Die AFC South gilt seit Jahren als eine der schwächsten NFL-Divisionen. Die Titans waren letztes Jahr trotz AFC #1 Seed mehr Schein als Sein, die Texans machen sich als quasi-religiös geführter Club vom Owner herab seit Jahren lächerlich, die Jaguars haben in 15 Jahren mit Ausnahme eines Freak-Playoffruns fast auschließlich in den Top-10 gedraftet, und auch die Colts haben sich vom schockierenden Rücktritt von Andrew Luck vor drei Jahren noch immer nicht recht erholt.
Auch 2022 ist eher kein ernsthafter Superbowl-Contender aus dieser Division zu erwarten. Dafür ist gleich drei Mannschaften der Divisionssieg zuzutrauen. Das vierte Team – die Texans – spielt eher um den Top-Pick im nächsten Draft.
Houston Texans
PFF Playoff-Chance: 10%
Superbowl-Chance: 0%
Over/Under 4.5 Siege
Schedule #15
Houston wird in der anstehenden Saison mit einem besseren Kader als vor einem Jahr ins Rennen gehen und hat die wichtigste Kaderbaustelle in Deshaun Watson gelöst. Trotzdem wäre es angesichts Zillionen Cast-Offs in Schlüsselrollen vermessen, von dieser Mannschaft zu erwarten in Playoffnähe mitzuspielen.
Mein Misstrauen in die sportliche Leitung um GM Nick Caserio, Grima Easterby und den kompletten Trainerstab ist zwar mit „immens“ am besten beschrieben, aber ich gestehe diesen Typen zu: Für Watson drei 1st Rounder, einen 3rd Rounder und zwei 4th Rounder herauszuholen, ist beachtlich. Schließlich sprachen wir über einen QB, der eh nie mehr für das Team gespielt hätte und der No-Trade-Klausel und einen unsäglich schweren Rucksack an Problemen mit sich schleppte.
Natürlich ist jetzt der einstige Franchise-QB im besten Alter weg. Aber das Problem hätten die Texans eh nicht mehr gelöst bekommen. Jetzt hat man mit dem akquirierten Draftkapital fette Ressourcen und große Flexibilität im Teambuilding in den nächsten beiden Offseasons. Dass zuletzt schon Mannschaften wie Cleveland oder Miami mit solchen radikalen Umbrüchen eher im Mittelmaß als an der Spitze gelandet sind, zeigt natürlich: Eine Garantie für den Durchbruch sind solche Ressourcen nicht.
Bei den Texans kommt erschwerend hinzu, dass das Team sektenartig von Geeks geführt wird, bei denen auch nach zwei Offseasons noch keine klare Handschrift zu erkennen ist. Was außer Ansammlung von Draftpicks und der Verpflichtung von eintausend billigen Ü30 Veterans ist bisher passiert? Wohin wird dieses Team entwickelt?
Aktuell ist es noch schwierig abzusehen.
Caserios wichtigste Ziel sollte eigentlich sein, Watsons Nachfolger als Franchise-QB zu finden. In zwei Offseason haben die Texans diesbezüglich nur einen 2nd 3rd Rounder investiert: 2021 für Davis Mills. Mehr ging wahrscheinlich auch nicht, im QB-lastigen Draft 2021 hielten die Dolphins den #3 Overall Pick (Laremy Tunsil lässt grüßen)
Mills hat eine passable Rookiesaison gespielt – aber wenn er verhindern will, in den nächsten beiden Offseasons ersetzt zu werden, muss er trotzdem einen gewaltigen Leistungssprung in der anstehenden Saison hinlegen. Ich gestehe Mills zu, dass Houston letztes Jahr keine NFL-Offense gespielt hat. Das Route-Chart der Offense gleicht eher dem Heiligen Kreuz für Caserio und Easterby zur gemeinsamen Bibelstunde als irgendwas NFL-Nahem:

Aber natürlich waren Mills‘ Stats auch fern allem, was man einen vernünftigen Langzeit-NFL-Starter nennen könnte:
Dropbacks | 435 | |
EPA/Play | -0.08 | #31 |
PFF Grade | 58.5 | #32 |
Big Time Throw% | 3.8% | #20 |
Turnover-würdige Würfe | 4.3% | #28 |
Accuracy% | 74.6% | #20 |
CPOE | -0.2% | #20 |
aDOT | 7.8 | #26 |
Time to Throw | 2.57 | #5 |
Drop Rate | 3.7% | |
Pressure-to-Sack% | 23.3% | #30 |
Rushing | 44yds, 0 TD |
Es war ganz einfach nicht schlimm wie befürchtet. Mills war besser als es viele NFL-Draftniks (außer Matt Waldman, der ihn hoch hatte) erwartet hatten. Will er über 2022 hinaus starten, muss da aber heuer wesentlich mehr kommen.
