Carolina Panthers in der Sezierstunde

Eine der schwierigsten zu greifenden Mannschaften vor Start der NFL-Saison: Die Carolina Panthers.

2018 war ein Jahr der zwei Hälften in Carolina: Gestartet mit 6-2, mit einer überraschend modernen Norv-Turner Offense aus allen Rohren feuernd, aber nach QB Cameron Newtons aufkommenden Schulterproblemen am Ende mit Backup-QBs gestrandet bei 7-9.

Das ganz große Hausreinemachen blieb hernach aus – auch Headcoach Ron Rivera durfte seinen Job behalten. Dennoch weht in diesen Wochen und Monaten ein Hauch von Endzeitstimmung über den Trainingsfeldern der Panthers. Oder zumindest „Umbruchstimmung“.

Futter für eine QB-Controversy

Der Grund für diese ganze Unsicherheit bzw. fin de siecle ist in der Ungewissheit ob Newtons Wurfschulter zu finden. Cam war in den letzten acht Jahren die Offense in Carolina, der die Panthers u.a. einmal in die Superbowl und zu einem MVP-Titel führte.

Doch es ist mittlerweile die dritte Offseason in Folge, die in Carolina von Newtons Schulterproblemen dominiert wird. Letzten Herbst eskalierte die Situation insofern, dass Carolina vor allem ab Saisonmitte zunehmend den Backup-QB für tiefere Pässe einwechseln musste, weil Newton den Ball kaum mehr über 30 Yards werfen konnte.

Im Jänner wurde die Schulter schließlich operiert – und wichtig: Man fand keinen gerissenen „Rotator-Cuff“. Die Signale klingen seit Newtons ersten Wurfversuchen im März tendenziell positiv, doch in all den Optimismus hinein drafteten die Panthers im April in der 3ten Runde in QB Will Grier einen Rookie-QB, der Fragen aufwarf.

Grier ist nicht nur ein völlig anderer Spielertyp als Newton (klein, wuselig, Air-Raid und Präzision auf Kurzpass-Distanzen). Er ist auch ein völlig anderer Typ Mensch, ein weißer QB in der aggressiv als „schwarz“ vermarkteten Panthers-Franchise.

Wie wahrscheinlich ist eine baldige QB-Controversy in Charlotte? Die Rassenkarte zu spielen, ist immer gefährlich, doch das Publikum in Carolina galt auch in besten Zeiten nicht unbedingt als verknallt in den manchmal etwas versnobten Newton. Es lechzt mitten in Trumps Kernland nach einem „weißen Führer“.

Was passiert, sollte Newton nicht rechtzeitig zum Saisonstart fit werden und Grier dank Überraschungseffekt besser als erwartet starten? Was passiert, wenn Newton einsatzbereit ist, doch seine Leistungen zu wackelig sind? Newtons Standing in der Panthers-Medienlandschaft ist nicht unangreifbar genug um nicht per sofort die ersten Rufe nach dem kleinen Underdog Grier heraufzubeschwören.

Nicht unwichtiges Detail am Rande: Newton ist schon nächsten Winter mit nur noch 2 Mio. Dead-Money aus dem Vertrag kündbar.

Wie wird die Panthers-Offense aussehen?

Doch vorerst wichtiger: Wird Newton wieder zu alter Stärke zurückfinden? PFF.com hat es in einem detaillierten Artikel bereits diskutiert: Newtons Spielweise änderte sich in den letzten beiden Jahren beträchtlich. Wo er früher mit 10.3 Air-Yards/Passversuch (2011-2016) einer der drei aggressivsten Downfield-Passer war, warf Newton in den letzten beiden Jahren nur noch Kurzpässe für 8.4 Air-Yards/Pass (2017) bzw. 7.5 Air-Yards/Pass (2018) – unterstes Ligadrittel, was die Tiefe der Pässe angeht.

Lag es an der Schulter? Oder lag es auch daran, dass Carolina ohne einen Ted Ginn keinen veritablen Deep-Threat mehr hatte und darüber hinaus in Christian McCaffrey ein fangstarker Runningback für mehr Kurzpässe aufpoppte?

Der Receiving-Corps ist 2019 relativ unverändert – mit einer wichtigen Einschränkung: WR D.J. Moore geht in sein zweites Jahr und sollte einen Sprung nach vorn machen. Moores Rookiesaison war durchaus vielversprechend und er gilt als guter tiefer Routenläufer. Insofern wäre er der „logische“ Nachfolger Ginns als deep threat.

Die #2 könnte die Allzweckwaffe Curtis Samuel sein. Die Slot-Option ist Jarius Wright. Tight End ist Greg Olsen, der nicht jünger wird – im Prinzip hängt also einiges daran, ob Newton wieder genug Saft für tiefes Passspiel hat und ob sich Moore wie gewünscht entwickelt.

