Eine der schönen Sachen am Bloggen ist die Möglichkeit, Erwartung mit Realität zu vergleichen. Ich hatte im Vorfeld der Saison 2019 mehrfach detailliert über die Kansas City Chiefs geschrieben. Sie waren eines der interessantesten Teams gewesen:
- Sensations-QB, dessen Effizienz bei aller Klasse nach Regression schrie
- Einige Fragezeichen im Support-Cast, namentlich auf Receiver, Runningback und Offensive Line
- Verlust der beiden besten Pass-Rusher
- Ein total unbekannter Cornerback-Corps
- Einer der schwierigsten Schedules vor der Brust
Lass uns also man den Soll/Ist Vergleich wagen.
Preseason-Regressionspotenzial in der Offense
Ich schrieb in der großen Sezierstunde:
Die zentrale Frage in der Chiefs-Offense ist für 2019 nun natürlich: Kann die Offense ihren Level halten? Gehen wir die Checkbox einmal durch.
Coaches
Vorher:
Anders als in den letzten Jahren, als Reid ambitionierte Assistenten wie Doug Pederson (Eagles) oder Matt Nagy (Bears) verlor, bleibt der Offensiv-Trainerstab diesmal zusammen. Reid ist seit langem ein Vorreiter der „Pass-First“ Bewegungen – ich kann mich noch gut erinnern, wie er damals um 2005 herum noch kritisiert, ja angefeindet, wurde, weil er es wagte, seinen RB Brian Westbrook in 1st Downs mit Kurzpässen zu bedienen! Mit verstärktem RPO-Einsatz, Jet-Sweeps und zahlreichen weiteren College-Football Elementen hat Reid in den letzten Jahren auch verstärkt Air-Raid Prinzipien eingebaut. Es besteht wenig Grund zu glauben, dass er das Ende der Fahnenstange schon erreicht hat.
Nachher: As expected. Nicht legte Andy Reid nach „Wins over WAR“ („Wins above Replacement“) zum x-ten Mal en suite eine faszinierend gute Performance hin, sondern auch die „weichen“ Faktoren waren alle topp:
- Offense #2 nach EPA/Play und DVOA, obwohl QB Mahomes zwei Spiele verpasste, der Receiving-Corps erst gegen Saisonende in voller Montur auflief.
- Die Chiefs spielten den nach EPA/Play 7t-schwesten Schedule und gingen dennoch 12-4, inklusive Siegen über die Baltimore Ravens und New England Patriots.
- Alle vier Niederlagen innerhalb eines einzigen Scores: -7 gegen Houston, -6 gegen Indianapolis, -7 mit Backup-QB gegen Green Bay und -3 in Tennessee
PFF adelte Andy Reid jüngst als besten Headcoach der NFL. Die komplette Offense blieb konzeptionell durch alle Verletzungen hindurch dieselbe, und OffCoord Bienemy bekam erneut Headcoach-Anfragen.
Receiving-Corps
Vorher:
Ein Fragezeichen, das nach der Freisprechung von „Gott“ Goodell für Tyreek Hill wesentlich kleiner ist als man noch im April gedacht hätte. [Einschub um das Thema kurz abzuhaken: Letzte Woche wurde bekannt gegeben, dass Tyreek Hill nun wohl doch nicht von der NFL gesperrt wird. Wer eine ganz gute Zusammenfassung und Einschätzung zum Thema hören möchte, dem empfehle ich dazu Mina Kimes von ESPN.]
Zwar wechselte die #3-Option Chris Conley nach Jacksonville und 2nd-String TE Demetrius Harris nach Cleveland, doch mit einem Hill zurück im Line-Up sieht das Offense-Personal nun doch viel besser aus als man befürchten musste („heile Welt“ wäre angesichts der Situation wohl ein unangebrachter Begriff).
Denn so großartig Mahomes ist: Hills Vielseitigkeit und Explosivität wäre für das Play-Design kaum zu ersetzen gewesen. In all der Unsicherheit reagierten die Chiefs im Draft mit der Einberufung von Georgias Speedster-WR Mecole Hardman (mit 4.33 Sekunden nur minimal „langsamer“ als Hill). Einen 1:1 Ersatz hätte man auf keinen Fall erwarten können (höchstens erträumen). Wie Hardmans Rolle nach der Hills Freigabe aussehen wird, ist schwer abzusehen – angesichts eines Play-Designers Reid kann man aber davon ausgehen, dass Hardman eine Rolle in der Offense spielen wird, und dass er so einfach wie möglich eingeführt wird.
