Nicht erst seit Andrew Luck der NFL den Rücken gekehrt hat, gilt es als ausgemacht: Die NFC ist die stärkere der beiden Conferences. Dennoch werden aufmerksame Leser bemerkt haben, dass im heutigen letzten Teil der großen furchtlosen Vorschau auf die NFL-Saison 2019/20 insgesamt nur drei NFC-Teams gegenüber gleich fünf AFC-Teams stehen.
Referenzen
- Glossar
- Glück und Können 2018
- Advanced-Stats 2018
- Pythagorean
- Adjusted Games Lost (FO)
- Injuries (Rotoworld)
- Schedule (FO Almanac)
Der Grund liegt vor allem darin, dass die NFC wesentlich breiter aufgestellt ist, was auch impliziert, dass die NFC-Contender den schwierigeren Weg vor sich haben um überhaupt in die Playoffs zu gelangen. Dagegen sehen zwei AFC-Divisionen wie g’mahnte Wiesn aus (AFC East und AFC West), während nur die AFC North einen wirklichen Dreikampf verspricht.
Vergleich das mal mit der NFC North oder NFC South, wo drei oder gar alle vier Teams realistische Chancen auf den Divisionssieg haben und selbst die wackelige NFC East mit Dallas noch einen möglichen Contender aufstellt.
In den Top-8 haben wir also fünfmal AFC und dreimal NFC. In den Top-16 hingegen – wo alle Teams durchaus Superbowl-Hoffnungen hegen dürfen! – gibt es mit nur siebenmal AFC bei neunmal NFC ein Übergewicht für die NFC.
Und so lass uns nun die große NFL-Vorschau 2019 beschließen mit den acht Mannschaften, die die besten Titelchancen in der anstehenden Saison besitzen. Wer wird am 2. Februar 2020 in Miami die Vince Lombardi Trophy in die Höhe stemmen?
#8 Cleveland Browns
Record 2018: 7-8-1
Close Game Bilanz: 4-4-1
Pythagorean: 7.1 Siege
Schedule 2019: #25
Die Cleveland Browns waren fast 20 Jahre lang eine Lachnummer der NFL, was NFL-Traditionalisten im Herzen weh tun musste – schließlich handelt es sich bei dieser Franchise um eine der geschichtsträchtigsten der NFL-Geschichte – oder um eine der zwiegespaltensten, schließlich sind die Browns gar nicht mehr die „Original-Version“ ihrer selbst, nachdem sie zwischen 1996 und 1999 aufgelöst waren und irgendwo als Baltimore Ravens weiterleben.
Wie auch immer: Seit der Wiedergründung der Browns vor genau 20 Jahren zog Cleveland die Scheiße an, verbrannte Headcoach um Quarterback und schien schlicht niemals mehr den Weg zurück nach oben zu finden. Bis vor dreieinhalb Jahren der eigentlich längst verhasste neue Owner Jimmy Haslam die Reißleine zog und grünes Licht gab für „The Experiment“ – den Versuch, einen radikalen, in der NFL noch nicht gesehenen „Tanking-Job“ unter GM Sashi Brown nicht unähnlich der NBA zu unternehmen. Der Auftrag lautete: Viele hohe Draftpicks sammeln und mit der Aussicht auf eine goldene Zukunft zwei lausige Jahre durchstehen.
Und die Jahre waren lausig: Cleveland ging 1-15 und dann sogar 0-16. Es war so schlimm, dass der Tanking-Job Brown sogar seinen Job kostete, doch die Jahre waren auch lehrreich und vor allem: Sie waren Zeit genug um Kapital und neue Spieler zu beschaffen, die heute einen der phänomenalsten jungen Kader in der NFL ermöglichten: Browns Nachfolger als GM in Cleveland, John Dorsey, kaufte fast schon über-aggressiv neue Spieler ein und hat nun, zwei Jahre nach der sieglosen Saison von 2017, einen Titel-würdigen (wenn auch noch nicht zwingend Titel-reifen) Kader beisammen:
- QB Baker Mayfield, die Rookie-Sensation von 2018, dem man nun nach einer fulminanten zweiten Saisonhälfte in Todd Monken auch noch einen Air-Raid kompatiblen Offensive Coordinator zur Seite stellt
- WR Odell Beckham jr und WR Jarvis Landry – einer der absoluten Elite-Receiver der Liga und einer der besten Possession-Receiver der NFL
- TE David Njoku, einer der besten jungen Tight Ends in der NFL
- Ein Runningback-Duo Nick Chubb und Kareem Hunt (vier Spiele Sperre)
- Eine Defensive Line mit DE Myles Garrett (#1 Overall Pick 2017 und Breakout-Star von 2018), DE Oliver Vernon (einer der besten „1-B Passrusher der NFL), DT Sheldon Richardson (Monster gegen den Lauf) und DT Larry Ogunjobi (exzellenter Run-Defender)
- Ein Defensive Backfield mit CB Denzel Ward (1st Round-Sensation 2018) und ausreichend Tiefe um mit den meisten Receiving-Corps mitzuhalten
Die Browns gingen letztes Jahr nach Hue Jacksons überfälliger Entlassung zur Saisonmitte 7-8-1, eine Bilanz, die ausreichte um dem Interims-OffCoord Freddie Kitchens den Headcoach-Posten anzubieten. Kitchens‘ schlagende Argumente waren deren drei:
- Exzellentes Verständnis mit QB Mayfield
- Eier, in Dimensionen von „pass first“ zu denken
- Jemand anderes als Hue Jackson zu sein
Trotz Laufspiel nur in homöopathischen Dosen ist Kitchens‘ Bestellung zum Chef freilich nicht ohne Risiko: Es ist das erste Mal, dass Kitchens mit einer derartigen Verantwortung wie der Führung eines NFL-Mannschaft betraut ist – und das gleich in einem Team, wo sich schwer zu führende Charakterköpfe wie Mayfield oder Beckham bis zu Hohlköpfen wie RB Hunt die Hand geben (und hoffentlich nicht: „die Köpfe einschlagen“).
Und es gibt weitere mögliche Knackpunkte. So ist die Offensive Line nach dem Verkauf von OG Kevin Zeitler ein kleines Fragezeichen (PFF rankt sie an #20), mit einer potenziellen Sollbruchstelle Greg Robinson auf Left Tackle (doch vielleicht wird es gar nicht so schlimm).
