Die NFC West verspricht ein Rennen zwischen zwei Teams zu werden.
Das dritte kämpft verzweifelt um den Anschluss. Das vierte hat nach dem Abgang des Franchise-QBs einen größeren Umbruch vor sich.
Seattle Seahawks
PFF Playoff-Chance: 12%
Superbowl-Chance: 0.1%
Over/Under 5.5 Siege
Schedule #8
Wir müssen keine Umschweife machen: Die Seahawks sind das uninteressanteste Team im Vorfeld der NFL-Saison 2022 – bei weitem. Sie sind nach dem Verkauf von QB Russell Wilson in den Rebuild-Modus gegangen, mit einem GM, der einen über Jahre langsam ausblutenden Kader zu verantworten hat, und einem Headcoach, der nächste Woche 71 wird.
Seattle kassierte fette Beute für Wilsons Verkauf: Zwei 1st Rounder, zwei 2nd Rounder, TE Noah Fant, DT Shelby Harris – und QB Drew Lock. Lock ist eher Ballast als Beute, aber mit dem ganzen Rest lässt sich arbeiten. Der aktuelle Kader ist auch nicht auf allen Positionen grottenschlecht besetzt – aber einige entscheidende Stellen sind grausam:
Edge-Rush – Die interior Defense Line hat in Harris eine reizende Verstärkung erhalten, doch an den Flanken ist schon der erste Anzug brutal dünn. Free Agent Uchenna Nwosu war noch nie ein ernsthafter Starter und der 2nd Rounder 2020 Darrell Taylor kam erst während der letzten Saison mit ca. 30 Pressures langsam in Schwung. Willst du gewinnen, sind solche Namen besser Ergänzungsspieler als fix eingeplante Starter.
Cornerback – Ein Depth-Chart mit Sidney Jones, Artie Burns und Justin Coleman als CB1, CB2 und CB3 ist receipt for disaster und selbst für Pete Carroll kaum zu verstecken. Aber Cornerback ist noch ein weit weniger dramatisches Problem als die eine alles überstrahlende Schwachstelle für 2020…
…Quarterback – Geno Smith hat das Preseason-Battle gegen Lock gewonnen und wird starten. Uns Geno schönzureden, führt zu nix, also lass es uns gar nicht versuchen. QB-Play in Seattle wird 2022 nur mit viel Glück besser als Bottom-5 sein – und wenn, dann nur knapp.
Mit Geno at the helm ist auch wurscht, dass das WR-Duo Metcalf/Lockett eins der spektakulärsten NFL-weit ist, und dass Fant als underneath-Option durchaus seinen Reiz hat. Da ist es auch egal, dass man schön langsam ein Fundament in der O-Line gelegt hat, das über Jahre fehlte. Insbesondere der Top-10 Pick LT Charles Cross soll im Trainingslager geglänzt haben.
Ich hab es schon während der Russell-Wilson-Ära immer wieder geschrieben: Carroll sehe ich als durchaus soliden Coach an, aber ich bin einfach skeptisch gegen seine übergreifende Sicht auf die Footballdinge. Carroll coacht als wolle er sich selbst ein Handicap auferlegen, um sich dann auf die Brust klopfen zu können – „seht her, was ich aus mieser Ausgangslage herauszuholen imstande bin“.
Die Carroll-Seahawks erschwerten sich über Jahre selbst das Leben, als sie sich weigerten „all in“ auf Wilsons Stärken zu gehen und jede Ausrede fanden, warum 60% Early-Down-Rushing doch eine gute Idee sei – Wilson zu unkonventionell, zu viel hopp oder topp, zu viele Sacks, zu wenig Rhythmus, zu viel Ego, yadda yadda yadda. Dass das Endresultat mit Wilson trotzdem sehr gutes war und nur darauf wartete, weiter ausgeschlachtet zu werden: Wurscht. Gewinnen wollen wir auf die richtige Weise, und zwar wie einst in den Sechzigern.