Dank Hills Rückkehr bleibt der Receiving-Corps der Chiefs tief besetzt: Kelce (62% Success-Rate) und Watkins (63% Success-Rate) sind erstklassige Leute, auch wenn Watkins etwas oft verletzt ist. Hardman als WR3 ist immerhin bessere Tiefe als Kemp und Pringle.
Weil man hinter Kelce keinen ernsthaften zweiten Tight End hat, könnte es noch mehr 11-Personnel als letzte Saison werden. Vor allem wird es noch mehr Speed als letzte Saison geben. Man muss an dieser Stelle auch erwähnen, dass Reids Offenses in den letzten Jahren sowohl in Formationen mit 1 TE als auch mit 2 TE zu den effizientesten in der NFL gehörten.
Nachher: Der Receiving-Corps der Chiefs ist 2019/20 im PFF-Ranking an #8 gereiht – ein Ranking, das die Chiefs womöglich unterschätzt, nachdem praktisch alle Leistungsträger bis auf TE Kelce zu verschiedenen Zeitpunkten in der Saison länger ausgefallen sind.
Die Personnel-Packages im Einsatz blieben praktisch identisch mit 2018: In beiden Spielzeiten gab es 60% 11-Personnel Formationen (also mit 3 WR, 1 RB, 1 TE) und 28% 12-Personnel Packages (2 WR, 1 RB, 2 TE).
Dass die Gruppe brutal geschwindig ist, wusste man bereits: Hills Speed und Kelces Kombination aus Speed und Dominanz in der Spielfeldmitte sind die beiden Top-Trigger der Offense, aber auch Hardman erwies sich in limitierter Einsatzzeit durchaus als Waffe um die Defense auseinanderzuziehen.
TE Travis Kelce ist (inklusive Playoffs) mit 110 Catches in 146 Targets für 1393 Yards und 8 TD der Go-To Guy und diese Saison bestimmt ein Top-3 Tight End (hinter/neben Kittle und Mark Andrews).
WR Tyreek Hill machte nach Verletzungen inklusive Playoffs nur 14 Spiele. 2018 war er in 33% seiner Anspiele tiefer als 20 Yards. 2019 waren es nur noch 22% – er wird nun also auch häufiger kürzer angespielt. Nach Play-by-Play Effizienz bleibt er aber ein klarer Top-10 Receiver.
Problemkind ist Sammy Watkins. Es gibt seit Jahren Stimmen, die Watkins als crazy überschätzt anprangern – Josh Hermsmeyer war einer der ersten unter ihnen. Ich habe es mittlerweile auch akzeptiert: Watkins ist eben nicht der #1 Receiver, den ich noch im Sommer gesehen hatte – eher ist er ein austauschbarer Ergänzungsspieler. Hill und Kelce sind die Stars. Hardman der X-Faktor, und WR Robinson ist noch vor Watkins das Ablenkungsmanöver, das von den freien Räumen schmarotzt.
Watkins hatte zum Saisonauftakt 3 TD gegen die Jaguars. Dann kam bis zum AFC-Finale vor 10 Tagen nicht mehr viel.
Offensive Line
Vorher:
C Mitch Morse wechselte nach Buffalo, war aber eh oft verletzt. Auf Left Tackle zeigte Eric Fisher letztes Jahr erstmals, warum er einst der #1 Overall Pick war. Right Tackle ist mit Mitchell Schwartz eine Bank.
Doch auf OL-Interior bleiben Fragezeichen: Der neue C Austin Reiter ist ein klares Downgrade und auf Guard ist keine der drei Optionen Cam Erving (15 Strafen letzte Saison!), Andrew Wylie und Laurent Duvernay-Tardif eine Vertrauen erweckende.
