Rückblick auf das Halbfinale des College Football Playoff vom Samstag: Beide Spiele haben ziemlich genau das gehalten, was man sich von ihnen versprochen hatte.
Das eine Spiel war ein Blowout. Das andere ein 50/50 Münzwurf, der erst in der allerletzten Minute entschieden wurde. Beide meiner Favoriten haben gewonnen.
#1 LSU Tigers – #4 Oklahoma Sooners
LSU gewinnt 63-28
Es war immer klar, dass es für einen Oklahoma-Sieg viele Dinge brauchte, die zusammenkommen müssen, aber dass LSU in der ersten Halbzeit gleich 7 (in Worten: sieben) Touchdowns und fast 500 Yards Offense über die Sooners drüberstreuen würde, das wirkte dann doch etwas krass.
Joe Burrow demolierte Oklahoma mit satten acht tiefen Completions über 20 Yards downfield. 7 Passing-TD. 403 Passing-Yards. Alles in der ersten Halbzeit wohlgemerkt.
Burrow lieferte nicht viel Neues über seinen NFL-Status. Er wird natürlich fast sicher der #1 Pick im Draft 2020 sein – und man darf sehr gespannt sein wie sich seine NFL-Karriere entwickelt. Vor einem halben Jahr dachte man, dass er maximal 5th-Rounder wird. Jetzt ist er Top-Overall Pick, obwohl ihm der letzte Zacken Explosivität im Wurfarm abgeht. Die Matt-Ryan 2.0 mit mehr Mobilität Vergleiche werden plausibler und plausibler.
Viel mehr braucht man über diese Partie gar nicht zu schreiben, denn sie fühlte sich spätestens nach dem vierten LSU-Drive entschieden an: LSU legte einen Touchdown nach dem anderen über Oklahoma, während Oklahoma-QB Jalen Hurts mit zahlreichen Blitzes unter Druck gesetzt wurde und die Pocket-Präsenz eines aufgescheuchten Huhns zeigte und das Oklahoma-Laufspiel gegen die viel mit Stunts arbeitende LSU-Defense keinen Raumgewinn machte.
Wir müssen fair sein: So wie Oklahoma an die Wand gespielt wurde, wäre es vermutlich den meisten anderen Gegnern außer Ohio State und Clemson ergangen. LSU 2019 ist eine tödliche Deep-Pass Offense, und ein wirkungsvolles Gegenmittel gegen Burrows Armada ist noch nicht gefunden. Oklahoma hätte perfekt sein müssen um zu bestehen. Sie waren es nicht annähernd, und dieses Debakel ist das folgerichtige Resultat daraus.
#2 Ohio State Buckeyes – #3 Clemson Tigers
Clemson gewinnt 29-23
Dramatische Partie, die nicht immer spielerisch hochklassig war, aber mit ihren Storylines – großes Clemson-Comeback, Abnutzungskampf zweier brutal physischer Mannschaften mit vielen Verletzungsausfällen und kritische Schiedsrichterentscheidungen – viel Stoff bot für den Titel „Spiel des Jahres“.
Der Spielverlauf war dramatisch:
- Ohio State dominierte die ersten 20 Minuten komplett und führte nach mehreren Big-Runs von RB Dobbins schnell 16-0, eine Führung, die sich zu knapp anfühlte: Einmal, weil Clemson komplett überrollt war und offensiv nach dem schnellen Verletzungsausfall von Star-WR Tee Higgins im ersten oder zweiten Drive nix zustande brachte. Und zweimal, weil Buckeyes-Headcoach Ryan Day zwar schematisch exzellentes Play-Calling betrieb, aber wieder und wieder kurz vor der Goal-Line Fieldgoals kicken ließ.
- Dann 4 Minuten vor der Pause: Blitz von CB Shaun Wade gegen QB Trevor Lawrence – und weil Wade mit dem Helm voran ging Ausschluss von Wade wegen „Targeting“. Eine umstrittene und in den USA sehr kontrovers diskutierte Entscheidung, für die unser aller Nicolas Martin die beste Erklärung präsentierte: Ob Lawrence seinen Kopf runternahm oder nicht ist eigentlich gar nicht entscheidend. Entscheidend ist der Selbstschutz des Verteidigers.
- Anyhow: Ohne Wade am Feld konterte Clemson mit zwei quicken TD-Drives (u.a. ein sensationeller 67-yds QB-Keeper von Lawrence!) gegen eine nun verwundbare Defense Ohio States und lag zur Pause nur 14-16 hinten – gemessen am Spielverlauf eigentlich ein Witz.
