Die Philadelphia Eagles gehörten in den letzten beiden Jahren aus unterschiedlichen Gründen zu den größten sportlichen Enttäuschungen der NFL. Als jemand, der permanent dazu neigt, die Aussichten der Eagles zu überschätzen [1][2] bin ich nicht prädestiniert, die Lage dieser Mannschaft für 2020 vernünftig einzuschätzen.
Ich habe mir also Hilfe von außen geholt und Jessica Fehlhaber (auf Twitter zu finden unter @Footballjessy) für eine die Eagles-Analyse ins Boot geholt. Fragen und Antworten gibt es nach dem Sprung.
#1 Vor zwei Jahren sahen die Eagles direkt im Anschluss an den Superbowl-Sieg aus wie eine angehende Dynastie. Was ist seither schief gegangen, dass es nur zu zwei 9-7 Bilanzen mit knapper Playoff-Qualifikation reichte? Waren es nur die Verletzungen oder muss sich auch Headcoach Doug Pederson den Vorwurf gefallen lassen, ohne seine Top-Offense Assistenzcoaches nur die Hälfte wert zu sein?
Jessica Fehlhaber: Die Verletzungen haben sicher einen großen Anteil daran, dass man trotz Playoffs unter den Erwartungen blieb. Aus diesem Grund gab es in der Offseason auch deutliche Veränderungen in diesem Bereich. Doch auch neben dem Platz gab es Fehler. So wurde der Abgang Frank Reichs anscheinend stark unterschätzt, denn Mike Groh wirkte über 2 Jahre nicht so als gehöre er in ein Dreiergespann mit Pederson und dem Veteranen Schwartz.
Die Offensive wirkte äußerst unkreativ und dazu kommt dann die fehlende Entwicklung der Wide Receiver, was auch Position-Coach Carson Walch den Job kostete. Natürlich muss man da auch die Kaderplanung kritisieren, die viel zu extrem auf einen fitten DeSean Jackson konzipiert wurde, ohne eine halbwegs vergleichbare Alternative in der Hinterhand zu haben. Letztlich war die Offense derartig lesbar, dass sie fast nur durch die individuelle Stärke von Wentz, Ertz, Goedert und Sanders am Leben gehalten wurde.
Dazu kommt dann das Risikospiel in der Secondary, wo man bewusst auf einen weiteren Veteranen verzichtet hatte und sich von den 3-4 aussichtsreichsten Cornerbacks große Leistungssprünge erhofft hat. Doch die Entwicklung blieb aus und die Eagles-Secondary wurde viel zu oft bloßgestellt.
Offense
#2 Lass uns auf die Quarterback-Position blicken: Wie wohl fühlt sich der Eagles-Fan nach vier Jahren Carson Wentz mit der Besetzung der wichtigsten Position im Football?
Jessica Fehlhaber: Wenn man für einen Pick weit nach oben geht, erhofft man sich natürlich einen Spieler zu draften, der die Hall of Fame-Einladung quasi bereits im Briefkasten hat. Davon ist Wentz sicherlich noch ein gutes Stück weg, aber die Entscheidung für Wentz war absolut richtig und persönlich bin ich auch froh, dass an Position 2 er und nicht Goff verfügbar war. In 4 Jahren hat Wentz meiner Meinung nach kein schlechtes Jahr gehabt. Ein durchschnittliches Rookie-Jahr, ein herausragendes 2. Jahr, ein trotz physischer Probleme gutes 3. Jahr und ein 4. Jahr in dem er quasi ohne nennenswerte Wide Receiver auskommen musste.
Ein Risiko ist natürlich die Verletzungsfrage, aber das sollte man auch nicht überdramatisieren. Die 2017er Verletzung war massiv und womöglich kam sein Comeback in der Folgesaison zu früh. Aber vergangene Saison spielte er in allen Spielen, konnte auch wieder mehr Läufe unternehmen. Der Ausfall in den Playoffs ist dann einfach großes Pech, das hätte jeden Spieler ausschalten können.
#3 Der Receiving-Corps in Philadelphia wurde mit viel Speed aufgemotzt, aber Philly kann unmöglich alle 8-10 aktuellen Receiver behalten. Welche sind die sicheren Tüten, welche die Wackelkandidaten für einen Roster-Spot im Herbst?
Jessica Fehlhaber: Auch wenn es um Alshon Jeffrey Gerüchte gab, dass er mit Wentz nicht harmoniere, so wird er als Starter in die Saison gehen, sofern er zum Start fit ist. Ein fitter DeSean Jackson wird ebenfalls seinen sicheren Platz haben und Jalen Reagor steht da auch nicht zur Debatte. Als Nummer 4 sehe ich Goodwin, der so etwas wie die Versicherung für Jackson ist, falls dieser nicht fit sein sollte. Dahinter wird es ein wenig enger, da hoffe ich persönlich auf Greg Ward. Er ist kein Überflieger, aber in der furchtbaren WR-Konstellation der letzten Saison war er der kleine Hoffnungsschimmer und sollte sich die Chance erarbeitet haben. Arcega-Whiteside hatte zwar ein ziemlich horrendes Jahr, allerdings denke ich nicht, dass man ihn als Zweitrundenpick so schnell aufgeben wird. Dazu würde ich dann noch Hightower packen, als aussichtsreichsten verbleibenden Rookie.
