Ich bin spät dran, aber noch ein paar Gedanken zur Verpflichtung von QB Cameron Newton in New England.
#1 Die Unterschrift von Newton in New England ist nicht überraschend. Aber sie kommt spät. Sie kommt zu einem Zeitpunkt, als sich die meisten Analysten schon fast damit abgefunden hatten, dass die Patriots mit Jarrett Stidham auf QB in die Saison gehen würden.
#2 Ich habe u.a. gelesen, dass der Zeitpunkt damit erklärt werden kann, dass Bill Belichicks Plan „Value-Hunting“ lautete: Nicht unbedingt eine QB-Verpflichtung forcieren, aber zum entsprechenden Zeitpunkt war irgendwann der „Value“ einfach zu gut: Newton für annähernd Liga-Minimum plus ein paar Incentives für maximal 7.5 Mio. für eine Saison zu bekommen, ist das größte Schnäppchen des Jahres nach Jameis Winston.
#3 Bin ich ein Schelm, wenn ich denke, dass der Zeitpunkt nicht ganz zufällig mit der Verkündung der nächsten „Spy-Gate“ Strafe gegen die Pats zusammenfällt? New England wurde gestern für Video-Taping in Cincinnati abgestraft: 1.1 Mio Dollar plus Abzug eines 3rd Rounders. Newtons Verpflichtung überschattet dieses dritte derartige Pats-Vergehen in den letzten 15 Jahren.
#4 Newton in New England heißt auch: Die Patriots haben per sofort wieder die beste anstatt der schlechtesten Quarterback-Situation in der AFC East. Sie sind damit auch schon wieder der Divisions-Favorit auf dem Wettmarkt.
#5 Viele der Pats-Moves in der laufenden Offseason machen unter der Prämisse einer Newton-Verpflichtung wieder mehr Sinn, z.B. das Halten von teuren Veterans wie OG Thuney oder Oldies wie FS McCourty. Solche Moves hätten unter einem möglichen „Tanking-Gesichtspunkt“ wenig Sinn ergeben – doch New England 2020 ist mit Cam Newton bestimmt kein Tanking-Team mehr.
#6 Ich habe gelesen, dass Stidham trotzdem Starter bleiben könnte und Newton als Spielertyp nicht zum Patriots-System passt. Beides halte ich für ausgemachten Unsinn. Stidham bleibt nur dann Starter, wenn Newtons Schulter komplett kaputt ist oder es eine spezielle Situation wie komplett ausfallende Trainingslager gibt, in denen die Pats keine Einarbeitungszeit für Newton bekommen. Spielerisch passt Newton nach New England – die wandelbarste Offense der NFL. Siehe hier ein paar Beispiele wie Play-Action Rollouts oder Deep-Passing in der McDaniels-Offense.
Sehr guter Artikel dazu auch beim Ringer vom immer lesenswerten Robert Mays.
#7 Kann Newton mit 31 noch einmal liefern? Nach eineinhalb extrem verletzungsgeplagten Jahren mit vielen Problemen in der Wurfschulter ist es fair skeptisch zu sein, doch Newton war nie ein QB, der allein aufs Werfen beschränkt war. Vielmehr ist Newton die Personifizierung des Running-QB. Er ist als 1.96m Bolzen nicht Lamar-Jackson-Style, doch ein Gros seiner Produktivität als NFL-Spieler entstand dadurch, wie Carolina ihn einsetzte: Viel Option-Running, viel designtes Running, Passspiel manchmal nur als zweite Option. Newtons Schulter müsste schon „unspielbar“ sein, dass die Patriots mit Newton komplett floppen.
