Heute ein Blick auf den Draft und die Offseason der Atlanta Falcons 2021.
Die Falcons haben bei mir für ihren Draft 2021 Note = C bekommen. Es war ein Draft ohne Trades, und wenn wir auf die gedrafteten Spieler schauen, dann fällt ein Leitmotiv auf: In den ersten drei Runden hat Atlanta gemessen am Big-Board zweimal „Value-Picks“ gezogen. An Tag 3 haben sie ausschließlich Spieler „overdraftet“ – und das teilweise deutlich:
Rd | Pick | Pos. | Name | College | PublicBoard |
1 | 4 | TE | Kyle Pitts | Florida | 2 |
2 | 40 | S | Richie Grant | UCF | 54 |
3 | 68 | OT | Jalen Mayfield | Michigan | 55 |
4 | 108 | CB | Darren Hall | San Diego State | 226 |
4 | 114 | C | Drew Dalman | Stanford | 175 |
5 | 148 | DI | Ta’Quon Graham | Texas | 239 |
5 | 182 | EDGE | Adetokunbo Ogundeji | Notre Dame | 195 |
5 | 183 | CB | Avery Williams | Boise State | 260 |
6 | 187 | WR | Frank Darby | Arizona State | 202 |
Nun haben wir seit kurzem eine bessere Vorstellung davon, wie wir „Steals“ und „Reaches“ einordnen sollen. Die Steals sollten wir nicht überschätzen, die Reaches tendieren dagegen wirklich dazu, gemessen an der Draftposition enttäuschende Spieler zu werden.
Die übergreifenden Themen beim Blick auf die allgemeine Draft-Strategie sind:
- Letztes Halali mit dem aktuellen Kader um QB Matt Ryan
- Fokus auf Gewinnmaximierung mit einer potenten Offense
- Tiefe für Offensive Line und Defense
Atlanta hat nach diesem Draft und der Einberufung von TE Kyle Pitts die Chance auf eine Top-5 Offense. Aber die Falcons werden sich letztlich trotzdem daran messen lassen müssen, was die Alternative gewesen wäre: QB Justin Fields.
Es ist zwar nachvollziehbar, wenn eine neue sportliche Leitung um GM Terry Fontenot und Headcoach Arthur Smith in Atlanta ankommt und dem Owner Arthur Blank verklickert, dass man mit einem teuren alten QB Matt Ryan einen letzten Angriff vornehmen kann. Doch mit einer kritischen Salary-Cap-Situation, aus der man sich weder einfach noch schnell hinaus navigieren kann, einem 36-jährigen Ryan und einem 32-jährigen Superstar-WR Julio Jones übergeht man nun auch die Chance auf einen proaktiven Umbruch.
Die Cap-Situation
Die Falcons mussten schon in der laufenden Offseason um eine der vier kritischsten Cap-Situationen herumdoktern (neben Saints, Steelers und Eagles) und haben im Zuge dessen auch Ryans Vertrag bereits neu strukturiert. Ryan schreibt nun in den letzten drei Jahren seines Vertrags folgende Zahlen an:
Jahr | Cap Number | Dead Money | Cap Saving |
2021 | 26.9 M | 65.4 M | -38.5 M |
2022 | 48.7 M | 40.5 M | 8.2 M |
2023 | 43.6 M | 15.6 M | 28 M |
Ryan ist also auf zwei Jahre an die Mannschaft gebunden – was wahrscheinlich einer der wesentlichen Gründe dafür war, noch einmal mit diesem Kern weiterzumachen anstatt einen QB-Rookie zwei Jahre auf der Bank sitzen zu lassen.
Allerdings: Atlanta hat für 2022 (also nächstes Jahr) bereits einen fetten Batzen an Salary-Cap gebunden – und das für einen relativ kleinen Spielerkern:
- Ryan 48.6 Mio
- DT Grady Jarrett 23.8 Mio
- OT Jake Matthews 23.7 Mio
- WR Julio Jones 19.3 Mio
- LB Deion Jones 18.7 Mio
- WR Calvin Ridley 11.1 Mio
Unter diesem Gesichtspunkt sind die Trade-Gerüchte um Julio Jones durchaus nachvollziehbar. Jones ist mit 32 nicht mehr der Jüngste und wird auch nicht wirklich billiger. Mit Cap-Zahlen um die 19-23 Mio./Jahr in den nächsten Spielzeiten könnte es wirklich ein guter Move sein, ihn noch in dieser Offseason zu verkaufen, denn das Risiko ist hoch, dass er nächstes Jahr nur noch Abnehmer zu weit schlechteren Konditionen findet.
Doch auf der Gegenseite möchte man jetzt auch einfach sehen, was die Falcons aus ihrer Draftklasse 2021 machen, wenn das komplette Personal zusammenbleibt. Denn wenn schon TE Kyle Pitts an #4, dann bitte auch in Kombination mit allen möglichen Waffen in Atlanta.
Ein Julio Jones als WR1. Ein Calvin Ridley als WR2. Pitts als ISO Tight End, Move Tight End, All-Around-Option als Waffe Nummer 3. TE Hayden Hurst in 12-Personnel als zweiter Tight End. Russell Gage oder who auch immer als WR3 in 11-Personnel. Eine rundum verbesserte, gereifte Offensive Line. Ein Matt Ryan auf seinem letzten NFL-Trip. Und das alles geschemt von Arthur Smith, dessen simple, aber ultra-effektive Offense in Tennessee schon Ryan Tannehills Karriere gerettet hat.