Also: Erfolgreiche Saison in Seattle 2022 ist, wenn am Ende die Chance auf einen neuen Franchise-QB herausspringt, ohne dass der junge Kern frustriert auf halbem Wege wegbricht. Die Seahawks werden wie immer unterwegs ein paar überraschende Nadelstiche setzen und den einen oder anderen Gegner im Nieselregen des Nordwestens auf ihr Niveau herunterziehen und Upsets herausgrinden. Carroll wird glauben damit zu beweisen, dass er doch noch nicht zum alten Eisen gehört.
Aber wirklich weiter wird es die Seahawks nicht bringen.
Arizona Cardinals
PFF Playoff-Chance: 58%
Superbowl-Chance: 3%
Over/Under 8.5 Siege
Schedule #7
Die Kyler/Kliff Cardinals bereiten Kopfzerbrechen. Eigentlich versucht dieses Blog, allzu simple Narrative zu vermeiden, aber dass die Kyler/Kliff-Offense nach super Saisonstart zuletzt zweimal hintereinander zum Saisonende raus kollabierte, muss zu denken geben.
NFL-Saisons haben prinzipiell drei große Phasen: Im ersten Saisondrittel dominieren die Offenses mit ihren neuen Ideen. Im zweiten kontern die Defenses, indem sie die Antworten auf diese neuen Ideen liefern. Und im dritten bringen die guten Offenses den nächsten Schritt in der Evolution, während die schwachen stagnieren.
Arizonas Offense war zuletzt zweimal bis ca. Ende November in den Top-5 nach EPA/Play – um beide Male ab Dezember aus den Top-20 zu fallen. Letztes Jahr reichte der 7-0 bzw. 10-2 Start für eine souveräne Playoffqualifikation, aber niemand war überrascht, dass die formschwachen Playoff-Cards in der Wildcardrunde wehrlos von den Rams abgeschlachtet wurden.
Der wesentliche Kritikpunkt an der Offense sind schnell ausgemacht: Sie ist zu statisch. Headcoach Kliff Kingsbury fokussiert in einer Zeit, in der NFL-Defenses schnelle Offenses mühelos zu verteidigen wissen, noch immer zu sehr das Tempo. Trade-Off: Es bleibt wenig Zeit um Aufstellungen zu variieren, es gibt kaum Pre-Snap-Motions um Intentionen zu verschleiern und der Defense Informationen zu entlocken – über mehrere Wochen aufsummiert hatten DefCoords in den letzten beiden Jahren wohl recht einfaches Spiel, Cardinals-Tendenzen zum Ende raus zu entschlüsseln.
Die Kritik mag überspitzt und vereinfachend sein. Doch Teile davon sind bestimmt berechtigt – und sie sind auch der Grund, warum Arizona anfälliger für Verletzungen seiner Topspieler ist. QB Kyler Murray war die letzten beiden Jahre ab November meistens angeschlagen. Letztes Jahr fiel auch WR Nuk Hopkins in der zweiten Saisonhälfte immer wieder aus.
Kingsbury ist nicht völlig passiv. Über die letzten drei Jahren experimentierte er mit vielen Personnel-Formationen von 10 bis 12-Personnel, er hatte durchaus Erfolg darin, mit wenigen Mitteln effizientes Laufspiel zu kreieren (indem er die Box entvölkert -> Top-10 Rushing Game trotz mieser Runningbacks) und selbst die „schlechte“ Version der Offense rankte Ende letzte Saison raus noch #22 in EPA/Play. Und doch ist es schwer, sich vom letzten Eindruck zu lösen.
Auch Murray muss aufpassen, nicht langsam zur Zielscheibe zu werden. Murray hat sich zu einem guten Double-Threat-QB entwickelt, dem es an Konstanz mangelt um wirklich allgemein akzeptiert die (sagen wir) Top-8 bis Top-10 QBs zu knacken, aber dessen Peak durchaus mit der NFL-Spitze mithalten kann.
