Die Atlanta Falcons von 2020 haben es mit autoaggressivem Verhalten zustande gebracht, trotz vernünftiger Performance einen Top-5 Pick zu „erspielen“. Nach der Saison hat Owner Arthur Blank eine neue Sportliche Leitung installiert, deren erste Offseason aber Fragen hinterlässt.
Neuer GM ist Terry Fontenot, neuer Headcoach ist Arthur Smith, der aus Tennessee das Wide-Zone-System mit vielen Crossing-Routes und hohen Play-Action-Raten mitbringt.
Im Draft hätte Atlanta die Chance gehabt, mit einem Quarterback-Pick einen langfristigen Umbau einzuleiten. Aber auch finanzielle Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass der Umbau erst einmal in die Zukunft geschoben wurde. Die Alternative zur Einberufung eines neuen QBs für die Zeit nach Matt Ryan (wird 36) wäre ein letztes Halali mit dem aktuellen Kern gewesen. Doch dann hat man Julio Jones verkauft.
Kein Umbruch, kein letzter Frontalangriff, sondern Mittelweg – wie langweilig! Eigentlich wissen wir jetzt nur, dass wir eine bessere Bilanz als 4-12 erwarten können, selbst wenn sie spielerisch gar nicht soviel besser werden. Denn nochmal acht von neun knappen Spielen auf bizarrste Weise verlieren wird selbst für Falcons unmöglich. Irgendwann muss dieser Mannschaft ja die Kreativität auf der Verliererstraße ausgehen.
- Bilanz 2020: 4-12
- Pythagorean: 7.5 Siege (#18)
- Close Games: 1-8
- Offense EPA/Play: +0.04 (#16)
- Defense EPA/Play: +0.07 (#20)
- Turnovers: +3
- Fumble Luck: 37% (#21)
- Adjusted Games Lost: #3 (OFF #2, DEF #15)
Offense
Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass die Falcons 2021 trotz Julios Abgang besser sein werden als #16 nach EPA/Play:
1) Das QB-freundliche Spielsystem von Arthur Smith. Smith revitalisierte zuletzt in Tennessee die Karriere von QB Ryan Tannehill. Er ließ eine der höchsten Play-Action-Raten spielen und hatte mit 57% Motion-Rate vor dem Snap eine der vor dem Snap „beweglichsten“ Offenses.
2) QB Matt Ryan war in einem ähnlichen System 2016 NFL MVP. So mittelmäßig Ryan die letzten Jahre spielte: In Punkto „Clean Pocket Grade“ war er noch immer die #6, und sein aDOT von 9.3 Yards zeigt weiter Willen zum Mut.

3) Jones ist zwar weg, aber Calvin Ridley taugt als echter WR1. Er ist ein fantastischer Route-Runner, fing die achtmeisten 1st Downs und war mit 2.4 Yards pro gelaufener Route die #8 unter Receivern.
Russell Gage ist zwar eher ein Typ WR3 als ein WR2, aber Atlanta wird vergleichsweise viel 12-Personnel spielen – und dafür hat Atlanta die richtigen Spieler in TE Kyle Pitts und TE Hayden Hurst.
4) Pitts ist zwar Rookie und die Tight-End-Position ist in der NFL für solche Jungspunde mit all ihrer Aufgabenvielfalt notorisch schwer zu greifen, doch Pitts gilt als rares Talent, das notfalls als reiner Receiver aufs Feld geschickt werden kann. In der Theorie ist er körperlich schnell ein Game-Changer, und nicht den TE1 geben zu müssen wäre auch für Hurst ein Gewinn.
Smith wird wie jeder Coach auch 11-Personnel spielen müssen, und der WR3 Spot ist mit Olamide Zaccheus eher fragwürdig besetzt. Doch zumindest in Tennessee hatte Smith eine der niedrigsten Raten an solchen 3-WR-Aufstellungen, und dafür recht viel 13-Personnel (mit 3 TE). Atlanta ist für solche Plays mit dem „blocking TE“ Lee Smith geradezu prädestiniert.
