Alabama vs. Georgia: Alte Kräfteverhältnisse am Prüfstand

Die Alabama Crimson Tide sind die große College-Football Dynastie unserer Zeit. Sie trägt vor allem die Handschrift eines Mannes: Nick Saban [1][2]. Er coacht seit 11 Jahren in Tuscaloosa. In diesen 11 Jahren holte Alabama fünfmal die SEC-Meisterschaft und ebenso viele Landesmeistertitel.

Die größte Dynastie unserer Zeit

Letztes Jahr holte sich Alabama, qualifiziert nur als #4 der Playoff-Rangliste, erneut die Meisterschaft. Doch es war knapper als gewohnt: Saban lag zur Pause 0-13 zurück, als er an den Abgrund getrieben aus seiner Haut musste und den Freshman-Quarterback Tua Tagovailoa einwechselte…

…der ihm prompt das Ding drehte und nach gewaltigem Comeback einen epischen Sieg-Touchdown warf, dessen seismische Auswirkungen bis in die Alpen zu spüren waren. Tagovailoa war nicht Alabamas einziger Freshman-Matchwinner: Auch RB Najee Harris und WR DeVonta Smith, der Fänger des entscheidenden Touchdowns in der Overtime, trugen mit den wesentlichen Plays entscheidend zum erneuten Titelgewinn bei.

Drei Freshmen, die Alabama zum Meister machten – das klingt bei allen Unkenrufen von wegen „Saban von der Schippe gesprungen“ noch nicht nach Ende der beispiellosen Dominanz. Wie gut war Alabama unter Saban? Hier die Auflistung seiner Saisonbilanzen ab 2008, seinem zweiten Jahr in Tuscaloosa:

  • 2008: 12-2 AP final #6
  • 2009: 14-0 AP final #1
  • 2010: 10-3 AP final #10
  • 2011: 12-1 AP final #1
  • 2012: 13-1 AP final #1
  • 2013: 11-2 AP final #7
  • 2014: 12-2 AP final #4
  • 2015: 14-1 AP final #1
  • 2016: 14-1 AP final #2
  • 2017: 13-1 AP final #1

Die Florida State Seminoles von Bobby Bowden zwischen 1987 und 2000 kommen dem Alabama-Run mit 14 aufeinanderfolgenden Top-5 Finishes noch am nächsten – aber Bowden holte mit FSU in der Zeit „nur“ zwei National-Championships. Saban gewann in Alabama deren fünf, und verpasste weitere Titelchancen nur durch Freak-Ereignisse wie „Kick-Six“ oder Renfrows Sieg-TD 1 (in Worten: eine) Sekunde vor Saisonschluss.

Wie lange kann Saban den beispiellosen Lauf noch verlängern?

Die Antwort mag einfach sein: Solange er gesund bleibt, Lust hat und Alabama coacht. Vor allem jetzt, wo mit Tagovailoa, Harris und Smith drei Freshmen die entscheidenden Plays im Finale machten und damit den entscheidenden Anteil am erneuten Triumph hatten.

Doch so einfach ist die Sache vielleicht nicht. In Athens, Georgia kündigt sich ein paar Kilometer weiter östlich mit Sabans ex-Schützling Kirby Smart an der Spitze eine neue Supermacht an. Ein paar Kilometer weiter südlich hat das Auburn von Headcoach Gus Malzahn bereits „Alabama light“ Status erreicht: Auburn besiegte letztes Jahr Georgia und Alabama auf dem Weg ins SEC-Finale, das man erschöpft im „Rückspiel“ gegen Georgia verlor.

Alabama 2018

Doch auch im Kader gibt es das eine oder andere Fragezeichen. Das beginnt mit dem erneuten Verlust beider Coordinators: OffCoord Brian Daboll wechselte in die NFL, DefCoord Jeremy Pruitt wird neuer Chefcoach der Tennessee Volunteers. Pruitt wurde durch Tosh Lupoi ersetzt, Daboll durch Mike Locksley. Vor allem Letzterer ist ein ernsthaftes Fragezeichen – seine Offenses in New Mexico und Maryland in den letzten 8-10 Jahren waren verheerend.

Ein planloser Coordinator á la Locksley wird für Alabama zwar erst spät in der Saison zum Problem, weil das Laufspiel um Jungs wie RB Najee Harris oder dessen Namensvetter Damien Harris (das etatmäßige Arbeitstier) gegen die inferiore Konkurrenz dominieren wird. Aber wenn dann im November die Granden kommen – Auburn und dann eventuell SEC-Finale und Playoffs, wird es mehr brauchen als Defense und 40x Laufspiel über die Mitte.

Und: Wie gut kann die Defense sein, nachdem erneut mit DT DaRon Payne, LB Rashaan Evans sowie den beiden DBs Mincah Fitzpatrick und Ronnie Harrison vier zentrale Leistungsträger in die NFL gegangen sind? Vor allem in der Secondary gingen auch hinter Fitzpatrick und Harrison 40% der Snaps verloren – „Sollbruchstelle“ ist für eine Saban-Secondary immer der falsche Ausdruck. Aber was passiert, wenn Alabama zum ersten Mal seit vier Jahren nicht als #1 Defense im Lande abschließt?