Murray bekam in der Offseason den geforderten dicken Langzeitvertrag – aber selbst den gab es nicht ohne Drama, als das Team einen Passus einbaute (und später wieder löschte), der Teile von Murrays Gehalt an die Kondition band, ein Minimum an Tape zu grinden. In der NFL-Welt, in der Coaches sich damit brüsten, unter der Saison nie weniger als 20 Stunden pro Tag sieben Tage die Woche lang zu buckeln, sorgen solche Paragraphen natürlich für Hohn und Spott – gerade weil es im Fall der insgesamt eben nicht ausgereiften Cards-Offense mit ihrem Nachhaltigkeits-Problem so perfekt ins Bild passt.
Anyhow. Warum Skepsis auch für 2022 angebracht ist, ist einfach zu erklären:
- Kyler und Kliff sind nach wie vor am Ruder, und wer es zweimal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er irgendwann die Wahrheit spricht. Der Weihnachtsmann muss Offense bringen, davor glaub ich nix.
- Der lebenswichtige WR1 Hopkins verpasst das erste Saisondrittel mit Dopingsperre.
- Der aus Baltimore teuer erstandene WR Hollywood Brown mag Kylers College-Teamkollege sein, aber mehr als ein guter WR2/Speedster war er bislang nicht. Dass Hollywood Nuk zu ersetzen imstande ist, glaubt niemand. Im besten Fall ist er ab Oktober ein leichtes Upgrade zum abgewanderten Christian Kirk als WR2.
- Der Speedster Andy Isabella mag in der Preseason super ausgesehen haben, aber das war eben: Preseason. Isabella hat davor in zwei Jahren nix gezeigt.
- Pass-Catcher wie TE Ertz oder WR A.J. Green kommen in die Jahre. Ertz wird in zwei Monaten 32. Green ist wie ich 34, und keine Übertreibung: Das sieht man ihm stärker an als mir.
- Rondale Moore hat als Rookie nichts gezeigt, was ihn als Route-Runner qualifiziert. Sein aDOT war 1.2 Yards. Allein auf geschemte Checkdowns und Yards nach dem Catch angewiesen zu sein, hat in der NFL keine lange Halbwertszeit.
- TE Trey McBride mag ein super Prospect als Blocker und Fänger sein. Aber wir wissen um die Tücken des NFL-Einstands auf der Tight-End-Position. Gerade in Arizona, wo Kingsbury bislang nicht den Eindruck machte, dass er konkrete Pläne für den Einbau von Tight Ends hat.
- O-Line ist im besten Fall Durchschnitt und kommt in die Jahre. LT Humphries und OG Hernandez sind die einzigen Starter, die jünger als 32 sind. Center Hudson war letztes Jahr eine echte Verstärkung, ist aber 33. RT Beachum ist auch 33, OG Pugh ist 32.
Für durchschnittliche Offense sollte das mit diesem Personal natürlich auch dann reichen, wenn Arizona nur einen Teil dieser Zweifel widerlegt. Aber durchschnittliche Offense in Jahr 4 ist nicht das, wofür Kingsbury und Murray einst mit Pauken und Trompeten geholt wurden – und wird in einer NFC West und mit einer in Auflösungserscheinungen begriffenen Cardinals-Defense auch kaum für die Playoffs reichen.
Ist die Defense echt so problematisch?
Nun, schauen wir den Tatsachen ins Auge: Schon 2021 musste DefCoord Vance Joseph alle Tricks ausreizen um als Chaos Agent die personellen Schwächen zu kaschieren, doch für 2022 haben Leistungsträger wie EDGE Chandler Jones, LB Jordan Hicks oder DT Corey Peters das Team verlassen.
Passrush zu generieren liegt nun an Leuten wie J.J. Watt, der nach einer Unzahl an Verletzungen nur in zwei der letzten sechs Saisons überhaupt durchgespielt hat und auf die 33 zugeht, an Marcus Golden (bislang ein Rotational Passrusher) und an Rookies wie Cam Thomas oder Myjai Sanders.
