Die New Orleans Saints haben ihr weit aufgestoßenes Titelfenster 2017-2020 ohne Superbowl-Ring und mit nur einem einzigen NFC Championship Game beendet. Jetzt folgt der Übergang in eine neue Ära.
Denn die QB-Legende Drew Brees trat im Anschluss an die letzte Saison zurück. Brees‘ Einfluss auf die Saints in den letzten 15 Jahren war massiv, aber letztlich war es wohl einfach auch Zeit. Brees‘ Ranking nach EPA/Play war in den 15 Jahren als Saints-Starter bemerkenswert stabil – aber letztes Jahr gab es dann zum ersten Mal einen klareren Drop-Off:
2006 #4
2007 #12
2008 #3
2009 #1
2010 #8
2011 #2
2012 #8
2013 #8
2014 #6
2015 #6
2016 #6
2017 #6
2018 #2
2019 #7
2020 #13
Dass Brees mit einem Superbowl-Ring, mehreren 13-3 Bilanzen in der Regular Season und fünf Finishes in den Top-5 (sowie gleich 13 in den Top-8) nicht ein einziges Mal zum NFL MVP gewählt wurde, ist ebenso ein Faszinosum wie die Tatsache, dass die Saints es dann geschafft haben, Brees endlich eine vernünftige Defense zu geben, als er schon langsam abbaute.
Und dann, in diesen letzten Jahren, passierten das „Minnesota Miracle“, der „No Call“ und die Overtime-Pleite gegen die Vikings.
Und Tampa Bay. Gegen einen Gegner, den die Saints in der Regular Season noch zweimal deutlich geschlagen hatten, und der auch in den Playoffs offensiv nicht viel zustande brachte, kollabierte die Brees-Offense unter einem kaputten Wurfarm komplett und schied am Ende sang- und klanglos aus.
Ende einer Ära.
Und Reset auch im Kadermanagement, denn letztlich schlugen die Salary-Cap-Probleme der Saints im Winter dann doch noch zu. GM Mickey Loomis schaffte es zwar erstaunlicherweise, den Starter-Kern zusammenzuhalten, aber die Saints werden mit einem wesentlich dünneren Kader in die neue Saison gehen.
Einige Abgänge neben Brees hier nur kurz aufgezählt: WR Emmanuel Sanders, TE Jared Cook, EDGE Trey Hendrickson, DT Sheldon Rankins, DT Malcom Brown, LB Alex Anzalone, CB Janoris Jenkins. Immerhin: Ein paar Starter wie S Marcus Williams oder QB Jameis Winston konnte man halten.
- Bilanz 2020: 12-4 (Divisional Playoffs)
- Pythagorean: 11.4 Siege (#2)
- Close Games: 5-3
- Offense EPA/Play: +0.07 (#12)
- Defense EPA/Play: -0.05 (#4)
- Turnovers: +9
- Fumble Luck: 51% (#16)
- Adjusted Games Lost: #4 (OFF #10, DEF #3)
Und das gerade in der Defense, deren erster Anzug zwar nach wie vor hohen Ansprüchen genügt, aber was passiert, wenn es heuer mit dünner Personaldecke mehr Ausfälle gibt als 2020, als sie bemerkenswert fit blieb?
Offense
Die wichtigste Frage im Vorfeld der Saison ist schon geklärt: Jameis Winston wurde wie erwartet von Sean Payton zum Starting-QB ernannt.
Winston ist in der NFL berühmt/berüchtigt geworden als rücksichtsloser Gunslinger. In Tampa Bay flogen seine Bälle im Durchschnitt fast 11 Yards downfield – da kam kein anderer QB annähernd ran. Winston war eine Yards-Maschine, aber eben auch eine Interceptions-Maschine. Fast 5% seiner Würfe waren Turnover-worthy Plays – eine wahnsinnige Quote.
In nur einer seiner fünf Spielzeiten als Starting-QB hat Winston weniger als 4.5% Interceptions-würdige Würfe gemacht. Nicht in jedem Jahr werden dabei 30 Interceptions wie vor zwei Jahren „herausspringen“, aber 5% von 500 Pässen sind 25 mögliche vom QB verschuldete Interceptions pro Saison. Im Schnitt.
Die vor einigen Tagen u.a. von Mina Kimes in Bewegung gesetzte Diskussion, dass Winstons Interceptions eh nur in Situationen passieren, in denen die Offense wenig zu verlieren hat, ist schnell entkräftet worden. So gut der Quarterback Winston auf diesem Blog über die Jahre auch immer wieder weggekommen ist: Es fällt schwer zu leugnen, dass er es einfach zu häufig überreizt.
Winston ist auch ein QB mit einer eher hohen Sack-Rate: Fast 6% Sack-Quote über seine Karriere. So viele negative Plays konnte Winston auch mit einer Latte an Big-Plays nicht soweit wettmachen, dass die Buccaneers einst mit ihm hätten weitermachen wollen.
