Die Carolina Panthers haben das lange Erwartete gemacht und Headcoach Matt Rhule gefeuert. Sein erfolgloses zweieinhalbjähriges Intermezzo in Charlotte ist ein Lehrstück, wie leicht sich ein Mob verblenden lässt.
Die Entlassung war überfällig – und doch bemerkenswert, denn Rhule hatte erst im Winter 2020 einen Siebensjahresvertrag über 62 Mio. Dollar bekommen, obwohl er bis dahin noch nie in leitender Funktion in der NFL gearbeitet hatte. Aber Rhule, der sich bei Temple und Baylor am College einen Namen als exzellenter „Program-Builder“ gemacht hatte, überzeugte damals nicht nur die Owner-Familie bei den Panthers, sondern entzückte auch die komplette Journalisten-Schar mit seinen ersten Pressekonferenzen.
Vor allem Rhules Auftritt bei seiner Vorstellung war legendär. Es waren unschuldige Zeiten kurz vor der Corona-Pandemie, und Rhule versprühte einen Optimismus, der selbst aus einem Double Cheeseburger eine genießbare Angelegenheit gemacht hätte.
Ich schrieb damals im Nachgang:
Disclaimer: Rhule hat eine Opening-PK hinter sich, bei der ihm die versammelte Journaille aus der Hand gefressen hat. Ich habe selten eine so große Begeisterung nach den ersten paar Worten eines neuen Headcoaches gehört. Wir können konstatieren: Rhule ist auf jeden Fall mal ein begnadeter Redner.
Als Coach? Ich hab bis jetzt nicht so genau verstanden, warum Rhule als so großer Fisch gilt, dass er sich seinen nächsten Job in der NFL quasi aussuchen konnte. Er sagt zumindest mal das Richtige, aber seine angebliche Affinität für Analytics ist bei seinen letzten Stationen nicht aufgefallen. Vielleicht hab ich aber auch einfach nicht mehr die Lupe auf allen 130 Teams in der FBS drauf.
Rhules erste Saison in Carolina begann stark mit ein paar netten Offense-Auftritten, obwohl ich schon vor seinem ersten Regular-Season-Spiel erste Zweifel an seiner Spielausrichtung angemeldet hatte:
Die Frage ist was mit McCaffrey passiert: CMC ist einer der besten und vielseitigsten Runningbacks in der NFL. Aber er bleibt Runningback. Carries wie Runningback-Targets sind ineffizienter als Receiver-Targets – auch bei CMC. Sein neuer fetter Vertrag ist aber Hinweis darauf, dass Rhule und Co. das Runningback-Kurzpassspiel priorisieren wollen. Das fühlt sich irgendwie schade an.
Die Panther-Offense zündete einige Wochen lang unter QB Teddy Bridgewater erstaunlich gut, was mich im Herbst 2020 zu folgenden Zeilen
Das wirft schnell ein gutes Licht auf die Arbeit vom neuen Headcoach Matt Rhule. Der war ja im Jänner mit Pauken und Trompeten angetreten, aber nach der Offseason hatte es doch ein paar Fragen ob der generellen Ausrichtung der Panthers 2020 gegeben: Wie radikal sollte der Umbruch sein? Würde Carolina schnell in die „stuck in the middle“-Falle tappen?
Quicke Antwort nach sieben Spielen: Es sieht nicht schlecht aus. Der als detailversessen geltende Rhule kriegt schon hymnische Lobgesänge als großartiger Kommunikator, der zwar seine Assistenten viel Arbeit machen lässt, aber selbst in kleinen Details mitreden kann, wenn er in Team-Meetings hineinplatzt. Rhule gilt schon jetzt als einer dieser seltenen Coaches mit „Belichick-Potenzial“: Fanatisch genug um sich für jeden noch so nützlichen Kleinscheiß zu interessieren, aber auch selbstreflektierend genug um sich immer wieder zu hinterfragen.