Watts letzte seiner vier außerirdischen Spielzeiten liegt schon sieben Jahre zurück. Seither hat er 157, dann 217, dann 963, dann 469 und schließlich zuletzt in Arizona 1013 und 341 Snaps gespielt. Die Hall of Fame ist ihm sicher und in den wenigen Einsätzen performte er weiter auf hochklassigem Niveau. Aber Watt ist 33. Wetten sollte man auf ihn nicht mehr.
Golden hat in sieben NFL-Jahren nur zweimal über 400 Passrush-Snaps gespielt.
Coverage liegt an Cornerbacks wie Byron Jones oder Trayvon Mullen – ehemalige 2nd Rounder, die in der NFL bis jetzt massivst gestruggelt haben.
Bindeglied und Schachfigur zu spielen liegt an den beiden 1st Roundern, die der „Katze mit neun Leben“ GM Steve Keim über die Jahre gedraftet hat: Isaiah Simmons und Zaven Collins. Beide sind als Tweener in die NFL gekommen. Bei Simmons scheinen die Coaches nun verstanden zu haben, dass er mehr Safety als Linebacker ist. Bei Collins ist man noch auf der Suche. Anyhow: Viel haben beide noch nicht gezeigt. Und der All-Pro würdige Budda Baker kann nicht im Alleingang den ganzen Laden zusammenhalten.
Eher schlechte Vorzeichen als für die Aussichten der Cardinals 2022. Es wird schon die sehr gute Version der Offense – und diesmal für die ganze Saison – brauchen, um in Punkto Endergebnis einen Schritt nach vorn zu machen. Wildcard ist als Tier 2/Tier 3 Team in der Wischiwaschi-NFC natürlich möglich. Aber das fühlt sich schon nahe am oberen Ende der Erwartungsskala an.
Los Angeles Rams
PFF Playoff-Chance: 69%
Superbowl-Chance: 8%
Over/Under 10.5 Siege
Schedule #4
F*ck ‚em picks!
Die Rams haben mit ihrer eigenwilligen Teambuilding-Strategie das geschafft, wogegen ich so skeptisch war: Die Superbowl zu gewinnen. Es war kein überragender Superbowl-Run, aber das wird GM Les Snead egal sein. Seine Methode des Wahnsinns, sämtliche 1st Rounder der letzten sechs Jahre (und noch weiter bis 2023) gegen Quarterbacks und/oder etablierte Superstars einzutauschen, ist tatsächlich aufgegangen.
Wobei sein Slogan doch recht krass verkürzt ist, denn zur Geschichte der Rams gehört auch das Fokussieren auf die mittleren und späten Runden des Drafts: Sichern möglichst vieler Draftpicks an Tag 2 und 3, gezielte Investition ins Scouting dafür infrage kommender Prospects. Damit haben sie zahlreiche wichtige Spieler geholt. Einige wie der 3rd Rounder Cooper Kupp sind zu echten Stars gereift.
Alles, was es sonst noch brauchte, war dass die Superstars DT Aaron Donald, CB Jalen Ramsey und QB Matthew Stafford gesund blieben, dass Headcoach Sean McVay sein Wide-Zone-Scheme bis zur Unkenntlichkeit erweiterte, dass DefCoord Raheem Morris entgegen seiner Ausbildung das Scheme seines Vorgängers beibehielt – und etwas Glück. Aber Glück braucht jeder Superbowl-Champ. Insofern: Kudos. Nice, dass verschiedene Ansätze in der NFL funktionieren.
Jetzt sind die Rams die Gejagten – und ihr Approach wird einmal mehr auf die Probe gestellt. Denn LT Andrew Whithworth ist in Rente gegangen, Leistungsträger wie WR Robert Woods oder EDGE Von Miller sowie solide Starter/Depth-Player wie OG Austin Corbett oder DT Sebastian Joseph-Day haben den Verein verlassen, andere Breakout-Stars wie Kupp werden mit Regression zu kämpfen haben, und viele Ressourcen für Nachbesserungen gab es nicht.