Letztes Jahr warf er in New Orleans ganze 12 Pässe. Es ist quasi unmöglich, aus so einer Mini-Sample-Size Vernünftiges herauszulesen, was eine mögliche Bändigung durch den neuen Trainerstab anginge. In der Preseason aber packte Winston schon mal die ganz tiefen Bomben aus. Jetzt liegt auch der „Galaxy-Brain“ Paytons nahe, dass man Winston letztes Jahr einfach hinter Brees und Taysom Hill „versteckte“ um ihn bei all den Cap-Problemen der Saints vor allzu lukrativen Free-Agency-Angeboten zu schützen. Winston spielt 2021 unter einem Einjahresvertrag über 5.5 Mio Dollar, mit Boni-Optionen bis ca. 13 Mio. Also billig.
Denn Payton weiß vermutlich wie der Großteil der Analytics-Szene: Winston bleibt ein QB mit extrem hohem „Ceiling“.
Winstons Rankings nach EPA/Play waren in Tampa:
- #12 in 2015 (mit 15 Interceptions)
- #15 in 2016 (mit 18 Interceptions)
- #14 in 2017 (mit 11 Interceptions)
- #10 in 2018 (mit 14 Interceptions)
- #14 in 2019 (mit 30 Interceptions)
So gefährlich spielt: Interceptions sind relativ random. In einem Jahr mit etwas Turnover-Glück ist Winston mit seiner aggressiven Spielanlage ein fringe Top-5 QB. Gleichen sich die Turnover-Zufälle jedoch aus, können wir von Winston roundabout #10 bis #15 erwarten.
Punkt ist aber auch: Winston hatte in Tampa exzellente Receiver-Waffen. Bei den Saints gilt 2021 eher die gegenteilige Frage: Wer soll die Bälle fangen?
WR Michael Thomas fällt mindestens die halbe Saison mit einer unangenehmen langwierigen Geschichte aus (und könnte ein Kandidat für einen baldigen Trade sein). Ohne ihn ist die Gruppe der Pass-Catcher kaum NFL-tauglich.
TreQuan Smith ist in seiner Anlage nicht mehr als ein WR3, aber in New Orleans muss er mehr sein. Smith hatte noch nie mehr als 400 Yards pro Saison.
Marquez Callaway hätte eventuell Potenzial sowohl als possession receiver oder depth threat, und er hat in der Preseason auch sensationelle Deep-Catches von Winston gefangen, aber ist er ein WR1?
Lil’Jordan Humphrey und Juwan Johnson sind beide 6‘4 Hünen, aber total unerfahren.
Deonte Harris ist ein Return-Spezialist.
Die vier Letztgenannten haben zusammen keine 500 NFL-Yards gefangen.
Auf Tight End gibt es Adam Trautman in seinem zweiten Jahr. Der starke Run-Blocker hat zwar als Rookie fast alles in seine Richtung gefangen (16 von 18 Targets waren Catches), aber ein aDOT von 4.3 Yards klingt nicht nach deep threat.
Nick Vannett war in Seattle über Jahre TE3. Da ist kein Wunder, dass böse Zungen behaupten, Taysom Hill sei aktuell der beste Pass-Catcher im Kader.
Die weniger bösen benennen Alvin Kamara. Der ist momentan die eindeutig bekannteste Waffe der Saints – aber halt auch kein Route-Runner für tiefere Dinger. Der bemerkenswert konstante Kamara hatte in jedem Jahr seiner vierjährigen Karriere zwischen 104 und 111 Targets, zwischen 86 und 96 Catches, zwischen 1.5 und 2.6 Yards/Route. Aber eben auch einen aDOT von nur 1.4 Yards downfield.
Kamara ist ein fantastischer Ballträger, wenn er den Ball mal in der Hand hat – aber er ist auch keiner, der tiefer das Feld runter anspielbar wäre.
Wir haben in Summe also einen Quarterback, der den Ball gerne downfield wirft (also mindestens 10-20 Yards weit), aber fast keine erprobten Waffen für diese Spielweise.
Dass sich Paytons Playbook an diese neue Gegebenheit anpassen wird, daran habe ich keine Zweifel. Die Saints waren in den letzten Jahren zwar die Offense mit den kürzesten Routen, doch das lag vor allem am abfallenden Arm von Drew Brees. Als sich Brees noch physisch in seiner Blüte befand, gab es auch wesentlich tieferes Passspiel. Dass diese Offense raffiniert geschemt sein wird, daran habe ich keine Zweifel.
O-Line ist auch wie gemacht dafür, mit einem QB anzutreten, der den Ball etwas länger hält als ein durchschnittlicher QB: Winston liegt konstant um die 2.8 Sekunden bis zum Wurf. Die Saints-O-Line ist durch zahlreiche Investments gut aufgestellt dafür, dass Winstons Tendenz Sacks zu kassieren, zumindest nicht extrem fokussiert wird.
Defense
Die Defense hat wie eingangs erwähnt deutlich an Tiefe verloren – aber der erste Anzug dürfte noch sitzen.
