Es passiert selten bis nie, dass es um den #1 Pick im NFL Draft so wenig Debatte gibt wie 2021. Trevor Lawrence ist seit Monaten, ja vielleicht seit Jahren, fix dafür eingeplant. Ernsthafte Konkurrenz hat er nicht.
Schauen wir einige QB-Rankings dieses Jahrgangs an, so sehen wir zwei Konstanten: Konsens an #1, und Dissens auf allen Positionen dahinter:
No. | PFF | Waldman | Brugler | Franke | Nate Tice |
1 | Lawrence | Lawrence | Lawrence | Lawrence | Lawrence |
2 | Wilson | Lance | Wilson | Wilson | Fields |
3 | Fields | Jones | Fields | Fields | Lance |
4 | Lance | Fields | Lance | Lance | Wilson |
5 | Jones | Mills | Jones | Trask | Jones |
6 | Trask | Wilson | Mills | Jones | Trask |
Chris Simms sieht Zach Wilson an #1 vor Lawrence. Und J.T. O‘Sullivan verkündete jüngst im PFF-Forecast-Podcast, dass er, wäre er GM der Jaguars, Fields über Lawrence an #1 draften würde.
Aber im Wesentlichen gilt: Lawrence thront über allen anderen.
Lawrence wird in einer Riege mit den ganz großen, „sicheren“ Draft-Prospects der Geschichte genannt: John Elway 1983, Peyton Manning 1998, Andrew Luck 2012. Er versprüht die Aura des Unfehlbaren spätestens seit er als extrem hoch rekrutierter Spieler die Clemson Tigers vor zwei Jahren als Freshman zum National Championship führte.
Doch wie unfehlbar ist Lawrence? Hier für Gelegenheitszuschauer eine Aufdröselung, die über „Pluspunkt = Frisu des Jahrzehnts“, Minuspunkt = „Rückennummer #16 ist unästhetisch“ hinausgeht.
Der perfekte QB?
Lawrence ist einer der Prospects, bei denen man wirklich lange nach offensichtlichen Flauseln suchen muss. Er bietet prinzipiell alles an was das Footballherz begehrt.
Gardemaße mit 6‘6 und 213 Pfund, und eine für so einen Hünen unerhörte Mobilität. Wäre Lawrence ein nur halb so guter Werfer, er hätte durch seine Mobilität noch immer einen recht hohen „Floor“ – dieser sensationelle Run im Playoff-Semifinale vor eineinhalb Jahren gegen Ohio State steht dafür Pate:
Lawrence hat einen sehr, sehr guten Arm. Keine Rakete wie ein Matthew Stafford oder Patrick Mahomes, aber einen der ihm erlaubt alle Zonen am Spielfeld zu attackieren. Insbesondere auf den „Money-Routen“ in der NFL, Seam/vertical 15 bis über 20 Yards downfield ist er in diesem Jahrgang in seiner ganz eigenen Liga.
Lawrence hat exzellente Pocket-Präsenz, eine blitzsaubere Wurftechnik, ist ein klasse „Creator“ in 2nd reaction Plays und mehr als passabel gegen QB-Pressure.
Und Lawrence ist ein Leadertyp. Er war es, der letzten Sommer die Bewegung „We want to Play“ angeführt hat und somit letztlich die großen Conferences zum Umdenken und zur Durchführung einer Corona-abgesicherten Spielzeit bewegte.
Trotzdem ist Lawrence nicht „perfekt“. Kein Draft-Prospect ist „perfekt“. Nicht einmal Lionel Messi war mit 21 perfekt (wenn auch nahe dran).
Die Fragenzeichen sind kleine, aber sie sind da
Einmal gibt es präzisere Quarterbacks als Lawrence. Nicht, dass er „ungenau“ wäre oder Accuarcy im heutigen NFL-Kontext überhaupt noch das wichtigste Element im QB-Play wäre. Doch Lawrence reicht in Puncto Accuracy nicht ganz an die absolute Elite heran:
- #13 im College nach PFF Adjusted Completion Rate (78%)
- Nur viertbester Draft-QB in Derrik Klassens Accuracy-Charting (76%)
Lawrence hat die schwächste “True-Pass-Set“ PFF-Grade (also Offense-Plays ohne RPO, Play Action, Rollouts und Screens). Und bei allem fantastischen Highlight-Pässen downfield glückte QBs wie Jones oder Fields auf den kürzeren Mitteldistanzen (6-15 Yards downfield) eine um 10-15% höhere Completion-Rate.
Und dann ist da noch die Offense selbst. Das Thema hatten wir schon vor ein paar Tagen: Clemson spielt eine für NFL-Verhältnisse eher unübliche Offense: Hohe RPO-Quoten, relativ wenige Routen über die Spielfeldmitte. Nate Tice nannte sie in seinem Podcast sogar eine „Mickimaus-Offense“.
100% Pistol oder Shotgun; „under center” kennt Lawrence nur aus der Theorievorlesung. Play-Action oder RPO in über 42% der Pass-Plays – unter den Top-QBs im Draft hatte nur Mac Jones eine höhere Quote. Lawrences Targets standen sich um die Line of Scrimmage herum fast auf den Füßen, so häufig designten die Clemson-Coaches kurze Targets dorthin.
Lawrence zog unter allen 1st-Round-QBs die mit Abstand meiste Production aus RPOs und kurzen Dump-Offs:
Ich hatte schon im Februar darauf hingewiesen, dass Lawrences Pass-Chart weit von dem entfernt ist was er in der NFL spielen wird:
Diese Verteilung ist weniger problematisch als bei einem Zach Wilson. Der mied in der für den Raum zwischen den Hashmarks eigentlich prädestinierten Wide-Zone-Offense die Mitte, selbst als die Routen dort frei waren. Lawrence bekam im völlig anders erdachten Clemson-System kaum die Chance dorthin zu spielen.