WR Allen Robinson war der dicke Free-Agent-Einkauf. Analysten, auf die ich was gebe, reiben sich aus Vorfreude die Hände beim Gedanken daran, wie Robinson in diese Offense eingegliedert wird. Aber gleichzeitig ist zumindest vorerst noch in WR Odell Beckham jr einer der entscheidenden Leute vom letztjährigen Titel-Run ohne Vertrag auf der Straße. Es gerüchtelt, dass OBJ irgendwann wieder bei den Rams unterschreibt – z.B. wenn sein Kreuzband geheilt ist. Aber Garantien auf seine Rückkehr gibt es nicht.
Um den Titel zu wiederholen (oder aber auch einfach nur erneut einen längeren Playoff-Run hinzulegen), müssen einige wesentliche Bedingungen 2022 erfüllt werden:
Donald, Ramsey und Stafford dürfen sich nicht verletzen. Logisch. Donald und Ramsey sind die beiden entscheidenden Verteidiger. Donald ist der beste Abwehrspieler unserer Zeit (vielleicht auch aller Zeiten) und hievt die Rams-Front im Alleingang auf ein überdurchschnittlich hohes Niveau. Wie dominant Donald in allen Facetten ist, zeigt diese Grafik auf (für Interior-Defender ist Passrush noch schwieriger als für Edge-Defender):

Ramseys Impact ist schwerer zu quantifizieren, aber die meisten Experten sind sich einig, dass er vielleicht beste Defensive Back in der NFL ist und DefCoord Morris viele Freiräume im Scheming gibt.
Stafford ist der QB. Stafford ist kein Elite-QB im klassischen Sinne, aber in einem ins kleinste Detail durchdachten System wie jenem von McVay sind sein Wurfarm und seine Aggressivität der genau richtige Trigger, um die PS auf den Boden zu bringen, die Durchschnitts-QBs wie Goff nicht herauskitzelten. Man muss sich nur das Pass-Chart der Rams 2020 und 2021 anschauen um zu verstehen, wie weit Stafford die Offense trotz einier ähnlicher Elemente im Route-Design in die Vertikale geöffnet hat:
Goff 2020

Stafford 2021

Stafford begeht mit seiner oft ungestümen Spielweise relativ viele (auch schwere) Fehler, kompensiert diese aber mit einer Latte an Big Plays. Weil McVay es geschafft hat, seine Wide-Zone-Offense in vielen Facetten zu einer Empty/Spread Offense weiterzuentwickeln, hat Stafford – im Vakuum vielleicht der 10t-beste QB der NFL – letztes Jahr Top-3 Effizienz aufgelegt.
Der Haken an der ganzen Sache: Stafford ist seit Wochen angeschlagen. Die ganze Preseason über macht der Ellbogen schon Sorgen – Stafford konnte kaum Wurftraining betreiben. Schon in Detroit war Stafford ständig angeschlagen. Weil er einer der härtesten Knochen in der NFL ist und erst, wenn der Arm kurz vor der Amputation steht, aussetzt, wird Stafford immer spielen – aber: Kommen von ihm noch einmal 100%?
McVay muss McVay bleiben. Logisch. Eigentlich. McVay war hinter Shanahan einer der besten Offense-Innovatoren der letzten Jahre, und trotz einiger echter Ärgernisse in seinem Coaching (oft viel zu lauflastig, Angsthase in 4th Downs) spricht sein Track-Record als Rams-Headcoach seit 2017 ganz einfach für sich.