Ein weiteres Ziel für den GM wäre, einen Trainerstab anzustellen, der nicht zehn Meter gegen den Wind nach Übergangslösung riecht. Letztes Jahr war es der 66jährige David Culley, den Caserio nach Zillionen Abgsagen im letzten Moment als Überraschungskandidat präsentierte. Culley erreichte mit vier Siegen durchaus mehr als erwartet, aber trotzdem war er direkt im Anschluss an die Saison schon wieder Geschichte, weil er sich weigerte, den Einflüsterungen seiner Bosse im In-Game-Coaching allzu viel Beachtung zu schenken.
Gegen seine Entlassung hat sich Culley aber auch nicht zu vehement gewehrt. Schließlich kassierte er die vollen 22 Mio. Gehalt für das eine chillige Jahr.
Zum Nachfolger wurde der nur drei Jahre jüngere Lovie Smith befördert. Smith führte vor Urzeiten die Chicago Bears mal in den Superbowl. In der NFL sah man ihn als Chefcoach zuletzt 2015, u.a. weil seine Tampa-2-Defense als antiquiert galt. Smith soll in der Zwischenzeit u.a. als DefCoord bei den Texans minimale Weiterentwicklungen an seinem System vorgenommen haben – aber in ihm mehr als eine interimistische Lösung zu sehen bräuchte schon extrem viel Fantasie.
Den wahren Wunschkandidaten Josh McCown konnten die Texans nicht einstellen, weil im Jänner kurz nach der Entlassung vom schwarzen Culley der Störfaktor Brian Flores aufpoppte. Zu diesem Zeitpunkt an qualifizierteren Kandidaten vorbei den weißen Ex-NFL-QB McCown zu holen, der abseits der Highschool noch nie auch nur einen Assistenz-Coaching-Job innehatte, war selbst den Schamanen um Easterby zu heiß.
Damit gilt: Viel sollten wir in 2022 nicht erwarten.
In der Offense gibt es in WR Brandin Cooks und LT Laremy Tunsil nur zwei Leistungsträger in ihrer Blüte. Tunsil könnte noch verkauft werden. Bei Cooks hatte ich ehrlich schon vergessen, dass es ihn noch gibt. Er ist in dem Trash-Team komplett verschenkt.
In der O-Line hat sich in den letzten Jahren OT Tytus Howard ganz gut gemacht; in OG Kenyon Green hat man einen 1st Round Rookie zum Evaluieren.
Auch das Hauptthema der Defense ist Scouting for the Future. Die zahllosen neu verpflichteten Oldies im Passrush wie Mario Addison oder Jerry Hughes sind damit nicht gemeint, wohl aber Rookies wie CB Derek Stingley (#3 Overall Pick) oder FS/Slot-CB Jalen Pitre (2nd Rounder).
Gerade Stingley war einer der meistdiskutierte Draft-Prospects: Sensationelles Talent mit grandiosem Tape gleich im Freshman-Jahr. Aber das war 2019. Seither war Stingley meistens verletzt oder mittelmäßig motiviert. Dass er im Draft so hoch ging, war fast schon eine kleine Überraschung.
Pitre wird vorerst das Label „Schachfigur“ tragen, weil es ein paar Wochen oder Monate dauern wird, bis seine optimale Position gefunden ist.