So ist die Defense bei aller fantastischen Qualität in der Defensive Line vielleicht noch etwas dünn im zweiten Anzug besetzt, gilt als relativ dürftig im Tackling – und schleppt ein kleines Fragezeichen im neuen DefCoord Steve Wilks mit: Der gilt als Verfechter von „Zone-Defense“, während Clevelands mutmaßlich beste Cornerbacks wie Ward oder auch Rookie Greedy Williams ihre Stärken in erster Linie in Manndeckung ausspielen. Dass Wilks derlei Ausgangslagen wurscht sind und er im Zweifelsfall rücksichtslos das „falsche“ System, in diesem Fall seine Zone-Coverage, spielen lässt, hat er bereits in Arizona 2018 bewiesen.
Und so gibt es durchaus mögliche Regressionsindikatoren. So lag der Pythagorean der letzten Browns-Saison bei nur 7.1 Siegen, darunter auch während der zweiten Saisonhälfte mit 5-3 Siegen nur bei 4.4 Siegen. Man kann also attestieren, dass die Browns bereits über ihrem „wahren Leistungsvermögen“ spielten.
Obwohl sie dabei von Turnover-Glück (+7 Bilanz) und relativ wenigen Verletzungen profitierten. Obwohl QB Baker Mayfield bereits MVP-würdige Zahlen wie fast 7.5 NY/A und 0.23 EPA/Pass auflegte. Obwohl sie während der zweiten Saisonhälfte einen relativ simplen Schedule mit mehreren kaputten Teams spielten.
Doch nun ist 2019. Es ist Mayfields zweites Jahr – und wir haben Beispiele zur Genüge von Quarterbacks, die im zweiten Jahr explodierten, und das in weit weniger passfreundlichen Mannschaften mit einem Kitchens/Monken-System, mit weit schlechteren Receivern als Beckham, dessen Status als einer der wenigen wirklichen Elite-Receiver und „Game-Changer“ man nicht unterschätzen sollte.
Dass eine Mannschaft zwei Jahren nach dem totalen Kollaps die Superbowl erreicht, wäre kein Novum – die Carolina Panthers spielten einst unter John Fox zwei Jahre nach einer 1-15 Saison in Superbowl XXXVIII. Natürlich waren sie ein Ausreißer, doch seither ist keine derart schwache Mannschaft mehr so schnell so gut aufgestellt worden wie die Cleveland Browns 2019, die in kürzest möglicher Zeit den bestmöglichen Kader zusammengestellt haben.
Ist das eine Garantie für den Durchbruch? Nein.
Ist das eine Garantie, dass es überhaupt ruhig bleibt? Nein.
Doch wir sprechen in der Serie der Titelfavoriten über Mannschaften, die wirklich das Potenzial haben, es mit den allerbesten Mannschaften aufzunehmen, und die Browns gehören mit ihren Waffen dazu. Vielleicht sind sie gar nicht das beste Team in ihrer eigenen Division – doch sie sind den nicht unwahrscheinlichen Mayfield-Ausbruch davon entfernt, dem AFC-Establishment einen gehörigen Schrecken einzujagen.
#7 Los Angeles Chargers
Record 2018: 12-4
Close Game Bilanz: 5-1
Pythagorean: 10.6 Siege
Schedule 2019: #19
Unter normalen Umstände müsste man ein komplettes Team wie die Los Angeles Chargers bestimmt höher ranken als #7 in der NFL, doch es gibt Grund zur Vorsicht, die starke Saison 2018 nicht blind in den Himmel zu loben und zu überbewerten.
So war der Unterschied zwischen den Chargers 2017 (9-7, Playoffs verpasst) und Chargers 2018 (12-4, Viertelfinale) in Kleinigkeiten wie Crunch-Time Fieldgoals oder schlecht getimten Fumbles zu finden:
- Die Chargers von 2017 hatten Pythagorean von 10.4 Siegen und gewannen 6 der neun Spiele, die nicht innerhalb eines Scores entschieden wurden.
- Die Chargers von 2018? Hatten Pythagorean von 10.4 Siegen und gewannen 6 der neun Spiele, die nicht innerhalb eines Scores entschieden wurden.
Der Unterschied lag in den One-Score Games: 2017 verlor man vier von sieben solcher knapper Spiele. Letztes Jahr gewann man sechs von sieben. Damit waren die Chargers der letzten beiden Jahre symptomatisch für die NFL: Du musst gut sein, und du musst glücklich sein.
Die Chargers sind bestimmt „gut“. Sie sind vielleicht sogar mehr: Der Holdout von RB Melvin Gordon dürfte ein relativ geringfügiges Problem darstellen, wenn man die Passgewalt der Offense um QB Philip Rivers und seiner Armada gegenüberstellt: Der Receiver-Corps verliert vielleicht WR Tyrell Williams, doch die wahren Treiber in der fulminanten Offense, die mehr als 0.20 EPA/Pass erzielte, waren eh Rivers, WR Keenan Allen und WR Mike Williams – und nun kehrt auch der vor zwei Jahren atemberaubende TE Hunter Henry nach auskuriertem Achillessehnenriss zurück!
Auch die Defense ist nach Jahren der guten Drafts mittlerweile auf einem Niveau, das man sich 2015 noch nichtmal erträumen konnte: Das Edge-Rush Duo Joey Bosa/Melvin Ingram ist eines der besten der NFL, auf Defensive Interior draftete man 1st Rounder DT Jerry Tillery, in der Secondary hat man im CB-Trio Casey Hayward, Desmond King und Trevor Williams das für PFF beste der NFL, und auf Linebacker ergänzte man den 36-jährigen Bulldozer Thomas Davis als Backup für den von Verletzung genesenen Denzel Perryman.
Wenn man bedenkt, dass die Chargers 2018 trotz Langzeitausfällen von Bosa und Perryman die #8 Defense nach DVOA aufs Feld schickten, und eine tiefer besetzte, reifere Unit aufstellen, werden ganz große Titelträume im Verbund mit der Rivers-Offense auf einmal realistisch.