McVay hat 2021 auch bewiesen, dass er zu durchaus radikalen Anpassungen in seinem Scheme in der Lage ist, und dass er Konzepte designt, die undenkbar schienen. Aber McVay ist seit Monaten von Rücktrittsgerüchten umweht. Dieses sehr lesenswerte Porträt von ESPNs Seth Wickersham zeichnet auf, wie intensiv McVay seinen Job lebt, und deutet gaaaaanz sachte Burnout-Gefahren an. Nicht auszuschließen, dass McVay 2022 zum letzten Mal coacht. Wie fokussiert ist er nach dem Gewinn des Titels noch?
Die Jungen müssen zünden. LT Joe Notebloom wird zum ersten Mal Fixstarter als Tackle sein. Wir können nicht überschätzten, wie stark die Rams letztes Jahr in der O-Line waren:
#1 in Pass-Block Win-Rate
#12 in Run-Block Win-Rate
LT Whitworth hatte mit 94% Pass-Block Win-Rate die drittbeste Quote aller Tackles. Das half immens: Stafford hielt den Ball mit 2.7 Sekunden relativ lange, geriet trotzdem kaum unter Druck und konnte Konzepte, die eher lange in ihrer Entwicklung brauchen (BACKSIDE DIG) sorgenlos herunterspielen.
WR Van Jeffersons Rolle wird erweitert zum fixen WR3. Junge, bislang mittelmäßige Passrusher wie Terrell Lewis müssen liefern, sollte sich ein Leonard Floyd verletzen. Defensive Backs wie David Long, Taylor Rapp oder Terrell Burgess müssen ihre Leistungen in höheren Snap-Counts bestätigen.
Kurz: Sneads Mid-/Late-Rounder werden auf ihre Validität geprüft. Bislang sah es so aus, als hätten die Rams an den Tagen 2 und 3 fantastisch gedraftet – aber diese Spieler hatten bis jetzt auch eher ergänzende Rollen.
Freilich haben die Rams schon ein bisschen stabileres Gerüst als bloß Donald/Ramsey/Stafford. In Bobby Wagner haben sie z.B. von den Seahawks den Linebacker geholt, der über Jahre wie kein anderer das „Defense-QB“-Wesen prägte, der zwar die 30 längst überschritten hat, aber sich mit seiner Rolle als Team-Captain gut integriert zu haben scheint. Wagner ist eine erfahrene Präsenz gegen Play-Action, und er gibt Morris die Chance, seine Coverage-Schemes um eine zuletzt verwaiste Position zu erweitern.
Auch Slot-CB Troy Hill ist nach einem Jahr in Cleveland wieder zurück.
Oder Allen Robinson: Zeit seines Lebens hat Robinson nur mit absurden Quarterbacks gespielt – Christian Hackenberg am College, Blake Bortles, Mitchell Trubisky in der NFL. Robinson spielt so lange schon in der NFL, dass ich gar nicht fassen konnte, dass er erst 29 ist. Er kommt von der zweiten schweren Verletzung seiner Karriere zurück mitten rein in eins der produktivsten Offense-Schemes, an der Seite von 2000-yds Catcher und Superbowl-MVP Kupp sowie Jefferson und vielleicht irgendwann noch OBJ.
Robinson hat mit oben genannten (und noch schlechteren) QBs in der NFL 1.8 bis 2.0 Yards/Route aufgelegt. Da steckt einiges Breakout-Potenzialdrin.
Ich bin mit meiner Rams-Prognose schon letztes Jahr auf die Fresse geflogen, aber ich weise trotzdem erneut drauf hin: Die Rams waren 2021 mehr Achterbahn als man meint. Sie waren ein sehr gutes Team – aber kein unumstritten dominantes. Selbst als sie in den Playoffs am oberen Ende ihrer Leistungsfähigkeit spielten, hätten sie fast gegen die Bucs ein überlegen geführtes Spiel weggeworfen, waren gegen die 49ers auf eine gedroppte Interception angewiesen und würgten sich gegen die eher mittelmäßigen Bengals in der Superbowl gerade so durch.
