San Francisco 49ers in der Sezierstunde

Die Saison der 49ers wird gemeinhin in zwei Hälften unterteilt: Einmal der 1-11 Start, dann der 5-0 Abschluss. Machte in Summe ein 6-10, das für fast schon ungesunden Optimismus sorgt. Von Kyle Shanahan und seiner Mannschaft wird zur Saison 2018 die Playoff-Qualifikation erwartet.

Als Hauptgrund für den Turnaround machte man die Offense aus. Gestartet leblos unter Quarterbacks wie Hoyer oder Beathart, wechselte Shanahan ab Woche 13 schließlich den für billige Kohle (2nd Rounder) aus New England gekauften QB Jimmy Garroppolo ein, unter dessen Führung der Angriff zu einem der effizientesten in der NFL mutierte (pre Garroppolo: 5.2 NY/A vs. Garroppolo mit 8.1 NY/A).

Wie äußert sich die Verbesserung der 49ers-Offense unter Garroppolo?

Am besten, indem wir die Effizienz des Passspiels vor uns nach Garroppolos Einwechslung (ab Woche 13) miteinander vergleichen. Wir schauen uns die Verteilung der Pässe mit und ohne Garroppolo an und gleichen dann die Success-Rates ab:

Garroppolo 2017

Neben dem Fakt, dass Garroppolo etwas häufiger tief ging, stechen vor allem zwei Dinge sofort ins Auge:

  • Garroppolo warf bedeutend mehr über die Mitte (31% seiner Passversuche gingen über die Mitte, seine Vorgänger warfen nur in 20% der Fälle dorthin)
  • Und vor allem war Garroppolos Effizienz auf den kurzen Distanzen um Welten besser als jene der Kollegen: Verbesserungen von 15% bis 24% in der Effizienz sind für NFL-Verhältnisse unglaubliche Upgrades.

Die Offense mutierte als Totale auf den kurzen Distanzen von deutlich unterdurchschnittlich zu Top-3. Und das quasi über Nacht – über jene Nacht, in der Shanahan entschied, Garroppolo einzuwechseln.

Was auch positiv auffällt: Garroppolo ist ein mutiger Quarterback in 3rd Downs: In nur 33% der Versuche wirft er den Ball hinter die Line of Scrimmage (NFL-Schnitt: 60%). Damit ist Garroppolo der 6t-aggressivste Quarterback im kritischen 3rd Down.

Aber die Gefahr lauert im Hinterzimmer: Es waren nur sechs Spiele, und Garroppolo war nicht gut in seinen tiefen Würfen. Kann er sich auf den längeren Routen verbessern? Ist Garroppolo eine Eintagsfliege oder kann er den Level halten? Das ist die entscheidende Frage. Wir haben 174 Passversuche an Evidenz, dass er die Pass-Offense auf ein völlig neues Level hieven konnte. Das ist nicht wenig, aber es ist auf der anderen Seite auch nur knapp 1/3 einer einzigen Saison.

Das 49ers-Front Office zögerte trotzdem nicht lange: Sie gaben dem einstigen Brady-Backup eine rekordträchtige 5-Jahres Vertragsverlängerung für rund 137 Mio und wetten damit auf ihren Jimmy als echten Franchise-QB. Also: Junge, kein Druck. Wir erwarten von dir nur Top-5 Leistung ab September.

Das Gute am Garroppolo-Vertrag: Die 49ers hatten viel Cap-Space und der Vertrag ist stark „front-geloaded“, sprich: Man kann sich den Vertrag leisten, und sollte Garroppolo sich doch noch als Flop erweisen, kommt man ohne katastrophale Langzeitauswirkungen ab 2020 aus dem Vertrag raus. Die Cap-Zahl von 39 Mio. für 2017 ist zwar die teuerste der NFL, aber 2019 und 2020 ist Garroppolo nur noch ein durchschnittlich teurer NFL-QB.