Doch es gibt Knackpunkte, die same old Chargers befürchten lassen und Ur-Ängste vor dem Scheitern wecken. Da wäre zum einen die schwere Verletzung von Superstar-Defensive Back Derwin James, letztes Jahr einer der Treiber der mittlerweile berühmten „Dime-Defense“ / Big-Nickel Defense von DefCoord Gus Bradley. James fällt mit Fußverletzung bis mindestens Anfang November aus. Dass der im Draft früh gezogene FS Nasir Adderley ihn adäquat ersetzen kann, ist unwahrscheinlich.
Der andere Knackpunkt ist die Offensive Line. Sie gehörte schon vor den Blutgerinseln bei LT Russell Okung zu den Wackelkandidaten in der NFL (#29 für PFF) – doch nachdem auch Okung nun sicher 6-8 Wochen ausfallen wird, ist das Scheunentor offen – und Rivers, der gerne tief geht und tendenziell lange Dropbacks (wenn auch mit 2.6 sek time to throw einer der schnelleren QBs) spielt, zum Abschuss freigegeben.
Dieses grassierende Verletzungsseuche der Chargers ist für viele kein Zufall mehr. Ob bad karma oder einfach nur falsches Training (auch schon die Vorgänger von Headcoach Anthony Lynn hatten mit solchen Problemen zu kämpfen): Solche frühe langfristige Ausfälle sind immer ärgerlich.
Was den Bolts hilft: Die erste Saisonhälfte mit Colts, @Lions, Texans, @Dolphins, Broncos, Steelers, @Titans und @Bears bis Ende Oktober lässt einen 5-3 oder 6-2 Start durchaus realistisch erscheinen. Danach wird es knackiger – und nachdem man ausgerechnet das designierte „Heimspiel“ gegen den größten Divisionsrivalen Kansas City auf neutralem Boden in Mexico City spielen muss, hat man auch noch einen entscheidenden Nachteil im Rennen um die Krone der AFC West.
#6 Pittsburgh Steelers
Record 2018: 9-6-1
Close Game Bilanz: 6-5-1
Pythagorean: 9.7 Siege
Schedule 2019: #23
Cardinals, Bears oder aber auch die Seattle Seahawks waren extrem schwierig einzuschätzende Mannschaften – aber sie sind im Vorfeld der NFL-Saison 2019 mutmaßlich einfacher zu greifen als die Pittsburgh Steelers. Die verpassten 2018 nach einer Freak-Saison mit 9-6-1 Bilanz sensationell die Playoffs, weil sie sich lieber mit den Possen von LeVeon Bell oder Antonio Brown beschäftigten als mit sauberem Football.
Die beiden sind nun weg – und auch wenn nur einer von ihnen ein echter sportlicher Verlust ist (AB84), so darf man nicht unterschätzen, wie gut Antonio Brown bei aller nervtötender Selbstinszenierung war. Er war der zentrale Receiver im System der Steelers – und das komplette Routen-Design war über Jahre so konstruiert, dass es Browns Stärken als ultrapräziser Runner quer übers ganze Feld bis zum Letzten maximierte.
Ohne Brown steht die Steelers-Offense damit vor einer Zäsur. Die junge Garde um WR Ju-ju Smith-Schuster, WR James Washington (als Rookie ein Ausfall), Rookie Diontae Johnson und den aus Indianapolis geholten WR Donte Moncrief muss es nun richten. Die Aufgabe klingt einfacher als sie in einigen Kreisen („Die Steelers draften eh exzellente Receiver“) gemacht wird.
Als zweiter wesentliche Abgang gilt jener von O-Line Coach Mike Munchak, der nach Denver ging. In Munchaks fünf Jahren bekamen die Steelers ihre zuvor absurden Protection-Probleme zunehmend in den Griff.
Doch es gibt auch Hinweise darauf, dass der wesentlichere Grund für diese Verbesserung bei QB Ben Roethlisberger liegt: Früher als Zauderer und Zauberer bekannt, lieber den Ball auch noch mit drei Kletten am Hals haltend um den tödlichen Pass downfield zu versuchen, ist Big-Ben heute der QB mit der geringsten time to throw in der Pocket: Er bringt den Ball im Schnitt nach 2.55 Sekunden raus – Folge: QB-Pressure Rate ist drastisch reduziert.
Aber jetzt droht Gefahr in Verzug: Roethlisberger konnte sich bis jetzt darauf verlassen, dass Brown sich schnell freilief. Wie sieht das 2019 aus, wenn es keinen ultradominanten Receiver mehr gibt, der die gegnerische Coverage diktiert und schnelle Räume für seinen Nebenmänner aufreißt? Für OffCoord Randy Fichtner ist es das zentrale Kriterium für die letztes Jahr als #6 nach DVOA gerankte Offense.
Die Defense war nach DVOA die #13, obwohl man ein schwarzes Loch auf der Middle-Linebacker Position durchschleifte. Im Draft schaffte man nun Abhilfe, draftete nach teurem Up-Trade LB Devin Bush aus Michigan an #10. Von Bush, einem nicht unumstrittenen Prospect, wird nun erwartet, sofort zu starten. Kein Druck, Junge!
Doch Bushs Situation könnte schlimmer sein: Run-Defense und Pass-Rush in Pittsburgh sind durchaus formidabel, mit DL Cameron Heyward sowie den Edge-Rushern Dupree und T.J. Watt (der einen Leistungssprung machte). Das kritische Problem war zuletzt stets die Coverage „hinten“ – doch mit mehreren Jungspunden hinter CB Joe Haden stopfte man die ärgsten Lücken – allein auf Tight End war man als #31 in DVOA noch katastrophal. Just dorthin stellt man nun Bush – der Rookie muss also nicht mehrere Lücken in einem Mal schließen, sondern die eine.
Pittsburghs Defense war 2018 als #13 gar nicht so schlecht – und vor allem: Sie war nicht abhängig von Turnovers. Dass sie nur deren 15 erzwang lässt sogar Verbesserung durch simple Regression erhoffen!
