Von der Psychologie des NFL-Coaches im 2nd Down

Letzte Woche hatte ich das Play-Calling der Coaches im 1st Down & 10 unter die Lupe genommen und festgestellt, dass sie insgesamt zu lauflastig unterwegs sind. Heute dran: 2nd Down Play-Calling.

Wieder schauen wir uns nur das Play-Calling in der 1ten Halbzeit an, da wir unabhängig von eventuellem Bias Richtung Spielstand (der natürlich in der 2ten Halbzeit immer eklatanter wird) checken wollen, wie Coaches ihr Play-Calling anlegen. Wir hatten in 2016 und 2017 inklusive Playoffs 11.176 2nd Downs in der ersten Halbzeit.

58.6% dieser Play-Calls waren Passspielzüge – das geht als insgesamt „pass-lastig“ durch, wobei die Success-Rate für Lauf (45.3%) und Pass (45.5%) mehr oder weniger identisch ist. Doch diese allgemeine Sicht greift noch etwas zu kurz, da das 2nd Down im Unterschied zum 1st Down (wo 1st & 10 dominiert) ganz viele verschiedene Spielsituationen zusammenfasst. Wir müssen das 2nd Down daher in die verschiedenen Distanzen („distance to go“) aufsplitten um zu sehen, ob und wo Coaches vernünftig, und wo sie unvernünftig, entscheiden.

Übersicht

Daher splitte ich hier der Übersicht halber mal die verschiedenen 2nd-Down Situation en detail auf (Pass Rate = % Häufigkeit von Passspiel, Delta SR% = Differenz zwischen Success-Rate Pass und Success-Rate Lauf, negativer Wert bedeutet: Pass ist weniger effizient als Lauf):

2nd Down - Yard für Yard

Doch eine Gruppierung Yard für Yard ist recht anfällig gegen Rundungsfehler. Fassen wir das Down in minimal größere Einheiten mit jeweils aus 2 Yards gebündelten Positionen zusammen:

2nd & short: 2nd & 1-2
2nd & middle: 2nd & 3-4, 2nd & 5-6
2nd & middle/lang: 2nd & 7-8
2nd & lang: 2nd & 9-10, 2nd & 11+

2nd Down - Yard Bündel

Was können wir aus diesen Informationen schließen?

2nd & short

2nd & 1-2 Yards (2nd & short): Laufspiel hat eine 70%-Erfolgsquote in dieser Situation. NFL-Coaches sagen in 67% der Fälle auch entsprechend Laufspiel an, also doppelt so oft wie Passspiel – eine richtige Entscheidung, selbst vor dem Hintergrund eines recht erfolgreichen Passspiels (54% SR).

Als langjähriger Madden-Spieler habe ich John Maddens Worte zu 2nd & kurz noch im Ohr „it is great because on 2nd & short everything in playbook is an option“ –  und Madden meinte damit: take a deep shot. Nimm den tiefen Wurf. Denn funktioniert er – fantastisch. Schlägt er fehl, ist immer noch eine 3rd-und-„managable“ Situation mit recht hoher Erfolgschance.

Splitten wir die 32% der Situation, in denen Passspiel gecallt wird auf, sehen wir:

  • Tiefe Bomben in 15% der Pass-Situationen. 42% Success-Rate bei tiefen Bomben im 2nd & short – und in diesem Sample sind die Plays, die in Sacks enden, noch nichtmal einbezogen (weil sie nicht erfasst werden können)! Das heißt: In mindestens 58% der Fälle landen wir dann bei 3rd und short. Was in diesen Situationen abgeht, sehen wir nächste Woche.
  • 85% der Pässe sind Kurzpass-Anspiele. Diese Pässe haben immerhin 61% Erfolgsquote (Sacks nicht eingerechnet) – starke Quote, aber nicht so erfolgreich wie Laufspiel.

Fazit: Im 2nd & short ist Laufspiel die präferierte Option und wird mit 67% Lauf-Quote auch richtigerweise von Coaches klar bevorzugt. Ehrlicherweise sollten Coaches vielleicht noch stärker auf Laufspiel setzen!

2nd & middle / middle-lang

2nd & 3-4 Yards:  Play-Calling ist mit 48% Pass-Quote relativ balanciert in dieser Situation. Laufspiel bringt mit 61% Success-Rate einen um 5% höheren Wert als der Pass.

