Die Implikationen des Julio-Jones-Trades

Gestern Abend ist das Erwartete passiert: Die Atlanta Falcons haben WR Julio Jones zu den Tennessee Titans getradet. Auch der Preis ist der Erwartete.

Tennessee zahlt einen 2nd und einen 4th Rounder, und bekommt von den Titans zuzüglich zu Jones einen 6th Rounder zurück. All das kommt nicht mehr als Überraschung.

Insgesamt muss es sich für Falcons-Fans trotzdem wie ein „bummer“ anfühlen. Jones war der Star der Mannschaft im letzten Jahrzehnt, und man kann ein Argument machen, dass Jones trotz relativ weniger Touchdowns (nur deren 66 in zehn Spielzeiten) der beste NFL-Receiver unserer Zeit ist. Allein seine Yards/Route-Run Werte sind absolut faszinierend:

  • 2011: 2.05 Yards/Route-Run, #20 der NFL
  • 2012: 2.20 YPRR, #15
  • 2013: 2.75 YPRR, #1
  • 2014: 2.72 YPRR, #3
  • 2015: 3.04 YPRR, #1
  • 2016: 3.23 YPRR, #1
  • 2017: 3.04 YPRR, #1
  • 2018: 2.93 YPRR, #1
  • 2019: 2.44 YPRR, #4
  • 2020: 2.60 YPRR, #4

Jones tütete 2017 mit einem unfassbaren Catch die Superbowl ein, als er in unmöglicher Lage nicht zwei, sondern gar drei Schritte im Feld machte… zwei Plays später fumbelte Matt Ryan den Ball und das Schicksal nahm seinen Lauf. Es sollte einfach nicht sein mit dem ganz großen Wurf.

Die Finanzen hinter dem Trade

Kurios an dem Julio-Jones-Vertrag, der jetzt zum Abgang führte: Er wurde vor zwei Jahren ausgehandelt und seine Laufzeit hat noch gar nicht begonnen. Die Falcons zahlen einen Haufen der guarantees für Tennessee für nicht einen einzigen Snap unter den Konditionen des Vertrags!

Finanziell sieht der Move wie folgt aus:

Atlanta schluckt 7.75 Mio. Dead-Cap in dieser Saison, gewinnt jetzt aber den Freiraum um die Rookie-Klasse von 2021 unter Vertrag zu nehmen (rund 15 Mio. gewonnener Cap-Space für 2021).

Die restlichen 15.5 Mio. Dead-Money werden für die Saison 2022 angeschrieben.

Tennessee zahlt 15.3 Mio. fully guaranteed an Jones im Jahr 2021. Die Jahre danach sind mit jeweils 11.5 Mio/Saison relativ erschwinglich, und vor allem: Es gibt nur mehr 2 Mio. guaranteed money in 2022. Anders: Sollte Jones wider Erwarten doch total abbauen, wird man ihn recht einfach los.

Die Sicht der Falcons

Jones‘ Abgang war wohl nicht bloß „Cap-Casuality“. Die Ikone selbst wollte wohl auch weg aus Atlanta.

Anyhow: Der Abgang gibt der ganzen Falcons-Offseason eine bittere Note. Ich habe schon ausgeführt, warum es in einer schlechten Cap-Situation mutmaßlich nie einen ganz radikalen Umbruch im Bills/Dolphins-Style geben konnte, aber die aufregendste der ganzen Alternative wären 1-2 Jahre mit Monster-Offense-Potenzial um Julio, Kyle Pitts, Calvin Ridley und Matt Ryan gewesen. Das hätte aber wohl zur nächsten Cap-Hölle geführt…

…und so muss man den Move wohl durch die Brille der neuen sportlichen Leitung sehen. GM Terry Fontenot und Headcoach Arthur Smith sind neu und mussten eine schwierige finanzielle Situation Situation übernehmen, die ihnen nicht anzulasten ist.

Option 1 – ein radikaler Umbruch – war wohl praktisch nicht zu stemmen und stand von oben herab nicht zur Diskussion

Option 2 – ein „all in“ für vielleicht ein oder zwei Jahre wäre machbar gewesen, aber mit einer schwachen Defense auch fernab jeder „Garantie“, und in zwei Jahren hätte das Duo dann alles einreißen müssen – mit dem Risiko, bei diesem Rebuild schnell selbst persönlich geradestehen zu müssen.

So bleibt Option 3: Die Möglichkeit, jetzt einigermaßen zu „gestalten“ und die Falcons zu „ihrem Team“ zu machen. Aber eben erstmal auch hohe Gefahr, dem stuck in the middle zu verfallen und auf Jahre nicht aus dem Territorium der grauen Maus herauszukommen.

So bitter es ist: In der NFL bietet so ein Weg des langen Aussitzens erstmal höhere Job-Sicherheit als ein verzögerter Rebuild. Wie relevant Atlanta im Titelrennen sein kann, ist für das Führungs-Duo erstmal zweitrangig.