Im Practice Squad sehe ich Khalil Tate als sicher an, dessen Transformation vom College-QB zum NFL WR wird man die notwendige Zeit geben. Der Rest wird sich wohl um einen verbleibenden Spot im PS duellieren müssen.
#4 OL: Inwiefern schlummert auf Left Tackle eine Sollbruchstelle, jetzt wo der langjährige Eckpfeiler Jason Peters durch den Jungspund Andre Dillard ausgetauscht wird? Riskieren die Eagles damit ihren Platz an der Sonne als beste Offensive Line in der NFL?
Jessica Fehlhaber: Der Abschied von Peters schmerzt ungemein, zumal er vergangene Saison eher wie 27 statt 37 wirkte. Aber wenn man den Nachfolger gedraftet hat, muss man diesen Schritt machen, einen Erstrunden-Tackle kann man nicht jahrelang auf die Bank verfrachten. Dieses Risiko jetzt einzugehen ist notwendig, zumal die Offensive Line mittelfristig umbaut werden muss. Bei Jason Kelce schwebt ein mögliches Karriereende 2021 über der Line.
Zuletzt gab es immer wieder das Gerücht Peters könnte nach Philadelphia zurückkehren, entweder als doppelter Backup für die linke Hälfte der Line oder gar als Starting Guard. Vermutlich gibt es keinen Eagles-Fan der einer solchen Konstellation ablehnend gegenüber steht.
(Update korsakoff: Nach Vervollständigung des Interviews hat sich All-Pro OG Brandon Brooks gestern offenbar zum zweiten Mal die Achillessehne gerissen; Philadelphia wird damit wohl tatsächlich noch einmal aktiv auf dem Guard-Markt werden/Update Ende)
#5 Was ist also eine realistische Erwartung an die Eagles-Offense 2020?
Jessica Fehlhaber: Ich würde sagen: Eine funktionierende Offense, in der alle passberechtigten Positionsgruppen im Rahmen des Playbooks zum Einsatz kommen. Also das Nutzen der hinzugewonnenen Speed, welche auch Ertz & Goedert mehr Freiraum geben sollte.
Da Doug Pederson auf einen namentlichen Offense Coordinator verzichtet und dort eher auf ein Beratungsteam mit den Position-Coaches setzt, bin ich zuversichtlich, dass man da mehr Balance ins Spiel bringt, gerade weil man das größte Problem sehr radikal angegangen ist.
Defense
#6 Zur Defense: Cornerback-Upgrade von Jalen Mills auf Darius Slay – der Move des Jahres?
Jessica Fehlhaber: Ja und Nein. Slay statt Mills ist natürlich ein drastisches Upgrade, da die Eagles nun einen klaren Kandidaten haben, den sie Top-Receivern à la Julio Jones entgegensetzen können, welche die Eagles Secondary in den letzten Jahren mehrfach verbrannt haben. Das könnte auch einem Avante Maddox helfen, der immer wieder gute Ansätze zeigte, aber einfach nicht die Rolle eines halben Nummer 1 CBs stemmen konnte.
Mills selbst wurde nun umgeschult und soll die Lücke füllen, welche Malcolm Jenkins hinterlassen hat. Große Fußstapfen, zumal Jenkins auch der deutliche Anführer der Secondary war und gerade Mills gelegentlich auf dem Platz die Leviten lesen musste, wenn dieser nach mehreren missed Tackles einen einfachen abgewehrten Pass übertrieben feierte… Allerdings wird Jenkins Leader-Rolle ja nun eher auf Darius Slay (und Rodney McLeod) übergehen, sodass sich Mills auf den Safety-Job konzentrieren kann. Doch auch dort hat man mit Will Parks noch eine zusätzliche Absicherung geholt, die Mills den Platz auch streitig machen kann.
#7 Reicht die Verbesserung der Secondary in Kombination mit der noch immer wuchtigen Defensive Line aus um die Eagles wieder als eine Top-10 Defense zu erwarten?
Jessica Fehlhaber: Ich denke schon, dass man die Eagles da erwarten kann. Die D-Line wurde mit Hargrave für Jernigan nochmal etwas aufgewertet und Malik Jackson ist nach langer Verletzung eine Art weiterer Neuzugang, der sehr viel Rotation ermöglicht, was ein Grundbaustein für Schwartz‘ Vorstellungen ist.