2nd & 5-6 Yards: Coaches callen in dieser Situation bereits 55% Pass, auch wenn der Pass nur 1% höhere Success-Rate bringt.

2nd & 7-8 Yards: Coaches callen in dieser Situation fast doppelt so häufig Pass als Lauf (67%), bei 7.6% höherer Erfolgsquote. Es riecht danach, als auch hier etwas zu oft Pass gecallt wird!

Rundungsfehler und Zufall sind Störer, wenn wir die einzelnen Distanzen anschauen, aber wenn wir uns das 2nd Down zwischen 3 und 8 Yards anschauen, sehen wir ziemlich genau die Trennlinie, ab der Pass-Spiel sowohl in Play-Calling Quote als auch in Success-Rate (SR) die überhandnimmt:

  • 3 Yards: -11% SR für das Passspiel, 46% Pass-Quote
  • 4 Yards: ausgeglichene SR, ausgeglichenes Play-Calling
  • 5 Yards: -4% SR für das Passspiel, 55% Pass-Quote
  • 6 Yards: +5% SR für das Passspiel, 55% Pass-Quote
  • 7 Yards: +6% SR für das Passspiel, 63% Pass-Quote
  • 8 Yards: +9% SR für das Passspiel, 69% Pass-Quote

Fazit: Ab 4 Yards Distanz sollten Coaches bevorzugt den Pass ansagen – und sie tun es. Bei 2nd & 7 sowie 2nd & 8 vielleicht sogar zu oft, aber die Tendenz stimmt. 2nd & 3 sollte hingegen noch stärker als Running-Down verstanden werden: Eine Lauf-Quote von 54% Runs bei 11% besserer Success-Rate ist zu niedrig.

2nd & long

2nd & 9-10 Yards: Die Situation, die mit 30% der Situationen den Löwenanteil vom 2nd-Down ausmacht. Coaches callen in dieser Situation öfter Pass als Lauf (60:40 Ratio), bei nun allerdings 16% höherer Erfolgsquote. Laufspiel bringt in dieser Situation trotz „Überraschungseffekt“ bereits nur noch 30% Erfolgsquote – d.h. zwei von drei Laufspielzügen bringen eine Verschlechterung der Situation für die Mannschaft. Wir werden gleich darauf zurückkommen, aber vorab schonmal: Coaches sind in dieser Situation zu konservativ! Sie sollten häufiger werfen.

2nd & 11+ Yards (2nd & long): Coaches werden in dieser Situation extrem passlastig: 74% der Situationen werden mit Passspiel gelöst – eine gute Entscheidung, denn obwohl auch der Pass in dieser Situation nur 30% Erfolgsquote hat, ist das noch immer 10% bessere Chance als Lauf. Oder anders: Während rund 2 von 3 Pässen im Misserfolg landen, sind es 4 von 5 Läufen!

Psychologie des Coaches im 2nd & 10

Eine Auffälligkeit im Play-Calling ist aber das 2nd & 10, auch oben rot markiert in der Grafik. In diese Situation gelangen Teams häufig durch einen Incomplete-Pass im 1st Down. Coaches sind in just dieser Situation auffällig lauflastig unterwegs:

  • 2nd & 8: 69% Pass-Quote
  • 2nd & 9: 69% Pass-Quote
  • 2nd & 10: 58% Pass-Quote
  • 2nd & 11+: 73% Pass-Quote

Zwischen 10% und 15% niedrigere Pass-Quote als in vergleichbaren Situationen mit 9 oder 11 und mehr Yards bei jeweils 10-15% besserer Success-Rate! Kann es sein, dass hier psychologische Faktoren das Play-Calling unterwandern und Coaches schon allein wegen des Misserfolgs im Passspiel im 1st Down auf Laufspiel switchen? Ich trau mich nicht, schon wieder zu werfen und so. Fakt wäre: Passpiel ist in 2nd & 10 mit 45% Erfolgsquote bei 2nd&10 wesentlich erfolgreicher als Laufspiel (30%).

Fazit: Bis auf die psychologische Bremse im 2nd & 10 sind Coaches auf der richtigen Spur. Passspiel ist im 2nd & lang die richtige Option.