Die notwendigen Personal-Moves in der Offensive Line wurden gemacht: C Matt Paradis kommt aus Denver, OT Greg Little war der 2nd Rounder im Draft und OT Daryl Williams wurde nach Verletzung für einen billigen Einjahresvertrag gehalten. Little wird mit dem als Ersatzmann soliden OT Tyler Moton um einen Stammplatz konkurrieren – auf dem Papier gehen die Panthers mit leichtem Protection-Upgrade in die neue Saison.

Trotzdem bleibt die Gesamtsituation schwierig einzuordnen – lass es uns noch einmal zusammenfassen:

  1. Der Status von Newtons Schulter ist nicht ganz klar.
  2. Hält sie, ist die Frage, ob sich Moore als tiefer Routenläufer entfalten kann oder ob Newton wie in den letzten beiden Jahren vor allem für ihn nicht geeignetes Kurzpass-Gewichse spielen muss.
  3. Hält sie nicht, könnten schnell Rufe nach dem weißen Rookie-Backup laut werden.

Eine Situationsbeschreibung als „Pulverfass“ wäre vielleicht übertrieben, doch in dieser Offense lauern bei allem Potenzial auch einige gefährliche Stimmungskiller.

Defense

Die Panthers-Defense war 2018 enttäuschend. Sie belegte am Ende nur #22 in Defensive-DVOA und war gar nur die #24 in Pass-DVOA. Nun kommt die Systemumstellung von 4-3 auf 3-4 im zweiten Jahr von DefCoord Eric Washington. Eine derartige Umstellung hätte vor etlichen Jahren noch für großes Stirnrunzeln gesorgt. Im Ende der 2000er erschienenen Buch „Take Your Eyes Off the Ball“ von Pat Kirwan ist eine derartige Systemumstellung noch als zwei Jahre andauernder Prozess mit zahlreichen Assignments-Umstellungen beschrieben.

Im Jahr 2019 sollte der Effekt etwas minimiert sein, nachdem sich Defenses eh in mehr als der Hälfte der Snaps in Nickel-Package befinden, was tendenziell einer 4-2-5 Aufstellung gleicht. Dennoch überrascht eine derartige Systemumstellung, vor allem, weil Carolina eigentlich eines der Teams mit dem perfektesten 4-3 Personal wäre:

  • DT Kawann Short war in den letzen Jahren ein Top-5 Tackle von der 3-tech Position. Seine Penetration-Fähigkeiten werden von der 4-tech oder 5-tech Position teilweise verloren gehen.
  • Ähnlich verhält es sich mit Neuzugang DT Gerald McCoy, der sich in Tampa von der 3-tech mehrfache Pro-Bowl Einberufungen erspielte.
  • NT Dontari Poe hat natürlich Erfahrung in der 3-4, war aber auch als 4-3 Nose Tackle schon ein Top-Spieler.
  • Der mit dem 1st Rounder gedraftete EDGE Brian Burns galt im Pre-Draft Prozess durchaus als passable Option für eine 4-3 Defensive End Aufstellung. Er wird nun viele Snaps von der Linebacker-Position aus bekommen.

Dahinter schickte man LB Thomas Davis fort. Shaq Thompson, vor einigen Jahren mit Pauken und Trompeten gedraftet, aber bislang noch nicht mit der gewünschten Entwicklung, soll für ihn den Platz neben Superstar-Linebacker Luke Kuechly übernehmen.

Das Defensive Backfield ist ein anhaltendes Fragezeichen: CB James Bradburry ist der einzige Manndecker, der schonmal größere Lobeshymnen erntete, doch das Personal dahinter in Spielern wie CB Cockrell oder CB Donte Jackson ist bestenfalls Durchschnitt.

Fazit: Die Front-Seven muss hier einiges richten, wobei gerade sie in Umstellung bedacht ist. Burns ist nur auf dem Papier die seit Jahren vermisste Edge-Rush Präsenz; auf dem Feld hat er noch nix gezeigt – bzw. ist mit seiner einem Leonard Floyd ähnlichen ranken Statur ein relatives boom or bust Prospect. Short und McCoy sind auf Defensive Interior in 3-4 Aufstellung eher fehleingesetzt und LB Thompson noch den Beweis von Starter-Tauglichkeit schuldig.

Ausblick

Trotzdem ist ein Gerüst in Carolina da. Rivera ist ein guter Headcoach, dessen Mannschaften selten unterhalb eines gewissen Leistungs-Bodens operieren. In Offensive wie Defensive Line ist die Mannschaft personell erstklassig besetzt, wenn auch mit einigen Fragezeichen ob der Einsetzbarkeit ihrer Spieler.

Es gibt in Offense wie Defense natürlich Fragezeichen ob des Spielsystems: Wird die Offense wieder zurückkehren zur „Cam-Option“ mit tieferem Passspiel, und wie wird die Defense in der 3-4 Base operieren?

Es gibt natürlich die gigantische Sollbruchstelle, wenn sich Newtons Schulter nicht sofort als einsatzfähig erweist und das Publikum nach Grier verlangt.

