New England Patriots in der Sezierstunde

Die New England Patriots verpassten im Februar mit einer knappen Superbowl-Niederlage gegen die Philadelphia Eagles die Chance auf den sechsten Titelgewinn und nähern sich nun dem Ende der grandiosen Ära Belichick / Brady. Kann man noch einmal das Horn in die Hand nehmen und zum letzten Halali blasen?

Personeller Umbau

Auf die Superbowl 2018 folgte personeller Aderlass im Spielerkader: LT Solder, Backup-OT Fleming, WR Amendola, RB Dion Lewis und CB Malcolm Butler verließen die Verein aus Salary-Cap Gründen als Free Agents, WR Cooks wurde für einen 1st Round Pick nach Los Angeles verkauft. Dazu traten Oldies wie LB Harrison, LB Davis oder TE Bennett in den Ruhestand.

Aber: TE Gronkowski scheint nun doch noch zumindest ein Jahr anhängen zu wollen. Und die Querelen um QB Tom Brady scheinen ad acta gelegt zu sein.

Die Verluste beschränkten sich nicht nur auf den Spielerkader, sondern auch auf den Trainerstab, wenn auch weniger schlimm als ursprünglich befürchtet: Denn während DefCoord Patricia als neuer Cheftrainer nach Detroit wechselte, konnte man OffCoord Josh McDaniels mit einer gewaltigen Gehaltsaufbesserung im allerletzten Moment davon abhalten, in Indianapolis zu unterschreiben.

McDaniels mag als Chefcoach eine Fehlbesetzung sein, aber im Patriots-System ist er als Sidekick Belichicks und Vertrauter Bradys eine schwer zu ersetzende Figur. Kein Zufall, dass man ihn nun besser bezahlt als andere Teams ihre Headcoaches.

Die Neuen

Teure Einkäufe waren dieses Jahr nicht drin. Die Verstärkungen waren wie so oft in Foxboro nur punktueller Natur: DE Clayborn für 6 Mio/Jahr aus Atlanta, RB Jeremy Hill aus Cincinnati, TE Niklas aus Arizona, WR Jordan Matthews aus Buffalo und OT Tobin als Backup aus Seattle sind die wesentlichsten Free Agents, der Run-Stopper DT Danny Shelton (für einen 5th Rounder aus Cleveland), OT Trent Brown (aus San Francisco) Return-Spezialist Cordarrelle Patterson (aus Oakland) kamen via Trades.

Im Draft fokussierte man sich nicht auf die Einstellung eines künftigen Brady-Nachfolger, sondern auf das Auffüllen zweier wesentlicher Kaderlücken sowie der Runningback-Position:

  • Offensive Line: In Runde 1 holte man an #23 OL Isaiah Wynn, der sowohl auf Tackle als auch Guard auflaufen kann. OT Brown kam am Draft-Day via Trade mit den 49ers hinzu.
  • Cornerback: Duke Dawson in Runde 2 als Butler-Ersatzmann. Dawson ist von der Anlage kein CB1, aber den braucht New England mit CB Gilmore im Roster auch nicht. Dawson ist eher eine Ergänzung in der Tiefe, der WR2 und Slot-WRs bewachen kann.
  • Runningback: Der interessanteste Draft-Move war die Einberufung von RB Sony Michel mit dem zweiten 1st-Round Pick an #31. Ein wertvoller Pick für eine wertlose Position? Das, nachdem man kurz zuvor mit Burkhead und Bolden verlängert hatte?

Ausblick auf die Offense

Michels Einberufung passt insofern ins Bild, als dass die Patriots gerade versuchen, unabhängiger von Brady zu werden. Brady ist zwar amtierender NFL-MVP, aber mit 41 Jahren (so alt wird Brady zu Saisonstart sein) ist er der NFL-Methusalem. Die Liste der Quarterbacks, die in dem Alter überhaupt noch mehr als 10 Touchdowns geworfen haben, ist kurz:

  • Warren Moon (36)
  • Vinny Testaverde (17)
  • Brett Favre (11)

Favre hatte mit 40 Jahren (2009 im Trikot der Vikings) noch die Saison seines Lebens gespielt. Ein Jahr später war er K.O. Ähnlich erging es Bradys größtem sportlichen Rivalen, Peyton Manning: 2013 mit 37 noch alle Rekorde gebrochen, zwei Jahre der mutmaßlich schlechteste Quarterback der Liga. Der Kollaps kommt schnell – selbst für die besten von ihnen.