Zusammenfassung

Rückblende auf die einleitenden Absätze: Ohne Berücksichtigung auf die einzelnen Distanzen ist die NFL im 2nd Down zu insgesamt passlastig: 58% Pass-Quote bei jeweils 45% Success-Rate für Lauf und Pass (edit) sehen wie eine optimale Verteilung aus (/edit). Splitten wir das 2nd Down auf, so sehen wir, dass Coaches vor allem auf kurzen Distanzen zu viel werfen. Auf längeren Distanzen ist das Play-Calling der Coaches gerechtfertigt.

So bleibt als Folgerung: Das Play-Calling der Coaches in 2nd-Down Situationen ist, obwohl natürlich an einigen Stellen optimierbar, wesentlich besser als im 1st Down. Die offensichtlichsten Optimierungsmöglichkeiten sind folgende:

  • Coaches sollten im 2nd & short (bis 2 Yards) noch konsequenter laufen um nicht in die Drucksituation eines 3rd Downs zu kommen.
  • In 2nd & middle (3-6 Yards) machen Coaches vieles richtig. Ab ca. 4-5 Yards Distanz ist der Breaking-Point zwischen Success-Rate und Play-Calling, und Coaches callen vertretbare bis exzellente Ratios. Im 2nd & 3 sollte tendenziell noch mehr gelaufen werden.
  • In 2nd & middle/lang (7-8 Yards) Yards ist Passspiel bereits die klar bessere Option als Laufspiel – aber vermutlich nicht zu einem Grad, der eine 2:1 Pass/Run Ratio rechtfertigt.
  • In 2nd & lang (2nd & 9 aufwärts) sind wir in Territorium, wo der Pass eindeutig erfolgreicher ist – die Differenz in der Erfolgsquote beträgt 10% und mehr! Coaches tragen dem mit hoher Pass-Quote Rechnung, aber sie sind auffällig konservativ im 2nd & 10.
  • Im 2nd & 10 sollten Coaches ihre Versagensängste ablegen und entsprechend der Erfolgsquoten-Verteilung, trotz einer Incompletion im 1st Down, noch häufiger als 58% Passspiel ansagen!

Als generelle Faustregel kann man aufstellen:

  • 2nd Down ist ein Running-Down bis 3 Yards to go.
  • 2nd Down ist ein Passing-Down ab 4 Yards to go, mit klarer Dominanz für den Pass erst ab 9 Yards.

Next Up: Eine Studie der 3rd Downs, dem Down, das in der NFL als Passing-Down („3rd Down Back“, „Money-Down“ usw.) bekannt ist. Ich kann vorwegnehmen, dass es dann mit dem Loblied auf die Coaches ein Ende hat.

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11 Kommentare zu “Von der Psychologie des NFL-Coaches im 2nd Down

  1. Was interessant ist: Die Ratios haben sich in den letzten 10 Jahren stark Richtung Pass entwickelt. Vor 10 Jahren waren die Ratios noch so:
    &1: 21% Pass
    &2-3: 29%
    &4-6: 45%
    &7-9: 63%
    &10: 48% (sic)
    &over10: 72%

    Die Anomalie im 2nd&10 ist nichts Neues. Coaches versuchen auf Teufel komm raus unpredictable zu sein, aber statt wirklich ZUFÄLLIG zu sein, sind sie wie die meisten Menschen vor allem ALTERNIEREND. Incomplete Pass, also nächster Versuch RUN. Unter der Prämisse enttäuschend, dass Defenses nicht erfolgreicher vs Lauf arbeitet, da Coaches eigentlich verstehen müssten dass die Offense auf Run ausgerichtet ist. Aber auch verständlicher die gleiche Wirksamkeit vom Passing Game bei 2nd&10 wie bei 2nd&7. Die Offense hat es gegen run based Defense einfacher.

    PS Bin schon gespannt auf die 3rd Down Analyse. Ich kenne die Zahlen von einer Analyse 2009, für mich damals überraschend lehrreich. Bis jetzt hat sich das Play Calling zwar Richtung Pass entwickelt, aber noch nicht genug!

  2. @Karl: Guter Punkt mit der „Ausrechenbarkeit“!

    Erinnert mich an Dan Kahneman und sein Beispiel „welche dieser vier Serien ist am wahrscheinlichsten“?

    1) BBBGGG
    2) GGGBBB
    3) BGGBGB
    4) BGBGBG

    Und die Intuition des Menschen sagt sofort 3). Was nicht stimmt, da es unabhängige Events sind – wie Lauf und Pass. Alle vier Optionen sind gleich wahrscheinlich. Unberechenbarkeit wird in der NFL (natürlich nicht nur dort) gern falsch verstanden.