Die Texans haben ein Over/Under von 4.5 Siegen. Das könnte durch den etwas höheren Floor als letztes Jahr zu niedrig sein. Solche Oldies wie Addison oder Hughes können noch Spiele in die eigene Hand nehmen und hie und da Nadelstiche setzen, und wenn Mills vielleicht einen Schritt nach vorn macht, dann haben die Texans schnell den einen oder anderen Sieg „zu viel“ geholt.
Vielleicht sollte Caserio früh genug seine Stars Cooks und Tunsil wegtraden, bevor es ganz zu weit weg geht vom NFL-Top-Pick 2023.
Indianapolis Colts
PFF Playoff-Chance: 64%
Superbowl-Chance: 4%
Over/Under 10 Siege
Schedule #28
Falls die Texans nicht wissen, in welche Richtung sie ihre Mannschaft entwickeln wollen, sollten sie sich Indianapolis als warnendes Beispiel vor Augen führen. Nicht weil die Colts besonders versagt hätten – obwohl die hohen Picks bzw. sehr teuren Verträgen für einen Offensive Guard (Quentin Nelson) und einen Linebacker (Ex-Darius-now-Shaquil Leonard) sowie recht viel investierten Ressourcen in die Runningback-Position (2nd Rounder für Jonathan Taylor) auch nicht direkt aus dem Lehrbuch für NFL-Roster-Management entnommen sind.
In Summe hat GM Chris Ballard bei den Colts dennoch einen sehr guten Kader mit hohem „Floor“ zusammengestellt. Aber für ganz oben reicht es eben nicht, weil Indy seit dem verblüffenden Rücktritt Andrew Lucks vor drei Jahren händeringend nach einer Quarterback-Lösung sucht:
- 2019 hatte man keine Zeit mehr und musste mit Jacoby Brissett zu Ende spielen
- 2020 holte man Philip Rivers und seinen Noodle-Arm in dessen allerletztem NFL-Jahr. Es reichte für die Wildcard-Runde
- 2021 kaufte man Carson Wentz aus Philadelphia. Wie mit Rivers gab es ein paar lichte Momente. Aber anders als unter Rivers implodierten die Colts am Ende der Saison auf die grausigste Art und verpassten sicher geglaubte Playoffs. Wie Wentz im Anschluss an die katastrophale Week-18-Pleite in Jacksonville abserviert wurde, war so ziemlich die heftigste Demontage eines Starting-QB, die ich in 20 Jahren NFL gesehen habe.
Jetzt also Matt Ryan. Wieder so ein Veteran auf dem absteigenden Ast, aber anders als Wentz ist Ryan ein akkurater Werfer und solider Processor – und vor allem menschlich ein Typ, mit dem jeder auskommt. Wentz galt schon zum Ende seiner Zeit in Philly als Coaching-resistent. Bei den Colts soll sich das fast 1:1 wiederholt haben. Wenn sich am Ende der Saison dein ehemaliger Mentor und Headcoach, der für deine Anstellung geworben hatte, hinstellt und sich öffentlich bei allen für deine Verpflichtung entschuldigt, dann ist einfach zu erahnen, wie sehr sich die Colts bei allen QB-Problemen nach einer Zeit ohne Wentz gesehnt haben.
Ryan hat nicht mehr allzu viel Saft im Wurfarm, aber vielleicht einen Tick mehr als Rivers vor zwei Jahren. Die Frage ist, ob der Support-Cast reicht. Taylor hat sich als exzellentester Runner der NFL etabliert, aber er ist eben Runningback.
Die O-Line hat eventuell auch nicht mehr die Klasse der besten Tage. LG Nelson, C Ryan Kelly und RT Braden Smith sind exzellente, erprobte Starter. Aber auf Left Tackle könnte im Österreicher Bernard Raimann ein Rookie starten, und RG Danny Pinter hat auch nicht den aller-solidesten Track-Record.