- Nach der Pause ein immer stärkerer Abnutzungskampf mit Verletzungsausfällen auf beiden Seiten. Clemson ging per TD 21-16 in Führung, nicht nachdem Ohio State mit einem Roughing-the-Punter Call einen eigentlich nahe der Clemson-Goalline gestoppten Drive grundlos am Leben hielt.
- Ohio State konterte mit einem TD zum 22-21 – und dann ließ der Freak-Coach Day anstatt einer 2-pts Conversion den Extrapunkt kicken um nur auf 23-21 zu erhöhen! Das sollte noch wichtig werden.
- Im Sandwich dieser Plays die eine Referee-Entscheidung, die für nochmehr Kontroverse sorgte als die rote Karte für Wade: Ein Fumble-Return TD für Ohio State, der nach minutenlangem Video-Replay zurückgepfiffen wurde, weil WR Ross angeblich den Catch nicht vervollständigt haben soll:
- Und weiter: Nur 23-21 Ohio State, Buckeyes in den letzten Minuten mit dem Ball in der Hand und dem Drive in Richtung Clemson-Fieldgoal Range. 4th & 4 von der Clemson 40, und Day verlässt erneut der Mut – Day puntet mit gut drei Minuten auf der Uhr den Ball zurück an Clemson! Eine Entscheidung, auf die Pete Carroll stolz wie ein Winterprinz wäre! Hatte Day Angst, dass nach seinem Hirnfurz-P.A.T. ein Fieldgoal den Tigers die Partie gewonnen hätte?
- Wie auch immer – das Spiel ging wie erwartet weiter: Clemsons QB Lawrence mit einem quicken, zu quicken, TD-Drive als Antwort: Schon 110 Sekunden vor Schluss der schnelle Touchdown von RB Etienne zum 29-23, der Ohio State noch einmal Zeit gibt zu antworten.
- QB Justin Fields, noch das ganze Spiel über gut, aber nicht so souverän wie gewohnt, wirft in letzter Minute eine Interception in die Endzone, bei der ein Missverständnis mit WR #17 Olave offensichtlich war: Olave bog nach links ab, Fields warf in die Mitte, und der Safety mit dem einfachen Pick zu einem dramatischen Sieg.
Man könnte ein ganzes Buch schreiben über diese Partie, in der erst Clemson mit dem Ausfall von WR Higgins zu kämpfen und zu beißen hatte, dann Ohio State, weil sich Dobbins am Knöchel verletzte, dann wieder Clemson, weil nach Higgins‘ Rückkehr dann der andere Star-WR Ross Probleme hatte – und dann fielen die Starter mit zunehmendem Spielverlauf wie die Fliegen.
Ohio State fühlte sich wie die bessere Mannschaft an – die deutlich bessere sogar. Die Buckeyes dominierten insbesondere an beiden Seiten der Line of Scrimmage. Doch Clemson hatte neben den kritischen Schiedsrichterentscheidungen, die glücklicherweise für die Tigers alle in ihre Richtung ausgelegt wurden (NB: sie fühlten sich nicht wie Fehlentscheidungen, aber wenn du zwei massive 50/50 Calls kriegst, haste eben etwas Schwein), zwei große Vorteile:
- Defensive Coordinator Brent Venables hatte ein atemberaubend gutes Spiel, vor allem mit Blick auf den deutlichen Nachteil seiner Tigers-Defensive Line. Venables mit den altbekannten versteckten Coverages, die QB Fields Probleme machten, aber vor allem mit vielen Motions und Stuns um gegen eine eigentlich überlegene O-Line den Lauf recht gut zu stopfen.
- QB Trevor Lawrence ist eine Granate, und er war entscheidend. Lawrence hatte am Anfang Probleme, weil die Clemson-Offense nach dem Higgins-Ausfall nicht zu sich fand. Aber dann nahm Lawrence die Offense in die Hand. Viel, sehr viele QB-Keeper, darunter der eine sensationelle 67-yds TD Run. Lawrence war im Prinzip über weite Strecken nicht nur QB, sondern auch primärer Ballträger der Offense. Gemessen daran, dass Lawrence bislang jedes Spiel gewonnen hat und es Zweifel gab wie er in Situationen mit Gegenwind reagieren würde, war das gegen die Monster-Defense der Buckeyes eine epochale Vorstellung von Lawrence.
