Ich hatte mich vor ein paar Tagen nach dem Sinn eines Julio-Jones-Trades gefragt. Jetzt habe ich eine neue Perspektive anzubieten.
Selbst bekannte Journalisten wie Peter King beziffern die Chance, dass Julio Jones in den nächsten Tagen von den Atlanta Falcons getradet wird, als höher ein als einen Verbleib des Superstar-Receivers. Der Trade könnte nach Verstreichen der für das Salary-Cap-Management wichtigen 1.-Juni-Deadline über die Bühne gehen.
Ich hatte schon geschrieben, dass ich den Sinn eines Jones-Verkaufs nicht so wirklich verstehe – schließlich hätten die Falcons nach der Einberufung von TE Kyle Pitts im Draft eine der potenziell potentesten Offensiv-Anzüge der NFL beisammen. Atlanta, das sich unter der neuen sportlichen Leitung um GM Terry Fontenot und Headcoach Arthur Smith bekanntlich gegen einen Re-Build mit Einberufung eines Rookie-QBs entschieden hat, hätte mit Jones ein oder zwei Jahre mit Monster-Offense um doch noch einen Titel-Run durchzuziehen.
Aber nachdem ich gestern den OTC-Podcast mit Jason Fitzgerald gehört habe, verstehe ich die Gesamtsituation etwas besser.
Atlanta Falcons 2021 = Cap-Hölle
Fitzgerald ist der Cap-Guru schlechthin. Wenn er spricht, sollte man zuhören. Fitzgerald begründet alle Aktivität der Falcons in dieser gegenwärtigen Offseason mit der Cap-Hölle.
Das war mir bekannt gewesen: New Orleans, Pittsburgh, Philadelphia, Atlanta – das waren die vier Teams, die sich nach dem Corona-Cut ganz tief in der Bredouille befunden hatten. Aber wie tief Atlanta drin war, hatte ich zuvor nicht ganz gerafft.
Fitzgerald betont: Atlanta hat nur noch knapp 337.000 USD Cap-Space. Das reicht noch nicht einmal um die Rookies 2021 unter Vertrag zu nehmen (kostet ca. 7 Mio für dieses Jahr), und viele Stellhebel gibt es gar nicht mehr.
Eigentlich hat es nie viele gegeben – und schon gar keinen Ausweg. Nach Fitzgerald hatten die Falcons vor Beginn der Offseason vier Optionen:
- Cap-Hölle
- Cap-Hölle
- Cap-Hölle
- Cap-Hölle
Einen radikalen Umbruch à la Bills 2017/18 oder Dolphins 2019/20 gab es nicht, weil das Dead-Money Atlantas Salary-Cap in einem der Umbruchjahre zerfetzt hätte – und dann hätte man sogar wichtige Bausteine wie Calvin Ridley (steht auch kurz vor seinem zweiten Vertrag) verloren. So blieb allein die Möglichkeit, einigermaßen Manövrierfähigkeit zu behalten und den Kader sachte in mehreren Schritten (bzw. Offseasons) umzubauen.
Behalte QB, trade WR
Unter diesem Aspekt muss man auch die Umstrukturierung von QB Matt Ryan im Frühjahr sehen. Die Atlanta hatte die Option, entweder Ryans Vertrag umzubauen – oder Julio Jones. In beiden Fällen konnte man nicht bis zum 1. Juni warten.
Motto: „Keep one, trade one”.
Ryan wäre eingangs der Offseason für 44 Mio. Dead-Cap zu verkaufen gewesen. Das war nicht tragbar. Und weil der QB der teurere Spieler ist als der Wide Receiver, bot Ryan auch praktischerweise mehr Möglichkeiten zum kurzfristigen „Einsparen“ von Cap-Space.
Die Folge: Ryan schreibt nach der Neustrukturierung 40.5 Mio. Dead-Money für 2022 an. Damit ist Ryan zwar finanzierbar für 2021 geworden – aber eben auch ein Fixstarter („un-cuttable“) für das nächste Jahr. Und damit hätte Atlanta auch gleich zwei Jahre eines Rookie-Quarterbacks mit einem Veteran-QB blockiert.
Unter diesem Aspekt ist es sogar verständlich, dass die Falcons auf eine QB-Einberufung im Draft verzichteten: Sie hätten ganz einfach zwei „cost controlled“ Jahre verschenkt und auf einen der wesentlichsten Vorteile eines jungen QBs verzichten müssen: Den relativ billigen Vertrag (ca. 8 Mio/Jahr für einen Spieler, der im zweiten Vertrag üblicherweise um die 30 Mio/Jahr kostet).
Weil man es sich nicht leisten konnte, sich von Ryan zu trennen, ist nun Julio Jones der Mann für den Verkauf. Ein Jones-Verkauf vor dem 1. Juni ist nicht denkbar – aber nach dem 1. Juni macht ein Trade erstmal ca. 15 Mio. Platz unter der Gehaltsobergrenze frei (die Differenz wird dann in 2022 reingeschrieben, wo die Falcons auch schon wieder nahe 90% Cap-Auslastung hätten). Rookies aus dem heurigen Jahrgang können dann verpflichtet werden und Atlanta könnte den Draftpick für Jones mitnehmen.