Nachher: Chiefs-Ranking nach PFF:
#5 Pass-Blocking Unit
#17 Run-Blocking Unit
Nach ESPNs Pass-Blocking Win-Rate war die Pass-Block Unit mit 60% Sieg-Quote nach 2.5 Sekunden im Snap als #14 im Mittelfeld klassiert. Auch individuell gab es keinen Blocker, der es nach PBWR in die Top-10 der NFL auf Tackle, Guard oder Center geschafft hätte. Doch immerhin: Kein Offense Liner hatte mehr als 8 Strafen.
Runningbacks
Vorher:
Der letztes Jahr im November in einer Nacht- und Nebelaktion gefeuerte Hunt hat mittlerweile einen neuen Job in Cleveland gefunden. Den Chiefs bleibt RB Damien Williams, der Hunt im Laufspiel fast nahtlos ersetzen konnte, jedoch als Pass-Catcher den einen oder andern Rückschritt bedeutete.
Williams sollte idealerweise starten, denn die Alternative ist eine suspekte: Carlos Hyde, einst bei den 49ers einer der effizientesten Runner, doch in den letzten 2-3 Jahren zu einem Spottobjekt geworden, weil er unterhalb 30% Success-Rate hatte. Hyde ist überdies kein guter Blocker.
Nachher: Hyde war noch vor Saisonstart weg. Die Snaps teilten sich Shady McCoy und Damien Williams auf. Das reguläre Laufspiel war als #14 mit -0.04 EPA/Run im Mittelfeld. Als Pass-Catcher schien Williams einen Sprung nach vorn gemacht zu haben – doch mal ehrlich: Bei den fantastisch designten Screens kannst du jeden halbwegs antrittsstarken Runningback, der nicht jeden Pass fallen lässt, einsetzen und du wirst halbwegs Produktion bekommen.
Quarterback
Vorher:
Bleibt natürlich Mahomes selbst. Dass Mahomes schon im ersten Jahr als Starter (2017 spielte Mahomes nur ein bedeutungsloses Spiel) die Liga in Schutt und Asche legen würde, konnte niemand erwarten – und muss der Konkurrenz Angst und Schrecken einjagen, denn es wäre nicht das erste Mal, dass junge Quarterbacks im zweiten Jahr als Starter einen Leistungssprung nach vorn machen. Doch natürlich ist bei solchen Explosionen wie sie Mahomes 2018 erlebte das Stichwort Regression zur Mitte nie weit weg.
So großartig Mahomes war, so schwierig wird es, seine atemberaubenden Zahlen zu wiederholen. Da wäre zum einen die nicht zu haltende 8.6% TD-Rate, die zu 50 TD führte. Bislang hat noch keiner der (wenigen) 50-TD Passer in der darauffolgenden Saison auch nur 40 Touchdowns geworfen. Kombiniere das mit dem Fakt, dass mehr als eine Handvoll seiner Touchdown-„Pässe“ aus simplen Jet-Sweep Übergaben nach vorn resultierten, ist ein Rückgang sogar wahrscheinlich.
Bei den Interceptions erlebten wir schon letztes Jahr einen eher glücklichen Mahomes: Schauen wir auf die INT-Rate, sehen wir zwar mit 2.1% eine recht durchschnittliche INT-Quote, was nicht zwingend Regression erwarten lässt. Doch Football-Outsiders hat es in seiner „Adjusted Interceptions“ Aufstellung schon aufgezeigt: Mahomes hatte 10 gedroppte Interceptions – bei durchschnittlichem Glück hätte man bei ihm letzte Saison 15 anstelle von 12 INTs erwarten müssen.
Mahomes ist damit ein recht klar identifizierbarer Kandidat für Regression zur Mitte. Seine individuelle Performance mag gleich bleiben oder sich sogar verbessern, doch auch mit einer 16-Spiele Saison von Tyreek Hill ist eine Wiederholung der Zahlen von 2018 kaum denkbar. Sagen wir, Mahomes legt im Herbst 35 Touchdowns bei 15 Interceptions auf: An welchen Stellen könnten die Chiefs eine derartige Regression kompensieren?