So gerne man auf die Steelers und ihren nicht immer glücklich wirkenden Chefcoach Mike Tomlin hackt: Sie sind eines der besser gecoachten Teams, mit einem der besten Quarterbacks der Liga und einer aufstrebenden Defense. Browns Ausfall wiegt schwer – doch er ist an mehreren Stellen kompensierbar. Weil die Steelers als passlastiges 1st-Down Team (letztes Jahr die höchste Pass-Quote) auch die richtige Grund-Strategie verfolgen, bleiben die der Favorit in der AFC North – kritische Saison 2018 hin oder her.
#5 Los Angeles Rams
Record 2018: 13-3 (Superbowl-Verlierer)
Close Game Bilanz: 6-1
Pythagorean: 11.2 Siege
Schedule 2019: #17
Ich schrieb es bereits vor ein paar Wochen in der Sezierstunde: Wie sich die Los Angeles Rams der der letzten Saison fühlen sollten, ist mir nicht ganz klar. Enttäuschung über die völlig überflüssigerweise verlorene Superbowl – klar. Freude über eine ansonsten geglückte Saison – wohl auch. Aber eben auch: Zweifel, ob so eine goldene Chance noch einmal kommen wird.
Die Rams waren über weite Strecken der letzten Saison eines der prägenden Teams, ehe ihre bis dahin fantastische Offense, die als einzige in Lauf und Pass gleichermaßen effizient und damit in etwa am Optimum operierte (um die 0.18 EPA/Play für Lauf und Pass), gegen Saisonende immer weiter ausgeguckt zu sein schien, immer zäher wurde.
Am vor Esprit sprühenden Headcoach Sean McVay wird es nun liegen, ob er sein Scheme weiterentwickeln kann, das da lautet:
- Condensed Formations (alle Spieler sehr eng an der Offensive Line angedockt aufgestellt) um die Routen von dort quer über das Feld verstreut zu entwickeln
- Spielzüge, die bis kurz nach dem Snap wie Laufspielzüge aussehen und hohe Play-Action Quote ermöglichen
- Versuch, so oft wie möglich in schwach bevölkerte Defensive-Boxes mit sieben oder weniger Verteidigern zu laufen
Letzte Saison lautete seine Antwort fast 100% 11-Personnel mit viel Laufspiel von RB Todd Gurley in offene Boxen – also Formationen mit drei Wide-Receivern. Die da waren: Brandin Cooks, Robert Woods und bis zu seiner Verletzung Cooper Kupp. Alle drei sind keine Elite-Receiver, aber perfekt auf das Spielsystem abgestimmt. Doch spätestens als Kupp verletzt ausfiel, war McVay zu Diversifizierung gezwungen und spielte mehr 12-Personnel.
Ich traue McVay auch eine schematische Weiterentwicklung zu. Dass er in Los Angeles so viel 11-Personnel spielt, ist nicht immanent: Auf seinen vorherigen Stationen ließ er durchaus weit variablere Formationen spielen – je nach verfügbarem Personal.
Die Schlüsselfigur bleibt aber QB Jared Goff. Der bekam heute Nacht eine Vertragsverlängerung um 4 Jahre und 134 Mio. (offizielle Guarantee-Zahl: 110 Mio) – ein Vertrag, der den seines Konkurrenten aus dem Draft 2016, Carson Wentz, toppt. Damit klären die Rams die Zukunft von Goffs Wirkungsstätte.
Was noch zu klären ist, ist Goffs genaue Zukunft als NFL-Quarterback. Es war über Jahre ein offenes Geheimnis, dass ihm McVay alle möglichen Spielzüge und Defense-Intentionen in den Helm flüsterte und Goff im Prinzip wie eine Videofigur des Madden-Spielers hinterm PC funktionierte und agierte. Erst die Lions und später die Patriots lieferten gegen Saisonende die Blaupause um Goff zu zerlegen: Einfach nach dem Snap die Coverage wechseln und Goff verwirren. Dieses Wissen ist nun bekannt und wird Nachahmer finden!
Eine andere, 2018 nur durch physisch exzellent besetzte Defensive Lines nachzuahmende Blaupause lieferte Chicago: Einfach die Mann-vs-Mann Duelle gegen die O-Liner der Rams gewinnen und Goff, der übelst schlecht gegen Druck agiert, damit schnell unter Druck setzen. Vor allem dieser Weg ist für zahlreiche Defenses machbar, nachdem die Rams zwei Starter in der interior-OL verloren. Dass sie noch einmal eine Top-5 Line aufstellen, ist auch hinsichtlich des 37-jährigen Left Tackles Whitworth eher unwahrscheinlich.
Die ohne eine weitere Entwicklung Goffs sehr wahrscheinliche Regression der Offense muss durch eine Defense mit einigen Fragezeichen kompensiert werden. Wade Phillips bleibt zwar der Defensive Coordinator, doch letztes Jahr stürzte die Defense von #6 auf #17 in DVOA ab – vor allem gegen den Lauf war man völlig offen.
Leichte Verbesserung ist durchaus möglich, doch nicht einfach: Man verliert DT Suh und FS/Slot-CB Joyner, und nur letzterer Ausfall wird einigermaßen kompensiert – durch den 34-jährigen Oldie Eric Weddle. Pass-Rush wird, solange Defensive-MVP DT Aaron Donald über die Mitte für Terror sorgt, auf Jahre ein gewisses Niveau nicht unterschreiten, aber im Edge-Rush bleiben die Rams bedenklich besetzt: Dante Fowler ist kein Top-Individualist, und wer vom 33-jährigen Neuzugang Clay Matthews noch große Wunderdinge erwartet, ist ein unbelehrbarer Optimist.
So wird vieles in der Defense daran hängen, ob diesmal CB Aqib Talib fit bleibt: Talib ist mit mittlerweile 33 Lenzen keine Garantie mehr, aber er ist der mit Abstand wertvollste Manndecker. 2019 fiel er satte zehn Wochen lang aus – man merkte es, und das krass. Eine versteckte Option für Phillips wäre es, den Elite-Zone Defender CB Marcus Peters von reiner Manndeckung abzuziehen um Peters‘ Playmaking-Fähigkeiten wieder besser in Szene zu setzen.