Fazit: So mental die Quarterback-Position ist, so wesentlich sind letztlich auch die körperlichen Grundeigenschaften, wie Favre und Manning, zwei der besten Quarterbacks – und zwei der härtesten Knochen – aller Zeiten erfahren mussten. Brady bewegt sich mit 41 auf Terrain, auf dem sich wenige überhaupt noch versuchten. Würden sich die Patriots nicht auf einen Leistungsabfall Bradys vorbereiten, wären sie fahrlässig. Sie können sich vielmehr glücklich schätzen, wenn Brady nicht völlig einbricht.


Was Hoffnung macht, ist das „System Patriots“, das sich mit McDaniels und Brady als außerordentlich wandelbar erwiesen hat. Man ist weniger abhängig von Wunder-Würfen à la Favre oder Manning, kann Hurry-Up oder Huddle spielen, Kurzpass oder tiefen Ball. Die Variationen sind schier unendlich – mit Sicherheit sind einige Kniffe dabei, die Bradys Alterserscheinungen kaschieren oder minimieren.

Solders Abgang schwächt die Offense Line, den wichtigsten deep threat Cooks hatte man bereits im Vorfeld verkauft – man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die Offense 2018 eine Abkehr von langen Bällen sehen wird, sozusagen als back to the roots zu Kurzpassgewichse galore mit Verteilung auf zig wuselige Receiver (Edelman kehrt zurück!), Monster-TE Gronkowski und die gewohnte Latte an fangstarken Runningbacks.

Michels Profil des antrittsstarken Backs mit guten Händen deutet zudem darauf hin, dass man verstärkt auf Power-Running setzen wird um Spiele in die Länge zu ziehen und eine angeschlagene Defense vor erneutem Einbrüchen zu schützen. Zudem wird man versuchen, mehr Passspiel über die Mitte aufzuziehen.

Die Frage, die aber erlaubt sein muss: Musste man dafür einen teuren Draftpick vergeuden, den man hätte in die Konsolidierung der zuletzt so saftlosen Defense stecken können? Oder war einfach zu wenig „Value“ übrig, nachdem den Patriots DT Bryan und CB Hughes vor der Nase weggeschnappt wurden? Hatten die Patriots überhaupt je Interesse an den beiden oder war Michel mit einer klaren Idee vom Spielsystem von vorneherein die präferierte Option?

Ausblick auf die Defense

Festzuhalten bleibt: Ein Interesse der Patriots an personeller Verstärkung der Defense sollte in jedem Fall bestanden haben. Denn 2017 stellte New England lange Zeit eine absurd schwache Defense, die erst ab Mitte der Saison die rote Laterne abgab. Super Bowl 52 war am Ende der Tiefpunkt – die Patriots verpassten den Titelgewinn trotz über 600 Yards Offense, obwohl man nie punten musste und obwohl der Gegner mit Backup-QB auflief.

Die Probleme waren breit gestreut: Eine Run-Defense, die nie Zugriff auf den Gegner hatte (#31 nach Adjusted-Line Yards). Ein Passrush mit 7.1% Sack-Rate, aber 38% davon waren Coverage-Sacks – nur ein Team hatte eine höhere Ratio. Philadelphia vs New England war „heiße Messer durch die Butter“. Und nun muss man in CB Butler und LB Harrison wesentliche Abgänge verschmerzen (Butler z.B. hatte bis zur Superbowl 98% der Snaps gespielt).