Etwas kritisch ist hier, dass man erneut einer Position weniger Beachtung geschenkt hat – nach den Cornerbacks nun den Linebackern. Zwar ist diese Position im System von Jim Schwartz vergleichsweise wenig bedeutend, dennoch sind Nathan Gerry, Duke Riley und TJ Edwards keine Namen, die für einen besonders ruhigen Schlaf sorgen. Mit Nigel Bradham hat man einen sehr soliden Veteranen verloren und wie schnell Rookie Davion Taylor den Sprung schafft, bleibt abzuwarten.
Ausblick
#8 Eagles-Chancen für 2020: Ab welchem Punkt würdest du die Saison als uneingeschränkten Erfolg werten, ab welchem als klare Enttäuschung?
Jessica Fehlhaber: Auch wenn sich die Divisionskonkurrenz verbessert hat, wäre eine Saison ohne Playoffs eine sehr klare Enttäuschung – dafür ist man einfach in der Breite zu gut besetzt, ein fitter Kader muss sich vor keinem Team verstecken.
In den Playoffs sind Prognosen leider zu von zu viel unterschiedlichen Faktoren abhängig, um dort zu sagen wann eine Saison zum Erfolg wird. Von daher: Playoffs schaffen und dann schauen was geht.
Danke an Jessica Fehlhaber und hier noch einmal der Verweis für einen Follow auf Twitter: @Footballjessy.
Jeffery hat ja einen Megavertrag und ist damit wohl protected, aber glaubst du wirklich, daß D-Jax bleibt? Alt, verletzungsanfällig und teuer, und wenig Dead-Cap… das klingt für mich nicht nach sicherer Tüte.
Eine Sache verstehe ich nicht richtig bei den Saison-Vorschauen: Logik scheint öfters zu sein –> Gruppe X (Secondary / OLine / DLine ) war gut, wurde noch verbessert, wird dann sehr gut sein. Aber die NFL-KArrieren sollen doch so kurz sein. Das hiesse, das der Leistungshöhepunkt tendenziell schon im 2./3./4. Jahr kommt. Also würde eine unveränderte Gruppe X (s.o.) automatisch meist von Jahr zu Jahr schlechter werden. Gute Rookies dazu oder gute FA dazu bedeutet dann doch meist: wir hoffen, das gute Niveau halten zu können??
[Leistungshöhepunkt kann auch sein: Anzahl Snaps mit guter Leistung. Veteran kann immer noch unverändert gut sein. Aber wenn er von Jahr zu Jahr wg Verletzung weniger Snaps sieht, wird sein Leistungsbeitrag kleiner.]
Sollte im Football z.B. deutlich krasseres Phänomen sein als im Fussball wg. höherer Verletzungsintensität. Siehe Björn Werner: „In der Offseason wird die halbe NFL operiert.“
Es geht IMHO sogar darüber hinaus.
Entwicklung ist nicht linear, und gerade Positionen wie die Defensive-Secondary scheinen recht instabil zu sein, weil eben sehr viel vom Gegner abhängt.
Im Fußball halten sich Offense und Defense relativ gut die Waage. Im Football haben wir mittlerweile fast ein 2:1 Übergewicht der Offense, was auf vielen Positionen die individuelle Bewertung von Verteidigern schon extrem erschwert, da so vieles vom Schedule abhängt.
Dazu kommen Verletzungen, Scheme (andauernde Trainerwechsel), kurze Karrieren usw.
Es ist ja kein *Zufall*, dass man per Zufallsgenerator (oder einfach jeden 8-8 tippen) nicht extrem viel schlechtere Saisonprognosen bekommt als beim eigenen Tippen.
@FloJo: D-Jax hat ja diese gewisse Sonderstellung, daher denke ich schon, dass er da fest ist – sofern natürlich die Verletzung komplett ausgeheilt ist. Der Staff sehnt sich quasi seit einem Jahr nach seinen Deep Threat-Qualitäten und diese Sache in die Hand der Rookies zu geben, wäre auch mit Risiken behaftet. Die wenigen Fallbeispiele der letzten Saison zeigten auch, dass das mit Wentz und D-Jax sehr gut harmonieren kann.
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@Ahmser: Wenn ich das mal auf die Eagles D-Line beziehe, hat man man nur einen Spieler Ü30, Brandon Graham. Da nagt das Alter sicherlich etwas, aber dafür ist er seit 10 Jahren in Philly, kennt das System in- und auswendig, kennt die meisten der Defense seit Jahren,… Dazu arbeiten die Eagles gerade auf der D-Line mit sehr viel Rotation um diesen „Altersverschleiss“ möglichst gering zu halten. Konstanz im Staff, im Kader,… verlängert vermutlich so manche Karriere – jedenfalls eher als permanante HC-Wechsel, Scheme-Umstellungen, halbe Rebuilds,… In Philadelphia hat man es da vermutlich einfacher als in New York.