Es gibt natürlich auch Zweifel an einem Durchbruch der Falcons-Offense. Da ist z.B. der Split in EPA/Play mit und ohne Julio Jones: Mit Jones hatte man die 6t-beste Offense nach EPA/Play, ohne ihn nur die 18t-beste. So wenige Touchdowns Jones in seiner Zeit in Atlanta gefangen hat: Er war der beste NFL-Receiver des Jahrzehnts, und er wird vermisst werden.
Jones war 2020 einer der wenigen Verletzungsausfälle im ansonsten sehr gesunden Kader (#2 in Offensive AGL). Atlanta kann nur beten, dass die Kadertiefe diese Saison nicht wesentlich härter auf den Prüfstand gestellt wird.
Und dann bleibt die bange Frage, wieviel Laufspiel es wirklich geben wird. Die Titans waren mit fast 58% Early-Down-Rushing das bodenständigste Team in der NFL. War Derrick Henry dafür ausschlaggebend? Oder bleibt Smith ungeachtet seines Backs beim Early-Down-Rushing-Fetisch? Dann könnte RB Mike Davis zu einem heimlichen Fantasy-Star aufsteigen. Gut für Atlantas sportliche Aussicht wäre das wohl eher nicht.
Bleibt die O-Line. 2020 war sie ziemlich genau Durchschnitt, aber auf Left Guard und Center gibt es zwei neue Starter. Wenn es dumm läuft, sind beide Rookies (Jalen Mayfield, Matt Hennessy).
Defense
Atlantas Defense war nach dem Superbowl-Run vor viereinhalb Jahren das heißeste Scheiß, doch wir wissen jetzt: Es war eine Eintagsfliege. Zu wenig Qualität gab es um die „Achse“ um DT Grady Jarrett und LB Deion Jones. Die beiden sind noch da, aber wirklich viel Hilfe haben sie nicht.
Jones war schon 2020 mit ganzen 4.5 Stück der Sack-Leader der Falcons. Dass man trotzdem #4 nach Passrush-Win-Rate war, lag an relativ hoher Blitz-Rate. Das ging mit einem unterirdisch besetzten Defensive Backfield aber auch oft genug nach hinten los. Atlanta hat nach PFFs Ranking die schwächste Secondary, und vorne eine der schwächsten D-Lines.
Der neue DefCoord ist der 71-jährige Dean Pees, den man aus dem Ruhestand geholt hat. Pees war früher Coordinator bei den Ravens und Patriots und gilt als Mann vom Fach. Er hat einen guten Track-Record, lässt gern blitzen und spielt gern Mann.
Aber wenn dein bester Passrusher Dante Fowler und dein arriviertester Cornerback A.J. Terrell sind, kann das Scheme auch nicht mehr alles rausreißen.
Ausblick
Auch wenn Julio Jones‘ Verkauf vielleicht immer zum Plan der finanziellen Sanierung gehörte, so sind die Falcons nicht ganz Fisch, nicht ganz Fleisch. 2021 ist ein Übergangsjahr: Zehn Auswärtsspiele (u.a. einmal London) kombiniert mit einer Defense mit hohem Bust-Potenzial kann durchaus auch im unteren Liga-Mittelmaß enden.
Doch es ist auch das andere, das gute Szenario denkbar: Eine Offense, die unter neuem Architekt und im aufgehübschten Design schnell zündet und in Kombination mit einer opportunistischen Defense am oberen Ende ihrer Möglichkeiten zu einem Playoff-Run ansetzt.
Ich schrieb schon im Mai: Von allen Teams im untersten Viertel der Superbowl-Wettquoten ist Atlanta aus meiner Sicht der mit Abstand vielversprechendste Außenseitertipp auf einen „Run“. Im Mittel dürfte sowas wie 7-10 bis 9-8 rausspringen. Aber wäre ich wirklich überrascht, wenn Atlanta aus der Regular Season mit elf oder gar zwölf Siegen rausgeht? Nope.
Mein Take: Es wäre klüger gewesen für die Falcons, Jarrett oder Jones wegzugeben als Julio, auch wenn der älter ist. Mit Julio hätte es echt Potenzial für eine Top 5 Offense oder sogar mehr gegeben, und das wäre egal mit welcher Defense immer für mehr als 10 Siege gut.
Wenn schon kein QB, dann wenigstens die letzten 2 Jahre ausnutzen. So wird das drei Jahre Mittelmaß und das ist murks.
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