Das alles sind Optionen um den drohenden Leistungsabfall einzudämmen. Die Rams werden keine 13-3 Bilanz mehr einfahren (von „13-3“ haben sie ohnehin erstmal genug). Sie werden keine 6-1 Bilanz in engen Spielen mehr schaffen. Sie werden keine 71% der Fumbles mehr aufnehmen (kein Team hatte mehr Glück). Sie werden vielleicht auch gar nicht mehr so gesund bleiben wie in den letzten drei Jahren (Adjusted Games Lost: #5 der Liga).
Turnover-Bilanz von +11 (nur drei Teams hatten mehr), ein Hidden-Points Vorteil in Special Teams von 10.4 Punkten (fünft-glücklichstes Team) – alles weitere Indikatoren, die für Regression sprechen.
Der Leser wird sich nun fragen, warum dennoch #5 in der Furchtlosen Vorschau für die Rams herausspringt, bei so viel gefühlter Negativität? Die Antwort ist einfach: Eine gewisse, nicht abzusprechende hohe Qualität bleibt. McVay ist ein Wizard, der noch Optimierungspotenzial in 4th Downs hat und neue Wege in der Offense finden wird. Die Defense hat noch Luft nach oben und QB Goff hat zwei Jahre mit steiler Entwicklung hinter sich und als ehemaliger #1 Pick vielleicht noch Luft nach oben.
Von hinten droht stärkere Konkurrenz für die Rams – aus der eigenen Division, aber auch vom Rest des gutklassigen NFC-Felds. Doch mit heutigem Wissen sind nur zwei Mannschaften wirklich besser aufgestellt als die Rams. 10-6 oder 11-5 halte ich nach wie vor für möglich. Das könnte mit etwas Glück sogar wieder für ein 1st-Round Bye reichen.
Dennoch ist wahrscheinlicher, dass sie die Rams am Ende in den Arsch beißen, das goldene Fenster von 2018 nicht genutzt zu haben, denn es gibt nun zwei noch besser aufgestellte Kandidaten in der NFC. Das eine Team ist jenes, das Los Angeles im NFC-Finale im Jänner besiegte.
#4 New Orleans Saints
Record 2018: 13-3 (NFC Finale)
Close Game Bilanz: 5-1
Pythagorean: 11.5 Siege
Schedule 2019: #20
„Besiegt“ ist dabei vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Denn die New Orleans Saints wären der „rechtmäßige“ NFC-Vertreter in der letztjährigen Superbowl gewesen, hätten die Referees keine klare Fehlentscheidung in der Crunch-Time des Conference-Finals gegen die Rams getroffen. Jetzt soll Verpasstes nach zwei bizarren Playoff-Exits in den letzten beiden Jahren nachgeholt werden.
Dabei müssen jedoch auch die Saints wie die Rams gegen unvermeidliche Regression ankämpfen: Der Pythagorean von 11.5 Siegen war natürlich der zweitbeste der letzten NFL-Saison und auch einen Tick besser als jener der Rams, aber er ist eben auch rund 1.5 Siege niedriger als die 13 Siege, die man effektiv holte. Auch dass man eine 5-1 Bilanz in engen Spielen wiederholen kann, oder noch einmal von sensationellen 23.5 „Hidden-Points“ in den Special Teams (nur die Lions mit 20 Punkten waren annähernd gleich glücklich) profitiert, ist eher unwahrscheinlich.
Somit gilt für die Saints Ähnliches wie für die Rams: Es wird ein schwierigeres Jahr. Doch auch hier reicht womöglich 10-6 oder 11-5 um erstmal als Divisionssieger in die Playoffs zu ziehen / die notwendige 1st Round Bye zu holen. So ist die große Frage in New Orleans 2019 nicht, wie weit die natürliche Regression zuschlägt, sondern wie der bald 40-jährige QB Drew Brees durch die Saison kommt.
Brees ist wie sein AFC-Kontrahent Brady ein Methusalem, bei dem es seit ein oder zwei Jahren schon nur noch darum geht, wie lange er noch durchhält. Zumindest der Blick auf die Leistungen der letzten beiden Jahre verrät noch recht wenig über einen etwaigen bevorstehenden Kollaps bei Brees – es sei denn, man fühlt sich bei Brees‘ doch etwas einbrechender Effizienz gegen Ende der letzten Saison an Peyton Manning 2015 erinnert.
Doch ein Argument spricht dagegen, dass Brees‘ Saison-Finish untrügliches Zeichen für das Ende war: Es war schlicht Regression zur Mitte nach einer ersten Saisonhälfte, in der Brees‘ Stern so hell brannte, dass er zwangsläufig bald verglühen musste – die Saints zur Saisonmitte 2018 waren Armageddon, das gegnerische Defenses gleich serienweise schredderte. Brees spielte ab dem Thursday Night Game in Dallas “nur noch” auf irdischem Niveau – und nicht mehr überirdisch.
Aber es war noch oberhalb von Liga-Schnitt. Peyton war dagegen Ende 2014 quasi über Nacht shot. Brees‘ Vorteile gegen Peyton von damals: Seine Offense ist nicht mehr um ihn herum allein gebaut – Headcoach Sean Payton hat die Offense über die Jahre mehrdimensional gemacht.
Er wirft seit Jahren vor allem kürzere Routen mit niedrigem aDOT (average depth of target = die Tiefe der Pässe), spielt hinter einer gewaltigen Offensive Line (für PFF die #7 O-Line) und hat in WR Michael Thomas den vielleicht besten Possession-Receiver für Volumen und Yards nach dem Catch in der NFL.
Auch sind die Saints zwar ein Team mit zu hoher Rushing-Quote in 1st Downs, doch dafür ersetzen sie viel vom ineffizienten Laufspiel durch quickes Passing-Game auf RB Alvin Kamara, der als eine Art Runningback/Receiver Hybrid die Räume nutzt, die Thomas und deep threat–WR Ted Ginn downfield öffnen.
Was Brees 2019 nicht hat: Eine Defense à la Peyton 2015. Doch immerhin ist die Defense nicht mehr das Schlachtopfer auf der Bank wie noch vor ein paar Jahren. In den letzten beiden Jahren rangierte sie nach DVOA an #8 und #11. Das ist gut genug um in Kombination mit einer guten Offense eine Division zu gewinnen. Aber es ist nicht genug um in Kombination mit einer guten Offense ein 1st-Round Playoff Bye zu erzielen.
