehr revidieren: Stafford spielt eine gemessen an den Umständen exzellente Saison. Vielleicht trägt aktuell kein Quarterback in der NFL mehr Last seiner Offense auf den Schultern als Stafford.
Wie sich das gegen Minnesotas gefinkelte Defense entwickeln wird, ist schwer vorherzusagen. Theoretisch hätte Stafford den Arm und die Form, auch die engsten Deckungen zu attackieren. Aber wenn du komplett eindimensional bist, ist so ein Unterfangen auch für die besten QBs ein nahezu aussichtsloses. Da ich für RB #21 Abdullah und Konsorten gegen die gigantische Vikes-Front keinen Spielraum für Erfolg sehe, wird Detroits Aussicht auf Punkte allein an Stafford und guten Feldpositionen durch die Special Teams hängen.
Um 22h30 das Duell zweier Mittelklasseteams am unteren Rand der Playoffränge: Dallas Cowboys (5-5) vs Los Angeles Chargers (4-6). Dallas ist aktuell #10 der NFC, Los Angeles die #12 der AFC – theoretisch haben beide nur ein Spiel Rückstand auf den 6th Seed, mit Tie-Breakern sind es vielleicht zwei.
Die Chargers fühlen sich mit 4-6 unter Wert geschlagen an. Worin sie nach wie vor unerreicht sind: Potenzielle Siege gedankenlos wegzuwerfen. Mindestens drei, vielleicht vier, von den sechs Saison-Pleiten wären zu verhindern gewesen, und dann reden wir plötzlich von einem echten AFC-Contender anstelle einer Mannschaft, die heute auf Druck gewinnen muss. Mit @Dallas, Cleveland, Washington, @Chiefs, @Jets und vs Raiders spielen die Chargers immerhin noch einen machbaren Schedule: Vier Siege, und du bist mit 8-8 in einer lauwarmen AFC durchaus Anwärter auf die #6.
Heute stehen die Chancen nicht schlecht, zumal Dallas sich in freiem Fall befindet: Seit dem Ausfall von LT Tyron Smith ist die einst dominante Offensive Line komplett auseinandergefallen. Laufspiel ist mausetot, QB Prescott erlebt zum ersten Mal wie es sich anfühlt, eine Offense à la Rodgers, Rivers oder Stafford allein zu führen. Das fühlt sich dann wie am Sonntag so an: 4 INTs.
Wenn Smith heute einsatzfähig sein sollte, gut für Dallas. Wenn nein, wird wieder LT Byron Bell auflaufen, der sich im 1-vs-1 mit DE Bosa blutig schwer tun wird. An der anderen Flanke muss der wackelige RT Collins gegen DE Ingram gegenhalten – auch keine Garantie. Dazu kommt erschwerend hinzu, dass Cowboys-Headcoach Garrett nicht zum ersten Mal in solchen schwierigen Situationen als Kaiser ohne Kleider bzw. „Mann ohne Plan B“ enttarnt wird: Die Dallas-Offense spielt auch ohne ihre Stammkräfte den exakt gleichen Stiefel runter als wenn Elliott und Smith in Hochform auflaufen würden – mit vorhersehbarem Ergebnis.
Das Nachtspiel ist ein Krisentreff: Washington Redskins (4-6) vs New York Giants (2-8). Bei den Giants ist seit Wochen klar, dass die Saison im Arsch ist und eigentlich schaut jeder nur noch darauf ob die Mannschaft auseinanderfällt und damit einen Entlassungsgrund für Headcoach Ben McAdoo liefert oder ob die Saison mit Anstand zu Ende gespielt wird und McAdoo doch noch ein Jahr auf Bewährung bekommt. Am Sonntag gab es zum Beispiel das erste Lebenszeichen seit vielen Wochen, als man indisponierte Chiefs in der Overtime schlagen konnte.
Aber: Die Offense ist selbst unter Berücksichtigung der Ausfälle sämtlicher Starting-WRs so mausetot, dass man nicht anders kann als sich ein Ende der Ära von Eli Manning auszumalen – was gleich eine Chance böte, neuen Franchise-QB zu draften und damit auch eine neue sportliche Leitung zu implementieren. Ergo: McAdoo kann seinen Posten nur halten, wenn die Giants ausreichend Spiele gewinnen um die Aussicht auf einen der Top-QBs im Draft zu verlieren.
Der heutige Gegner Washington bietet schwer angeschlagen die Chance auf den dritten Sieg. Die Redskins wurden am Sonntag nach eigentlich hervorragender Vorstellung bei den New Orleans Saints am Spielende böse überfahren, verschenkten innerhalb von drei Minuten einen 15-Punkte Vorsprung und später in der Overtime das komplette Spiel. Nicht nur das: Sie verloren auch ihre günstige Position im Playoffrennen, liegen nun gleich drei Spiele hinter den Wildcard-Plätzen und müssen sich von dem brutalen KO-Schlag erstmal mental wieder sammeln.
Die Vorstellung bei den Saints zeigte aber auch eines: QB Kirk Cousins hat es mittlerweile drauf. Cousins hatte gegen eine bislang richtig gute Pass-Defense eines der besten QB-Spiele des Jahres, ehe er vom epischen Drew Brees noch übertroffen wurde. Cousins verteilte aber schön seine Pässe auf Zillionen Anspielstationen und legte damit den Grundstein für eines der potenziell größten Upsets der Saison. Es wollte letztlich nicht sein. Nun muss heute trotz ungünstiger Vorzeichen unbedingt gewonnen werden, will die kleine Restchance auf die Post Season am Leben erhalten werden.
Sidelinereporter, wie sehr ich dich als bisher schweigender Leser schätze und wie sehr ich Stanford bewundere – dass es keinen einzigen Quarterback gibt, der seine Offense so trägt wie Stanford, bestreite ich vehement.
Schau mal zu Russell Wilson nach Seattle. Der hat eine noch schlechtere Line, noch schlechteres Laufspiel der Runningbacks und kein einen Kicker, der schon drei Spiele verhunzt hat.
Stanford ist sensationell. Aber was Wilson da treibt (23 von 24 Touchdowns erpasst oder erlaufen, zweitmeisten Yards der Liga, mehr als 82 Prozent der Team-Yards) ist noch eine Liga höher als Stafford. Vor allem da Seattle wohl seit Jahren keine funktionierendes Scheme hat.
Ansonsten vielen Dank für den sehr informativen Beitrag!
*Stafford, die Autokorrektur
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Ich schreibe ja auch „vielleicht“ 😉
Ist natürlich schwer zu beurteilen. Keine Gegenargumente zu Wilson von meiner Seite. Wie ich auch keine Gegenargumente zu Deshaun Watson gebracht hätte.