Das alles macht Carolina nicht zu einer verlässlichen Playoff-Wette. Doch gesetzt den Fall, dass „die Schulter“ hält, sind die Panthers durchaus ein gefährlicher Außenseiter im NFC-Playoffrennen. Die NFC South hat in New Orleans (Brees‘ Arm), Atlanta und Tampa (zweimal Defense) ausreichend Fragezeichen, die ein Carolina-Comeback in der Post-Season denkbar macht. Wir erinnern uns: Es ist nur eine Saison her, da hätten die Panthers in der Wildcard-Runde fast die Saints in deren Stadion besiegt.

Es mag viel Katastrophenpotenzial bei den Panthers 2019 geben. Es gibt aber eben auch ein nicht allzu unrealistisches Upside-Szenario. In welche Richtung sich die Saison entwickeln wird, hängt in vielen Mannschaften an der Form des Quarterbacks. In Carolina gilt dies in der anstehenden Saison wahrscheinlich sogar in besonders starker Ausprägung.

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7 Kommentare zu “Carolina Panthers in der Sezierstunde

  1. Kurz ein paar Kommentare 😏

    Will Grier war tatsächlich bis in die 4te Runde gefallen und wird von PFf sehr positiv bewertet – ich fände es schön, wenn er die Zeit hinter Newton bekommt.

    Thompson hat tatsächlich zu beginn der letzten Saison Thomas Davis mehr oder weniger 1:1 ersetzt als der dopinggesperrt war und ich meine, dass er auch ganz gute Bewertungen bekommen hat. Glaube das Problem ist eher gewesen, dass Davis Thompson viele snaps weggenommen hat.

    Zum Wechsel auf 3-4:
    Der Vorteil von einer 3er Front ist, dass sich besser gegen RPO Schemen lässt- weil der lb nicht so isoliert ist. Tatsächlich glaube ich aber, dass wir da eigentlich mit einer Terminologie arbeiten die nur noch unzureichend die Realität beschreibt. Womit die Seahawks stark geworden sind, was Houston mit Watt macht und – natürlich- was die Patriots spielen sind alles Mischformen von 3-4 und 4-3, bei denen teils 2gap teils 1 gap gespielt wird. Und auch im College wird gerade die 4-3 etwas modifiziert. Von daher bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob tatsächlich der große Wechsel kommt oder ob einfach eine Modifikation stattfindet. Bellichik arbeitet ja auch eher mit spezifischen Spielerinnen als mit einem starren System.
    Auch ein verstärkter Einsatz von bear Defense, also mit 0 tech und zwei 3er Teichs halte ich für möglich.

    Am Ende ist die Frage, ob hier Innovation oder zumindest Modifikation anhand von Analyse stattfindet, oder ob Rivera sentimental geworden ist und einfach Systeme seiner spielerzeit einbaut.

  2. Bei den Patriots spielen Frauen? Wow, Belichick ist progressiver als ich dachte.
    Nur ein Spaß.

  3. Was wäre, wenn Grier den Panthers von vorneherein ins Konzept passt, weil sie eine Kurzpassoffense nicht wegen Cam, sondern der Kurzpass Offense willen spielen wollen?

    Cam billiger Vertragsausstieg nächstes Jahr und Grier ein Jahr Einlernzeit sozusagen als verschleiertes Manöver um dann mit billigem Rookie Contract wieder ein neues Fenster zu öffnen, ohne Newton mit seinen ganzen Injury Concerns.

    Vielleicht steckt hinter dem Move mehr Kalkül als auf den ersten Blick. Auch Rivera und Hurney können sich 1-2 Jahre mehr Jobsicherheit kaufen, wenn ein neuer QB eingeführt wird.

  4. Heute hab ich ein arrogantes Video vom super Cam gesehen.darin bittet er einem 1500 Dollar um einen besseren Sitzplatz im Flugzeug zu bekommen, das lustige daran der Typ wollte das Geld nicht und Cam ging mit unzufrieden er Miene zu seinem schlechten Platz zurück.

  5. Keine Erwähnung von Norv Turner? Eine der Überraschungen 2018, bei dem niemand eine solche Adaption an die moderne NFL erwartet hat, aber Norv hat sein Playcalling an die Talente von Cam und McCaffrey angepasst.

    Man darf nicht vergessen, dass Norv historisch für Deep Passing und Power Running stand und die Offense auch notgedrungen an Cams Schulter anpassen musste.

    Wird spannend ob er mit einem gesunden Cam wieder tiefere Routes auspacken wird.

    Bzgl. Moore würde ich nicht vergessen darauf hinzuweisen daß Cam in seiner kompletten Pantherszeit die Offense auf seinen Schulter getragen hat, ob mit oder ohne Playmaker. Old Steve Smith war der einzige wirklich wertvolle Playmaker den Cam je hatte.

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