Nachher: Nicht täuschen lassen von den Touchdown-Statistiken, die im Vergleich zu letzter Saison wie erwartet nachgelassen haben: Nur noch 26 Touchdown-Pässe für Mahomes in der Regul, der zwei Spiele mit Knieverletzung verpasste und auch sonst einige Partien mit Blessuren mehr oder weniger angeschlagen durchspielen musste. Ich hatte es im Sommer geschrieben: Die 8.6% Touchdown-Rate ist nicht zu halten; Mahomes hatte heuer „nur“ noch irdische 5.4% TD-Quote. Dafür legte Mahomes in den Playoffs 8 TD-Pässe in zwei Spielen auf – macht anstatt einer befürchteten TD-INT Ratio von 35/15 eine Rate von 34-zu-5.
Es war also nicht die einfachste Saison für Mahomes, aber dennoch gab es viele positive Elemente:
- Seine Interception-Quote sank von 2.1% auf 1.0% – er warf ganze 5 Interceptions die ganze Saison.
- Seine Sack-Quote sank von 4.3% auf 3.4%.
- Er ist mittlerweile ein fast fehlerfreier QB. Seine Rate an Turnover-würdigen Spielzügen ist für einen dermaßen aggressiven QB extrem niedrig.
Und das ganze reichte noch immer für 7.8 NY/A Passspiel (letzte Saison: 8.1 NY/A). Nach EPA/Play war Mahomes 2019 praktisch identisch mit 2018:
- 2018: 0.365 EPA/Play
- 2019: 0.363 EPA/Play
Das sind unfassbare Zahlen – Mahomes ist der real deal. Lamar Jackson wird verdientermaßen NFL-MVP, doch Mahomes bleibt in Kombination mit dem Andy-Reid Play-Design und diesen Playmakern der Goldstandard.
Preseson-Verbesserungspotenzial
Play-Calling
Vorher:
Obwohl Andy Reid bereits einer der aggressivsten Play-Caller in Early-Downs ist, ist die Chiefs-Offense 2019 eine Einladung dazu, noch aggressiver zu werfen. Das schreibe ich nicht nur in Anbetracht des phänomenalen Personals um Mahomes, Watkins, Hill und Co.
Ich schreibe es auch, gerade weil Regression in den Effizienz-Stats droht, brauchen die Chiefs wohl noch höhere Pass-Quote in 1st und 2nd Downs, vor allem zu Beginn der Spiele. Angesichts dieser Forderung könnte es den Chiefs sogar entgegen kommen, dass sie über keinen nominell hochklassigen Runningback verfügen, der zum Laufen verleiten würde.
Situationen, in denen Reid höhere Run-Rate ansagen könnte, sind kurze Yardage-Situationen in 2nd bis 4th Down. Hier hatten die Chiefs jeweils exzellente Rushing-Success-Rates, liefen allerdings jeweils unterhalb von NFL-Durchschnitt.
Nachher: Reid wurde wie gefordert noch passlastiger in Early-Downs und ist mit über 70% Passspiel in 1st und 2nd Downs der aggressivste Coach in der NFL – und das mit Abstand!
Selbst wenn wir alle Spielsituationen ausklammern, in denen die Chiefs weniger als 20% Siegwahrscheinlichkeit hatten (dort wird fast immer geworfen) oder mehr als 80% (dort wird fast immer gelaufen), so kamen die Chiefs auf 69% Pass-Quote. Keine andere Mannschaft war annähernd so aggressiv: Miami warf 65%, Green Bay 63%.
Die Chiefs waren auch extrem erfolgreich im Early-Down Passing: 7.2 NY/A, nur die Titans hatten mehr. Und 0.17 EPA/Dropback, gut genug für die #8 in der NFL.
Run-Defense
Vorher:
Die Schlechtigkeit der Chiefs-Run Defense von 2018 ist längst bekannt. Sie waren die #32 in Run-Defense DVOA, und der Abstand zur #31 war so groß wie der Abstand wie der Abstand von der #31 zur #21. Run-Defense ist für gewöhnlich nicht überaus kritisch, doch wenn sie so schlecht ist wie jene der Chiefs 2018, wird sie zu einem strukturellen Problem. Nun gibt es drei wichtige Faktoren, die für eine Verbesserung sprechen: Personelle Verstärkungen, neues Scheme und Regression zur Mitte.