Mehr noch: Auch DefCoord Patricia, anerkannter Meister der Adjustments, verließ die Franchise und wird neuer Headcoach in Detroit. Belichick nominierte zumindest nach außen keinen Nachfolger. Man geht davon aus, dass LB-Coach Brian Flores in aller Ruhe zum kommenden DefCoord aufgebaut wird, ohne Druck nach außen, in offizieller Mission liefern zu müssen. Strategiepapst wird sowieso Belichick bleiben.

Am allgemeinen Approach wird sich wenig ändern: Flexible Defense, darauf ausgerichtet, die Big Plays zu verhindern. Gegnerische Offense dazu zwingen, in vielen Plays stets kleine Raumgewinne mitzunehmen und dabei keine Fehler machen um mit dem Tempo mitzugehen, das die Patriots-Offense vorlegt.

Eine wesentliche Verstärkung für die Lauf-Defense DT Shelton, mit dem man aber offensichtlich vorerst nicht über 2018 hinaus plant (man zog die 5th-Year Option nicht). Shelton ist keine Pass-Rush Präsenz, stopft aber Löcher gegen Läufe über die Mitte. Interessant in dem Zug: Man zog auch die 5th-Year Option des „eigenen“ einstigen 1st Rounders, DT Malcom Brown, nicht. Plant man bereits mit dessen Abgang nach 2018 – oder vertraut man auf den kollabierten Markt für Defensive Tackles, wo sogar Superstars wie Suh nur noch Hungerlöhne bekommen? Dass Brown vielleicht nächstes Jahr für lau in New England verlängern muss?

Im Pass Rush holte man DE Clayborn, dessen Sack-Zahl 2017 (10 Stück) massiv geschönt wurde von einem isolierten Ausreißerspiel (6 Sacks gegen den Backup-OT der Dallas Cowboys), aber ein Clayborn ist schon mehr als alles, was man 2017 hatte. Und mit 42 QB-Pressures war er zumindest nicht von ganz schlechten Eltern. Dazu kehrt der exzellente Blitzer, LB Hightower, nach schwerer Verletzung zurück.

Im Defensive Backfield versucht man, Butlers Abgang mit dem Duo McCourty / Rookie Dawson aufzufangen. Theoretisch ist man auf CB1 mit Gilmore und auf Safety schon hervorragend besetzt – es wäre eine Überraschung, wenn die Patriots 2018 erneut die halbe Saison brauchen um in der Defense Fuß zu fassen.

Ausblick auf die Saison

Auf dem Blatt bleibt New England schon allein durch die Aura der Combo Belichick/Brady ein Contender in der schwächelnden AFC. Vielleicht Pittsburgh und die Chargers sind besser besetzt, und der Spielplan ist günstig (Chiefs, Packers, Vikings zuhause). Falls alle Stricke reißen, hat die AFC East mit Jets, Bills und Dolphins drei Streichkandidaten, die New England qua Schwäche in die Post Season hieven.

Aber darüber hinaus hängt vieles an Brady: Hält er mit 41 wider aller historischen Erkenntnisse seinen Level, ist die Superbowl für New England wieder drin. Aber fällt Brady vom Sockel, ist nicht sicher, ob New England den Support-Cast und die Defense hat um den Qualitätsverlust aufzufangen. Schon allein deshalb sind die Patriots für den kommenden Herbst wieder eine der spannenden Geschichten.

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10 Kommentare zu “New England Patriots in der Sezierstunde

  1. Nachdem man ja einige Jahre interessante QB-Prospects hatte, die Herrn Bündchen nachfolgen hätten können (e.g. JimmyG, Ryan Mallett, Jacoby Brissett) scheint man nun selbigen ruhig halten zu wollen. Nach den angeblichen internen Querelen letzte Saison scheint das vernünftig zu sein und sobald der Einbruch kommt muss man halt dann einen harten Schnitt machen. Das muss (und wird) dann auch TB12 einsehen.

