Was wir über die NFL-Saison 2022/23 nach sieben Wochen wissen

Was wissen wir nach sieben Wochen über die NFL-Teams?

#1 Die Bills sind das beste Team.

#2 Patrick Mahomes ist ein grandioser QB.

Und aus die Maus.

Alles weitere ist im Fluss, wie nicht zuletzt die einmal mehr verblüffenden Ergebnisse am abgelaufenen siebten Spieltag gezeigt haben. Carolina schlägt Tampa Bay – nicht knapp, sondern deutlich. Washington putzt mit Backup-QB die Green Bay Packers. Die Chicago Bears POUNDEN die New England Patriots in deren Stadion und gewinnen deutlich.

Das alles eine Woche, nachdem die Jets Green Bay in deren Stadion ohne auch nur Anflüge von Passing-Offense zu zeigen wegpusteten, die Giants die Ravens überraschten, Pittsburgh Tampa Bay schlug, und Seattle die Arizona Cardinals.

Oder Woche 5: Packers (again) versemmeln es gegen die Giants, Cowboys schlagen mit Backup-QB die Rams und das nicht zu knapp, Chiefs brauchen alles Glück der Welt um Las Vegas in die Schranken zu weisen und die Colts gewinnen das grausamste Primetime-Spiel seit Menschengedenken.

Week 4? Falcons pounden die Browns, Seahawks und Lions spielen den punktreichsten Shootout seit vier Jahren.

Week 3: Colts schlagen ohne auch nur gut zu spielen die Chiefs, Jaguars gewinnen mit Blowout gegen die Chargers.

Die Bears haben den gleichen Record (3-4) wie die Packers und Buccaneers (3-4). Die Jets sind 5-2, die Giants sogar 6-1. Indianapolis ist unterirdisch schlecht und doch 3-3-1. Seattle führt mit 4-3 die NFC West an, die NFC East hat drei Teams mit 5-2 oder besser, und die Broncos sind 2-5.

Wir kriegen einfach keine Stabilität in diese NFL-Saison, und das wäre eigentlich großartig, wenn denn der gespielte Football qualitativ eine Stufe höher wäre. Aber weil die Offenses in dieser Saison kaum Lösungen für die neu entwickelten Aufgaben der Defensive Coordinators finden, sind viele selbst spannende Spiele harte Kost, und der geneigte Zuschauer ist ganz einfach dankbar für die Brillanz der Bills und der etwas sporadischeren, aber in Punkto „high end“ in nichts nachstehenden Chiefs.

Der EPA/Play Graph zeigt, wie weit die Offenses der Chiefs und Bills dem Rest der NFL mittlerweile enteilt sind:

Der Abstand zwischen der #3 Eagles zu den #2 Bills ist größer als der zwischen Eagles und #12 Dolphins. Success-Rates und explosive Plays sind implodiert. Die Effizienz von Quarterback-Play hat sich innerhalb nur einer Saison massiv in die falsche Richtung verschoben:

Die Elite

Bills und Chiefs sind die einzigen Teams, bei denen Elite-QBs und sehr gute Coaches zusammenarbeiten – und obendrauf ausreichend gute spielerische Infrastruktur als Support haben, um langfristigen Erfolg zu garantieren.

Die Bills wirken dabei eine Spur stabiler, aber die Chiefs haben die besten Problemlöser auf QB und Headcoach, und haben bei aller Volatilität mit ihren überwältigenden Auftritten gegen die Defenses von Arizona, Tampa Bay und San Francisco, die gegen die meisten anderen Gegner Top-10 bis Top-5 Effizienz aufgelegt haben, die höchsten Höhen der bisherigen Saison gezeigt.

So wackelig die Chiefs-Receiver im 1-vs-1 gegen die Bills und auch in anderen Spielen wirkten, so dominant waren sie zuletzt gegen die in Coverage nicht ganz so gut besetzten 49ers. Die Chiefs erfüllen damit die Erwartung der Preseason: Einige unvermeidliche growing pains nach dem Verkauf von Tyreek Hill, aber weiter fähig zu absoluter Dominanz, wenn die Matchups stimmen.

Alles hinter Bills und Chiefs ist to be seen.

Top 10 in EPA/Play: Rest of the Schützenfest

Die Eagles haben starkes Personal auf Skill-Player und in der O-Line sowie gutes Coaching, das viele der „Easy“ Buttons für seine Spieler drückt, aber so cool die Story mit Jalen Hurts ist: Wir haben ihn noch nicht in einer klaren Dropback-Passing-Situation gesehen. Dass Hurts in Adrian Frankes QB-Ranking vor zwei Wochen als #4 rausgelaufen ist, sagt mehr aus über die Qualität der Konkurrenz als die über Hurts.

Philly als #3 Offense ist natürlich nice. Aber sie haben diese Effizienz gegen einen brutal einfachen Schedule erspielt. Ich kann sie nicht 100% für voll nehmen, ehe sie nicht einen Plan B gegen einen starken Gegner gezeigt haben.

Cincinnati hat überragende Skill-Player und einen der besten QBs in Joe Burrow, aber schematisch ist das dann doch etwas simpel gestrickt und die O-Line bleibt eine Sollbruchstelle, der man nicht Woche für Woche trauen kann.

Zac Taylor hat in den letzten beiden Spielen mit 95% Shotgun-Formationen etwas Adaptivität gezeigt, die Defenses zumindest die einfachsten zu entschlüsselnden Signale vorenthält.

Aber die Big Plays der letzten Spiele sind nach einem krassen Tackle-Miss der Saints und gegen Backup-Corner der passrush-losen Falcons entstanden. Dem kann ich nicht voll trauen. Burrow ist mit seiner aggressiven Mentalität ein toller QB, aber seine Schwächen werden in dem „System Cincinnati“ noch zu häufig exposed.

