Chicago Bears in der Sezierstunde

Die Verantwortlichen der Chicago Bears hatten in der Offseason 2020 eine Aufgabe.

Und zwar, sich auf der Quarterback-Position zu bewegen. Das haben sie gemacht – aber haben sie mit dem Trade für Nick Foles genug gemacht?

Die Bears hatten zwar keinen 1st Rounder (Khalil-Mack-Trade), aber dennoch eine der tiefsten Free-Agency-QB-Klassen ever, und dennoch entschied sich der streitbare GM Ryan Pace dafür, einen 4th Round Draftpick nach Jacksonville zu schicken um den Superbowl-MVP der Eagles Foles zu holen.

Es ist der „Gesichtsbewahrungs-Move“: Foles ist im Gegensatz zu einem Jameis Winston oder Cam Newton kein QB, der die Starter-Frage per sofort zu 100% löst. Seine Verpflichtung lässt noch ein Hintertürchen offen dafür, dass QB Mitchell Trubisky doch noch einmal eine allerletzte Chance bekommt.

Wie gut man das finden sollte, ist Lesern dieses Blogs bekannt. Trubisky war 2019 die erwartete Vollkatastrophe. Nicht einmal, weil er so viele verheerende Bolzen beging – dazu hatte er mangels Scheming gar nicht mal die Chance. Vielmehr wurde der extrem unpräzise Trubisky von den Bears-Coaches soweit heruntergetrimmt, dass er im Prinzip bald nur noch Alibi-Pässe spielen durfte – und selbst dort war er mit nur 57% auf die Brust gelegten Pässen mehr Schrotflinte anstatt Präzisionsgewehr. Resultat: Die Bears warfen zwar wenige Interceptions, kassierten aber auch viele Sacks und hatten so gut wie keine Big-Plays.

Vor allem war Trubisky einmal mehr richtig übel in der einen Facette, die nach den Erkenntnissen der letzten Jahren mit die stabilste für Quarterbacks ist: Performance ohne Druck aus der Pocket. Trubisky war im PFF-Grading dabei die #30.

Foles kommt wie ein gänzlich anderer Typus QB daher: Foles ist am besten, wenn er direkt aus der Pocket spielen kann. Er ist kein Sicherheits-QB, sondern ein boom or bust-Werfer, fähig zu brandheißen QB-Runs wie 2013 mit einer 27 TD/2 INT-Performance oder dem legendären Superbowl 2018, aber auch einer, der zu Phasen mit Fremdschäm-Quarterbacking neigt.

Vor allem aber ist Foles vertraut mit sämtlichen Coaches in Chicago: Headcoach Matt Nagy kennt er aus gemeinsamen Zeiten in Kansas City, OffCoord Bill Lazor war sein QB-Coach zu gemeinsamen Chip-Kelly Zeiten in Philadelphia und der neue QB-Coach John DeFilippo war u.a. Nicks QB-Coach während seiner Superbowl-Zeit bei den Eagles.

Foles ist selbst in seiner „schwachen Version“ fast sicher ein Upgrade gegenüber Trubisky. Es wäre aber definitiv „besser“ gegangen – und auch billiger. Ein Jameis Winston mag kein idealer „Fit“ für eine Matt-Nagy-Offense sein, doch Winston unterschrieb für nur 1.1 Mio als Backup bei den Saints.

Dass die Bears nicht in dieses „Rennen“ eingestiegen sind, ist also nur mit der leisen Resthoffnung des GMs zu erklären, dass „sein Guy“ Trubisky es vielleicht doch noch schafft und mit einem Mentor à la Foles in Jahr 4 zumindest NFL-Reife andeutet.

Viel Vertrauen scheint Pace nicht zu haben: Trubiskys 5th-Year Option wurde nicht gezogen. Aber ein unerwarteter Durchbruch Trubiskys ist die einzige Chance, wie Pace noch sein Gesicht bewahren kann. Unter dieser Prämisse klingt Foles‘ Einkauf am sinnvollsten.