Doch ein Quarterback macht allein keine Offense, auch nicht jene von Kyle Shanahan. Der hat bekanntlich eine etwas eigene Vorstellung von Offense. So lässt Shanahan viel weniger als der NFL-Schnitt mit 3WR spielen: San Francisco trat in nur 50% der Offense-Snaps in 11-Personnel auf (NFL: 59%), dafür in 28% der Snaps mit Fullback, also zwei Runningbacks (NFL: 7%).

Ergo: Fokus war auch auf Verstärkung der Offensive Line und Runningback. So lauten dann auch die wichtigsten Neuzugänge OT Mike McGlinchey, den man mit dem 1st Rounder auf #9 draftete, C Weston Richburg und RB Jedrick McKinnon, der von den Vikings kam und nun der 3t-teuerste Runningback der NFL ist.

McGlinchey ersetzt den bisherigen RT Trent Brown. Er passt ganz gut in das Beuteschema Shanahans: Eher beweglicher Typ, nicht eindimensional im Pass-Blocking. Richburg wird der neue etatmäßige Center.

McKinnons Verpflichtung war umstritten wegen der Höhe der Vertragssumme. Sicher ist: McKinnon passt als Outside-Runner und guter Ballfänger viel besser in die 49ers-Offense als der Bulldozer Carlos Hyde, den man an Cleveland abgab. Doch ist McKinnon wirklich ein vollwertiger Back?

Verpflichtung unter dem Radar: WR Dante Pettis, ein fangstarker possession receiver, der im Draft auf #44 geholt wurde – viel höher als allgemein erwartet. Das passt allerdings ins Bild der sportlichen Leitung Shanahan/GM Lynch: Spieler werden tendenziell höher gedraftet als man ihnen qua Talent zugesagt hätte. So ging es letztes Jahr schon mit QB Beathard und RB Joe Williams (die beide floppten) – so war es auch heuer mit McGlinchey und Pettis.

Normalerweise ist das eine Strategie, die nicht lange gut geht. Die besonderen Umstände und die spezifischen Needs der Shanahan-Offense jedoch machen den einen oder anderen überbezahlten Move jedoch notwendig.

Ach – und: Letztes Jahr hatte San Francisco den schwersten Schedule, was gegnerische Defenses anging, vor allem Pass-Defenses. 2018 wird diesbezüglich ein einfacheres Jahr, auch weil die in-Division Defenses mit Seattle und Arizona vermutlich einen Schritt zurück machen werden. Die Chancen stehen also gar nicht so schlecht, dass man im zweiten Jahr unter Shanahan einen Schritt nach vorne machen kann.

Defense

Der insgesamt deutlich schwächere Mannschaftsteil der letzten Jahre, auch weil man z.B. 2017 extrem viele Verletzungen verkraften musste (Defense war #32 nach Adjusted Games Lost).

Die wesentlichste Addition ist der Einkauf von CB Richard Sherman („I’m the best corner in the game. He’s sorry receiver“) vom Erzrivalen Seattle. Sherman wurde für einen relativ team-freundlichen Vertrag (39 Mio für 3 Jahre) geholt, kommt aber von Achillessehnenverletzung zurück. Sherman war bis zu seinem Ausfall einer der besten Cornerbacks in der NFL – aber mit nun 30 Lenzen auf dem Buckel zweifeln viele, ob er noch einmal zu alter Form auflaufen kann.

Exzellent besetzt ist man in der Defensive Line mit drei ehemaligen, noch jungen 1st Roundern: Arik Armstead, DeForest Buckner und Solomon Thomas – alle drei brachten Leistung, doch noch ist nicht sicher, ob man alle drei behalten wird. Vor allem Armstead wird immer wieder als Trade-Kandidat genannt, weil für ihn in der 3-4 Defense von DefCoord Salah nicht ausreichend Snaps übrig bleiben.

Auf Linebacker draftete man an #70 Fred Warner von BYU in einem Vorsichts-Move, sollte der letztes Jahr erst geholte Star-LB Reuben Foster sich als nicht charakterfest für die NFL erweisen: Foster soll einen guten Einstand gehabt haben, wird aber immer wieder verhaltensauffällig, vor allem gegen Frauen (auch wenn sich die jüngsten Anschuldigungen seiner Freundin als haltlos erwiesen) und auf Partys mit weißem Schnupftabak.