Stabilisiert sich Pinter und/oder ist der athletische Raimann schnell auf NFL-Niveau (die Journaille ist optimistisch), könnte es wieder eine Top-10 Line sein. Aber mit Instabilität auf beiden Positionen wird die Pocket schnell unruhig, und dann hat Ryan weder die Mobilität noch das Waffenarsenal um hochkarätige Offense zu spielen.
Oder reicht die Qualität auf Receiver? Michael Pittman ist ein exzellenter Possession-Receiver, aber strukturell eher ein WR2 als ein WR1. TE Mo-Allie Cox ist ein Guter, aber Slot-WR Parris Campbell hat in drei Jahren insgesamt deutlich enttäuscht.
Die Colts wollen unter Frank Reich am liebsten eine Art „smashmouth-Spread“ Offense spielen: 11-Personnel mit breiten Aufstellungen um die Defense horizontal auseinanderzuziehen, und dann mit dem wuchtigen Taylor in offene Boxen zu laufen und dadurch wiederum Räume für das Play-Action Passing auf den Crossing-Routen über die Mitte zu öffnen. QB Ryan kennt und kann das. Pittman ist mit seinem famosen Blocking auch der richtige Typ Receiver.
Aber es braucht noch einen zweiten guten Receiver. Ashton Dulin soll gute Ansätze gezeigt haben und auch super blocken. Von seiner Entwicklung wird abhängen, ob Indy 2022 um durchschnittliche EPA/Play kämpft, oder ob die Offense eventuell Top-10 Effizienz auflegen kann. (Edit: offenbar ist auch Alec Pierce in der Diskussion)
Der Blick auf die Defense verrät: Einige spannende Talente mit High-End-Potenzial, aber ein fettes Fragezeichen auf der Coordiantor-Position. Nicht, dass man vom neuen DefCoord Gus Bradley nicht genau wüsste was zu erwarten ist: Volle Pulle Cover-3 selbst nach sechs kassierten Touchdown-Drives im Schlussviertel gegen Patrick Mahomes, und so wenig Blitzing wie kein anderer DC. Im Regelfall ist dieses System gegen die besten Offenses zu starr. Vor allem braucht es permanent dominanten 4-Man passrush von der D-Line.
Und den wird Indy nur dann liefern, wenn Kwity Paye im zweiten Jahr den entscheidenden Leistungssprung macht. Paye war als Rookie mit 39 Pressures und 5 Sacks ganz okay, aber für 2022 wäre das zu wenig. Er ist jetzt aber auch zum ersten Mal richtig fit.
Paye hat in DT DeForest Buckner einen Supertar und im aus Las Vegas geholten EDGE Yannick Ngakoue einen soliden Edge-Rusher an seiner Seite. Viele Entschuldigungen gibt es für diesen als athletischen Freak mit der Notwendigkeit sich ein Jahr an den Speed der NFL zu gewöhnen nicht.
LB Leonard ermöglicht Coverage-Spielereien, auf die Bradley zuletzt in Seattle mit Bobby Wagner bauen konnte, der andere LB Okereke ist auch durchaus solide, und die Secondary ist durchaus reizvoll besetzt:
- CB1 Stephon Gilmore ist über 30 und geriet zuletzt in Vergessenheit, aber Gilmore soll letztes Jahr fernab des Scheinwerferlichts in Carolina einer der wenigen Lichtblicke gewesen sein.
- Kenny Moore gilt als einer der besten Slot-CBs in der NFL
- Safety Justin Blackmon ist ein Juwel als tiefer Centerfielder, und kann diese Rolle auch so spielen, weil
Khari WillisCross/McLeod die „Kam Chancellor-Rolle“ als Box-Defender wahrnimmt/wahrnehmen.
Wie Gilmore mit 32 performt, könnte entscheidend werden. Lahmarschigkeit auf CB1 wäre kacke, weil kein anderer Outside-CB erprobt ist. Einen CB2 Isaiah Rodgers kann man noch kaschieren. Aber zwei Jungs dieser Klasse wären dann schon ein Problem.
