Grüße aus der Quarantäne. Ich bin seit gestern Abend 21h für den Rest des Jahres weggesperrt.
Das ist ja wie gemacht für den heutigen Auftakt zu einem langen, nein: laaaaangen, NFL-Wochenende mit dem Freitagsspiel am Christtag um 22h30: New Orleans Saints (10-4) vs. Minnesota Vikings (6-8). Es ist ein Spiel mit einiger Historie.
Saints – Vikings hat in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen in den Playoffs gesorgt. Das von den Saints mit mehr Glück als Verstand gewonnene NFC-Finale 2009/10 war Brett Favres letzter großer Auftritt in der NFL – beendet standesgemäß mit einer Interception in der Crunch-Time („this is not Detroit, man. THIS IS THE SUPERBOWL!!!“). Die Saints gewannen zwei Wochen später die einzige Superbowl ihrer Franchise-Geschichte, aber das Spiel hatte eine hässliche Spätfolge, als der damalige DefCoord Gregg Williams in einem Kopfgeldskandal („Bountygate“) aus dem Verkehr und Saints-Headcoach Sean Payton für die ganze Saison 2012 gesperrt wurden.
Vor drei Jahren revanchierten die Vikings sich mit dem epischen „Minnesota Miracle“, einem der spektakulärsten Finishes der letzten zehn Jahre NFL. Und letztes Jahr überraschten die als blass gehandelten Vikings den Superbowl-Favoriten Saints gleich in der Wildcard-Runde in deren Superdome und gewannen, diesmal wegen einer nicht gepfiffenen Pass-Interference erneut nicht ganz ohne Kontroverse, knapp in der Overtime.
Heute geht es für New Orleans um den Erhalt der Chance auf den #1 Seed – und wenn das nicht das Ziel ist, dann wenigstens um die Fixierung des Divisionssiegs. Ein Sieg gewinnt die Division und erhält bei Niederlagen von Packers und Seahawks die kleine Restchance auf den #1 Seed. Die Vikings haben nur mehr 2% Playoffchance. Aber gemäß Hans Krankl gilt: „Wir haben keine Chance, die müssen wir nutzen“.
Das Matchup, wenn die Saints den Ball haben
Die Saints-Offense ist schon die ganze Saison ziemlich faszinierend, weil sie nie richtig in Schwung gekommen ist, und trotzdem zu den effizienteren in der NFL gehört. Letzte Woche sah QB Drew Brees nach seinem übereilten Comeback mehr als „eingerostet“ aus; das war teilweise schon beängstigend. Brees‘ Bälle streuten wie Flinte, da konnten auch die wenigen komplettierten tiefen Pässe nix an dem miesen Eindruck ändern.
Wie wird Brees heute drauf sein? Fitter, weil die Zillionen gebrochenen Rippen weitere fünf Tage zusammengewachsen sind? Oder weiter wackelig, weil ein NFL-Spiel und „gutes Zusammenwachsen“ ein diametraler Widerspruch sind?
Das Gute: Die Vikings haben keinen Passrush um Brees in seiner Pocket das Leben schwer zu machen. Die Interior-O-Line der Saints ist zwar mit den beiden Wackel-Guard „But I’m a Pro Bowler“ LG Andrus Peat und RG Cesar Ruiz längst nicht immer auf der Höhe, aber in der D-Line von Minnesota gibt es niemanden, der dieses Mismatch ausnutzen könnte – womit schon einmal das größte Problem der Saints im letztjährigen Playoff-Upset neutralisiert wäre.
Allerdings haben die Saints Probleme im Receiving-Corps. WR Michael Thomas wurde für den Rest der Regular Season aus dem Verkehrt genommen, weil seine Knöchelprobleme anhalten; für Thomas war das ein ziemlich verlorenes Jahr. Ohne ihn gibt es prinzipiell nur mehr WR Emmanuel Sanders und TE Jared Cook, die wirklich von der Line of Scrimmage aus Gegner im 1-vs-1 schlagen können – die einzige andere Alternative ist Passing-Game auf RB Alvin Kamara aus dem Backfield heraus.
