Sezierstunde über die Indianapolis Colts als Analyse, was nach dem Horrorcoaching von 2017 nun besser wird.
Die Colts schlossen 2017 bekanntlich mit 4-12 Bilanz ab – die drittschlechteste Siegquote der Liga. Aber noch schlimmer: Indianapolis war nach meinem Power-Ranking dermaßen ineffizient, dass man noch hinter den sieglosen Browns als #32 abschloss – doch man muss auch betonen, dass Indianapolis trotz großem Verletzungspech (QB Luck fiel die ganze Saison aus, AGL in der Offense Line: #28, AGL Total: #25) insgesamt neun Halbzeitführungen und ebenso viele Führungen nach dem dritten Viertel (!) erspielte.
Abgesang auf den Coaching-Stab
Nur um dann im Schlussviertel in schöner Regelmäßigkeit einzubrechen. Einer der wesentlichsten Gründe dafür war das absurde Play-Calling von OffCoord Rob Chudzinski, der im Schlussviertel mit Führung im Rücken nur dann überhaupt noch warf, wenn seine Offense sich in 11-Personnel aufstellte. Oder anders: Indianapolis spielte 85 Snaps mit Führung im Schlussviertel und spielte dabei 35 Snaps nicht aus 11-Personnel. Dabei ließ Chudzinski ein einziges Mal werfen. Geworfen wurde nur noch in 11-Personnel – jener Formation, in der Indianapolis am ineffizientesten mit nur 38% Success-Rate war.
Und so war es letztlich unvermeidbar, dass das Colts-Management nach der Saison neben Chudzinski auch den langjährigen Head Coach Chuck Pagano feuerte. Pagano war seit Jahren ein ultrakonservativer Coach, der die Colts am Erreichen höherer Ziele hinderte. Und Pagano war neben dem schon vor einem Jahr geschassten GM des Grauens, Ryan Grigson, hauptverantwortlich dafür, dass Indianapolis die besten, weil billigsten, Jahre vom Franchise-QB Andrew Luck rücksichtslos versemmelte.
Ja eigentlich mehr: Man verschliss nicht nur Lucks goldene Jahre. Man verschliss auch Luck selbst. Der QB wurde pro Jahr über 120x von gegnerischen Passrushern in den Boden gerammt und niemand machte etwas dagegen. Das ist selbst angesichts der erhöhten Tendenz Lucks, Sacks zu kassieren (Luck hat 5.6% Sack-Quote, Vorgänger Manning lag bei rund 3%), sträflichstes Versagen von NFL-Verantwortlichen.
Hoffnungsschimmer aus Frank Reich
Jetzt kommt der Umbruch – und er kommt erstmal unabhängig von Luck, dessen Gesundheitszustand weiterhin in der Schwebe ist (wie schon letztes Jahr kein klares Committment, dass Luck in Woche 1 auf dem Platz stehen wird).
Der Umbruch kommt auch ohne den ursprünglich angepeilten Josh McDaniels, der seine verbale Zusage auf den Cheftrainersessel wenige Tage nach der Superbowl zurückzog. Was hätte als PR-Desaster für die gebeutelte Colts-Franchise enden können, wurde zum Sonnenuntergang dann doch noch gerettet, indem GM Chris Ballard einfach den nächsten Karnickel aus dem Hut zog: Frank Reich, gehypten Offensive Coordinator der Philadelphia Eagles.
Leser dieses Blogs wissen, dass ich fast jede Headcoach-Option gegenüber McDaniels favorisiere. Reich kommt ohne Ballast eines bereits einmal krachend Gescheiterten wie McDaniels. Und er kommt mit positiver Attitüde, hat in Philadelphia auch den Wert von Analytics zu schätzen gelernt. Er will gemeinsam mit OffCoord Nick Sirianni eine aggressivere Offense spielen lassen.
Dabei macht es natürlich einen Unterschied, ob man bei Luck oder dessen Backup Jacoby Brissett beginnt – aber unabhängig vom Ausgang der mittlerweile jahrelangen Verletzungssaga um das Kronjuwel auf QB war die Herangehensweise von Reich und Ballard klar: Stärke die Schützengräben.
Mehr Physis für die Line of Scrimmage
Das beginnt in der Offense, wo man Offensive Line in Runde 1 und 2 zog: OG Quenton Nelson, vielerorts als bestes Guard-Prospect seit Jahren betitelt, auf #6 und den physischen QB Braden Smith in Runde 2 auf #37. Selbst wenn dieses Duo die immensen Erwartungen nicht sofort erfüllen kann, ist es unwahrscheinlich, dass sie kein wesentliches Upgrade gegenüber ihren Vorgängern stellen.