Offense

  • -0.06 EPA/Play overall, #26
  • 01 EPA/Pass, #23
  • -0.19 EPA/Run, #30

Das restliche Offensiv-Personal in Chicago ist kein schlechtes. Offensive Line bekam letztes Jahr viel auf die Fresse, v.a. weil das Laufspiel so desaströs war #30 nach EPA/Run), aber bei genauem Hinsehen waren die wirklich wichtigen Metriken gar nicht so schlecht:

  • #11 nach ESPN Pass-Blocking Win-Rate
  • #10 nach PFF Pass-Blocking Efficiency
  • #20 nach PFF Pass-Blocking Grade
  • #20 nach PFF Run-Blocking Grade

Freilich gibt es auf Left-Tackle ein Fragezeichen und freilich trat OG Kyle Long nach der Saison zurück, doch mit dem aus Seattle geholten Free Agent OL Germain Ifedi hat man eventuell einen einigermaßen soliden Ersatz gefunden. Die Erwartung ist eine O-Line im Liga-Mittelfeld.

Auf Receiver ist man mit WR Allen Robinson (weiterhin einer der besten WR1 in der NFL, geht ins letzte Vertragsjahr), WR Anthony Miller und WR Riley Ridley ganz okay besetzt und hat durch Ted Ginns Einkauf auch nochmal ein deep threat mit viel Speed nachgelegt.

Auf Tight End machte sich GM Pace zur Witzfigur, weil er alles verpflichtete was bei drei nicht auf dem Baum war – doch unter den zirka einem Dutzend Tight Ends sollten sich 1-2 finden, die liefern können, vielleicht Rookie Kmet und Oldie Graham.

Ich weiß, es gibt viel Skepsis: Aber viel schlimmer als 2019 kann das Quarterbacking gar nicht mehr werden, und Chicago war schon unter Berücksichtigung dessen als #19 nach Passing-DVOA und #23 nach Passing-EPA/Play gar nicht einmal so unterirdisch – u.a. eben wegen des sehr spielerfreundlichen Schemes sowie weiterer versteckter Vorteile wie einer sehr hohen Pass-Quote in Early-Downs.

Defense

  • -0.03 EPA/Play overall, #7
  • 04 EPA/Pass, #10
  • -0.14 EPA/Run, #6

Es war immer klar, dass die Bears-Defense ihren Level von 2018 nicht halten würde, doch als siebt-effizienteste Defense nach EPA/Play war sie noch immer eine der besten. Und das trotz des Verlusts von DefCoord Fangio sowie einiger wichtiger Leistungsträger wie Safety Amos – allerdings auch gegen einen Schedule mit zweimal David-Blough-Detroit.

In etwa die Range Top-5 bis Top-10 sollte dennoch die Erwartung für 2020 sein, denn obwohl okaye Ergänzungsspieler wie CB Amukamara oder EDGE Leonard Floyd das Team verließen, hat man drei potenzielle Schwachstellen ganz gut adressiert: Im Pass-Rush wurde Robert Quinn für allerdings viel Geld aus Dallas geholt, auf Safety hat man Tashaun Gipson als neuen Counterpart von Eddie Jackson geholt und in CB Jaylon Johnson hat man in der 2ten Runde einen der vielversprechendsten Zone-Corner für diese Defense geholt.

Pass-Rush war 2019 trotz eines Khalil Mack ein Schwachpunkt; Quinn ist ein womöglich deutliches Upgrade über den enttäuschenden ex-Top Ten Pick Floyd, der es wie so viele Passrush-Hünen nie ganz nach oben geschafft hat. Quinn war 2019 in Dallas einer der produktivsten Pass-Rusher:

Ein wichtiger Faktor für 2019 wird auch die Entwicklung von LB Roquan Smith sein: 2018 mit viel Tam-Tam gedraftet, hat Smith nur als Rookie sowas wie Every-Down Potenzial angedeutet. Prinzipiell muss jetzt der große Schritt kommen – und zwar in allen Facetten: Run-Defense, Pass-Rush und Coverage.