Und so lauern überall Gefahren: 2018 war die Defense außerordentlich gesund – ehe sich DT Sheldon Rankins in den Playoffs schwer verletzte und nun auch zu Saisonbeginn noch nicht einsatzfähig ist. Weil ein erneutes Durchkommen als so fitte Unit nicht planbar ist, braucht es im Pass-Rush massive Verbesserung von DE Marcus Davenport, den die Saints 2018 mit Pauken und Trompeten und gleich zwei 1st Roundern drafteten. Er ist der eine Hebel.
Der andere ist CB Marshon Lattimore, der 2018 phasenweise sophomore slump erlebte und sich erst nach dem Einkauf von CB Eli Apple wieder stabilisierte. Lattimore und Apple sind Teil einer personell wirklich verbesserten, nun auch etwas erfahreneren Secondary, die je nach Leistungsvermögen von QB Brees eine mehr oder weniger zentrale Schlüsselrolle für alle Hoffnungen der Saints einnimmt.
In Summe macht das die Saints zu einer besseren Wette als die Rams – doch als #1 Favoriten wie so viele andere sehe ich sie nicht. Zu
#3 Kansas City Chiefs
Record 2018: 12-4
Close Game Bilanz: 5-4
Pythagorean: 11.0 Siege
Schedule 2019: #8
Die Kansas City Chiefs waren noch vor den Rams das Team, das den Pokal für die schönste und potenteste Offense von 2018 erzielte – eine Offense, die nicht nur QB Patrick Mahomes in seinem allerersten Jahr als Starter den NFL-MVP Titel einbrachte, sondern auch bis einen Münzwurf im AFC-Finale heran an die Superbowl heran führte. Der Job soll jetzt zu Ende gebracht werden und Head Coach Andy Reid den lang ersehnten, lang verdienten Superbowl-Ring bringen.
Die Qualität der Offense allein hievt die Chiefs in den Ring der Topfavoriten. Es ist eine der fantastischsten Offenses in der letzten 15 Jahren NFL.
Speed – Das auffälligste Element an der Chiefs-Offense: Die fassungslose Geschwindigkeit der Playmaker. WR Tyreek Hill läuft die 40 Yards unter 4.3 Sekunden. WR Sammy Watkins und der eigentlich als Hill-Backup Plan gedraftete WR Mecole Hardman laufen sie unter 4.4 Sekunden. Das sind alles Irrwische, aber auch Travis Kelce ist einer der schnellsten Tight Ends und Damien Williams und Shady McCoy gehören zu den flottesten Runningbacks.
Scheme – Kaum ein NFL-Coach hat in den letzten Jahren mehr Elemente der mächtigsten College-Football Offenses in seinen Angriff eingebaut wie Reid: Jet-Sweeps, Motions, Crossing-Routes – Reid ist sowas wie der Air-Raid Pionier, zu dem man aktuell Kliff Kingsbury in Arizona hypt. Das führte zu zahlreichen offenen Receivern und nur 12% der Würfe in enge Fenster (Verteidiger innerhalb 1 Yard) quarterback-freundlicher geht nicht.
Quarterback – Dabei bräuchte dieser QB gar keine offenen Fenster: Mahomes ist das sensationellste QB-Talent seit Jahren. Sein Auftritt 2018 war gleich verblüffend wie begeisternd – und das so wichtige zweite Jahr als Starter, in dem die meisten QBs den großen Sprung nach vorn überhaupt erst machen, steht erst an!
Wird Mahomes nun also noch mehr als 8.0 NY/A und 50 Passing-Touchdowns auflegen? Die Antwort lautet mit hoher Wahrscheinlichkeit „nein“, und damit sind wir auch in dem Bereich angelangt, in dem wir erklären müssen, warum die Chiefs trotz der mutmaßlich erneut besten Offense im Lande nicht der absolute Top-Favorit sind.
Regression zur Mitte – Keine Passing-Offense mit mehr als 0.30 EPA/Pass hat ihren Level auch nur annähernd halten können und im Schnitt über 0.10 EPA/Pass zur folgenden Saison verloren. Die Chiefs hatten 0.33 EPA/Pass.
Kein Quarterback mit auch nur 40 Touchdowns in einer Saison hat die 40 auch in der aufeinanderfolgenden Saison geknackt. Historisch gesehen ist von Mahomes ein TD-Rückgang von ca. 10-15 zu erwarten – und gemessen an seiner relativ glücklichen Turnover-Statistik ist auch ein Anstieg seiner 12 Interceptions nicht auszuschließen. Selbst wenn Mahomes sich spielerisch sogar verbessert: Eine Bilanz von 35 TD bei 15 INT liest sich schon viel geerdeter als die letztjährige Ratio von 50-zu-12.
Bei solchen Genies nicht auszuschließen, dass Mahomes die Wetten schlägt und noch einmal rekordträchtige Zahlen auflegt – doch er muss dann immer noch eine Defense durchschleifen, die so große Probleme hatte (nur noch #26 der NFL), dass der Defensive Coordinator mit Schimpf und Schande gefeuert wurde. Als zusätzliche Prüfung müssen jetzt beide Pass-Rusher des Vorjahres ersetzt werden. Dort ersetzt EDGE Frank Clark aus Seattle im Verbund mit den zweitklassigen Neuzugängen Okafor/Ogbah die abgewanderten Ends Ford und Houston.
Der noch größere Knackpunkt ist aber weiter „hinten“: Im Defensive Backfield kommt Tyrann Mathieu als Ersatz für den langjährigen Leader Eric Berry, aber Mathieus Nebenmann Juan Thornhill ist Rookie und der Cornerback-Depth Chart könnte auch bei den Hintertux Glaciers hinterm Bergkamm auflaufen. Auf meine Frage im Mai habe ich bis heute nur eine richtige Antwort bekommen:
Einer dieser Namen entspringt meiner Fantasie, und ich rate dir mal in die frische Luft zu gehen, wenn du ohne Googeln sofort weißt, um welchen es sich dabei handelt.