  2. Kann sein, dass Brady im Vergleich zu Favre und Peyton nicht wegen TB12 länger durchhält, sondern wegen des Offense Stils. Favre und Peyton waren eher als Gunslinger bzw. Execution Based QBs mehr abhängig von „sich selber“ als Brady, wo doch das ganze Spielsystem über allem steht und grob gesagt der QB _in erster Linie_ eine mentale Position ist und erst in zweiter Linie der 100%ige Wurfarm benötigt wird? Will damit weder Peyton noch Favre noch Brady zu nahe treten und sicherlich kann man Brady nicht als System QB abstempeln, aber was ich ausdrücken möchte ist, dass zur „Brady Offense“ mehr OC/Coaching gehört wie zur Favre/Peyton Offense, die vllt. etwas mehr selbst agiert haben.

    Egal wie man es dreht, man muss aber schon anerkennen, dass Brady im Vergleich zu den anderen bereits jetzt länger durchgehalten hat und mit 40 noch MVP zu werden ist sowieso ohne Beispiel in der NFL. Bin echt gespannt, wann der Hammer fällt bei den Pats, aber ich traue ihnen auch zu, einen kaputten Brady ohne die ganz überragende Defense in die Playoffs durchzuschleifen.

  3. Vermutlich eine Kombination aus mehreren Faktoren:

    – Brady scheint Wettkampftyp durch und durch zu sein, mehr als der Großteil – aber das waren Favre & Manning vermutlich auch.
    – Brady hält seinen Körper mit ungesehener Besessenheit fit (wo zumindest Favre eher ein Lebemann war)
    – annähernd Perfekte Synchronisation des Offense-System Patriots mit Bradys Stärken
    – Spieler halten generell länger durch als früher, als die medizinische Betreuung noch nicht so brillant war und eine schwere Verletzung das halbe Karriereende bedeuteten
    – Glück: Hatte seit dem Kreuzbandriss 2008 keine schwerere Verletzung mehr, was vor allem mit zunehmendem Alter ungewöhnlich ist.

    Vielleicht ist Brady auch ein Freak. Es hat immer wieder solche gegeben, z.B. hat ein Jerry Rice auf WR Jahre länger durchgehalten als seine Positionskollegen. Auch in anderen Sportarten: Im Hockey spielte Jagr mit 45 noch auf gutem bis sehr gutem Niveau. Federer ist mit 36 noch Top-3 im Tennis.

  4. Mich würde gern mal deine Sezierstunde über die 49ers interessieren.

    Und ja, Brady ist ein Freak im positiven Sinne. Jedoch bei Spielentscheidenden Situationen oder gar bei Spiel-Entscheidungen außerhalb des Callings kein wirklicher MVP – Zumindest nicht ohne seine Offense, die ihm mehr Zeit gibt als allen anderen QBs in der Liga.

  5. Was mich ein Stückweit an Brady glauben lässt, ist, dass er Druck spürt und den Ball lieber einmal mehr wegwirft als Interception oder üblen Sack zu riskieren.
    Wenn er theoretisch keinen einzigen Hit kassiert, wäre die körperliche Komponente gar nicht so schwerwiegend. Meiner Meinung nach hängt es also zum guten Teil an der O-line. Wenn die ihn gut protecten, wird er nicht plötzlich Bälle in den Oberrang statt zum offenen Gronk werfen.

  6. Breaking:

  7. bzgl. der Strafe wegen eines möglichen Dopingvergehen würde mich interessieren, weshalb die NFL mit Sündern nur so lasch umgeht (4 Spiele) und die Täter nicht für zwei Jahre, wie in anderen Sportarten, aus dem Verkehr zieht?

  8. Die NFL ist nicht an die WADA / USADA gebunden. Sie verhandelt ihre Dopingstrafen im Kollektivvertrag (CBA) mit der Spielergewerkschaft NFLPA.

    Die NFLPA gilt als hauptverantwortliche Stimme gegen höhere Dopingstrafen, da die Sperren ohne Bezahlung ausgesetzt werden.

  9. Die Patriots schauen sich Hackenberg an? Der von Jets und Raiders abgesägt wurde? Entweder sind die Pats sehr verzweifelt oder sie sehen mal wieder was, was andere Teams nicht sehen. Das wäre echt ein Hammer…

  10. Pingback: Das waren die Sezierstunden 2018 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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