Freilich: Die NFL lässt selten wirklich dominante Teams zu, denn sie ist designt, genau diese zu verhindern. Doch die Rams sind als Gesamtpaket nicht zufällig nur einer der Favoriten, nicht DER FAVORIT, vor der anstehenden Saison.
San Francisco 49ers
PFF Playoff-Chance: 57%
Superbowl-Chance: 4%
Over/Under 10.5 Siege
Schedule #27
Und damit zu meinem NFC-Tipp für diese Saison. Die 49ers sind by no means ein unangreifbares Spitzenteam. Ihre Qualifikation für das NFC-Finale letzte Saison kann nicht verdecken, dass sie in der Regular Season „nur“ 10-7 waren und sich auch in den Playoffs in Dallas und Green Bay eher unorthodox durchlavierten als wirklich zu glänzen. Auch die Preseason-Wettquoten sehen die Niners eher in „Tier 1b“ als an der absoluten Spitze der NFC.
Und doch ist mein Optimismus hoch. Die Niners waren 2021 ein grundsolides Team. Sie hatten einen Pythagorean von 10.1 Siegen, qualifizierten sich für die Playoffs trotz einer negativen Turnover-Bilanz (-4) und einer negativen Close-Game-Bilanz (3-5 Siege) und das trotz des viertmeisten Verletzungspechs und trotz nur durchschnittlichem Quarterbackings.
Quarterback ist nun auch die Position, in der ich meinen Enthusiasmus für 2022 begründe.
Ich habe es schon in meinem Eintrag über Trey Lance geschrieben: Die 49ers-Offense ist wahrscheinlich die Offense mit dem höchsten „schematischen Floor“ in der ganzen NFL.
Ohne implizieren zu wollen, dass Jimmy Garoppolo als QB „austauschbar“ war (er ist es nicht), hat es Kyle Shanahan trotzdem zustande gebracht, aus Top-15 Quarterbacking eine Top-5 bis Top-10 Passing-Offense in EPA/Play zu generieren (2019: #4, 2021: #7) und gleichzeitig den Defenses stets einen Schritt in der Entwicklung vorauszubleiben.
Ein Beispiel?
Als Rookie hatte Lance letztes Jahr keine 100 Dropbacks, und obwohl er nach objektiven Maßstäben ein mehr als wackeliger Passer war, fabrizierte er 0.18 EPA/Play (Garoppolo hatte 0.22 EPA/Play). So geht „exzellente Ausgangsbasis“.
Wenn die Shanny-Offense in den letzten zwei Jahren zunehmend Probleme bekam, dann ging das von Edge-Defendern aus, die begannen auf den Play-Action-Fake zu pfeifen und trotz Risiko, ein paar Yards mehr im Laufspiel zu kassieren, immer straighter auf den QB gingen um Störer in Form von Pressures und Sacks zu erzwingen.
Mit dem Austausch von Garoppolo gegen Lance wirft Shanahan diesem wrinkle der Defense einen mobilen QB entgegen, dessen Rushing-Thread als Scrambler respektiert werden muss. Nicht nur das: Lance hat den wesentlich besseren Arm als der auf die Spielfeldmitte limitierte Garoppolo. Und Lance hat den Körper, Verteidiger notfalls mit Power-Rushing zu überlaufen.

Lance galt während Trainingslager und Preseason im Passspiel als inkonstanter als erhofft, doch ein paar Prozentpunkte an Accuracy und eine Zehntelsekunde mehr im Processing fühlen sich wie ein valider Trade-Off an gegen die Möglichkeit, übereifrige Defensive Ends auskontern zu können, mit einem fetten Wurfarm Elite-Waffen wie TE George Kittle, WR/RB Deebo Samuel oder TE George Kittle in jeder Zone des Feldes bedienen und gleichzeitig 11-vs-11 im designten Laufspiel spielen zu können:
- Lance hatte in zwei Starts gleich viele tiefe Passversuche zu den Seitenlinien wie Garoppolo in allen seinen 18 Einsätzen zusammen: Vier. So geht Offense öffnen.
