Frank Reich und andere unpünktliche Anstellungen

Es hat etwas länger gedauert als ursprünglich gedacht, aber nur ist es fix: Der letzte Cheftrainersessel für 2018 ist besetzt. Die Indianapolis Colts bestellten nur wenige Tage nach der debakulös verlaufenen „Anstellung“ von Josh McDaniels nun den bisherigen Eagles-OffCoord Frank Reich zum neuen Head Coach.

Reich ist in der Footballwelt bekannt als der Quarterback, der die beiden größten Comebacks in College Football und NFL orchestriert hat: Ein 31-pts Comeback am College (erst 2006 übertroffen) und das nach wie vor punktemäßig größte Comeback der NFL-Geschichte bei der 32-pts Aufholjagd der Buffalo Bills gegen die Houston Oilers 1993.

Reich war nie ein Star-QB mit 1st-Round Format, sondern ein klassischer Backup-QB, intelligent, harter Arbeiter, aber nicht die allerbesten Anlagen als Werfer. Als solcher musste er sich seinen Weg erkämpfen, ähnelt also vom Profil dem von Eagles-Headcoach Doug Pederson, der wie Reich jahrelang als Ersatzmann durch die Liga getingelt war, bevor er den Weg zum Coaching fand.

Reich ist nicht mehr so jung wie man meinen möchte: Er ist schon 56 Jahre alt. Seine NFL-Karriere erstreckte sich von 1985 bis 1998. Danach war er zehn Jahre raus aus dem Business, ehe er 2008 zum Trainer wurde.

Seinen Einstieg ins Coaching fand er vor zehn Jahren rein zufällig als Assistent bei den Colts unter GM Bill Polian, mit dem Reich eine jahrelange Verbindung aus Bills-Zeiten verbindet. Reich kam über die Stationen Colts, Arizona, San Diego und Philadelphia nun wieder zurück nach Indianapolis – diesmal in Funktion des Cheftrainers. Ihm eilt ein guter Ruf als Offensivgeist voraus, aber ich sehe einige kritische Punkte:

  1. In der ersten Runde der Coaching-Interviews hatte Colts-GM Chris Ballard sechs Kandidaten interviewt – keiner davon war Reich. Mag sein, dass man aus Zeitgründen nicht alle potenziellen Kandidaten einladen kann, aber dass Reich gar keine Rolle spielte, ist zumindest eigenartig.
  2. Reich wurde dreimal in fünf Jahren gefeuert, bevor er zu den Eagles stieß: Ende 2011 in Indianapolis, Ende 2012 in Arizona und Ende 2015 in San Diego. Mag sein, dass Reich als Angestellter „mittlerer Stufe“ nichts für das Versagen des gesamten Trainerstabs konnte – aber keine der Organisationen machte Umstände, ihn als eventuellen Coaching-Diamanten zu halten.
  3. Reich arbeitete stets unter Offense-Headcoaches: HC Jim Caldwell (Indianapolis), Ken Whisenhunt (Arizona), Mike McCoy (San Diego, OC dort u.a. Whisenhunt) und Doug Pederson (Philadelphia) kamen alle von der Offensiv-Seite. Reich hatte noch nie Gameplan-Verantwortung und war auch zuletzt bei den Eagles nicht der Play-Caller (sondern Pederson).
  4. Ist Reich ein QB-Whisperer? Bei den Colts hatte er es mit Peyton Manning zu tun, der eher die Trainer coacht als umgekehrt. Im Peyton-losen Jahr 2011 sagen die Colts-QBs horrend aus. Dito 2012 in Arizona, dem „Ryan-Lindley-Playoff-Game-Jahr“. Ab 2013 bei den Chargers: Philip Rivers, wie Peyton ein echter, längst etablierter Franchise-QB. Dafür in Philadelphia die positive Entwicklung von Carson Wentz und zuletzt über einige Wochen Nick Foles. Aber wie groß war dabei der Einfluss von Reich, und wie groß der von Pederson und QB-Coach John DeFilippo?

Man kann bei Headcoach-Anstellungen selten verlässlich Erfolg und Misserfolg prophezeien, was nicht zuletzt bei den Eagles offensichtlich wurde: Der Mega-Coach Chip Kelly floppte, während die graue Maus Pederson den Titel holte. Reich mag ein Top-Kandidat sein, aber die vier von mir gelisteten Punkte halte ich alle für kritisch. Ist Reich wirklich jemand, der aus „wenig“ „viel“ machen kann?

Und noch ein kritischer Faktor: Reichs Input für die Zusammenstellung des Trainerstabs ist begrenzt, nachdem etliche Coaches wie DefCoord Matt Eberflus eigentlich von McDaniels vor dessen Wortbruch angestellt worden waren.

Die letzten Offensiv-Posten andernorts

Kollateralschaden für die Eagles: Sie verlieren wenige Tage nach QB-Coach DeFilippo auch den zweiten Baustein des „Offense-Triumvirats“, das sich für den grandiosen Gameplan in der Superbowl gegen New England verantwortlich zeichnete. Es bleibt übrig: Pederson. Das ist der Preis des Erfolgs.

DeFilippo wechselte vor drei Tagen als OffCoord nach Minnesota. Viele sind nun überrascht, wieso er nicht abwartete bis er selbige Stelle in Philadelphia auf dem Präsentierteller serviert bekommen hätte. Die Erklärung liegt aber auf der Hand: Die Vikings haben mit Mike Zimmer eine defensivorientierten Chefcoach – DeFilippo bekommt als Offensiv-Gameplanner alle Freiheiten der Welt und kann sich nun ein Jahr lang einen Namen als potenzieller künftiger Headcoach machen.

Die Zeiten ändern sich manchmal schnell – DeFilippo selbst z.B. galt vor nur zwei Jahren nach seiner Entlassung als OffCoord in Cleveland als Schrottware – aber wenn er in Minnesota mit welchem QB auch immer (Bradford, Bridgewater und Keenum sind alle Free Agents) einen ähnlichen Job macht wie als Part des Eagles-Stabs mit Wentz und Foles, ist er 2019 ein Head Coach.


Einen ähnlichen Weg wie DeFilippo geht by the way auch Rams-OffCoord Matt LaFleur, erst letzte Woche bei den Titans zum OffCoord bestellt. LaFleur macht auf dem Papier keinen Sprung nach vorn, wenn er seinen OC-Job in Los Angeles aufgibt für den OC-Job in Tennessee. Aber er kriegt wie DeFilippo volle Kontrolle über die Offense und die Chance, selbst das Game-Planning und Play-Calling zu übernehmen um sich für höhere Aufgaben zu beweisen.

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7 Kommentare zu “Frank Reich und andere unpünktliche Anstellungen

  1. Als HC muss man doch nicht den Gameplan und das Playcalling übernehmen, sondern kann das auch dem OC übergeben.
    Wäre zwar etwas ungewöhnlich, aber was ist das in der NFL nicht.
    Und die schon vorhandenen Coaches könnten ihm mehr Zeit geben, wenn er keinen Erfolg hat. Erstmal die entlassen, dann seine Favoriten einstellen und erst danach selbst in Gefahr kommen.

    Ich Frage mich nebenbei wer die Plays für die Special Teams called. Der ST-Coordinator bzw. der HC wenn er diesen Background hat?

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