Die Sicht der Titans

Tennessee wird als großer Sieger in dem Trade gefeiert. Die Titans bekommen einen 32-jährigen Jones, der letzte Saison zwar teilweise verletzt war, ansonsten aber wenige Anzeichen von physischem Verfall andeutete. Ein gutes Jahr sollte mindestens noch drin sein. Zwei oder mehr sind schon weniger wahrscheinlich, aber recht weit wird Tennessee erstmal eh nicht denken.

Die Titans sehen sich nämlich jetzt im „Superbowl-Fenster“.

Sie haben einen QB Ryan Tannehill, der seit seiner Einwechslung als Stamm-QB vor eineinhalb Jahren die #1 Offense nach EPA/Play angeführt hat.

Sie haben Derrick Henry, einen der wenigen Runningbacks in der NFL mit wirklich positivem Beitrag zum Erfolg der Offense (z.B. konstant um die 4 Yards nach Erstkontakt und das oft gegen 8-Mann-Boxen).

Und sie haben jetzt Julio Jones als Receiver neben dem atemberaubenden A.J. Brown (in seinen beiden Jahren in der NFL die #5 und #2 nach obiger Yards/Route-Run Produktion). Das hat Potenzial zum besten Receiver-Duo in der NFL. Auf jeden Fall ist es das physisch imposanteste.

Jones wie Brown waren in den letzten Jahren Receiver mit einem aDOT von 12-13 Yards downfield. Sie spielen beide zu ca. 80% außen. Ihre gemeinsame Präsenz am Feld garantiert den Titans, dass sich Defenses nicht allein auf Brown einschießen können. Es hievt den Receiver-Corps, der im März WR Corey Davis und TE Jonnu Smith verloren hatte, per sofort von einem der dünnsten zu einem der besseren in der NFL. Ein Josh Reynolds ist als WR3 so viel besser eingesetzt denn als WR2.

Tennessee hatte vor dem Jones-Einkauf eine rund 45%ige Chance auf den Gewinn der AFC South. Der Move sollte die Chancen natürlich erhöhen.

Aber ich bleibe trotzdem skeptisch, was die insgesamten Aussichten der Titans angeht. Die Indizien dafür, dass der abgewanderte OffCoord Arthur Smith mit seinem simplen Play-Action/Crosser-Scheme mindestens den gleichen Anteil an der Offense-Explosion hatte wie Tannehill oder Henry (der vor Tannehills Einwechslung eher durchschnittliche Zahlen hatte), sind zahlreiche.

Smith wird durch Todd Downing ersetzt. Downing war noch nie Offensive Coordinator oder Play-Caller in der NFL. Das allein ist noch kein K.o.-Kriterium, aber halt auch alles andere als eine Garantie. Wie

Und dann ist da noch die fünftschwächste Defense nach EPA/Play in der letzten Saison. Sie hat u.a. EDGE Jadeveon Clowney, DB Desmond King und sämtliche Starting-Cornerbacks verloren – und die Neuankömmlinge bringen alle ihre Fragezeichen mit.

Da wäre einmal EDGE Bud Dupree, der zwar in den letzten zwei Jahren in Pittsburgh zu einem Sack-Monster avancierte, aber insgesamt nur 55 Pressure in den zwei Jahren zustande brachte. Elf Edge-Rusher hatten allein letzte Saison mehr als das.

Oder CB Janoris Jenkins. Einmal wird Jenkins bald 33, und zum zweiten ist er Tennessees nomineller CB1.

Zumindest, wenn Kristian Fulton (2nd Rounder im Draft 2020) keinen entscheidenden Schritt nach vorn macht, oder der heurige 1st-Round-Rookie Caleb Farley sofort zündet. Farley war einer dieser „medizinischen Risiken“, die Tennessee zuletzt des öfteren hoch gedraftet hat (siehe auch DT Jeffery Simmons): Super-talentiert, aber kann auch total schiefgehen.

Oder aber auch Offensive Line: In LT Tyler Lewan kehrt der wichtigste Spieler von Verletzung zurück, aber auf Right Tackle könnte Rookie Dillon Radunz per sofort zum Starter ernannt werden, weil man den letztjährigen 1st Rounder Isaiah Wilson komplett in den Sand gesetzt hat (Wilson wurde in der Offseason erst nach Miami verscherbelt und ist dort auch schon Geschichte).

Um es mit Eric Eager zu sagen:

Da lauert Potenzial für eine Enttäuschung. Trotzdem alles Verständnis der Welt für den Jones-Trade. Das Risiko ist gering, das Potenzial enorm. Tennessee hätte die Saison abschreiben können, wäre man mit einem Receiver-Corps bestehend aus allein Brown ins Rennen gegangen.

Wenn der neue Coaching-Staff das shiny Receiver-Duo jetzt auch nutzt anstatt Henry Run für Run in eine softe 2-deep Coverage zu treiben, dann kann die Offense auch mit schwächerem Scheme gute Werte einfahren.

In Summe

Starker Trade für Tennessee, das im Idealfall einen späten 2nd Rounder für einen Elite-Receiver zahlt. Für die Falcons ist Julios Abgang nur dann verschmerzbar, wenn Tennessee ohne Offense-Scheme und Defense abschmiert und einen hohen 2nd Rounder nach Atlanta schicken muss.

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Ein Kommentar zu “Die Implikationen des Julio-Jones-Trades

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