Es wäre einfach schön. Doch aus der Perspektive eines längerfristigen Team-Buildings ist ein Jones-Verkauf einfach zu argumentieren. (Was unter dem Gesichtspunkt schwieriger ist: Warum man dann nicht gleich auf QB im Draft gegangen ist… again).
Wie passt Pitts in die Offense?
Pitts war für viele der kompletteste Draft-Prospect im heurigen Jahrgang. Ich habe selten einen Spieler gesehen, bei dem sich alle Draftniks so einig waren, dass er kaum eine Schwäche hat.
Pitts ist ein Hüne und trotz schlankem Körper mit exzellenter Balance ausgestattet. Pitts ist extrem schnell (4.4 über 40 Yards). Pitts ist ein atemberaubend guter Pass-Catcher. Er ist gleich viel Receiver wie Tight End. Pitts ist auch ein guter Blocker. Kurzum: Der kompletteste Tight-End-Prospect seit langem, und weil er so gut fangen kann, gehen die Auguren auch von einer relativ smoothen Transition in die NFL aus.
Wie ihn Smith in der Offense einsetzen wird, ist eines der spannenderen Themen in Atlanta. Smith hatte in Tennessee Jonnu Smith – einen beweglichen Move-Tight-End, der im Schnitt recht kurz angespielt wurde: aDOT von 5.6 Yards/Target, oft auf Slants/Screens, damit Smith mit Schwung die Yards nach dem Catch machen kann.
Pitts kann das theoretisch trotz völlig anderem Körperbau auch, aber in Florida wurde er wesentlich tiefer angespielt: aDOT von 12.8 Yards/Target, was mehr als doppelt so tief ist! Pitts bietet im Gegensatz zu Smith auch echte deep threat-Ability an, kann den isolierten Receiver in 11-Personnel zu einer Seite des Spielfelds geben und die Seam-Nahtstellen bedienen.
Wird ihn Smith also dort einsetzen? Oder bleibt Pitts eine Art überdimensionierter „Gadget-Player“, während die Receiver-Kollegen gerade in der Redzone die offenen Räume ausschlachten?
Verdict
Also: Es hätte der Draft sein können, mit dem die Falcons die Zukunft einleiten. Stattdessen haben sie die Gegenwart verlängert. Das ist aus der Perspektive der neuen sportlichen Leitung nachvollziehbar – aber aus Franchise-Sicht hätte ich einen anderen Plan verfolgt.
Pitts als „Ausweg“ ist die wohl insgesamt bestmögliche Wahl. Denn so groß die Defense-Probleme in Atlanta nun schon über Jahre sind: Es gab keinen offensichtlichen Defense-Prospect, der schnell geholfen hätte. Mit Pitts lässt sich zumindest eine Stärke halten – oder gar zu einer Superwaffe optimieren.
Dass man danach Defense und Offensive Line mit gleich mehreren Pick adressiert hat, ist eine gute Idee. O-Line-Probleme hatte Atlanta lange genug – und wir haben oben gesehen, dass ein Jake Matthews brutal teuer wird. Ein Developmental-Prospect à la Mayfield macht perspektivisch Sinn. Center Drew Dalman könnte sogar schneller starten als wir glauben.
Fünf Defense-Picks in alle Levels zu investieren klingt nach einem guten Plan – auch wenn ich über die einzelnen Prospects nicht viel sagen kann, außer, dass jeder einzelne höher gezogen wurde als am Consensus-Board gerankt. Defense ist eine Unit der „Tiefe“ – und so sollte gerade in Atlanta mit all den Lücken jeder Prospect eine Chance auf einen Kaderplatz bekommen.
Dazu Frank Darby ganz am Ende – ein Receiver, der bei Matt Waldman als WR9 gerankt war, weil er zwar roh ist, aber hervorragende Anlagen besitzen soll. Es dürfte ein guter Fit sein, besonders, wenn Jones bleiben sollte.
In Summe also: Verständlicher Plan, nicht schlecht umgesetzt. Aber die Opportunitätskosten sind das Kriterium, an dem diese Offseason letztlich bewertet werden muss. Und dort hat Atlanta mutmaßlich eine goldene Chance für einen vernünftig eingeleiteten Rebuild liegen lassen.
Woran genau machst Du „das letzte Halali“ von Matt Ryan fest? Statistisch deutet sich bei den einfachen NFL-stats kein Karriere-ende an.
Ryan ist teuer, aber er ist erwiesenermaßen durchaus fähig. Ich finde es gut, dass er nochmal eine Chance auf einen Ring bekommt.
Hauptsächlich wegen Ryans Alter. Ryan wird heute 36, und man sollte sich nicht von Brady/Brees allzu sehr täuschen lassen: Das ist ein Alter, wo typischerweise der dritte Frühling auch für QBs beginnt.
Plausibel. Bleibt zu hoffen, dass Ryan nicht so bald den Peyton-Manning-Cliff-fall hinlegt.
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