Zwei Jahre Kliff Kingsbury in der NFL: Die Zwischenbilanz

Die Arizona Cardinals spielten in den letzten beiden Jahren eine der außergewöhnlichsten Offenses der NFL. Das kommt nicht überraschend – wir hatten schon zu Kliff Kingsburys Amtsantritt auf die Spezialitäten seiner „Air Raid Philosophie“ hingewiesen.

Die Zwischenbilanz von Kingsburys Arbeit verdient kein euphorisches Zeugnis, aber noch ist nicht jede Hoffnung verloren.

Wie speziell ist Arizonas Offense?

Sehr.

Arizona spielte in 20% der Offense-Snaps aus 10-Personnel (mit 4 WR). Nur ein einziges weiteres Team hatte mehr als 5% (Buffalo mit 15%).

Arizona hatte die zweitmeisten Shotgun/Pistol-Plays der NFL mit 92%.

Arizona hatte die drittmeisten RPOs (Run/Pass Options) der NFL mit 14% der Offense-Snaps.

Arizona hatte die achtmeisten Plays aus Empty-Backfield (mit 11% der Snaps).

Arizona hatte die wenigsten Runs in 2nd & long Situationen (17% Run-Quote.)

Arizona war trotz aller Kingsbury-Late-Game-Management-Bolzen eine der aggressivsten 4th-Down-Offenses (#1 Aggressiveness Index, #2 Ben Baldwin)

Arizona spielte die schnellste Offense mit im Schnitt nur 27.1 Sekunden zwischen den Snaps.

Aber Arizona hatte dadurch auch die wenigsten Pre-Snap Motions der NFL (nur 29% der Snaps) und damit eine der statischsten Offenses.

Und das Ergebnis?

War eher so naja.

Arizona war #14 nach Offensive EPA/Play und #16 nach Offensive DVOA.

Die Passing-Offense belegte nach EPA/Play gar nur Platz 19, in DVOA Platz 14.

Die Rushing-Offense war #6 nach EPA/Play, aber nur #17 nach DVOA, wo Fumbles als 50/50 Play gewertet werden.

Trotz der viertmeisten Offense-Plays erzielte Arizona nur die 11t-meisten 1st Downs und die 13t-meisten Punkte.

Ist diese Air-Raid-Variante tot?

Seth Galina kritisiert in einem der jüngsten PFF Podcasts weniger die einzelnen Konzepte der Cards-Offense, sondern deren radikale Zusammensetzung, und hat die Statik der Cardinals-Offense als eines der Probleme ausfindig gemacht. Seine These:

Die klassische Spread-Offense mit 10-Personnel und 4 Receivern am Feld ist nicht mehr modern. Bubble Screens sind ein Relikt aus 2010. Diese Kids, die heute in die NFL kommen, haben diese Offense zehntausend Mal gesehen und wissen, wie man sie verteidigt. Es ist eine aussterbende Offense.

Zu stark haben sich in NFL-Defenses in den letzten zehn Jahren geändert. Der einstige 250-Pfund SAM Linebacker (Strongside Linebacker) ist heute durch einen Nickel-Defender oder 220-Pfund Off-Ball Linebacker ersetzt worden, mit wesentlich mehr Speed.

College-Air-Raid-Offenses wie Oklahoma spielen schon seit längerem wieder aus „heavier sets“ mit Fullbacks und Tight Ends in der Aufstellung – ganz einfach, weil man mit nur fünf Mann bereits am College schwer die Protection lange genug aufrechterhalten kann. Defenses können gegen 5-Mann-O-Lines teilweise mit vier Mann Pressure erzeugen, und das nicht mit Standard-Passrush, sondern mit Blitzes und Creepers (in Kurzform: du weißt nicht, welche vier Mann kommen).

Ein paar weitere Beobachtungen meinerseits

Dass Arizona Murray relativ blank stehen ließ, sieht man auch in den Daten: Gemessen an allen von PFF verzeichneten Dropbacks hatte Arizona im Schnitt 5.26 Blocking-Snaps pro Passspielzug – die fünftwenigsten der NFL, darunter die siebtwenigsten Blocks von Tight Ends.

Was mir im Pass-Chart auffällt: Arizonas Targets sind extrem ungleich verteilt – vor allem die „goldene Mitte“ 10-20 Yards downfield between the numbers wird vergleichsweise selten angelaufen. Das ist ein bekanntes Problem bei solchen eher klein gewachsenen Spielern wie Murray – sie meiden die Mitte, auch weil sie vielleicht nicht wirklich über die Offense Line drübersehen. Andererseits ist diese Zone selbst beim Einrechnen des „selection bias“ die erfolgversprechendste in der NFL.

Wie löst sich das Problem?