Bashaud Breeland
Rashad Fenton
Kendall Fuller
Charvarius Ward
Blessaun Whyte
Tremon Smith
Die Personal-Moves waren wie auch die Bestellung von Reid-Buddy Steve Spagnuolo („dank mir haben Justin Tuck und Osi Umenyiora das Spiel ihres Lebens gegen Tom Brady gemacht“) zum neuen Defensive Coordinator nicht Fisch, nicht Fleisch – suboptimal für eine Mannschaft, die eigentlich in der Hochblüte ihres Titel-Fensters lebt. Da werden Prozentpunkte an Superbowl-Chance liegen gelassen.
Man darf natürlich nicht verschweigen, dass Kansas City seit Jahren stabil eine gute Mannschaft stellt, dass ihre 12-4 Bilanz letztes Jahr nicht eine einzige Niederlage mit mehr als einem Score Differenz sah, dass sie sogar gegen einen der heftigsten Schedules der NFL zustande kam, und das alles mit einer wenig einschüchternden Defense.
Aber weil die Defense eher auf der Stelle tritt, der Schedule nach wie vor der 8t-schwerste nach DVOA ist und die Offense praktisch nicht mehr explosiver und effizienter werden kann als 2018, haben wir ausreichend Gründe, die Chiefs trotz Reid & Mahomes und allgemeiner Freude am Passspiel noch nicht als #1 Team der NFL zu ranken.
Aber sie sind „dran“. Sie haben sich wie Bluthunde an die Fersen der alten Macht in Foxboro gehängt und ein Titelgewinn wäre keine Überraschung. Bloß: Die Bluthunde müssen auch zubeißen – und diese alte Macht erst einmal besiegen, die die NFL seit vielen Jahren vor schier unlösbare Probleme stellt. Und weil die Chiefs den wesentlich happigeren Weg bis dahin haben, führt der Weg wohl über ein fremdes Stadion…
#2 New England Patriots
Record 2018: 11-5 (Superbowl-Champ)
Close Game Bilanz: 3-2
Pythagorean: 10.8 Siege
Schedule 2019: #32
…und zwar jenes der ewigen New England Patriots mit ihrer Dynastie um Headcoach-Legende Bill Belichick und den erfolgreichsten Quarterback aller Zeiten Tom Brady. Dass jene Patriots 2018 erneut und zum schier unglaublichsten sechsten Mal die Superbowl gewannen, obwohl weder Brady noch Gronkowski ihr bestes Jahr spielten, die AFC sich so mächtig wie lange nicht präsentierte und der Thron der Patriots erste Risse zeigte, war nur der letzte Beweis für die atemberaubende Einzigartigkeit dieser Franchise.
Dass sie auch zur anstehenden Saison wieder gegen den einfachsten Schedule spielen dürfen und quasi schon zum Saisonstart das Playoff-Ticket in der Tasche haben, gehört mittlerweile zur NFL-Folklore. Noch wichtiger: Es ist ein entscheidender Vorteil nicht nur für die Qualifikation, sondern vor allem für das Rennen um Freilos und Heimspiele im Jänner – denn niemand zweifelt ernsthaft daran, dass die Patriots es bis dorthin schaffen.
Doch in Belichick löst selbst der Gewinn der AFC-Trophäe maximal Sodbrennen aus, und nur das Anziehen eines siebten Rings geht als zählbarer Erfolg durch. Und so konzentrieren wir uns nicht darauf, was die Patriots in die Playoffs bringen wird, sondern was sie von Titel #7 abhalten könnte:
- Tom Bradys Lenzen. Seine Klasse ist unbestritten, doch Brady ist mit nunmehr 42 Jahren längst jenseits jenes Alters-Zenits, der einst als absolutes Limit für Quarterback-Hochleistungssport galt. Brady hat die Dimensionen bereits verschoben – insofern ist jedes weitere Spiel auf hohem Niveau unbekanntes Terrain für die menschliche Spezies.
- Gronkowskis Rücktritt. Gronkowski war der beste Tight End aller Zeiten, auch wenn er auch 2018 nicht mehr seine beste Saison spielte: Er wird fehlen. 1:1 ersetzt werden kann er nicht – man setzt auf WR Josh Gordon und hüftsteife hochaufgeschossene Receiver sowie ein überfülltes Backfield mit Runningbacks wie White, Michel oder Harris – doch sowohl Pässe auch als Läufe über Runningbacks sind eher zweit- als erstklassige Optionen für eine NFL-Offense.
- Veränderungen in der Offensive Line: Mit LT Isaiah Wynn spielt ein 1st-year Starter an der linken Flanke, und C David Andrews ist bereits out for season – selbst für die von Coaching-Legende Dante Scarnecchia trainierte, traditionell starke Offense Line zwei unerwünschte Fragezeichen.
- Matter Pass-Rush: Nicht das zentrale Element einer Belichick-Defense, doch die Rotation mit einem 33-jährigen DE Michael Bennett, Rookie Chase Winovich, Backups wie Wise oder Blitzern wie Hightower oder Van Noy ist eher Ausgeglichenheit auf okayem Niveau als Top-15 Feuerwerk
…und das war’s. Die sensationelle Secondary mit CB Gilmore und FS McCourty als Ankermänner allein wird dafür sorgen, dass die Patriots sich von der #16 Platzierung in Defensive-DVOA nach oben bewegen und damit die sehr wahrscheinliche Effizienz-Minderung der Offense kaschieren.
Den Rest erledigen Bradys Erfahrung, Belichick und OffCoord McDaniels – sie sind nach wie vor der Gold-Standard, zu denen alle anderen aufblicken. Anders: Wenn eine Offense mit einem überalterten QB und ohne nennenswerten Receiving-Corps überlebt, dann jene der Patriots.
Banale Prognose: Weil sie nach dem Gewinn des #1 Seeds zwar im Zweifelsfall keine Antworten für Mahomes haben, aber Antworten um die Chiefs-Defense im AFC-Finale in Foxboro zu knacken, bleiben die Patriots bei aller dämmernden Endzeitstimmung der Favorit in der AFC.
#1 Philadelphia Eagles
Record 2018: 9-7 (Divisionals)
Close Game Bilanz: 6-6
Pythagorean: 8.5 Siege
Schedule 2019: #30
Doch wie schon letztes Jahr sind sie nicht mehr der Topfavorit auf den Gewinn der Vince Lombardi Trophy. Diese Ehre gebührt einem altbekannten Gegner der Patriots – den Philadelphia Eagles, die schon vor eineinhalb Jahren eine Offensivexplosion von Superbowl gegen die Patriots gewannen und nach einer harzigen Saison 2019 nun wieder brillant aufgestellt sind für einen Titel-Run.