Die Offense Line in Indianapolis liest sich damit nun von links nach rechts: LT Castonzo, LG Nelson, C Ryan Kelly (1st Rounder 2016, letztes Jahr verletzungsbedingt nur 394 Snaps), RG Smith, RT Haeg (spielte letzten Herbst 96% der Snaps). Dazu kam C Slausson als Backup. Das liest sich nicht mehr wie die potenziell schlechteste Offensive Line in der NFL.
Auch in der Defense fokussierte man sich auf die Anspiellinie und draftete gleich noch drei 2nd Rounder auf Defensive End und Linebacker:
- LB Darius Leonard auf #36
- DE Kemoko Turay auf #52
- DE Tyquan Lewis auf #64
Sie alle bringen unterschiedliche Skill-Sets mit: Leonard ist der Typus kleiner, schneller Linebacker vom Schlage eines Deion Jones. Er wird fast sicher schnell Stammspieler sein. Turay und Lewis sind keine reinrassigen Passrusher, sondern eher komplette Spielertypen. Turay gilt als technisch versiert genug um schon eine beträchtliche Snap-Zahl zu spielen und Lewis kann auch als Interior-Rusher eingesetzt werden.
Fix ist aber auch: Die Defense hat noch einen weiten Weg vor sich. Sie ist noch immer die billigste der NFL nach Salary-Cap Wert (52 Mio. Dollar) und hat eklatante Lücken auf Defensive Tackle und Cornerback.
Die Hoffnung wird in die Entwicklung junger Spieler wie dem 2017er 1st-Rounder FS Malik Hooker (2017 natürlich überwiegend verletzt, nur 410 Snaps) gesteckt, doch mit so vielen unbekannten Jungspunden, einem Rookie-DefCoord (Matt Eberflus, der noch von McDaniels angeheuert wurde) und einem offensiv denkenden Chefcoach sind viele Kinderkrankheiten zu erwarten.
Noch einmal zurück zur Offense
Deshalb bleibt die Offense der spannendere Teil. Reich wird philosophisch eine leichte Abkehr von 11-Personnel einläuten: Schon in Philadelphia war er bekannt dafür, viel mit seinen Runningbacks und Tight Ends zu machen (33% in 12 oder 13 Personnel), vor allem in der RedZone (sogar 40% der Snaps in 12 oder 13 Personnel).
In Indianapolis hat er in TE Jack Doyle einen Mann, der letztes Jahr seinen Breakout hatte und sich zur exzellenten Redzone-Waffe entwickelte. Dazu wurde TE Ebron aus Detroit eingekauft, der in lichten Momenten wie ein Top-5 Tight End aussieht. (Ebron war nie der konstanteste, aber ich habe seinen Abgang in Detroit nicht verstanden. Seine Effizienz außerhalb der Redzone war teilweise fantastisch.)
Reich wird also mehr 12 und 13 Personnel einstreuen. Damit wird natürlich mehr Verantwortung auf WR T.Y. Hilton als dem wesentlichen Go-To Guy auf Wide Receiver gelegt, der seinen Megavertrag nun bestätigen muss. Aber was bliebe Reich auch anderes übrig? Viel Qualität auf Wide Receiver hat er nicht. Er könnte wie Chudzinski stur an seiner Linie festhalten – aber er wird nicht. Ich würde nicht darauf wetten, dass es wieder 66% an 11-Personnel sein wird.
Was Reich ebenso forcieren wird: Mehr Aggressivität im Play-Calling. Unter Chudzinski lief Indy letztes Jahr in unfassbaren 59% der 1st&10 Situationen in der 1ten Halbzeit – viel düsterer geht nicht. Reich war in Philly mit 57% Pass-Quote hingegen der zweit-aggressivste Coach.
Ausblick
Natürlich wird es einen Unterschied machen, ob Reich ein gesunder QB Luck zur Verfügung steht oder eben nicht. Die Luck-Frage wird den größten Impact auf Erfolg oder Misserfolg der Colts-Saison haben – dafür ist Luck im Deep-Ball Game und in seiner optimistischen Spiel-DNA (Beispiel: Luck wirft in 3rd Downs im Schnitt 1.0 Yards über die Anspiellinie, #4 der Liga / Brissett warf im Schnitt 2.5 Yards zu kurz) ganz einfach ein zu großes Upgrade gegenüber Brissett.