Ausblick

Die Bears sind schwer zu greifen für ein Team, das von einer grundsoliden 8-8 Bilanz ausgehend nur zwei klare Schwachpunkte zu adressieren hatte – Quarterback und Pass-Rush, und auf beiden Positionen auch entsprechend etwas gemacht hat.

Gerade auf QB ist natürlich die entscheidende Frage: Ist „etwas“ = „genug“? Es braucht prinzipiell nicht viel für eine Playoff-Qualifikation: Ein Foles, der zumindest teilweise die alte Eagles-Magie wieder aufleben lässt, eine Defense, die ausgehend von der Achse Mack / Roquan / Jackson grundsolide Qualitäten aufweist mit Potenzial für wirkliche Elite.

Die Bears hatten einen Pythagorean von 7.4 Siegen, was für etwas Glück beim erzielten 8-8 Record sprach, aber prinzipiell war er stabil: Turnover-Bilanz war neutral, sie hatten weder hohes Fumble-Glück noch außerordentliches Close-Game Glück (6-3 Bilanz).

Ihr Schedule ist 2020 nach FPI als der drittleichteste eingestuft.

Die allgemeine Erwartung an die Bears scheint sich momentan irgendwo bei 7-9 Bilanz einzupendeln. Ich habe sie damit als mögliches dark horse für eine Überraschung auf dem Zettel; es muss gar nicht so nicht viel zusammenkommen für einen Sprung nach vorn!

Freilich gibt es auch Katastrophenpotenzial: Sagen wir, Foles erwischt einen Saisonstart für die Grütze und Nagy geht zurück auf Trubisky, der nach einer Halbzeit aus dem Stadion gebuht wird, und schon sind wir im fröhlichen QB-wechsel-dich-Spielchen. Jede Verletzung könnte bitter enden, weil der Kader an so vielen Stellen eher dünn ist, nachdem Pace so ziemlich jeden 4th Rounder für sinnlose Up-Trades verscherbelt hat. Und dann besteht mit einer schon jetzt angesägten sportlichen Leitung immer das Risiko, dass das Team nach miesem Beginn irgendwann auseinanderfällt.

Was so schlimm nicht wäre: 2021 wartet eine hervorragende Quarterback-Klasse, in der sich der nächste GM bedienen könnte. Müsste ich jetzt wetten, würde ich aber eher 9-7 als Top-5 Pick setzen.

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5 Kommentare zu “Chicago Bears in der Sezierstunde

  1. Hier ist ab und zu mal auch vom Doping in der nfl die Rede. Heute in D mal mutige TV Programm Gestaltung in der ARD: direkt auf Pokal hf folgt doku zu Doping im fussball (spez schmerzmittel). Mutig 🙂

  2. Mutig und richtig.
    Ich denke, es hilft allen Beteiligten, wenn der Profisport transparenter wird. Und wenn es heisst, dass allen Zuschauern klar wird, dass heftige Medikamente im Profisport Alltag sind. Das Sportlerdasein wird nach wie vor von vielen Menschen als lockerer Traum gesehen. Dass sich viele Profis gesundheitlich ruinieren, wollen selbst viele NFL-Fans nicht sehen. Profisportler sterben nicht ohne Grund früher. Vielleicht öffnen solche Dokus manchem Fan die Augen: Geld ist nicht alles und Gesundheit am Ende unbezahlbar.
    Ein anschauliches Beispiel: Brad Culpepper (Youtube)

  3. Ich verstehe nicht wieso man die Zuschauer nicht Masken einlässt,die Proteste Wegen dem Tod von George Floyd haben ja auch tausende besucht in Wien sogar 50000.
    Also diese Spiele ohne Zuschauer ist eine Farce.

  4. Pingback: All-32: Chicago Bears 2020 Preview | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

  5. Pingback: Montagsvorschauer – NFL Woche 7 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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