Fußball EURO 2021 Vorschau: Gruppe D

Nach dem Schock die EM-Vorschau auf die Gruppe D.

Der gestrige Zusammenbruch von Dänemarks Christian Eriksen hat in mir böse Foè-Vibes hervorgerufen. Gottseidank scheint der Fall glimpflicher ausgegangen zu sein als damals beim Kameruner Foe, dessen Kollaps am Feld bei einem Confed-Cup-Turnier sich bis heute tief im Hirn eingebrannt hat.

Simon Kjaer war als erstes zur Stelle, verhinderte Eriksens Verschlucken der Zunge, legte ihn in Erste-Hilfe-Position und leitete damit die Wiederbelebung ein. Als die dänischen Spieler sich schützend vor den voll draufhaltenden Kameras um den am Boden behandelten Eriksen aufstellten, tröstete Kjaer dessen völlig aufgelöste Lebensgefährtin.

Ein richtiger Kapitän.

Dass das Spiel danach fortgesetzt wurde, war zumindest umstritten. Grundsätzlich gibt es für eine solche Extremsituation kein Richtig oder Falsch, doch die Kommentare aus dem dänischen Lager deuten darauf hin, dass es zumindest subtiler „Anschiebe“ von offizieller Seite gab, auch wenn Coach Hjulmand direkten Druck verneinte.

Solche Extremsituationen bringen die Menschen dann doch zusammen. Während der gut eineinhalbstündigen Unterbrechung gab es gemeinsame Sprechchöre der beiden Fanlager, die zuvor noch gegenseitig die Nationalhymnen ausgepfiffen hatten:

Zur heutigen Vorschau.

Ein spannender Aspekt der Gruppe C ist die Konstellation an der Spitze: Gut möglich, dass der Gruppenzweite (trifft auf E2) es im Achtelfinale einfacher haben wird als der Gruppensieger, der unter Umständen bereits auf einen Vertreter aus der Todesgruppe F treffen könnte: In 50% der Fälle, in denen der Dritte aus Staffel F das Achtelfinale erreicht, trifft er auf den Sieger der Gruppe C.

England

Gehen wir mit den Buchmachern, ist England einer der Topfavoriten auf den Titel. Das lässt sich mit dem Blick auf das Spielermaterial begründen – aber auch damit, dass die Engländer bei Gewinn ihrer Staffel potenziell sechs von sieben Spielen im heimischen Wembley-Stadion bestreiten könnte. Nur im Viertelfinale müsste man dann nach Rom fliegen.

Doch natürlich ist englischer Optimismus im Vorfeld eines großen Turniers nichts Neues. In der Vergangenheit führte das meistens zu schneller Ernüchterung. Vor drei Jahren wurde England WM-Vierter, aber „glanzvoll“ waren die Auftritte in Russland nicht.

Seinen Kommentaren in den letzten Wochen und Monaten nach zu urteilen, ist das auch ganz im Sinne von Coach Gareth Southgate. Southgate, bei dem ich mich nicht von dem verschossenen Elfer gegen Andi Köpke im EM-Semifinale 1996 lösen kann, den ich als kleiner Bub einst in einem Hotel an der Adriaküste sah, nannte immer wieder Portugal und Frankreich als seine Vorbilder.

Die haben die letzten beiden Turniere gewonnen – und zwar nicht mit begeisterndem Hurra-Fußball, sondern mit extremer Disziplin und schwer zu überwindendem Abwehrbollwerk. Diese beiden Mannschaften eint, dass sie vorne individuell herausragend besetzt waren (und noch immer sind). Der englische Kader gibt das prinzipiell auch her.

Southgate als Coach ist allerdings nicht der große Taktiker wie ein Fernando Santos, und stand bis jetzt zumindest nie im Ruf so abgewichst zu coachen wie ein Didier Deschamps. Er ist vielmehr der Typ Coach, der mit seiner Eloquenz den Kader bei Laune hält.

Southgate lässt prinzipiell zwei Systeme spielen: Ein 4-3-3 gegen die schwächeren Gegner, und ein 3-4-3, wenn es gegen spielerisch starke Mannschaften mit guten Stürmern geht. Dieses 3-4-3 soll von Antonio Conte inspiriert sein. Das heißt: Spieleröffnung über die Außenverteidiger, vorne zieht einer der Winger nach innen um Platz zu schaffen, und dann wird entweder abgezogen oder der Mittelstürmer in Szene gesetzt.

Das stellt Leute wie Kyle Walker oder auch Mason Mount in den Brennpunkt – und natürlich den Kapitän Harry Kane, der als Speerspitze vorne drin entweder direkt verwertet oder für diese nach innen ziehenden Flügelspieler ablegt.

Schauen wir auf den Kader. Southgate hat extrem viele Verteidiger mitgenommen – u.a. weil der Wechsel von Dreier- auf Viererkette verschiedenes Skill-Set braucht (ein Conor Coady oder Tyrone Mings sind keine Optionen für die Viererkette, wohl aber für das 3-4-3), aber natürlich auch der defensiven Stabilität wegen.