Lawrences Vorgänger am College, Deshaun Watson, hatte vor kurzem kaum größere Probleme mit dem Umstieg in die NFL. Wir können uns ausmalen, dass es auch Lawrence schaffen wird – aber es bleibt ein kleines unbeantwortetes Fragezeichen, bis wir es mit eigenen Augen gesehen haben.
Und auch in Sachen Protection-Calls musste Lawrence weniger machen als ein Trey Lance. Nicht „weniger als gewöhnliche Draft-Prospects“. Aber eben auch nicht mehr.
Fazit: Andere QBs mussten härter arbeiten – teilweise gegen bessere Konkurrenz als die unterlegene ACC, die Lawrence an die Wand spielte.
Ausblick
Doch nicht vergessen: Das alles ist Kritik auf hohem Niveau. Lawrence bleibt für praktisch alle der QB1 in diesem Draft, und das wahrscheinlich zurecht.
Lawrence ist ein so hoch gehypter Prospect wegen seines extrem hohen „Floors“. Er fühlt sich einfach außergewöhnlich „bust proof“ an, auch wenn der Common Sense in all dem Wirbel um die Flauseln der farbigen QBs fast vergisst auf die Mankos in Lawrences Gesamtpaket hinzuweisen.
Lawrence wird fast sicher als #1 gedraftet werden. Und damit droht gleich zu Beginn seiner NFL-Karriere ein schwieriger Einstieg: Die Jaguars sind eines der schwächer besetzten Teams in der NFL, und die Offense von Urban Meyer/Darrell Bevell wird mit „full field reads“, Händen am verlängerten Rücken des Centers (statt ausschließlich Pistol/Shotgun) und Attacke auf die Spielfeldmitte völlig anders aussehen als das, was Lawrence in Clemson gesehen hat.
Selbstvertrauen ist eine der wichtigsten Komponenten der mental so anspruchsvollen QB-Position. Lawrence muss vorbereitet sein auf ein harziges Debüt. Er wird zum ersten Mal seit vielen Jahren sofort mit einer wirklichen Herausforderung konfrontiert sein. Wie gut er mit den Struggles in der ersten Saisonhälfte umgehen wird, könnte entscheidend sein für seine NFL-Zukunft.
Persönlich würde ich davon ausgehen, dass er sie meistert. Ich weiß nicht, ob Lawrences Leistungspotenzial wirklich höher ist als jenes von Fields oder Lance. Aber es wäre schon überraschend, wenn Lawrence nicht spätestens nächstes oder übernächstes Jahr schon zu den besten Quarterbacks in der NFL gehört.
Bei PFF ist zweimal Wilson.
Ups, sorry. PFF #2 ist Wilson, #4 ist Lance.
danke für den Artikel und den Überblick. Kurze Verständnisfrage zur Completion Rate, werden dabei eigentlich Drops der WR rausgerechnet?
Ja.
Wobei Drops interessanterweise mehr am QB hängen als an den Receivern selbst.
ok, hab nur eine erklärung von espn gefunden wo lediglich steht: „a pass the receiver should have caught with ordinary effort“
PFF und auch Klassen haben ähnlich, sich nur in Auslegung unterscheidende Herangehensweisen.
PFF unterscheidet z.B. zwischen:
– pointpoint accurate = quasi „Ball auf die Brust gelegt“
– catchable = Das ist die Zahl oben
– uncatchable = einfach zu weit vom Receiver weg geworfen als dass man vom Receiver erwarten könnte ihn zu fangen.
Drops werden üblicherweise als fangbare Bälle gewertet. Aber man muss eben wissen, dass Drops stabiler dem QB zuzuordnen sind als den Receivern, was IMHO durchaus überraschend ist und dafür spricht, dass bei aller Präzision/Ball Placement noch weitere Faktoren mit reinspielen.
Da müssen ja echte Experten am Werk sein wenn man plant einen 100% Shotgun QB erstmal andauernd under center zu stellen.
find ich auch überraschend und kommt mir als dejavu zum thema das sacks auch eher dem qb zuzordnen sind als der o-line. Zum Thema Drops würd mir noch einfallen, dass bei der Auswertung anscheinend nur das Placement des Balles berücksichtigt wird aber nicht Flugbahn, Ballgeschwindigkeit oder auch ob der Receiver Route oder Laufgeschwindigkeit angepasst hat, um überhaupt in eine theoretisch fangbare Position zu kommen.
Da würde ich blub zustimmen. Ich erinnere mich noch an David Carr als er sich under center einen Finger auskugelte.
Im Übrigen scheint mir für alles außer Jet-sweeps Shotgun deutlich sinnvoller zu sein. Allein schon, dass der QB in Ruhe post-snap schauen kann, wie sich das Play entwickelt, passt für Rookies einfach. Gerade wenn sie das komplette Feld lesen sollen.
In other news: „16 unästhetisch“? Wer sowas behauptet, war wohl in den späten 80ern Broncos-fan. Ein Trauma. 😉
Find Justin fields besser aber weil er schwarz ist wird wieder kein vertrauen erzeugt.
Pingback: NFL Draft 2021 für den Gelegenheitszuschauer | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!
Pingback: Die letzten Stunden vor dem NFL Draft 2021 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!
Pingback: All-32: Jacksonville Jaguars 2021 Preview | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!
Pingback: Date am Donnerstag: Cincinnati Bengals – Jacksonville Jaguars | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!