In Summe ist Indy auch dank Headcoach Reich bestimmt das kompletteste Paket der AFC South. Die große zu beantwortende Frage ist aber die nach der Upside:
- Hat Ryan noch genug Arm in der Schulter?
- Macht Dulin den entscheidenden Schritt zu einem qualitativ starken WR2?
- Schafft Paye den Breakout zum Star-Receiver?
- Hält Gilmore noch die eine Saison durch?
Weil eine positive Beantwortung aller vier Fragen eher unwahrscheinlich ist, rechne ich zwar mit Playoffs, aber nicht mit einem echten Superbowl-Run.
Jacksonville Jaguars
PFF Playoff-Chance: 17%
Superbowl-Chance: 0.1%
Over/Under 6.5 Siege
Schedule #19
Die Jaguars haben einen wesentlich niedrigeren „Floor“ als die Colts, aber dank der Präsenz von Trevor Lawrence ein sogar höheres Ceiling.
Die Jags kommen klarerweise von sehr weit unten. Aber auf der Headcoach-Position in Urban Meyer einen Spinner durch den grundsoliden Doug Pederson zu ersetzen, ist als Startpunkt netto locker drei Siege wert. Pedersons Aus in Philly vor eineinhalb Jahren war hässlich, sieht aber nach dem kurzen Carson-Wentz-Gastspiel in Indianapolis gleich schon normaler aus, und vor allem: Pederson weiß, wie das mit einem quicken Rebuild mit jungem QB geht. Er hat es in Philly schon mitgemacht und dort im zweiten Jahr die Superbowl gewonnen.
Freilich war die Basis der Eagles damals eine deutlich bessere – aber dafür ist Lawrence das bessere QB-Prospect. Ich habe es am Dienstag schon kurz versucht herauszuarbeiten: Lawrence hat solide Pocket-Präsenz. Er hat einen langen Track-Record mit super College-Play. Wenn er sein Spiel über die Spielfeldmitte auf die Reihe kriegt, sehe ich keinen Grund, warum die Jags nicht per sofort den besten QB der AFC South haben sollten.
Und dann wird das Ceiling der Jaguars schnell eine Frage des Supports.
O-Line ist mittelmäßig, aber verbessert im Vergleich zu 2021. Die linke Flanke sollte mit LT Cam Robinson und LG Brandon Scherff sogar überdurchschnittlich gut sein. Auf Center ersetzt der junge Luke Fortner den zurückgetretenen Brandon Linder. Das große Fragezeichen steht auf Right Tackle: Walker Little hat über Jahre mit Verletzungen und Covid Opt-Out kaum gespielt, Jawaan Taylor kann man fast schon als Draft-Bust abstempeln.
Der Skill-Corps ist etwas besser, aber es fehlt ein echter WR1 um den herum sich ein dominanter Gameplan bauen lässt. Dafür ist die Tiefe und die Variabilität verbessert.
Die Receiver sind ein Trupp aus verkappten WR2 Typen: Christian Kirk, Marv und Zay Jones – alles solide Counterparts, aber keine Leute, die einen NFL CB1 verlässlich schlagen.
TE Evan Engram ist ein durchaus spannender Neueinkauf: Engram ist ein verkappter Slot-WR, der bei den Giants nach Jahren des Strauchelns zuletzt den Durchbruch geschafft hat. Engram ist eines der vielen Warnsignale gegen hohe Draft-Investitionen auf Tight End, denn selbst bei guten Prospects ziehen die Teams Tight Ends zu oft für das zweite NFL-Team.
Zu dem Quartett gesellen sich die Backfield-Irrwische. Travis Etienne, Lawrences College-Zimmerkollege, könnte eventuell einer der gefährlicheren Dual-Threat Runningbacks werden – er wird in der Preseason geradezu himmlisch besungen. Um seinen Status als 1st Rounder zu bestätigen, müsste er aber übermenschlich performen.
Und James Robinson, letztes Jahr einer der besseren (und einer der billigsten) Runningbacks in der NFL. In Summe ist das ein Waffenarsenal, das Bill Barnwell als #28 der NFL rankt. Das ist nicht „gut“. Vielleicht ist es nicht einmal das, was der Amerikaner „workable“ nennt.