Neue Spieler sind FS Tyrann Mathieu, einer der besseren Run-Defender auf Safety und Rookie-DT Khalen Saunders (3. Runde). Dazu deutete DT Derrick Nnandi letztes Jahr großes Potenzial als „run stuffing“ NT an. Im Scheme kommt mit dem neuen DefCoord Steve Spagnuolo ein Mann, der weniger für ultra-komplexes Gameplanning steht, dafür mehr für einfache Anweisungen, die auch die jüngeren Verteidiger verstehen.
Obwohl die Linebacker völlig unerfahren sind, dürfte Kansas City mit den paar Umstellungen und dem Faktor Regression zur Mitte relativ sicher nicht erneut 50% Run-Success Rate kassieren.
Nachher: Die Chiefs verbesserten sich nur marginal in Run-Defense:
0.03 EPA/Run in 2018, #32
0.01 EPA/Run in 2019, #27
Nach DVOA verbesserte sich die Run-Defense von #32 auf #29. Success-Rate 2019 war diesmal nur noch 43% für die gegnerische Rushing-Offense – also auf allen Ebenen eine leichte Verbesserung. Doch das hatte es letztlich gebraucht: Zumindest nicht desaströs den Run verteidigen!
Preseason-Knackpunkte
Schedule
Vorher
Auch der Schedule ist nicht günstig: Die Chiefs, die schon letztes Jahr einen der schwierigeren Schedules der NFL spielen mussten, sehen zur anstehenden Saison den für Warren Sharp 3t-schwersten Schedule der NFL. Unter anderem muss man den 1st-Place Schedule der AFC spielen und die harzige NFC North. Gerade für die in Zweifel stehende Passing-Defense wird es eine lange Saison.
Nachher: #7 Schedule nach EPA/Play, aber nur #13 Schedule nach DVOA. Vor allem die Chargers waren schwächer als erwartet – und generell hatten mehrere der gegnerischen Offenses im Spielplan 2019/20 schwächere Saisons als erwartet.
Pass-Defense
Vorher
Die Chiefs stellten letztes Jahr keine schlechte Passing-Defense. Mit 6.4 NY/A war man sowohl nach Yards als auch nach Pass-DVOA die #12 der NFL. Doch man lebte in erster Linie vom Edge-Rush Duo Houston/Ford. Insbesondere Ford hatte ein „Career Year“.
Jetzt kommt unter Spagnuolo die Systemumstellung auf 4-3 Base-Defense. Houston/Ford hätten dort nicht hingepasst, und so ließ man beide ziehen (im Falle von Ford wurde er für 2nd Round nach San Francisco verkauft). Spagnuolo ist mittlerweile 11 Jahre entfernt von seinem Husarenstück in Superbowl 42, als er mit seiner Defensive Line die Patriots abwürgte. Seither war der Reid-Buddy nur noch mäßig erfolgreich.
Auch seine Passing-Defense ist komplett anders strukturiert als jene von Vorgänger Bob Sutton: Viel weniger kompliziert, viel straighter. Spagnuolo tendiert dazu, mehr Zone-Defense zu spielen und mehr aus der zweiten Reihe zu blitzen.
Dennoch ist ein Front-Four Passrush essenziell. DT Chris Jones ist als mutmaßlich 2t-bester Interior-Rusher der NFL nach Aaron Donald der eine wichtige Ankermann. Die Frage ist, was an den Flanken passiert. Als Ersatz für Houston/Ford wurden drei Leute eingekauft:
- DE Frank Clark, der für teures Draftkapital aus Seattle kam und einen sehr teuren Vertrag bekam.
- DE Emmanuel Ogbahkam für einen Late-Rounder aus Cleveland.
- DE Alex Okaforkam aus Arizona.
Die Schlüsselperson an den Flanken ist Clark. Er hatte 2018 gleich viele Sacks wie Ford, doch wesentlich weniger QB-Pressures (33 zu 48). Clark muss funktionieren um der Passing-Defense eine Chance zu geben. Ogbah ist kein weltbewegender Passrusher und wird sich mit dem Rotationsspieler Okafor die Snaps teilen.