#8 Ist Newtons Karriere überschätzt? Vielleicht, denn seine MVP-Saison von 2015 war ein Ausreißer und mit Abstand seine beste als NFL-Starter. Doch ich habe schon im März darüber geschrieben, wie Bill Belichick in seiner Karriere die größten Probleme als Coach gegen solche Rushing-Thread QBs hatte und warum er deshalb durchaus interessiert daran sein könnte, mal selbst einen solchen QB in seine Offense zu stellen. Die Patriots-Receiver sind nach allem was wir wissen eine der schwächsten Gruppen in der NFL und haben alle Probleme im Kreieren von Separation, doch es ist denkbar, dass Newton mit seiner Mobilität bei einem solchen Support-Cast keine so viel schwächere QB-Option als eine 42-jährige QB-Statue Brady sein könnte.
#9 Ist der „schwierige Charakter“ Newton ein Culture-Clash in New England? 99.9% nein. Belichick gilt als Coach, der keine Flauseln toleriert, aber bei genauem Hinsehen ist dieses Gerücht schwer zu halten. Wenn die Leistung stimmt und der Spieler sich nicht über das Team stellt, hatte Belichick noch nie Probleme mit schwierigen Typen – im Gegenteil: Belichick war der Coach, der Chad Johnson, oder Randy Moss zähmte, er ließ Lawrence Taylor eine ganz lange Leine um seine Leistung zu maximieren, er hatte keine Probleme mit einem extrovertierten Typen wie Gronkowski. Und dass Newton ein schwieriger Typ ist, halte ich auch für komplett übertrieben. Er ist schwarz und er trägt fancy Kleidung. Gibt es außer dass sein Vater bei Auburn einst seine Footballtalente für Geld verkaufte als noch alle an puren College-Sports glaubten einen Anhaltspunkt dafür, dass Newton ein Problemkind mit schwierigem Umfeld ist?
#11 Was wird aus Stidham? Eine plausible Erklärung: Die Pats versuchen erstmal, ihn im Hintergrund heranzuziehen, vielleicht als „neuen Garoppolo“. Der Weg, Mid-Round QBs in der Hinterhand mit Geduld an die NFL heranzuführen, ist fast schon aus der Mode gekommen. Die Patriots können es sich in der aktuellen Situation sogar leisten. Floppt Newton, kann man immer noch über einen Change dieser Situation nachdenken. Rockt Newton, hat man auch zwei Optionen: Verlängern und weiteres Einlernen von Stidham, oder QB-Wechsel 2021, weil man keine 30 Mio/Saison zahlen will.
Ist mal wieder überraschend, dass wirklich kein Team Newton einen Ein-Jahres-Vertrag fürs Minimum angeboten hat, so dass New England ihn am Ende vom Wühltisch pflücken konnte.
Dass einige Teams Angst vor einer QB-controversy hatten, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Beispiel Bears. Foles, Minshew, Allen, etc über einen base-salary Cam Newton?
Was kann denn passieren?
a) Cam ist kaputt. Eine Million Cap-space und einen Rosterspot verloren. Verkraftbar. Deine QB-situation ist nicht schlechter als vorher ohne Cam.
b) Cam ist halbwegs spielfähig, aber nicht besser als Dein Starter. Dann hast Du einen erfahrenen, aber billigen Backup.
c) Cam ist fit. Starter. Verbessert Deine Playoff-chancen drastisch für ein Tönnies-sklavengehalt.
Und ganz nebenbei: Anstelle von Buffalo, Miami und NYJ hätte man durchaus das Signing machen können, nur damit die Pats ihn nicht bekommen. Er hätte dann vielleicht nicht für’s Minimum unterschrieben, aber für ein halbwegs faires Angebot ganz sicher. Cam will die Saison garantiert nicht auf der Couch verbringen.
Dann halt New England. Wird auf jeden Fall interessant anzuschauen.
Ich denke nicht, dass Cam in Buffalo, Miami oder bei den Jets überhaupt jemals unterschrieben hätte.
Er wollte und brauchte eine realistische und faire Chance auf einen Starter-Posten.
Buffalo, Miami, Jets, wohl auch Chicago wollten so etwas nicht bieten. Zu sehr eingefahren in ihren jeweiligen QB-Situationen.