- Wir wissen, dass mobile QBs einer der größten Trümpfe auch für das reguläre Laufspiel sind. Das letzte Mal, als Shanahan einen so mobilen NFL-tauglichen QB hatte (2012 RGIII), war die Offense tödlich.
Keine Frage: Es gibt berechtigte Zweifel an Lance. Er hat kaum Erfahrung – selbst am College spielte er nur ein ganzes Jahr in der FCS, und in drei Kalenderjahren hat er kaum mehr als 400 Dropbacks gespielt. Es wird growing pains geben, einen Einstand wie bei Patrick Mahomes vor vier Jahren zu erwarten, wäre vermessen.
Die Niners haben zwei Fixpunkte auf Offensive Tackle – links Trent Williams, rechts Mike McGlinchey – aber auf Center und Guard nach Shanny-Liebling Alex Macks Rücktritt den Random-Name-Generator angeworfen: Aaron Banks, Jake Brendel, Spencer Burford. Auf Receiver wäre eine vierte Option hinter dem Goldenen Trio Aiyuk/Samuel/Kittle wünschenswert, und in der Konstellation mit Garoppolo als Backup hinter Jungspund Lance steckt Sprengstoff, der die Locker-Room-Kultur torpedieren könnte.
Aber letztlich ist ein Backup JimmyG gleichzeitig Absicherung gegen Stagnation oder Verletzung bei Lance – und selbst ein Garoppolo-Trade ist noch immer denkbar, jetzt wo die Niners einen Teil des reduzierten Gehalts aufessen.
Die 49ers-Defense ist solide im Worst-Case und exzellent im Best-Case. Die Front hat in EDGE Nick Bosa und DT Arik Armstead zwei echte Stars als Anker, Tiefe in Form von Veterans wie Samsom Ebukam, Charles Omenihu, Kerry Hyder oder Kemoko Turay, noch etwas Hoffnung auf Breakout in 2020 1st Round DT Jevon Kinlaw und Rookie-Frischblut in 2nd Rounder Drake Jackson, der exzellent in die NFL projected.
Die Coverage bleibt mit eher unbekannten Cornerbacks ein nicht zu verachtendes Fragezeichen, gerade wenn CB Jason Verrett das macht, was er fast immer macht: Sich zu verletzen. Doch DefCoord DeMeco Ryans zeigte sich schon letztens wandelbarer als gedacht und baut einen wesentlichen Teil der Niners-Coverage ohnehin über einen der wenigen Linebacker, die sich in der NFL bedenkenlos in Pass-Deckung aufstellen lassen: Fred Warner.
Will heißen: Das Bust-Potenzial dieser Defense ist dank D-Line und Scheme echt gering – und die Offense ist Shanahan plus Elite-Passcatcher-Trio plus herauszukitzelndes Potenzial auf QB.
I get it: Lance birgt Risiko. Doch mit diesem Playcaller braucht es keine individuelle Perfektion. Nur individuelle Option. Ich schrieb im Zuge dieser Vorschauserie oft: Ich muss es sehen. Bei Kyle Shanahan habe ich es schon oft gesehen. Es braucht nur etwas Fantasie um in einer NFC ohne klaren Favoriten auf den relativen Außenseiter zu tippen. Also: Niners in die Superbowl.
Tipp
#1 49ers (11-6)
#2 Rams (10-7)
#3 Cardinals (8-9)
#4 Seahawks (5-12)
Bei den Cardinals hat sich ein Fehler eingeschlichen. Statt Byron Murphy steht Byron Jones im Artikel.
Ich denke, die Rams werden die Division für sich entscheiden vor den 49ers.
McVay hat in L.A. trotz meiner Mutmaßungen ob baldigem Rücktritt jetzt erstmal um ein paar Jahre bis 2026 verlängert: https://profootballtalk.nbcsports.com/2022/09/08/rams-announce-contract-extensions-for-les-snead-sean-mcvay-through-2026/