Ohio State verpasste die Chance den Deckel draufzumachen. Klar werden Football-Dinos nun sagen, 16-0 Führung ist gegen einen solchen Gegner stark, was willst du Sesselkleber kritisieren?
Aber nein: Wenn man dominiert, muss man richtig dominieren, die Gunst der Stunde nutzen – Jogi-Löw oder Pep-Guardiola Style – und alle Stellhebel nutzen um den Gegner zu begraben – denn insbesondere in einem Spiel mit zwei relativ ähnlich talentierten Mannschaften ist es unwahrscheinlich, dass nicht auch der Gegner irgendwann zu sich finden wird. Ohio States Headcoach Day verpasste mit seinem Field-Goal Fetisch, die Partie frühzeitig zu begraben und verschenkte 4-8 Punkte durch seine ständigen kurzen Fieldgoal-Kicks.
Und dann natürlich puntete er 3 Minuten vor Schluss den Ball weg. 4th & 4 mit einer Offense mit QB Fields und einer dominanten Offense Line und einem überragenden Receiving-Corps war für Day riskanter als den Ball an den designierten #1-Draftpick 2021 zurückzukicken. Day bekam die Scheiße, die er verzapfte, am Ende zurück.
Dazu einige gedroppte Pässe der Buckeyes-Receiver und zwei Interceptions von QB Fields, der die ganze Saison über insgesamt genau eine Interception geworfen hatte: So verlierst du am Ende eine enge Partie gegen einen starken Gegner, den du eigentlich im Sack hattest – und so wirkt auch deine Jammerei ob der Refs wie hilfloses Ablenken vom eigenen Versagen.
Nicht dass wir uns falsch verstehen: Day hatte eine phänomenal gute Saison als Rookie-Headcoach. Doch es ist immer wieder erstaunlich, wie solche Coaches am Ende alles wegschmeißen was sie gut gemacht hat, weil sie in kritischen Momenten ihrem eigenen Werk – der Offense – nicht vertrauen. Es war also eine unnötige Pleite – eine Kombination aus:
- Pech mit Ref-Entscheidungen
- Grandiosem gegnerischen DefCoord und Quarterback
- Vollgeschissenen eigenen Unterhosen
Clemson kann sich sehr glücklich schätzen, im Finale zu stehen. Das war ein Arbeitssieg – und nach dieser Performance mit so vielen blauen Flecken werden die Tigers im Endspiel gegen LSU wohl recht deutlicher Außenseiter sein. Die Partie hat dann doch gezeigt: Clemson 2019 hat nicht mehr die Tiefe und Qualität von Clemson 2018.
Aber sie haben Trevor Lawrence, und deshalb kann man sie auch fürs Finale nicht abschreiben, bevor die Messen gelesen sind.
Also: LSU gegen Clemson tigern dann Mitte Jänner um die National Championship im Superdome.
Ich finde es immer schön, dass man einfach davon ausgeht, dass das 4 Down ausspielen immer funktioniert.
Niemand geht davon aus.
Du schaust halt was wahrscheinlicher ist
1. 4th und 4 verwandeln oder
2. dass der Gegner den weggepunteten Ball zu 7 pkt macht
Wenn 2 > 1 macht es keinen Sinn 1. zu wählen, obwohl es natürlich auch schief gehen kann..
Es kommt auch noch der Faktor Zeit mit ins Spiel.
Bei 4th-Down Fail ist das Feld kürzer, also ist auch die gerechnete Zeit für einen Clemson-Drive kürzer – ergo: Man bekommt tendenziell schneller den Ball zurück.
Die Leichtigkeit, mit der Clemson den Ball über das Feld bewegte, spricht rückwirkend umso mehr für Ausspielen. Ohio State hatte noch „Glück“, dass Clemson so schnell gescort hat. Hätte es – wie man es erwarten musste – länger gedauert, OSU hätte den Ball erst sehr spät und schon fast aussichtslos zurückbekommen.
Das ist alles noch unabhängig davon, dass Day seinem eigenen Produkt nicht vertraute als es darauf ankam.
Der Hausherr kritisiert mehrere konservative / ängstliche (??) Entscheidungen. Ich habe das Spiel nicht gesehen, aber eine einfache Sache ist der PAT zum 23-21. Selbst eine 10% Chance auf 24-21 statt 22-21 macht Sinn. Ein Safety ist nun echt selten 😉 . Allein schon diese Entscheidung lässt die Kritik des Hausherrn berechtigt erscheinen 🙂 .
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