Aber darüber hat Reich nur bedingte Handhabe. Die aktuelle Luck-Prognose klingt verhalten positiv – und wichtig: Indianapolis verzichtete im Draft auf einen hohen Quarterback-Pick. Man scheint also durchaus Vertrauen in die Heilung der Schulter zu haben.
Doch selbst wenn es wieder überwiegend Brissett wird, ist eines sichergestellt: Dass Indianapolis 2018 deutlich besser gecoacht sein wird als letztes Jahr. Die growing pains in der Defense sind vermutlich zu stark für einen echten Ansturm Richtung Playoffs, aber die Colts werden leistungsmäßig fast sicher nicht mehr das schwächste Team in der NFL sein.
Vielen Dank für die vielen tollen Artikel und besonders für das Live-Blogging während der Spiele. Ich möchte es echt nicht mehr missen und hoffe, dass das ab Herbst ordentlich mit Gamepass und deiner Internet-Leitung klappt.
(Im Absatz „Mehr Physis für die Line of Scrimmage“ hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen: „[…] und den physischen QB Braden Smith in Runde 2 auf #37.“ Braden Smith ist doch OG und nicht QB, oder?)
Hallo, Braden Smith ist Offensive guard und nicht QB. Gruss
Schöner Artikel, vielen Dank dafür.
Ich hätte allerdings ein paar Anmerkungen:
– „Der QB wurde pro Jahr über 120x von gegnerischen Passrushern in den Boden gerammt und niemand machte etwas dagegen.“ –> Streng genommen nicht richtig. Grigson hat ja sowohl FA verpflichtet als auch dann später Oline gedraftet. Dass er dabei fast nur Mist gebaut hat, stimmt allerdings 🙂
– Die Starting Oline würde Stand jetzt nach bisherigen Eindrücken ein bisschen anders aussehen, aber das ist Kaffeesatzleserei zum jetzigen Zeitpunkt
– „…hat er in TE Jack Doyle einen Mann, der letztes Jahr seinen Breakout hatte und sich zur exzellenten Redzone-Waffe entwickelte.“ –> Seinen Breakout hatte er je nach Definition vor 2 oder sogar vor 3 Jahren. In keinster Weise „flashy“, aber „Mr. Reliable“ und ein Lieblingstarget von Luck. Letztes Jahr ist er sogar relativ schwach gestartet und hatte ein paar extrem untypische Drops drin
– „WR T.Y. Hilton als dem wesentlichen Go-To Guy auf Wide Receiver gelegt, der seinen Megavertrag nun bestätigen muss“ –> Das kann ich nun mal gar nicht nachvollziehen. TY ist seit min. 4 Jahren der Go-To-Guy auf WR, er ist ein #1 Receiver und war vorletztes Jahr Receiving Leader in der Liga. Bezüglich Megavertrag: #11 bei den WR lt. OTC (https://overthecap.com/position/wide-receiver) mit relativ geringen Garantien. Mega ist für mich anders
– „Luck, dessen Gesundheitszustand weiterhin in der Schwebe ist (wie schon letztes Jahr kein klares Committment, dass Luck in Woche 1 auf dem Platz stehen wird).“ –> Null zu vergleichen! Gerade als Indy-Fan bin ich ganz vorsichtig, was ich da glaube, aber erst einmal sieht Andrew GANZ anders aus als letztes Jahr (https://twitter.com/SharpFootball/status/1001513003462819841) und Reich hat gestern beim Start des Camps angekündigt, dass er im ersten Preseason Spiel gegen die Seahawks auf dem Platz stehen wird (https://www.stampedeblue.com/2018/7/25/17613278/andrew-luck-will-play-in-preseason-week-one-against-seattle)
Als Fan ist man ja immer in einer besonderen Position- einerseits weil man sich deutlich intensiver mit teamspezifischen news auseinandersetzt und auch, weil man oft aufs beste hofft…
Ob Lücke jemals wieder so spielt wie vor der Verletzung weiß wohl keiner und ich würde mich nicht darauf verlassen…
@BigLuck:
Doyle hatte 2016 schon 75 Targets und 57% Success-Rate (2017: 108 Targets und 57% SR) – stimmt. Kann man schon von Breakout in 2016 sprechen. Auch wenn die großen Touchdown-Highlights noch abgehen, ist Doyle einer der heimlichen Top-Tight Ends in der NFL.
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