Man sollte sich von der unterwältigenden 9-7 Bilanz und dem Pythagorean von nur 8.5 Siegen in der letzten Saison nicht täuschen lassen: Die Eagles waren ein unter allen möglichen Gesichtspunkten furchtbar unglückliches Team und gehen nun haben das Profil eines gigantischen Breakout-Kandidaten:
- Sie waren die drittmeist verletzte Mannschaft der letzten Saison, u.a. mit fünf Einsätzen des Backup-QBs, elf Spielen eines rekonvaleszenten Starting-QBs und der zweitmeist verletzten Defense der Liga
- Sie verloren nur ein einziges Spiel mit mehr als einem Score – auswärts im Superdome gegen einen Drew Brees in der Form seines Lebens
- Sie waren ein unglückliches Team nach Turnovers (-6 Bilanz) und Special-Teams (-6.7 Hidden-Points)
- Sie verstärkten sich auf kritischen Positionen mit erstklassigem Personal für die Kadertiefe – WR Desean Jackson als deep threat, DT Malik Jackson, FS Sendejo, OT Dillard und RB Sanders
- Sie spielen den dritt-einfachsten Schedule der NFL, unter anderem den einfachsten der NFC in der einfachsten Division der NFC
Head Coach Doug Pederson ist einer der progressivsten Denker unter NFL-Coaches, und er hat eine ins Schwarze treffende Analyse der letztjährigen Probleme betrieben. Der hochklassige QB Carson Wentz kommt aus einer Saison, die zu sehr im Schatten seiner Vergangenheit stand und zahlreiche Ansätze für Verbesserung anbietet.
Die Offensive Line der Eagles ist die wohl beste und mit drei potenziellen Starting-Tackles auch am tiefsten besetzte in der NFL. Ein 12-Personnel als Standard-Passing Setup mit den Wide Receivern Jeffery und Jackson, den Tight Ends Ertz und Goedert sowie einem wahllosen Runningback aus dem Pool um Darren Sproles, Miles Sanders oder Jordan Howard mit Receiving-Optionen wie Agholor oder Arcega-Whiteside in der Hinterhand ist so furchteinblößend wie nix anderes, was die NFL außerhalb von Kansas City anbietet.
Die Defensive Front Seven ist auf Defensive Interior (Fletcher Cox, Jackson, Timmy Jernigan, Vinny Curry), an den Flanken im Edge-Rush (Brandon Graham, Derek Barnett, Josh Sweat) sowie brauchbaren Optionen auf Linebacker wie Zach Brown in Spitze und Breite ein exzellentes und gut geschnürtes Paket.
Und die Secondary hat nach einem Seuchenjahr mit unglaublichen 41 verpassten Starts den Vorteil, dass nun auch Second- und third stringer wie Sidney Jones oder Rasul Douglas soviel NFL-Erfahrung sammeln konnten, dass sie adäquate Ergänzungen hinter dem Stamm um CB Ronald Darby, FS Malcolm Jenkins und S Rodney McLeod geben können.
Das ist der kompletteste Kader der NFL, geführt von einem Quarterback in der erweiterten Spitzenklasse und einem Top-3 Coaching-Staff, der Passspiel über Laufspiel bewertet, ausreichend Aggressivität in 1st Down (58% Pass-Quote mit Nick Foles!) und 4th Downs an den Tag legt und einen für NFC-Verhältnisse lächerlichen Schedule bespielt mit vielen Siege für 1st-Round Bye oder gar Heimvorteil auf dem Präsentierteller.
Vor zwei Jahren haben die Eagles trotz Backup-QB die Superbowl gewonnen. Jetzt gehen sie mit einem besseren Kader und einem gereiften, von Verletzung vollständig auskuriertem Franchise-Quarterback an den Start. Alle Puzzleteile beisammen! Das sind exzellente Aussichten auf ein Wiedersehen mit alten Freunden in der Superbowl – Andy Reid oder die Patriots – und gegen beide sind die Eagles zu favorisieren.
na ja die eagles werden den superbowl meiner Meinung definitiv nicht gewinnen,wentz ist einfach verletzungsanfällig. und die NFL ist einfach gigantisch aufgestellt mit so vielen Teams die den titel gewinnen könnten.
Großartig – danke wieder einmal für all den Lesespaß!
Wieder einmal sehr viele Informationen zu allen Mannschaften, und wie angekündigt tatsächlich die Eagles als #1.
Was hälst du von der Goff Verlängerung? (bei Zeke frage ich gar nicht nach…) Schon interessant, daß die Eagles und Rams beide ihre QBs so früh verlängert haben, spart sicher long term ein bisschen Geld, aber Goff haben doch viele als reinen System QB auf dem Schirm, nur knapp über Dak, bin vom Committment der Rams ja schon etwas überrascht und dachte, daß Wentz den höheren Vertrag kriegt…
Muss zugeben, daß ich am Ende doch die Chiefs und Chargers ober den Pats einordnen würde, besserer Kader bei den Bolts und gutes Coaching und Mahomes bei den Chiefs nach dem Motto Offense trumps Defense… aber natürlich ist man bei den Pats nie falsch.
Auf eine Topp Saison!
Ein Genuss!
Eagles sind auch mein Tipp, und ich freue mich dass das auch Korsakoff so sieht… Hoffen wir, dass Wentz fit bleibt.
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Mays hat von hier abgeschrieben 😉
https://www.theringer.com/nfl/2019/9/5/20849931/preseason-power-rankings-part-4-patriots-chiefs-rams-saints
Zwei meiner wichtigsten Experten tippen damit also auf Philly, da überlege ich noch ob ich nicht doch noch schwach werde 🙂
Antonio Brown steht in Pittsburgh kurz vor Suspendierung und Rauswurf, was Rückzahlung von ca. 30 Mio. Guaranteed-Money zur Folge hätte.
Das für das erweiterte Verständnis, warum die Steelers Brown haben ziehen lassen. Und als Balsam auf Mike Tomlins Seele.
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