@ Dizzy
Selbst bei einem Flop bekommen sie wohl einen 3rd Round Comp-Pick für ihn.
Mich wundert dass die Raiders ihn nicht geholt haben, wenn er gesund ist besser als Carr, Big-Name für Vegas und wenn er gut ist den QB der nächsten Jahre gefunden. Wenn es nicht klappt ist nix verloren, zumal Gruden Jobsicherheit hat.
zu #9 „Schwieriger Charakter“:
https://fivethirtyeight.com/features/soccer-commentary-is-full-of-coded-racism/
Was ich besonders krass finde, wenn man mal die Interviews von Patrick Owomoyela und Lukas Podolski nebeneinander stellt 😉 . (Meine persönlichen Extreme auf der Cleverness-Skala von Fussballern 🙂 )
Dasselbe Problem haben wir im US Sport mit der Charakterisierung von weißen und schwarzen Sportlern.
Ich find die Pats mit Cam jetzt jedenfalls wieder spannend, hatte sie irgendwie schon geistig abgehakt… Aber das will ich definitiv sehen, wenn denn die Saison auch wirklich statt findet…
Bin sehr gespannt was Miserable Bill spielen lassen wird…
Nach aktuellem Stand wird es kaum Football gespielt, jede Menge neue Corona Fälle im us Sport. Und ohne Zuschauer ist die NFL einfach unspielbar.
@Jogi
Warum ist die NFL ohne Zuschauer einfach unspielbar?
Klar, es wäre eine sehr spezielle Stimmung ganz ohne Publikum, aber theoretisch ist es natürlich machbar.
Und bevor die NFL die gesamte Saison ausfallen lässt, würden sie es glaube ich ohne Zuschauer probieren und durchziehen.
Hat man doch in der Bundesliga gesehen ja es ist machtbar, aber für eine Erfolgs verwöhnte Liga wie die NFL wo selbst 40000 Zuschauer als wenig angesehen wird wäre das sehr gewöhnungsbedürftig.
Klar, wäre es sehr gewöhnungsbedürftig.
Dennoch glaube ich, dass bevor gar nicht gespielt wird, einfach vor leeren (ev. reduzierten) Rängen gespielt wird.
Aber das ist natürlich alles Spekulation derzeit…
TV-Geld herrscht – wenn irgendwie machbar, wird NFL stattfinden. Problem dürften eher nicht die ZUschauer sein, sondern die Riesenkader im Vergleich zu z.B. Basketball. Da werden schon rein statistisch mehr Corona-Fälle auftreten.
@Klappflügel: Wenn Cam floppt, halte ich es für unwahrscheinlich, dass es für ihn einen Compensatory Pick gibt, von einem 3rd Rounder ganz zu schweigen. Die genaue Formel ist ja nicht bekannt, aber es geht ja um zukünftige Gehälter, Einsätze und Leistungen.
Gehalt scheint der wichtigste Part der geheimen Formel zu sein, und wenn Cam floppt, wird er wohl 2021 kaum einen dicken Vertrag bekommen.
Pingback: New England Patriots in der Fragerunde 2020 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!
Ist schon interessant: Cam haben die Pats zum Minimalgehalt gesigned, sicher nicht ohne zu sagen „Schau, wir haben einfach nicht mehr Capspace. Tut uns total leid. Sonst würden wir Dir viel mehr zahlen!“
Kaum ist Cam’s Unterschrift getrocknet, klären die Pats den Gehaltsstreit mit Hernandez (Erben) und AB und haben wieder 7,79mio Capspace. (Quelle: bleacher report)
Das ist für mich typisch New England: Es ist seltsam, irgendwie glücklich, aber riecht auch irgendwie geplant. „Clever“ eben. Mit allen positiven wie negativen Konnotationen, die das Attribut „clever“ mit sich bringt.