Galina und Sam Monson schlagen mehrere Maßnahmen vor um Arizonas Offense schematisch einen Schritt nach vorn zu bringen:

  • Verstärkung der Pass-Protection: Bessere Pass-Blocker, und ansonsten am besten durch einen Tight End als sechsten Blocker. Arizonas Offense wirft ein ganzes Yard pro Versuch tiefer, wenn ein Tight End die Blocking-Mannschaft unterstützt. Dieser Tight End muss noch nichtmal ein besonders herausragender Ballfänger sein.
  • Weniger Tempo, mehr Information durch Motion: Ein Nuk Hopkins kann nicht noch einmal 88% der Snaps in der immergleichen Position links draußen spielen. Es lohnt sich, etwas langsamer zu spielen und dafür die Zeit zwischen Aufstellung und Snap durch Verschieben der Spieler für den Gewinn von Informationen über die Intentionen der Defenses zu nutzen.
  • Mehr Spielzüge mit „Bunch Formations“, wo drei Receiver nah beieinander und nur leicht versetzt auf einer Spielfeldseite loslaufen. Das hilft um per Scheme „Separation“ zu kreieren.
  • Mehr Play-Action: Das gilt für fast alle Mannschaften. Die30% Play-Action Rate reichten nur knapp für die Top-10. Das ist nicht schlecht, aber es geht mehr. Trotz der wackeligen Protection konnte Murray aus Play-Action tiefer werfen und machte 2.5 Yards/Passversuch mehr.

Was hat Arizona in der Offseason gemacht?

Die Tight-End-Position ist nicht so wirklich verstärkt worden – im Gegenteil: Dan Arnold musste man ziehen lassen. Dafür hat man auf der kritischen Center-Positionen einen der potenziell besten Leute der NFL geholt: Rodney Hudson aus Las Vegas. Hudson war beim Ausverkauf der Raiders-Line für einen 3rd Rounder zu haben gewesen. Ein Schnäppchen.

Letzte Saison startete Mason Cole auf Center. Cole hatte ein absurdes Pass-Block-Rating bei PFF und hatte nur die 27t-beste Pass-Block Effizienz in „true pass sets“ (also Pass-Snaps ohne Unterstützung durch Play-Action oder Screens, gegen zumindest vier Passrusher, mit mindestens 2 Sekunden Ballhalten des QBs).

Hudson war in dieser Saison die #7 – nachdem er zuvor dreimal in Folge die #1 der NFL gewesen war, und im vierten Jahr davor die #3. Hudson ist mit 32 Lenzen kein Jungspund mehr, aber rein körperlich ist das für Center noch kein besorgniserregendes Alter.

Vor allem: Cole hatte allein 8 Strafen in einer der gegen Strafen anfälligsten Offenses der NFL. Hudson hatte in den letzten vier Jahren zusammen so viele Strafen. Selbst wenn Arizonas High-Speed-Offense von Natur aus anfälliger gegen Penaltys ist, dürfte an dieser Front Besserung anstehen.

Die restlichen 4/5 der Starting-O-Line kehren zurück. OG Brian Winters ersetzt als depth player den abgewanderten J.R. Sweezy. Dazu kann man auf eine Entwicklung bei OT Josh Jones hoffen, der letztes Jahr als Favorit vieler Scouts in der 3ten Runde gedraftet wurde und noch nicht spielen muss, weil man Kelvin Beachum halten konnte.

Auf Receiver haben die Cards zwei wesentliche Neuzugänge für mehr Variabilität geholt: A.J. Green von den Bengals und Rookie Rondale Moore.

Green war einer der besten Receiver des letzten Jahrzehnts, sah aber 2020 gefährlich „shot“ aus. Im Idealfall hat er mit mehr Abstand zu seiner schweren Verletzung doch noch ein bissl was im Tank und kann mehr als eine solide WR2 Option geben – dann wäre er eine nahezu ideale Ergänzung an der Seite von Nuk Hopkins und würde Christian Kirk in dessen „Traumrolle“ als WR3 schieben. Arizona hätte gleich zwei Positionen verbessert.

Moore dagegen ist so ein Irrwisch, der ganz einfach in der Offense-Aufstellung herumgeschoben werden muss. Ihn zu draften und dann statisch einzusetzen wäre eine unverzeihliche Sünde Kingsburys. Moore ist ein fantastischer „Space Player“, d.h. er kann kurze Pässe aufnehmen und gegnerische Verteidiger austanzen. Aber mit seinem Speed ist auch denkbar, dass man ihn hie und da tiefer schickt – vielleicht zuerst auf simplen Routen, denn Moore hat am College wenig vom klassischen Route-Running gelernt.

Aber egal wie gut Moore heuer sein kann: Optimistisch interpretiert deutet seine Einberufung auf den Willen, variablere Aufstellungen zu spielen, hin.


Hoffe ich zumindest für die Cardinals – denn wenn Kingsbury nicht an den entscheidenden Stellschrauben dreht, dann halte ich einen Trainerwechsel im kommenden Winter für denkbar. Zu wenig ist da in der letzten Saison von Kingsbury gekommen um ihn nicht anzuzählen.

Freilich habe ich jetzt den ganzen Artikel fast keinen Bezug auf die wahrscheinlich noch wichtigere Figur der Cards-Offense genommen: QB Kyler Murray. Dazu vielleicht ein anderes Mal mehr, denn ich finde man kann durchaus diskutieren wie gut Murray eigentlich ist.

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3 Kommentare zu “Zwei Jahre Kliff Kingsbury in der NFL: Die Zwischenbilanz

  1. Danke für die Analyse.
    War nicht eigentlich auch das Ingame Playcalling von KK ein Dauer-Kritik-Thema ? Oder habe ich da was übersehen?

  2. Pingback: All-32: Arizona Cardinals 2021 Preview | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

  3. Pingback: Es geht los! Heute beginnt die NFL-Saison 2021/22 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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