Auf den Außenverteidiger-Positionen gibt es auch nach dem Ausfall von Trent Alexander-Arnold noch großartige Qualität. Walker hatten wir schon, aber auch links ist mit Ben Chilwell von Chelsea ein fantastischer Mann zur Stelle, und der RV-Backup ist Kieran Trippier vom spanischen Meister Atletico.

Im offensiven Mittelfeld stehen sich die Supertalente nur so auf den Füßen: Über Mason Mount und Phil Foden ist in den letzten Wochen nur Positives geschrieben worden – und dazu gibt es Jack Grealish, Raheem Sterling (trotz schwacher Saison), Marcus Rashford und die Dortmunder Jaden Sancho und Jude Bellingham. Wären wir in der NFL, würden wir über „embarrassment of riches“ schreiben.

Doch dann wiederum fragt man sich, wer vor der Abwehr absichert. Ein Jordan Henderson ist natürlich ein Topmann, aber er ist nicht ganz fit, und der einzige Backup ist in Declan Rice ein heiß umworbenes Talent – aber eben auch erst 22. Und im Tor… eben, englischer Torwart.

In Summe tue ich mir mit England als Turnierfavoriten noch schwer. Ich will nicht zu tief in die Psyche einer Fußballnation eintauchen, aber wir haben es zu oft gesehen: Englische Nationalmannschaften lassen sich von zynischen oder auch nur physischen Mannschaften zu oft den Zahn ziehen. Und ohne einen gewieften Trainerfuchs fehlt mir dann auch im Kader eine ordnende Hand, die diese Anhäufung an jungen Spielern in die richtige Bahn lenkt.

Kroatien

Schon Englands erster Gegner heute um 15:00 ist so ein extrem unangenehmer Gegner: Vizeweltmeister Kroatien, das Team, das England im WM-Semifinale geduldig eliminierte.

Die Kroaten sind eine erstaunliche Fußballnation, bei der sich viele kleinere Länder eine Scheibe abschneiden könnten. Sie treten noch immer mit dem gleichen Coach an wie damals (Zlatko Dalic), aber nicht mehr mit der gleichen Kadertiefe. Mario Mandzukic, Ivan Rakitic oder Torwart Subasic sind inzwischen zurückgetreten, und Stars wie Luka Modric (35) oder Ivan Perisic (32) kommen in die Jahre.

Fast alle kroatischen Spieler sind technisch exzellent ausgebildet und abgewichst als kämen sie aus einem der ganz großen Fußball-Länder. Was manchmal an individueller Qualität fehlt, wird mit Zusammenhalt und Kalkül wettgemacht. Hinten wird erstmal abgesichert um dann vorne mit „Episoden“ das Spiel zu entscheiden.

Größte Stärke ist noch immer das extrem ballsichere zentrale Mittelfeld um Modric und den etwas tiefer spielenden Marcelo Brozovic (und/oder den noch defensiveren Milan Badelj). Sie halten das Team zusammen, verteilen die Bälle und schaffen Raum für die vorne agierenden Kreativgeister.

Nikola Vlasic, der Bruder von Ex-Hochspringerin Blanka Vlasic, könnte schon bei diesem Turnier in die Rolle des Zehners schlüpfen, aber wo noch recht große Klarheit über die Besetzung der Flügel herrscht (Ante Rebic links, Perisic rechts), ist total offen wer den Mittelstürmer gibt.

Andrej Kramaric aus Hoffenheim ist die „logische“ Option, aber Kramaric ist kein klassischer Neuner, weil er viel lieber über einen der Flügel kommt. Der beweglichere Bruno Petkovic aus der heimischen kroatischen Liga ist die andere Option – aber mit einem Petkovic vorne drin wird man das Spielsystem umstellen müssen, da er sich gerne mal auch tiefer stellt um Bälle zu holen.

Viertelfinale sollte für Kroatien auf jeden Fall drin sein, aber je früher im Turnierbaum man auf breiter aufgestellte Gegner trifft, umso schwerer fällt es mir an eine Wiederholung des 2018er Husarenstücks zu glauben.

Schottland

Die Schotten sind zum ersten Mal seit 1998 und zum insgesamt elften Mal bei einem großen Turnier dabei. Bis jetzt sind sie noch nie über die erste Runde hinausgekommen. Die Ausgabe 2021 sieht so eine klassische schottische Mannschaft: Keine großartigen Individualisten, aber hoher Team-Spirit und Kampfgeist bis zum Umfallen.

Das Problem in diesem Kader ist, dass sich die besten Spieler im Kader auf zwei Positionen fokussieren: Zentrales Mittelfeld und linke Außenverteidiger.

In der Zentrale ist das Team von Steve Clarke so gut besetzt, dass der vielleicht namhafteste Schotte Scott McTominay von ManUnited in die Innenverteidigung beordert werden könnte um so viele Positionen wie möglich mit guten Spielern zu besetzen.

Und auf LV sind in Kieran Tierney (Arsenal) und Andy Robertson (Liverpool) die beiden anderen „Stars“. Beide sind offensivstark. Wenn Clark Dreier/Fünferkette spielt, werden sie wohl gemeinsam nebeneinander auflaufen.

Die große zu stellende Frage lautet aber: Wer soll die Tore schießen? Die einzigen drei Stürmer im Kader spielen bei Southamption, Queens Park und Hibernian. Wenn es nicht die Standards richten, droht Flaute.

Tschechien

Bleiben die Tschechen. Deren große Ära liegt jetzt auch schon über 15 Jahre zurück. Seit der Blüte um Pavel Nedved, Tomas Rosicky, Vladimir Smicer, Milan Baros oder Jan Koller hat Tschechien nicht mehr viel gerissen.

Doch jetzt tut sich wieder was. Slavia Prag hat nicht zuletzt in der Europa-League für Furore gesorgt und bringt einen kleinen Stamm mit in die Nationalelf. Dazu ist mit dem Coach Jaroslav Silhavy Stabilität zurückgekehrt.

Silhavy lässt ein 4-2-3-1 spielen, das deswegen funktioniert, weil mit dem extrem offensivstarken Tomas Souchek (hat bei Aston Villa 10 Tore geschossen) und „Tingeltangel“ Alex Kral zwei exzellenter Spielgestalter nebeneinander funktioneren.

In den Vorbereitungsspielen ließ sich das recht gut beobachten: Tschechien versucht hinten abzusichern und dann mit schnellem Umschalten immer wieder über das zentrale Mittelfeld die Flügel ins Spiel zu bringen.

Aus tschechischer Sicht ist es extrem schade, dass der linke Flügelspieler Lukas Provod verletzt fehlt. Ich habe über ihn irgendwo gelesen, dass er in seiner Jugendzeit in Eigeninitiative über GPS seine Laufwege aufgezeichnet und studiert hat um sich weiterzuentwickeln. Das allein ist einen Sideline-Reporter-Shoutout wert.

Freilich geht vorne drin noch der ganz große Punch ab. Patrick Schick als Mittelstürmer ist zwar ein beliebter Typ, aber keine Weltklasse, und der 18-jährige Adam Hlozek ist noch nicht Weltklasse. Hlozek konnte bislang den Avancen von Bayern oder ManCity widerstehen und spielt noch immer in Prag, aber wohl nicht mehr lange. Vielleicht schlägt schon bei diesem Turnier seine Stunde.

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3 Kommentare zu “Fußball EURO 2021 Vorschau: Gruppe D

  1. Der Sportclub hat eine tolle Doku über die EM 1996 und das deutsche Team gemacht. War mein erstes Turnier, dass ich als 9jähriger bewusst wahrgenommen habe. Hatte die Spiele bis auf das England Halbfinale und den Doppelpack von Bierhoff inclusive Golden Goal gar nicht mehr aufn Zettel, auch dass man die starken Kroaten im Viertelfinale besiegt hatte. Sehr sehenswert, vor allem die privaten Aufnahmen von Sepp Maier aus der Kabine. War wirklich eine andere Zeit. Ist aber leider nur in Deutschland oder über VPN verfügbar.

  2. Ich hatte mich im Vorfeld aus vielerlei Gründen noch nicht intensiver mit der EM beschäftigt, aber deine Gruppen-Übersichten finde ich super und da ist man dann gleich ausreichend drin! Danke dafür!

    Als West Ham United Supporter tut mir aber ein kleiner Fehler weh…☺
    Tomas Soucek spielt bei den Hammers! (nicht Villa)
    Er und Vladimir Coufal spielen gemeinsam bei den Hammers und waren auch vorher schon zusammen bei Slavia Prag und erweitern somit auch noch den von dir erwähnten Slavia-Stamm etwas.
    Beides Super-Typen und gerade bei Ecken sollte man ein Auge auf Soucek haben, den Engländern dürfte das bekannt sein🙂

    Soucek und Declan Rice bilden das Duo im defensiven Mittelfeld bei den Hammers und insbesondere Rice ist nicht ohne Grund von den englischen Topclubs umworben. Dass er diesem Werben bislang widerstehen konnte, spricht, neben seinen Leistungen, für ihn.

    Um die Sicht aus der West Ham-Brille noch zu komplettieren, kann ich es nicht nachvollziehen, warum Penalty-Southgate auf eine Nominierung von Jesse Lingard verzichtet hat. Der war/ist in einer überragenden Form, auch wenn auf seiner Position natürlich viel Qualität im Kader ist. Er hätte im Turnier „explodieren“ können…

  3. Pingback: Der EURO-2021-Abschlusseintrag | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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