Georgia Bulldogs

Zumal besagte Bulldogs aus Georgia sich anschicken, ein Alabama 2.0 zu bauen. Zufälligerweise ist Georgias Headcoach Kirby Smart ein ehemaliger Schüler Sabans, der als einer der ersten ex-Bama Assistenten große Erfolge einfuhr. Zugegeben: Ich hätte es dem blassen Kirby nicht zugetraut. Doch sein Recruiting scheint dermaßen exzellent zu sein, dass selbst Saban in Tuscaloosa blass um die Nase wird: #6 im ersten Jahr 2016. Dann #3 in 2017. Und schließlich #1 in 2018.

Kirbys Georgia ist gebaut um zu bleiben – auch wenn diese Mannschaft zur neuen Saison einen Rattenschwanz an Talenten ersetzen muss: Das RB-Duo Chubb/Michel, das über zweieinhalb Tausend Yards und 31 Touchdowns beisteuerte, ging ebenso in die NFL wie OT Isaiah Winn und LB Roquan Smith. Sie alle waren 1st-Rounder oder frühe 2nd-Rounder.

Doch richtig nervös scheint niemand zu werden: Georgias neuer RB-Flitzer ist DeAndre Swift, dessen Explosivität für bessere Effizienz-Zahlen als die Starter sorgte (7.5 YPC für Swift vs. 6.8 für Chubb/Michel), und im Passspiel kann man bauen auf:

  1. Einen QB Jake Fromm mit jetzt einem Jahr Starter-Erfahrung oder Freshman-QB Justin Fields, der als zweitbester Recruit des Jahrgangs galt (hinter dem gestern vorgestellten Clemson-QB Trevor Lawrence).
  2. Den tiefsten WR-Corp der SEC mit WR Godwin, WR Hardman, WR Riley Ridley sowie dem Transfer-WR Demetris Robinson zuzüglich einem TE-Corps mit vier 5-Star Talenten, die letztes Jahr noch nichtmal 40 Anspiele sahen.
  3. OffCoord Jim Chaney, der weiß, dass Offense nicht bloß aus Laufspiel besteht: Chaney war einst in Purdue Assistenzcoach von Joe Tiller, einem Spread-Offense Guru. Er coachte dort einen klein gewachsenen College-QB zu großen Ehren: Drew Brees. Später wandelte er seine Offense in Richtung mehr „Pro-Style“. Aber Chaney ist kein Run-Fetischist, der den Pass scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Georgias Defense ist mangels Erfahrung auf Linebacker und Secondary ein kleines Fragezeichen – doch hier kommt ein günstiger Schedule entgegen, der es einem jungen LB-Corp erlaubt, sich einzulernen. Und den Quarterback der Defense hat man schon gefunden: LB D’Andre Walker, der sich im Schatten Roquan Smiths zum nächsten großen Star-Defender hochspielte.

Georgia ist schon im dritten Jahr unter Kirby Smart erstaunlich tief besetzt. Auch wenn es nicht auszuschließen ist, dass es ein Jahr nach dem Durchbruch in 2018 leichte Regression gibt – und der Schüler dann eben doch (noch) nicht den Meister übertrumpft – so sieht das, was Smart in Athens anstellt, verdächtig nach „Frage der Zeit“ aus, bis es zum National Title reicht.

Und einen Vorteil hat Georgia gegenüber Sabans Alabama allemal: Es spielt in der einfacheren SEC-Division im Osten: South Carolina, Mizzou, Florida und Tennessee, die vermeintlich schwersten Rivalen, können der Alabama-Konkurrenz (Auburn, LSU, Mississippi State) qualitativ nicht das Wasser reichen. Für eine erneute SEC-Finalqualifikation dürfte es allemal reichen. Und dann ist eine SEC-Mannschaft eh nur noch den einen Sieg von den Playoffs entfernt.

Gemessen an allem Erwartbaren ist Alabama zwar noch immer das Maß aller Dinge. Doch wir hören zum wiederholten Male das unscheinbare Adverb „noch“. Georgia war schon im Jänner verdammt nahe dran. Eine Sensation wäre eine Machtübernahme schon in diesem Jahr bestimmt nicht. Doch mein Name ist Thomas. Ich glaube es erst, wenn ich es sehe.

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6 Kommentare zu “Alabama vs. Georgia: Alte Kräfteverhältnisse am Prüfstand

  1. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Johannesevangelium) Thomas, hör auf Jesus: Georgia ist da! 😀

  2. Jesus knows everything. 😉 Dizzy ain’t got no clue. 😀

    (Ich verspreche: no more off-topic Kommentare von mir dieses Jahr)

  3. Pingback: College Football Halbfinale 2018/19 – Die furchtlose Vorschau | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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