NFL Conference Finals sind gespielt und seit die Houston Texans gestern den 65-jährigen Ravens-WR-Coach David Culley als neuen Headcoach aus dem Hut gezaubert haben sind alle sieben offenen Cheftrainerposten für 2021 besetzt.
Wir können den Fokus also schön langsam in Richtung NFL Draft schieben. Dort findet zur Stunde quasi der Auftakt zur Scouting-Saison statt, denn es ist Senior-Bowl-Woche.
Senior Bowl – whut?
Senior Bowl findet jedes Jahr eine Woche vor der Super Bowl statt. Für mich ist es meistens ein lang ersehntes Football-freies Wochenende. Immer mal wieder überlappte es mit den Kitzbüheler Hahnenkammrennen. Trotzdem habe ich immer mal wieder etwas über diese Veranstaltung geschrieben.
In aller Kürze: Es ist ein Auswahlspiel mit einigen der besten Draft-Prospects, die ihre College-„Eligibility“ ausgeschöpft haben (Redshirt-Juniors, Seniors). Die so genannten „underclassmen“, die sich schon nach drei Jahren fern der Highschool zum Draft anmelden (z.B. dieses Jahr Trevor Lawrence, Justin Fields), sind nicht spielberechtigt.
Die Senior-Bowl-Woche findet im tiefsten US-Süden im 200.000-Einwohner-Hafenstädtchen Mobile in Alabama statt. Für gewöhnlich tummeln sich dort hunderte Scouts und Journalisten, aber dieses Jahr geht es Covid-bedingt recht ruhig zu.
Was normalerweise wie ein Jahrestreffen alter Kollegen beschrieben wird, bei dem das Beobachten der Prospects mindestens genauso wichtig ist wie das Plaudern über die alten Zeiten, ist dieses Jahr mit kaum 200 Akkreditierten eine ziemlich trockene Veranstaltung. Einer meiner Bekannten hat erzählt, dass sein normalerweise rappelvolles Hotel zu maximal 20% gebucht ist. Corona-Business as usual.
Das Senior-Bowl-Spiel ist zwar der Aufhänger für den ganzen Zauber (Nacht von Samstag auf Sonntag, 20h30 im NFL Network auf dem Gamepass zu sehen), gilt aber als der unwichtigere Teil der ganzen Woche. Jeder Spieler bekommt dort eh nur eine Handvoll Snaps. Als wesentlich bedeutender gelten die Trainingseinheiten unter Anleitung von zwei NFL-Trainerstäben sowie die vielen persönlichen Interaktionen mit den Prospects. Heuer coachen Carolinas Matt Rhule und Co. und Miamis Brian Flores das „American Team“ und das „National Team“.
Senior Bowl gibt den Prospects dabei auch die Chance, mit und gegen relativ gute Gegenspieler zu trainieren und zu spielen. Während der Saison verletzte oder angeschlagene Prospects sowie Spieler von sehr kleinen Colleges aus den Niederungen des College Football haben eine einmalige Chance sich zu präsentieren. Die Liste von vormals eher unbekannten Spielern, die die Senior Bowl als Sprungbrett nutzen konnten, ist lang. Terry McLaurin oder Antonio Gibson sind zwei sehr positive Beispiele aus den letzten beiden Jahren.
Dieses Jahr gibt es keine gewohnte NFL Combine (die Workouts werden auf die College-Facilities ausgelagert) und keine Möglichkeit private Workouts auf den teameigenen Trainingsplätzen zu veranstalten – was den Wert der Senior Bowl diesmal zusätzlich steigert.
Die bekanntesten Spieler
Der größte Star des Jahres war in Mobile, macht aber den sportlichen Teil nicht mit: Heisman-Trophy-Gewinner Devonta Smith. Er kuriert eine Daumenverletzung aus und hat sich außer ein paar Vorstellungsgesprächen rar gemacht.
Als er am Mittwoch nicht bloß darauf verzichtete auf die Waage zu steigen, sondern noch nichtmal seine Größe abmessen ließ, explodierte Twitter. Paar Kilos drauflegen geht bis zur Combine immer – aber noch schnell paar Zentimeter wachsen?
Von den Top-4 Quarterbacks ist niemand da. Nachdem Kyle Trask von Florida verletzungsbedingt absagen musste, bleibt aber immerhin Alabamas National-Championship-winning QB Mac Jones. Der war Tuas Nachfolger bei Bama.
Jones ist weder imposanter Athlet noch grandioser Werfer, aber dafür sehr entscheidungsfreudig. Ich hab bei ihm die letzten Tage irgendwo einen Kirk-Cousins-Vergleich gesehen: Guter Ballverteiler im richtigen System, aber kein „Kreator“. Jones kann mit einer starken Senior Bowl noch den Sprung in die 1te Runde schaffen.
Bei den Receivern gibt es auch ohne Smith bissl Star-Power: Kadarious Toney von Florida ist da. Der ist kein raffinierter Route-Runner, aber eine Granate von Waffe mit dem Ball in der Hand. Bei Toney gibt es viele Fragen ob seiner „Press-Ability“: Kann er sich gegen Press-Coverage behaupten?
Am College hat er 87% seiner Snaps im Slot gespielt, geschützt vor dem direkten Körperkontakt an der Anspiellinie. Wenn er in den Trainings zeigt, dass er sich gegen Press behaupten und sogar mehr als ein paar simplifizierte Routen laufen kann, ist Toney ein ernsthafter 1st Round Kandidat.
Auf Offensive Tackle ist Jones‘ Blindside-Protector vom College mit dabei: LT Alex Leatherwood. Er wird hie und da als Late 1st/Mid 2nd Round Pick gehandelt.
Der meistgehypte Defense-Prospect ist EDGE „Boogie“ Basham. Der galt am College als eine Art Kult-Hero, hat aber eine miese Senior-Saison gespielt. Er soll top motiviert sein, diese Delle auszumerzen und sich für höhere Aufgaben zu empfehlen.
Schaut spannend aus, was Kadarious Toney für brutale Juke moves hat. Allerdings frage ich mich, ob Knie und Bänder das lange mitmachen, wenn er öfters aus vollem Sprint das gestreckte Bein in der Boden rammt.
Bei Devonta Smith Videos denk ich immer, die sind verzerrt, weil der so extrem dürr ausschaut. Die 79kg (laut Wikipedia) dürften zu respektablen Lastwechseln führen, wenn er auf einen physischen Safety trifft. Dass er sich nicht vermessen lässt, ist wirklich kurios. 😀
Pingback: Senior Bowl 2021: Quarterback-Prospects | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!