In der Front wird der „Ausputzer“ EDGE Trey Hendrickson in Payton Turner durch einen 1st Round Rookie ersetzt, und beim langjährigen Star-EDGE Cameron Jordan muss man sehen, ob sein Leistungseinbruch in 2020 nach über zehn Jahren NFL und 145 Starts en suite nur ein temporärer war, oder ob er langsam seinem Alter und Pensum Tribut zollen muss.
Es kommt also mehr und mehr auf EDGE Marcus Davenport drauf an. Die Saints haben vor drei Jahren im Draft zwei 1st Rounder für Davenport hingeblättert. Davenport wartet seither noch auf den ganz großen Durchbruch. Er hatte 37, 51 und 30 Pressures und eine Pressure-Rate zwischen 6.5% und 9.5%. Das ist okay, aber von der notwendigen Elite-Production um einiges entfernt.
Linebacker könnte ein Spot sein, der bei den Saints stärker als zuletzt in den Fokus gerät. Bei Zach Baun fällt sein immenser Speed auf. Seine Rolle wird deutlich größer sein als letztes Jahr (82 Snaps). Kwon Alexander wurde gehalten, aber Demario Davis kommt in die Jahre. Pete Warner ist Rookie.
Womöglich wäre man trotzdem froh, wenn man so eine „Tiefe“ in der Secondary hätte. Dort performt FS Marcus Williams auf höchstem Niveau.
Slot-CB/S Hybrid Chauncey Gardner-Johnson ist nur Elite im Trash-Talk.
CB1 Marcus Lattimore ist nur im Ruf und gegen WR Mike Evans Elite. Seit 2017 sind Lattimores Coverage-Stats nur noch im Mittelfeld der NFL. Noch fragwürdiger: Wer gibt den CB2? Patrick Robinson ist zurückgetreten. Paulson Adebo ist Rookie aus der 3ten Runde. Brian Poole ist Slot-Corner. Vielleicht sehen wir nochmal Ken Crawley?
Ausblick
Echt schwer, sich auf die Saints einen Reim zu machen. Sie laufen in dieser Preseason ziemlich stark unter dem Radar, aber wenn das Team einigermaßen gesund bleibt und die QB/WR-Situation das Katastrophenpotenzial in der Umkleidekabine lässt, ist die Wildcard-Runde durchaus wieder drin.
Ich hab halt zwei wesentliche Cents zu dem Team:
1) QB: Winston hat in Tampa seine Monster-Yards-Zahlen mit einem wesentlich besseren Receiving-Corps aufgelegt und war trotzdem nicht zu zügeln. Sehr wahrscheinlich wird er Interception-Glück brauchen, will er wirklich an die Effizienz zu Brees‘ Glanzzeiten aufschließen.
2) WR: Schön und gut, dass die Saints keine Cap-Space hatten und in der D-Line Tiefe draften wollten, aber why the hell hat man die Receiver-Position im Draft ignoriert? Rashod Bateman und Terrace Marshall wurden ihnen in den Runden 1 und 2 jeweils direkt vor der Nase weggedraftet, aber jeder Receiver hätte geholfen – schon bevor Michael Thomas auf IR landete.
So liegt die Hoffnung auf Turnover-Glück und überraschende Entwicklung von eher unbekannten jungen Pass-Catchern, will man sich nicht auf das verlassen, was in der heutigen NFL keine langfristige Erfolgserwartung mehr bringt: Laufspiel und Defense.
Das heißt, Durchschnitts Jameis ist ungefähr gleich effektiv wie 2020 Brees?
Sagt einiges aus finde ich.
Jameis kann hoffentlich Down Field mehr bringen.
Brees hatte nicht mehr viel Kraft im Arm, und das hat man in den letzten Jahren auch am aDOT gesehen.
2013: 8.4
2014: 8.1
2015: 8.2
2016: 7.7
2017: 7.4
2018: 7.7
2019: 6.9
2020: 6.6
Die Pässe wurden stetig kürzer. Brees hatte die letzten zwei Jahre auch kaum mehr Big-Time-Throws (2.7% und 3.5%), davor waren es fast immer 5-7%.
Er hat früher über 11% tief geworfen, 2019 noch 8%, 2020 nur mehr 6%.
Aber Brees war noch stark im Vermeiden von Fehlern. Er hat noch immer fast 80% fangbare Pässe geworfen – natürlich auch, weil sie kürzer wurden. Er hatte eine der niedrigsten INT-Raten und eine der niedrigsten Sack-Raten und hat weiter ganz stark die effiziente Mitte des Feldes beworfen.
Im Kopf war er schon noch voll da. Die Physis hat es halt einfach nicht mehr hergegeben.
Winston hat physisch alles drauf. Er ist halt einfach zu ungestüm und überzieht zu oft. Aber es stimmt schon, dass die Saints wieder ihr Playbook öffnen können und wie 2011 spielen können, weil Winston einfach viel öfters tief geht. Wenn Callaway sich als WR downfield durchsetzen kann, dann wird das eine nette Offense, wenn Michael Thomas erstmal wieder da ist.
Wir kennen Thomas ja nur als Slant-Boy, aber wir kennen ihn eben auch nur in der Spätphase mit Brees.
Pingback: Es geht los! Heute beginnt die NFL-Saison 2021/22 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!