Aber es ist auch nicht mehr grottenschlecht. Schafft Lawrence den Durchbruch, reicht dieser Receiver-Corps aus um auch in EPA/Play die entsprechenden Früchte zu ernten. Und, ja: Da ist ein Haufen Spielermaterial für die Mitte des Feldes da. Genau dort muss sich Lawrence am meisten verbessern.
Defense ist wahrscheinlich noch ein Jahr entfernt. Die Secondary ist mit CB1 Griffin, CB2 Tyson Campbell und Safety Andre Cisco noch etwas arg jung. Der Passrush ist gespickt mit 1st Round Supertalenten, aber wirklich arriviert ist bis jetzt nur einer: Josh Allen. Und selbst Allen hat in seinen drei Jahren in der NFL noch nicht ganz das gehalten, was man sich 2019 von ihm versprochen hatte.
Die anderen beiden sind Rohdiamanten, deren zweiter Vormane „boom or bust“ lautet. K’lavon Chaisson hat in zwei Jahren so gut wie nichts gezeigt, und der heurige #1 Overall Pick Travon Walker war am College wie Chaisson ein Prospect mit geringer Produkvitität im Passrush. Dafür ist Walker ein einzigartiger Athlet.
Ich habe viele Theorien zu Walker gelesen. Es gibt das Lager, das ihn als deutlich overdraftet ansieht, weil er eben kaum Wins im Passrush produziert. Aber es gibt auch die, die ihm schon aufgrund seiner unglaublichen Athletik einen hohen „Floor“ zugestehen („so ein explosives Kraftpaket wird immer auf die eine oder andere Weise gewinnen“) und erwarten, dass er mit mehr technischer Finesse in 2-3 Jahren alle anderen Defense-Prospects in den Schatten stellt.
Andyhow: Sollte besser werden als zuletzt #31 in EPA/Play. Aber wohl nicht gut genug für Liga-Durchschnitt.
In Summe sind die Jags ein Team, von dem ich mindestens sechs oder sieben Siege erwarte – und je nachdem, ob Lawrences Entwicklung im Schneckentempo oder mit Siebenmeilenstiefeln geht, kann das ganz schnell eine 9-8 Bilanz mit Gewinn einer insgesamt schwachen AFC South werden. Für viel mehr (z.B. Playoff-Run) fehlt mir momentan noch die Vorstellungskraft. Da ist dann doch zu wenig Explosivität im Skill-Corps, zu wenig Stabilität in der O-Line und zu wenig Reife in der Defense vorhanden. Lass uns noch ein Jahr warten.
Tennessee Titans
PFF Playoff-Chance: 51%
Superbowl-Chance: 3%
Over/Under 9.5 Siege
Schedule #11
Bleiben die Titans. Ein gutes Team – aber kein dominantes. Dass sie letztes Jahr trotz aller Verletzungen (meist verschiedene Starter der NFL) den #1 Seed abstauben konnten, grenzte an ein Wunder. Headcoach Mike Vrabel mag auf diesem Blog ob seiner stockkonservativen Weltsicht oft eine Punching-Line sein. Doch es fehlt zunehmend schwer, an Vrabels Track-Record als Chefcoach vorbeizuschauen.
Close Game Wins sind zum großen Teil Fake, aber Vrabel hat in vier Jahren als Titans-Coach eine 20-8 Bilanz eingefahren und dabei 13 der 15 One Scorer in den letzten zwei Jahren gewonnen. Das ist üblicherweise keine langfristig haltbare Qualität. Aber dass Tennessee letztes Jahr trotz so vieler Ausfälle gegrindet und sich durchgebissen hat, nötigt mir Respekt ab.
Die Titans haben ihre Möglichkeiten in der Offense über Jahre ausgereizt. Und sie sind nicht bloß nicht auseinandergefallen, als die vermeintlich lebenswichtigen RB Derrick Henry und WR A.J. Brown letztes Jahr ausgefallen sind, sondern haben trotz aller offensichtlichen Probleme 12-5 Siege in der Regular Season geholt.