Alles ein rein wirtschaftlicher Prozess. Der neuen sportlichen Leitung waren von Anfang an die Hände gebunden – und so geil eines Falcons-Offense mit Ryan, Jones, Ridley und Kyle Pitts wäre: Sie war nie besonders realistisch.
Julio–Jones-Verkauf unter der Lupe
Fitzgerald diskutiert auch noch kurz, wie Atlanta ohne Jones-Verkauf den notwendigen Cap-Space generieren kann um die Rookies 2021 zu signen und gleichzeitig für die Zukunft einigermaßen Flexibilität z.B. für die Calvin-Ridley-Verlängerung zu behalten.
Option 1: Jones‘ Vertrag restrukturieren.
Option 2: Grady Jarretts Vertrag restrukturieren oder Jarrett traden.
Prinzipiell ist ein Jones-Verkauf also wohl der beste denkbare Befreiungsschlag der Falcons. Ich bin gespannt, was sie für Jones in der aktuellen Situation herausschlagen können. Julio ist seit Februar 32, war in den letzten Jahren aber immer noch ein ziemlich produktiver Spieler:
- 2020: 2.60 Yards/Route-Run, #4 der NFL
- 2019: 2.44 YPRR, #4
- 2018: 2.93 YPRR, #1
- 2017: 3.04 YPRR, #1
- 2016: 3.23 YPRR, #1
- 2015: 3.04 YPRR, #1
Und das alles, obwohl Atlanta Jones vergleichsweise selten in den Slot stellte (weniger als ¼ der Snaps) – im Slot machen Top-Receiver üblicherweise extrem viele Yards/Route und pimpen ihre Stats noch einmal weiter auf.
Aber so produktiv Jones ist: Es gibt nicht viele Receiver, die mit 32 oder mehr Jahren noch viele gute Jahre hatten. Einige Star-Receiver hatten noch ein starkes Jahr. Ganz wenige hatten noch zwei. Selbst einem zeitlosen Wunder wie Larry Fitzgerald mussten die Arizona Cardinals eine simplifizierte Rolle im Slot zurechtschustern um ihn am Laufen zu halten. Und einen Jerry Rice oder Terrell Owens gibt es einmal alle Ewigkeiten.
Jones war ein epischer Receiver, aber sein Körper spielte in den letzten 10 Jahren nicht immer mit. Er hatte mehrere Fußbrüche, musste immer wieder im Training aussetzen und war, obwohl er nur zwei halbe Spielzeiten verpasste, oft an der Grenze zum Ausfall. Unter diesen Umständen würde ich ungern auf eine noch lange Karriere wetten.
Atlanta will allem Anschein nach einen 1st Rounder – aber ich fürchte, den können die Falcons sich abschminken. Die Liga weiß um die verzweifelte Cap-Situation in Atlanta. Und nur wenige Mannschaften können es sich leisten einen 1st Rounder für einen Spieler zu investieren, der vielleicht nur mehr ein herausragendes Jahr im Tank hat.
Denn bedenke: Die „Höhe“ des Draftpicks ist vor Beginn der nächsten Saison noch gar nicht bekannt. Nur wenige Mannschaften – wie Kansas City, Tampa Bay oder Cleveland – können Stand jetzt damit rechnen, dass sie in den Playoffs mitspielen, und damit einen eher niedrigen 1st Rounder rauspulvern würden.
Doch die Chiefs könnten Jones wohl kaum mit ihrer eigenen Salary-Cap in Einklang bringen. Die Browns müssen schon an die Baker-Mayfield-Extension denken. Und viele der anderen Trade-Kandidaten riskieren, bei schlechtem Saisonverlauf einen künftigen Top-10 Pick zu verlieren.
Ich wäre also überrascht, wenn Jones mehr als einen 2nd Rounder (plus X) einbringt – vielleicht von Tennessee. Aber ich bin jetzt nicht mehr überrascht, wenn Jones wirklich verkauft wird. Ab morgen könnte ein Deal offiziell werden.
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2. Juni.
Je länger es dauert, desto weniger first-rounder-mäßig sieht es für die Falcons aus.
Bzgl. Aaron Rodgers: Stille. Wenn die Packers mit den Broncos einen mündlichen Deal hätten, sollten sie jetzt nicht bereits Nägel mit Köpfen machen um sich anderen Dinge widmen zu können?
Dauert der Papierkram nur länger?
Oder wäre es wirklich unvorstellbar, dass die Broncos zugunsten von Drew Lock eine starke QB-klasse ignoriert haben und die Packers eventuell Aaron nicht auf’s Spielfeld bekommen? (das komplette Gegenteil einer win-win-Situation)
Jetzt ist es passiert: Julio zu den Titans.
Kompensation 2nd Rounder + Tausch von 4th und 6th. Alles as expected.
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