Schwere Zeiten für einen notorischen Skeptiker wie mich, der nur allzu verlockt ist solche lauten Leadertypen als erstes in die Schublade der Blender zu stecken. Rhule hatte für mich über Monate einen artifiziellen Anstrich. Sein Hype bestand aus Dingen, die sich faktisch nicht bestätigen ließen. Sein Wissen um X&Os? Callt keine Plays und hat es auch am College in Baylor nicht gemacht. Seine Analytics-Affinität? Erster Panther-Move war eine fette Vertragsverlängerung für ihren „Franchise Runningback“. Leser wissen, was ich von sowas halte. Seine Leadership? Nun: Die Recruits, die für ihn ach so wichtig waren, hat er mit seinem prompten Abgang in die NFL ganz schön versetzt.
Zugegeben würden die meisten College-Coaches so handeln, denn für allzu aufrechte Haltung ist diese Spezies Mensch nicht bekannt. Doch der Skeptiker in mir lässt sich gern vom Gegenteil überzeugen, und wenn es gepaart mit hübschem Football kommt, dann umso besser.
Das mit dem hübschen Football war dann allzu schnell Geschichte, und nachdem die Panthers-Offense in der zweiten Saisonhälfte 2020 wehrlos in sich zusammengefallen war, standen erste größere personellen Umstellungen an.
Und genau an dem Punkt kam das erste ganz fette Sternchen, denn mit der Verpflichtung von QB Sam Darnold im zweiten Jahr waren massive Zweifel an Rhules Kompetenz im Spieler-Scouting angebracht. Darnold konnte nicht gutgehen. Und Darnold ging nicht gut.
Wie viel Kontrolle Rhule über die Personalangelegenheiten in Carolina letztlich hatte, ist glaube ich bis heute nicht ganz klar, aber nachdem Rhule nur für den „perfekten Job“ aus dem College gelockt werden konnte und er rekordverdächtig hohes Gehalt bekam, wird sein Mitspracherecht wohl größer gewesen sein als das eines typischen Coaches.
Darnold war wie erwartet ein Bust, doch die Alarmglocken in Carolina wurden nach der schnellen Entlassung von OffCoord Joe Brady – einem anderen Wunderkind, das bei den Panthers direkt entzaubert wurde – nur lauter. Rhules wichtigster Personalmove war gescheitert – und schlimmer noch, hatte die Optics eines Bauernopfer, und auch mein Ton über Rhule war Anfang Dezember 2021 nicht mehr bloß verhalten negativ:
Joe Brady ist gefeuert. Ich hab keine gesonderte Meinung mehr dazu. Brady war das Mastermind hinter der revolutionären LSU-Offense von 2019, aber wir wissen heute auch, dass diese Offense von individuell grandiosen Einzelspielern mindestens gleich stark getragen war wie vom Scheme.
Gegen Brady als Wunderknaben spricht auch, dass Teddy Bridgewater zumindest vor dem NFL Week 13 Spiel gegen die Chiefs meist vernünftiger aussah als letzte Saison in Carolina.
Oder dass Sam Darnold nach drei Wochen Saisonstart nicht besser aussah als unter dem verhassten Adam Gase bei den Jets.
[…]
Und wir lernen on the fly, dass die Probleme in Carolina tief gehen. Sehr tief. Headcoach Matt Rhule wollte wohl eine Art Run-basierte Offense „mit mindestens 30-33 Carries pro Spiel“ sehen. Viel tiefer kann man als NFL-Coach im Jahr 2021 nicht sinken. War Joe Brady also ein Bauernopfer? Oder was sehen „Analytics“ Rhule und „Analytics“ Owner David Tepper so famoses an ihrem Plan?
Dass Rhule im Winter dann Ben McAdoo nicht bloß dazu überredete seinen Pornoschnäuzer abzurasieren, sondern auch für ihn den OffCoord zu geben, war ein weiterer Hinweise, dass Carolina auf ein Desaster zusteuert, denn wenige Coaching-Optionen waren uninspirierter als McAdoo.