Freilich wurde die Offense nicht erst in den Playoffs exposed. QB Ryan Tannehill ist vielleicht der beste NFL-QB im „Kirk Cousins System-QB Tier“: Quarterbacks für die Play-Action-Orgien, mit etwas angeflanschtem Playmaking außerhalb der Struktur, aber überfordert, wenn sie mit Dropback-Passing gezwungen werden das Spiel in die Hand zu nehmen.
Aber Tannehill wurde nach seinem Breakout zwischen 2019 und 2020 ohne den abgewanderten OffCoord Arthur Smith ziemlich gestutzt:
- 2019: 0.25 EPA/Play, #3
- 2020: 0.33 EPA/Play, #2
- 2021: 0.14 EPA/Play, #13
Auffällig ist, dass Tannehills Pässe deutlich kürzer wurden:
- aDOT 2019: 10.1 Air-Yards/Passversuch, #3
- aDOT 2020: 8.8 Air-Yards/Passversuch, #13
- aDOT 2021: 8.0 Air-Yards/Passversuch, #22
Und, dass Tannehill jedes Jahr schneller wirft. Pocket-Präsenz ist seit jeher nicht seine Stärke, weswegen diese Offense ohne das Scheme schön langsam ans Ende ihres Lifecycles kommt.
Als Henry letztes Jahr mit Verletzung erst einmal draußen war, hörten Defenses auf, die Boxen vollzustopfen. Das Laufspiel wurde dabei nicht effizienter, während Tannehill ohne den ebenso verletzten Superstar-WR A.J. Brown wochenlang hart zu knabbern hatte.
Aber es war nicht nur Henry/Brown hin, Henry/Brown her. Die ganze Offense war komplett anders strukturiert: Das Route-Chart und Tannehills Target-Chart lesen sich wie aus komplett unterschiedlichen Mannschaften – da war einfach keine Connection da. Es war, als ob die Titans Seam-Routes gelaufen sind, aber Tannehill nur Crosser geworfen hat.

Vergleich: Ein Jahr zuvor hatte das noch so ausgesehen:

Tannehill ohne Arthur Smith = wie vor einem Jahr prophezeit: Es war schwierig. Und es wird wahrscheinlich nicht so schnell wieder besser.
Henry sollte zwar wieder fit sein – aber wie lange sein monströser Körper die Workload noch mitmacht, müssen wir abwarten. 2019 hatte Henry ab Woche 7 satte 23 Carries/Spiel. 2020 waren es fast 24 Carries/Spiel, und 2021 war Henry bis zu seinem Ausfall in Woche 9 unterwegs, selbst diesen Rekord zu knacken: Er wurde in diesen Spielen unfassbare 30x pro Spiel gefeeded: 239 Carries in 8 Spielen.
Der Rest ist bitter: Henry fiel aus, kam erst in den Playoffs als Schatten seiner selbst zurück und muss jetzt nach so vielen Hits wieder die Offense tragen.
Auch die O-Line erodiert schrittweise. Der langjährige LG Saffold ist weg ohne dass eine beruhigende Nachfolge gefunden wäre, und auch auf Right Tackle gibt es Probleme: Offenbar ist man mit dem letztes Jahr gedrafteten 2nd Rounder Dillon Radunz überhaupt nicht zufrieden. Radunz kam von der FCS hoch in die NFL. Er ist kein Kraftpaket, sondern ein Feintechniker – aber als Rookie sah er überhaupt kein Land, wurde nach Belieben in die Pocket zurückgeschoben und war in den wenigen Snaps am Feld ein echtes Sicherheitsrisiko. Und so rankt Brandon Thorn diese Line nur noch auf #28 der NFL.
Und dann wäre das große Knackpunkt WR1. Brown zu halten war den Titans nach der Explosion auf dem Receiver-Markt nicht mehr so wirklich möglich. Also hat man Brown nach Philly verkauft und den 1st Rounder verwendet um Rookie Treylon Burks in Runde 1 zu draften.