Salah hatte letztes Jahr das Problem, dass die Defense zu häufig in Base-Personal 3-4 auflaufen musste und in nur 45% der Fälle Nickel spielen konnte. Dadurch war man zwar guter Durchschnitt gegen den Lauf, aber mit 6.6 NY/A gegen den Pass nur die #22. Insofern wird das Ziel eh eher sein, häufiger gegen 11-Personnel in Nickel-Defense auflaufen zu können um den Pass besser zu verteidigen. Man wird also eher einen fitten Sherman als einen mental gesunden Foster brauchen.

Ausblick

Die Rechnung ist einfach: Knüpft Garroppolo dort an, wo er aufgehört hat, sind die 49ers auch ohne absolutes Highend-Spielermaterial im NFC-Rennen vorne dabei. Doch es wäre eine gewagte Rechnung zu glauben, dass eine Handvoll brillanter Vorstellungen ausreichen um langfristige Schlüsse zu ziehen.

Selbst wenn sich Jimmy als „The Guy“ erweist und über 7 NY/A mit seiner Pass-Offense das Feld hinuntertreibt, bleibt immer noch ein schwieriger Weg zu gehen, bis man eine komplette Offense stellt und bis die Defense sich von #28 im Power-Ranking hochgearbeitet hat.

Das Potenzial ist da. Das Coaching scheint ebenso vorhanden zu sein. San Francisco hat den Kaderumbau schneller vorangetrieben als gedacht und im Idealfall seinen Traum-QB bereits im Kader. Die anstehende Saison ist trotzdem nicht ungefährlich: Die Erwartungen sind immens und der Reifeprozess nicht abgeschlossen. Im Regelfall kommt die Saison noch zu früh für diese Mannschaft – gerade in der happigen NFC.

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7 Kommentare zu “San Francisco 49ers in der Sezierstunde

  1. Danke für die Zusammenfassung!
    Der letzte Absatz deckt sich ziemlich genau mit meinen Erwartungen an die 49ers. Mit etwas Glück sind die PO in Reichweite, aber automatisch davon ausgehen darf man nicht.

    Bin aber auch schon sehr gespannt wie sehr dem Kader eine Offseason ohne große Veränderungen im Coaching Stuff gut tut…

  2. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dir bei der Defense nicht ein Fehler unterlaufen ist.

    Mit der Ankunft von Shanahan und Saleh haben die 49ers ihre Defense auf 4-3 umgestellt. Recht aber hast du, dass für Armstead da eher rotational Snaps bei herausspringen.

    Beim Fazit bin ich aber ganz bei dir. Besonders der fehlende Edge-Pressure dürfte die Defense doch mächtig zurückhalten, deshalb wird das Roster wohl noch eine Offseason brauchen.

  3. Ich kann dein Fazit ebenfalls teilen und denke, dass die Erwartungen der 49er Fans noch zu hoch sind.
    Ich denke die Truppe braucht mindestens noch ein Jahr mit weiteren Verstärkungen und das Team muss erstmal zusammenwachsen.
    Des Weiteren halte ich die Rams für zu stark in der Division, somit wären PO nur via Wildcard möglich, sehe ich aber noch nicht.

    Außerdem sollte man noch erwähnen, dass Jed York (Owner) endlich mal die Füße stillhält und den Trainerstab und GM arbeiten lässt.

  4. Es führt wahrscheinlich in diesem Rahmen zu weit, noch auf Garoppolos Wurfbewegung einzugehen, aber was ich da gesehen habe, sah absolut nicht nach einer Top-NFL QB Bewegung aus. Wenn er der Franchise-QB werden soll (was ich hoffe), dann muss er an dieser seltsamen footwork-freien Kraftbewegung feilen. Tut er es nicht, wird es schwer mit den tiefen Pässen und die Offense wird ausrechenbar…

  5. Sorry für die schlechte Qualität der Grafik. Habe sie nun ausgetauscht durch eine lesbarere Version – nun auch via Link in höherer Auflösung anklickbar.

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