Ob Spagnuolo sein Blitzing aufsetzen kann, ist trotzdem zweifelhaft: Das Personal auf Cornerback ist mit das schlechteste der NFL (nur CB Kendall Fuller im Slot genügt an guten Tagen höheren Ansprüchen), und auf Safety vertraut man neben Mathieu wohl schnell auf einen Rookie: Juan Thornhill.
Nachher: Die große Überraschung in der Saison 2019/20! Die Chiefs haben sich in der Passing-Defense massiv verbessert:
- Nach EPA/Dropback mit 0.02 EPA/Pass die #9 Pass-Defense
- #6 Pass-Defense nach DVOA
Und das erstaunlichste: Die Chiefs schafften das ohne einen dominanten Pass-Rush – dafür mit einer trotz total unbekannter Defensive Backs massiv verbesserten Pass-Coverage! Wie sie das gemacht haben, hat Eric Eager beschrieben:
- Sehr eigenes Scheme, das gegnerischen QBs sehr häufig den #1 Read wegnimmt und die Zehntelsekunde Zögern dann nutzt um trotz mäßiger individueller Pass-Rusher trotzdem häufig genug Druck auf den QB zu machen um mehr schlechte QB-Entscheidungen zu erzwingen.
- Ein FS/Slot-CB Mathieu, der eine fabulöse Saison spielt und in der Mitte vieles dicht macht. Damit wird die Offense auf die Außen verlagert – wo das Scheme gerade überlebt, weil sich kein Spieler als krasse Schwachstelle erwies. Thornhill war bis zu seinem Verletzungsaus kurz vor den Playoffs eine Offenbarung.
Die Ironie am Ganzen? Der auffälligste Offseason-Move war der Trade für DE Frank Clark, die Chiefs mehrere Draftpicks, u.a. ihren 1st Rounder kostete. Clark hatte recht mauen Impact und konnte als Individualist das vorherige Passrush-Duo Ford/Houston nicht annähernd kompensieren. Dafür trumpfte ausgerechnet die angezweifelte Defense auf.
Der Cornerback-Depth Chart der Chiefs ist der mutmaßlich schwächste in der NFL:
- Bashaud Breeland
- Rashad Fenton
- Kendall Fuller
- Charvarius Ward
- Blessaun Whyte
- Tremon Smith
Einer dieser Namen entspringt meiner Fantasie, und ich rate dir mal in die frische Luft zu gehen, wenn du ohne Googeln sofort weißt, um welchen es sich dabei handelt.
Ganz sicher bist du dir ob dieser Namen noch immer nicht, oder? Sei ehrlich!
Und trotzdem: Grob hat sich die Chiefs-Pass Defense vom unteren Liga-Drittel in das obere Liga-Drittel entwickelt. Nein – es ist keine Elite-Defense! Aber sie ist besser als man befürchten musste – und gerade deshalb auch wichtig, weil die Chiefs mit ihrer potenten Offense als Antreiber häufig Führungen verteidigen müssen.
Fazit
Die Chiefs waren mein Preseason #3 Favorit auf die Superbowl. Meine größten Zweifel waren Offense-Regression und der brutale Cornerback-Depth Chart gewesen. Man muss nach der Saison konstatieren:
- Offense hielt ihren Level trotz Verletzungsproblemen, u.a. weil Mahomes ein noch kompletterer QB als 2018 ist und weil Andy Reid in Early-Downs die Stärken der Offense – Passspiel! – noch aggressiver in Szene setzt als in Vergangenheit.
- Pass-Defense hat sich dank überraschender Performance der Coverage doch beträchtlich nach vorn entwickelt – DefCoord Spagnuolo hat einen starken Job gemacht!
- Run-Defense mit leichter Verbesserung – aber das kommt wohl vor allem dank natürlicher Regression.
Weil die Chiefs nach einem wackeligen 2018 auch in den Special-Teams wieder eine der besten Units 2019 stellen, sind sie dieses Jahr durchaus mehr als „alleiniger Fokus auf Pat Mahomes“. Natürlich ist Kansas City ohne eine Top-Performance von Mahomes in der Superbowl gegen das sehr komplette San Francisco wohl verloren – aber Support-Cast und Defense verlangen zumindest keine überirdische Leistung des Quarterbacks. „Sehr, sehr gut“ kann schon reichen.
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