Burks ist ein exzellenter Case für das, was am Group-Think im Draftprozess nicht so gut läuft. Als Burks famose Zahlen am College in Arkansas auflegte, galt er monatelang als bester WR-Prospect des Jahrgangs 2021. Dann verschusselte Burks Combine und Pro Days, und plötzlich fanden alle Lücken in seinem Tape und bemängelten Burks‘ mangelhaften Route-Tree. Im Draft ging Burks zwar schon an #18 vom Board, aber war gleichzeitig nru der sechste gedraftete Receiver – der letzte in „Tier 1“. Im Trainingslager soll Burks grandios ausschauen. Seither haben es wieder alle gewusst.
Körperlich ist Burks nicht weit von Brown entfernt. Burks ist ein paar Zentimeter größer, aber beide sind gleich schwer und fast gleich schnell. Brown hat etwas mehr Explosivität in den Pre-Draft-Tests, aber Burks war dort nicht 100%ig fit. Brown hat etwas mehr Power, Burks dafür die paar Zentimeter mehr.
Der eine Unterschied liegt im Gehalt: Burks kostet nur einen Bruchteil der 25 Mio/Jahr, die Brown in Philadelphia bekommt. Aber bei Rookies kann man sich nie ganz sicher sein, was
Die Defense dagegen könnte besser als erwartet sein. Der Edge-Rush um Harold Landry und Bud Dupree ist zwar Fake. Aber das Gerüst hat richtig Potenzial:
- DT Jeffery Simmons war 2019 der 1st Rounder. Seinen Breakout von 2021 einen Schritt weitergedacht, könnte er eventuell ins DPOY-Rennen eingreifen, wenn er so weitermacht.
- CB Kristian Fulton hat in seiner zweiten Saison den Schritt zum echten CB1 vollzogen.
- Auf Safety ist Kevin Byard seit Jahren eine Stütze – aber weil sich auch Amani Hooker mittlerweile zu einem Klassemann entwickelt hat, haben die Titans ein richtig stabiles Backbone.
Wenn 2nd Round Rookie Roger McCreary nur einigermaßen passabel spielt, muss man diese Secondary erst einmal schlagen. Natürlich gilt auch: Braucht McCreary noch ein Jahr, dann sind die Schwachpunkte auf CB2 und CB3 schnell ausfindig gemacht.
In Summe reicht mir das einfach nicht um Tennessee an Indianapolis vorbei zu ranken. Ich glaube nicht, dass die Titans zwingend abschmieren werden – dafür ist die Basis zu gut und hat die Defense zu viel Potenzial. Aber eine weitere Playoffqualifikation wäre schon ein Erfolg.
Tipp
#1 Indianapolis (9-8)
#2 Jacksonville (9-8)
#3 Tennessee (8-9)
#4 Houston (4-13)
Edit: Fabian Sommer macht mich aufmerksam, dass ein paar Details original nicht ganz korrekt waren:
Davis Mills = 3rd statt 2nd Rounder
Quentin Nelson = nur hoher Pick, noch kein teurer Vertrag
Alec Pierce kriegt die wichtige WR2 Rolle, Dulin mehr Depth Player
Khari Willis = in Rente, dafür geht die Rolle an McLeod/Nick Cross
Thx.
@korsakoff
Etwas OT, aber:
Kennst/nutzt du interessante Twitter Listen rund um die NFL?
Ich nutze Twitter in letzter Zeit aus diversen Gründen kaum noch. Leider gehen dann aber auch die interessanten Beiträge der bekannten Experten/Analysten vor allem aus der Analytics Ecke ziemlich unter, was ich wiederum sehr schade finde. Meine Idee wäre nun das irgendwie über Listen zu lösen.
Natürlich könnte ich mir auch selber eine zusammenbauen, aber fragen kostet ja nichts 🙂
Ich hab hier eine NFL-Liste, die ich manchmal verwenden, ist, aber da sind etwas arg viele Accounts drin, ich hab sie schon länger nicht mehr geputzt:
Danke, werd ich mal reinschauen!