  3. Pingback: Play-Calling und die NFL: 3rd Down – Das Money-Down | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

  4. Ich habe es nicht mehr ganz im Kopf; aber war nicht einmal irgendwo zu lesen, dass das Ziel ein Gleichgewicht der Erfolgsaussichten sei?
    So dass bei 45% erfolgswahrscheinlichkeit bei 58% pass das Optimum herrscht- da bei weniger Pässen die erfolgswahrscheinlichkeit des Runs sänke?

  5. bezog mich aufs Nash Gleichgewicht – würde mich über eine Antwort sehr freuen,,,

  6. Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage richtig verstehe.

    Das Nash-Gleichgewicht kommt aus der Spieltheorie und betrifft Nullsummenspiele – Football ist mit Offense vs Defense dafür qualifiziert. Das Nash-Gleichgewicht ist der Strategie-Mix, bei der der Gegner, selbst wenn er die Strategie des Gegners kennt, nichts gewinnen kann, wenn er seine eigene Strategie wechselt.

    Heißt: Die Offense hat mit Lauf und Pass exakt gleich viel Erfolg. Erst dann ist die Offense „nicht mehr ausrechenbar“, weil sie immer die optimale Wahl trifft.

    Ob man „Erfolg“ nun nach SR% oder EPA (das etwas mehr in Betracht zieht als Erfolg oder nicht) definiert, steht auf einem anderen Blatt Papier.
    SR% ist auf alle Fälle eine simple, leicht verständliche Einsteiger-Metrik – auch wenn sie natürlich Schwächen hat: Sie missachtet z.B. die Explosivität eines Plays. Potenzielle weitere Faktoren wie „ich möchte auf keinen Fall mehr einen Turnover mit meiner 3-Punkte Führung riskieren“ versuchte ich bereits durch meine Fokussierung auf die 1te Halbzeit zu eliminieren.

    In unserem Fall sollte die dominierende Strategie (Run oder Pass) so häufig eingesetzt werden, dass die Defense nachziehen muss und irgendwann ein Gleichgewicht der Erfolgschance herrscht.
    Beispiel 2nd & 10: Der Pass ist mit 45% Erfolgsquote viel erfolgreicher als der Lauf (29%), also sollten Coaches verstärkt werfen, damit die Defense sich noch stärker in Dime-Formationen udgl. aufstellt und die Erfolgschancen im Laufspiel gegen diese soften Defenses steigt. Fest steht: Die Quote von 58% ist zu gering. 70% oder höhere Pass-Rate wäre vertretbar – erst dann ist die Offense „nicht ausrechenbar“, da sie für alle Optionen ideale, weil gleiche, Erfolgschance hat. Aktuell ist sie es, denn Defenses wissen, dass die Offense zu häufig läuft.

  7. Ganz vielen Dank für die ausführliche Antwort.
    Mir ging es um den Absatz Zusammenfassung:
    „Ohne Berücksichtigung auf die einzelnen Distanzen ist die NFL im 2nd Down zu passlastig: 58% Pass-Quote bei jeweils 45% Success-Rate für Lauf und Pass.“
    Und hier habe ich entweder einen Denkfehler und habe etwas noch nicht verstanden, oder dir ist ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen – denn die Offense trifft immer die richtige Entscheidung.

    Dass das nur der oberflächliche Blick ist und gesplittet nach down und Distanz kein Optimum mehr erreicht wird ist klar.

  8. Danke, jetzt verstehe ich. Hervorragend beobachtet, so wie der Satz formuliert ist, wird er missverstanden. Ich habe ihn nun umformuliert:

    Ohne Berücksichtigung auf die einzelnen Distanzen ist die NFL im 2nd Down insgesamt passlastig: 58% Pass-Quote bei jeweils 45% Success-Rate für Lauf und Pass sehen wie eine optimale Verteilung aus.

    Will sagen: Über alle Spielsituationen hinweg ist die Verteilung eigentlich in Ordnung, aber 2nd & short ist nicht wirklich mit 2nd & 13 vergleichbar. Und im Detail schlummern durchaus Potenziale, wenn auch nicht so gewaltige wie im 1st und 3rd Down.

  9. Pingback: NFL Play-Calling in der Nussschale | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

  10. Pingback: NFL Play-Caller Report 2018: 1st & 10 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

  11. Pingback: Analytics-Twitter und die Datenrevolution in der NFL | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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