Für Minnesotas Defense ist Thomas‘ Ausfall ein Segen, denn sie haben schon das ganze Jahr Probleme auf Cornerback. Der Rookie-CB Cameron Dantzler hat sich zwar in den letzten Wochen wirklich gut gemacht, doch a) ist er noch nicht komplett genug um mit wirklich jedem Typus Receiver mitzugehen und b) ist er der momentan einzige Manndecker von Format. Ohne Thomas könnte Minnesota aber tatsächlich etwas Zugriff auf die Saints-Waffen bekommen – aber es gibt noch einen kleinen „secret star“ in den letzten Wochen bei den Saints: der hünenhafte Lil’Jordan Humphrey wird vermehrt als Slot-Bolzen eingesetzt – für ihn haben die Vikes kein offensichtliches Matchup in der Defense parat. Das riecht nach ein paar empfindlichen Nadelstichen.
Die Frage ist, ob New Orleans überhaupt so viel auf Passing-Game setzen wird. Da sind einmal die Zweifel um Brees‘ Fitness und der Ausfall von Thomas. Aber da ist auch das potenzielle mismatch der Saints O-Line gegen Minnesotas miese Defensive Front. Minnesota ist im unteren Mittelfeld nach Defensive Run EPA/Play und eine der schwächsten „second level run defenses“ in den letzten Wochen. Defensive Tackle ist ziemlich inexistent, auf Linebacker ist Anthony Barr schon länger raus und Eric Kendricks fraglich für heute, und die beiden Safetys Harrison Smith und Anthony Bryant haben in den letzten Wochen mit der überbordenden Verantwortung für „Run Fits“ immer mal wieder überzogen und ihre Gap-Integrity aufgegeben.
Kann Kamara sich hier durchfräsen und mal wieder eins seiner immer wieder auftretenden Big-Games auspacken?
Das Matchup, wenn die Vikings den Ball haben
Minnesotas Offense 2020 ist ziemlich klar definiert: Lauflastigkeit in praktisch allen Phasen und Situationen des Spiels…

… obwohl die Offense eine der explosivsten im Passing-Game wäre. WR Adam Thielen und der atemberaubend gute Rookie-WR Justin Jefferson allein wären Grund genug, dass der sehr gute QB Kirk Cousins etwas mehr von der Leine gelassen würde. Aber es passiert zu selten.
Es wird wohl auch heute nicht passieren, obwohl die Vikings damit der exzellenten Run-Defense der Saints in die offenen Arme laufen: #1 nach PFF Run-Grade, #3 nach Defensive EPA/Run. Das wird nicht gut „laufen“.
Es drohen mehr lange 2nd und 3rd Downs für Minnesota – und das ist dann wie gemacht für die seit Wochen heißlaufende Saints-Verteidigung, die sich mehr und mehr über einen exzellenten 4-Mann-Passrush definiert. Was allein die D-Liner an Pressure machen, ist schon stark:
- EDGE Cameron Jordan 52 Pressures
- EDGE Trey Hendrickson ohne Handschuhe 48 Pressures
- DT David Onyemata 41 Pressures
- EDGE Marcus Davenport 25 Pressures in relative wenigen Snaps
- DT Sheldon Rankins 20 pressures
Diese Fähigkeit, mit wenigen Mann Druck zu machen erlaubt DefCoord Dennis Allen, viele Leute hinten in Deckung zu lassen – gegen den über zwei Leute werfenden Pass-Angriff Minnesotas könnte das ein ziemlicher Winner sein. Man achte vor allem auf die Deckung Jeffersons: Gerät Cousins unter Druck, geht sein erster Blick extrem häufig in Richtung Jefferson.
In Summe
New Orleans ist mit 7 Punkten favorisiert. Das klingt nach wenig, wenn man Mike Zimmers Hang zum sinnlosen Lauf kennt – aber es klingt gleichzeitig nach viel, wenn man Brees letzte Woche hat spielen sehen. Vikings Backdoor-Cover ist gut möglich. An einen Minnesota-Sieg glaube ich aber eher wenig – dafür sind die Saints ganz einfach trotz Brees‘ Selbstfindung zu komplett.
Also bis 22h30. Gibt heute ziemlich sicher Live-Blogging.
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