Rhule ging als lame duck in die Saison 2022, und er wusste das wohl. Dass er und seine Panthers so verzweifelt wie lange im Deshaun-Watson-Rennen mitboten, kann ich im Nachhinein sogar verstehen, denn Rhule wusste wohl selbst, dass er keine spielerischen Inputs mehr liefern konnte um eine weitere mittelmäßige QB-Saison zu kaschieren.
Letztlich entschied sich Watson wie einst Rhule für die höchste Offerte (a.k.a. die von Matt Rhule proklamierte „perfekte Situation“), bloß kam die anders als bei Rhule nicht von den Carolina Panthers.
Und so blieb in Baker Mayfield nur eine Notlösung. Bloß spielt Baker in der McAdoo-Offense grausam, und so stehen die Panthers nach fünf Spielen bei 1-4 Siegen und sind mittlerweile die Topfavoriten auf den #1 Seed.
Eine der krasseren Fun Facts zu Rhules Zeit bei den Panthers: Er ging in Carolina 1-27 in Spielen, in denen die Defense mehr als 17 Punkte kassiert hat.
Das Experiment Rhule ist also gescheitert. Es ist auch ein weiterer Hinweis, solchen Typen nicht blind zu vertrauen, weil sie ein paar coole Sprüche auf einer Pressekonferenz rauslassen. Rhule hat finanziell längst ausgesorgt – ein weiterer Grund, warum ich ob seines Abgangs von der NFL-Bühne sehr wenig traurig bin. Er wird am College schnell einen neuen Job finden, wenn er denn will – auch wenn ich weiterhin nicht ganz verstehe, was an ihm als Coach so Tolles zu finden ist.
Von Scheme versteht er nicht viel. Analytics ist ein Fremdwort, das er fürs Einstellungsgespräch in die NFL auswendig gelernt hat. Rückgrat? Nope. Und als „Football-Lehrer“ Spieler entwickelt hat er irgendwie auch nicht.
Wie geht es für die Panthers weiter?
Möglicherweise wird „institutional tanking“ jetzt die Methode der Wahl, denn der NFL Draft 2023 ist ein QB-lastiger: In C.J. Stroud, Will Levis oder „Tua 2.0“ Bryce Young stehen mehrere hoch gehandelte Optionen zur Verfügung, und Carolina kann sich nicht leisten, ein weiteres Mal daneben zu greifen (bzw. nicht zuzugreifen).
In Steve Wilks hat man schon den Interimscoach benannt, der vor ein paar Jahren die grausamste Offense der letzten zehn Jahre zu verantworten hatte und das mit dem Coachen für den #1 Pick schon draufhat (Wilks hat 2018 mit Arizona genau das „geschafft“).
Und sollte ein „fire sale“ das Ziel sein, so hat man in EDGE Brian Burns, FS Jeremy Chinn oder auch RB Christian McCaffrey (die NFL ist wohl auch in 2022 noch bereit, hohe Picks für Runningbacks zu zahlen) ein paar mögliche Kassenschlager in den eigenen Reihen.
Aber das Problem eines solchen forcierten Verkaufsmodus sehen wir auch: Carolinas Kader ist keine Einöde an mangelhaftem Talent. Es fehlten vor allem ein vernünftiger QB und ein einigermaßen kompetenter Headcoach. Der ganze Rest ließe sich relativ flott über die Bühne bringen.
Mit einer von McAdoo gecoachten und einem kaputten Baker Mayfield angeführten Offense könnten die Panthers auch ohne weitere Verkäufe schlecht genug für den #1 Pick und damit auch ein reizvoller Ort für einen ambitionierten neuen Coach sein – und mit einem passablen Roster schon 2023 oben angreifen. Insofern: Nichts an der Entlassung von Matt Rhule ist für die Panthers schlecht. Und jetzt stehen einige Wege offen um die beiden wichtigsten Positionen für die Zukunft bis Ende April adressiert zu bekommen.
Owner David Tepper macht den einfachsten Call der Welt und das hier ist seine Reaktion auf die einfachste Frage der Welt: