Es gehört zu den Eigenheiten des Sports, dass sein vermutlich wichtigster Aspekt gar nicht wirklich öffentlich beleuchtet wird: Das Training. Lass uns dabei mal kurz über die Quarterbacks sprechen.
Bruce Feldman schreibt bei The Athletic über das Coaching in der QB-Schule von Jordan Palmer, einem ex-NFL-Backup-QB und Bruder von Carson Palmer, der sich in der Szene einen extrem guten Ruf als innovativer QB-Guru erarbeitet hat:
Freeman schreibt darüber, wie Palmer in vielen kleinen Aspekten traditionelles QB-Coaching modifiziert, indem er moderne Technologie (Bewegungserkennung, Tracking-Software) mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Biomechanik verknüpft.
Palmer ist sich bewusst, dass der öffentliche Diskurs über Quarterback-Mechanics, Armstärke und „Trainierbarkeit“ verschiedener Aspekte oft völlig am Stand der Technik vorbeigehen. Dazu passt dieser Ausschnitt aus dem Artikel:
Mechanics werden falsch verstanden? Für Leser dieses Blogs nichts Neues.
Kräfte richtig kanalisieren
Der Artikel beschreibt wie Palmer bei den NFL-Quarterbacks Josh Allen und Burrow an Schwachstellen arbeitet. Palmer identifiziert diese in Zusammenarbeit mit den QBs. In vier Schritten wird dann dran gearbeitet:
- Der zu optimierende Bewegungsablauf wird erarbeitet und langsam eingelernt
- Dann wird an Ausdauer und Widerstandsfähigkeit des neuen Bewegungsablaufs gearbeitet
- Dann wird an der Handlungsschnelligkeit gearbeitet
- Erst dann kommt die Simulation von Spielsituationen (oder das Spiel selbst)
Palmer fokussiert sich dabei auf einzelne Verbesserungsaspekte und nennt seinen Weg die Schaffung von „muscle memory“. Dieser Weg sei effizienter als Bewegungsabläufe einfach stupide tausendfach zu wiederholen. Das ist wie beim Radfahren: Du kannst schon einhundert Mal aufs Würzjoch fahren um fit zu werden, aber es gibt intelligentere und schnellere Wege um sich zu verbessern.
Die Details an der Arbeit sind interessant: Sich „wohlzufühlen“ sei längst nicht immer das Ziel. Quarterbacks fühlen sich beispielsweise besonders auf Zehen besonders athletisch, dabei hat die Biomechanik in den letzten Jahren immer wieder und sehr eindeutig belegt, dass die ideale Wurfhaltung eines Quarterbacks beide Fersen am Boden bedeutet.
Das ist die beste Gewichtsverteilung für die meiste Präzision. Und es ist die beste Grundhaltung um den bei Quarterbacks oft beschworenen „Core“ (grob Torso, Zone zwischen Arschbacken und Zwerchfell) zu stärken. Ein starker „Core“ ist eine ideale Ergänzung des Wurfarms. Ein instabiler „Core“ dagegen entzieht dem Wurf den Saft – egal wie gut der Wurfarm ist.
Beim idealen Wurf wird die Kraft durch Verbindung des ganzen Fußes (Ziehen, Ballen, Fersen) und einen starken „Core“ durch den Arm über die Fingerspitzen nach draußen geleitet ohne allzu viel Körper in den Wurf legen zu müssen. Der Wurf wird dadurch nicht bloß härter und präziser, sondern ist auch leichter „temperierbar“ – und der Bewegungsablauf schützt durch bessere Koordinierbarkeit vor Ermüdung und Verletzungen durch Überbeanspruchung einzelner Körperteile.
Was bedeutet das für Burrow und Allen?
Mithilfe von Technologie misst Palmer in real time die Resultate der technischen Verbesserungen. So habe Joe Burrow in der laufenden Offseason durch Korrektur seiner technischen Schwäche (J.T. O’Sullivan würde sie „toe-sy“ nennen) die Geschwindigkeit seiner besten Würfe um fast 10 km/h verbessert – unerhört!
Burrows Top-Speed sei vorher bei umgerechnet rund 78 km/h gelegen, untere Fahnenstange für NFL-Verhältnisse. Jetzt liege er bei fast 87 km/h – Josh-Allen-Range.
Bei Allen selbst können wir die Qualität seiner Verbesserung in seiner größten Schwäche als Draft-Prospect schon bei der Analyse seines PFF-Accuracy-Chartings messen. Allen ist das Gegenbeispiel für die These, QBs können ihre Präzision nach Wechsel in die NFL nicht mehr wesentlich verbessern.
Hier ist Allens Accuracy-Charting über die letzten fünf Jahre. Über die einzelnen Distanzen:
- Behind LOS = Target hinter der Line of Scrimmage
- Short = Target zwischen 0 und 9 Yards downfield
- Intermediate = Target zwischen 10 und 19 Yards downfield
- Deep = Target tiefer als 20 Yards downfield
Allen hat sich in den letzten Jahren unter der Anleitung Palmers extrem gut gemacht (hier geht es nicht um effektive Completion-Rate! Ein Pass wird in diesem Charting als „accurate“ gewertet, wenn er entweder auf die Brust gelegt oder nahe am Körper „fangbar“ war; Drops werden nicht dem QB angelastet):

Natürlich ist noch immer denkbar, dass wir nicht bloß über einen krassen Ausreißer sprechen, sondern auch über eine Performance, die Regression zurück zur Mitte erleben könnte. Doch wenn wir berücksichtigen, wie die neue Trainergeneration mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen das Training verbessert, dann ist auch eine Neuverfassung der Erzählung über die Entwicklung der Sportler denkbar.
PS: Palmer ist längst nicht der einzige, der Tracking-Software einsetzt. Schon vor dem Draft hat Feldman aufgezeigt, wie Colleges die Effizienz ihres Trainings durch real time GPS-Tracking massiv verbessern können, weil sie Prospects wie Najee Harris immediate Rückmeldung über Erfolg oder Misserfolg einer Einheit erlauben.
4 Gedanken dazu:
J.T. O. Hat im better rivals Podcast gesagt, dass QBs sich für ein bis zwei Offseasons einen Aspekt raussuchen (sollten) und nur an diesem Arbeiten, um Verbesserungen zu erzielen. Das deckt sich mit deinen Ausführungen. Dafür ist der NFL-Spielplan natürlich auch perfekt.
Grundanlagen werden in den frühen Kindesjahren geprägt. Sportler:innen profitieren extrem von vielen verschiedenen Sportarten, weil (unbewusste) gedankliche Schnelligkeit und Muskelanpassung (habe die Fachbegriffe leider nicht im Kopf, n Kumpel hat dazu an nem Forschungsprojekt mitgearbeitet.) trainiert wird und die Grundlagen für alle Bewegungsabläufe verbessert werden. Ich würde die These aufstellen, dass gerade die NFL-Spieler, die lange 2 offene Karrieren (football + Basketball/Baseball) leichter an ihren Abläufen arbeiten können.
3. Wenn diese Trainingsmethoden gerade erst optimiert werden, die Niners die Burrow und Allen Situation kennen, dann ergibt die niners Selection von lance Sinn. Er hatte nur 1 Jahr echtes QB Training und hat baseball (?) gespielt. Das sollte die perfekte Voraussetzung für Formbarkeit sein. Ich bin auf die nächsten 3, 4 Kahre gespannt.
4. Für rookie qbs ist es dann noch wichtiger, in einer halbwegs guten offense zu starten und lieber ein Jahr zu sitzen (entgegen unserer Annahme pro wettkampf-Spiel-Reps): in Ruhe mechs trainieren und dann in passablen offense spielen, um nicht im Stress in alte Muster zu verfallen. Nicht’s ist hindert im Lernen stärker als die eigenen Vorerfahrungen.
Interessantes thema!
Wenn Burrow jetzt auch noch einen Big Arm hinknallt, dann kann sogar die NFC North spannend werden 🙂
@Hannes: Klar kann man den Rookie sitzen lassen, aber Technik ist ja nicht der einzige Faktor. Ingame Experience gehört auch zum QBing, gibt ja viele Beispiele wo junge QBs eine scheinbar schlechte Offense schnell gut ausschauen lassen haben, zB. Herbert oder Watson in den letzten Jahren.
Bin jetzt wirklich gespannt auf Burrow und Allen!
@eisi, bin da bei dir. Aber wenn du n QB hast, der klare throwing mech Probleme hast, ist es vielleicht sinnvoll, das Kernproblem erst richtig zu fixen.
+ die Shanahan offense im 1. Jahr als QB ist meistens eh überfordernd. Und schnelles processing ist ja sein Lieblingsthema und dafür darf der QB halt nicht anfangen ingame zu denken.
Aber die Saison wird’s zeigen.
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