Andererseits: In einer Saison, in der auch 90% der Konkurrenz keine schematischen Antworten zu finden scheint, schauen die Bengals mit ihrem überragenden individuellen Receiver-Talent vielleicht bald doch wie eine der besten Mannschaften aus.

Die Ravens hängen in Ermangelung von Stabilität im Spielerpersonal zu sehr an Lamar Jackson, und ein so großartiger Playmaker Jackson auch ist: Im Passing-Game ist er doch etwas instabil, weswegen die Ravens kaum ein Spiel von der ersten bis zur letzten Minute durchgedrückt bekommen – ergo sind die ständigen Implosionen im vierten Viertel auch nicht allein der Defense zuzuschreiben, sondern auch einer dann plötzlich eindimensionalen Offense.

Auch Jacksonville ist mehr kurzes Aufflackern als echte Stabilität. Trevor Lawrence hat bei mir den zweiten Vornamen „Overthrow“ bekommen, weil er einfach mit einer beängstigenden Konstanz einmal alle fünf Würfe überzieht, und damit die Offense um einige Prozentpunkte an Potenzial beraubt. Lawrence hat fraglos viele gute Momente, doch die Regelmäßigkeit seiner „misses“ wird langsam zu einem echten Problem. Elite-QB wird er nicht, wenn er das nicht abstellt.

Die anderen Top-10 Offenses fühlen sich eher „random“ an: Raiders, Seahawks, Giants, Browns – ein buntes Gemisch aus gutem Coaching, Over-Performance auf QB, dominantem Laufspiel und/oder starken Skill-Playern. Aber nix, was einer NFL-Defense im Jahr 2022 Angst und Schrecken einjagen würde.

Problemkinder mit hohem Ceiling

Die im Saison-Vorfeld erwarteten Top-Offenses dagegen straucheln.

Die Chargers haben einen Elite-QB, aber einen desaströsen Offensive Coordinator, einen Headcoach, der angezählt ist und ständig verletzte Leistungsträger wie LT Slater, WR Allen und jetzt auch WR Mike Williams.

Die Rams sind als #31 in Offensive EPA/Play geradezu verblüffend schlecht, und als Hauptgrund kann neben dem negativen Ausschlag von Matthew Staffords inhärenter Volatilität vor allem die katastrophale Offensive Line ausgemacht werden, an der Wohl und Wehe der McVay-Offenses zu hängen scheint:

Bei Buccs und Packers sind die Probleme so vielfältig, dass sie einen eigenen Artikel verdienen würden, für den ich nicht Zeit habe. Prinzipiell ist es in Tampa Offense-Coordinating, das seinen Namen nicht verdient, und in Green Bay inexistente Qualität im Receiver-Corps. Dass die beiden Hall-of-Fame QBs Brady und Rodgers unter ihrem Alter zu ächzen beginnen und nicht mehr alle Schwächen zuzudecken imstande sind wie zu ihrer Blüte, verstärkt zu Probleme.

Aber alles davon ist nicht ganz neu. Brady hatte schon 2019 in New England mit miesem Support-Cast nicht mehr wie der alte ausgeschaut, ehe er mit dem besten Receiver-Corps in Tampa noch einmal richtig aufgeblüht ist. Rodgers hatte schon vor seinem kurzen „Goldenen Karriereherbst“ im LaFleur-System über Jahre nur noch gefreelanct, als er kein Vertrauen in Coaching/Receiver hatte.

Dallas litt bis jetzt unter dem Ausfall von Dak Prescott und hat einen Schuss frei.

Aber in Denver brennt schon seit Wochen der Hut so lichterloh, dass ich Stand heute nicht drauf wetten würde, dass der neu eingestellte Headcoach Nathaniel Hackett die Saison als Cheftrainer überlebt. Die Probleme sind struktureller Natur – und bis jetzt erweckte es nicht den Anschein, als wäre eine Integration Russell Wilsons in die Hackett-Offense möglich. Wenn ja, dann haben sie die Anzeichen dafür perfekt versteckt.

Shanny-Tree

Die “Shanahan”-Offenses von San Francisco, Minnesota und Miami ranken im guten NFL-Mittelfeld und werden performen wie immer: Es wird heiße Spiele geben, in denen die Raketen zünden, und es wird Spiele geben, in denen es hakt. Vieles wird dran hängen, ob die System-QBs JimmyG, Cousins und Tua freie Pocket haben und/oder ob die Receiver genug Raum für Yards after Catch bekommen.

Ergo: Gute Basis, gedeckeltes Potenzial, nicht genug Variabilität und Konstanz um jede Woche eine starke Vorstellung erwarten zu können.

Problemkinder mit niedrigem Ceiling

Chicago macht einen dysfunktionalen Eindruck, auch wenn Justin Fields mit seinem athletischen Potenzial immer mal wieder Big Plays rauszaubert, die schon zu drei Siegen (wenn auch „nur“ gegen San Francisco im Wolkenbruch, Houston und New England) führten. Klar ist: Der Sieg letzte Nacht gegen New England war gut für die Moral, und als Runner hat Fields super Plays gemacht. Aber da war mit 6/6 recoverten Fumbles auch einiges Glück dabei, und im Passing-Game war abseits einiger weniger Granaten auch nicht viel Fortschritt.

Die Pats haben eine QB-Controversy an der Backe, die Mac Jones‘ Karriere in New England schon nach eineinhalb Jahren beendet haben könnte. Ich sehe nicht, wie Jones nach der Enteierung noch länger drin bleiben kann.

Die Lions waren immer frauds.

Der Freigeist ist Arizona: Die Cards blühen erst dann auf, wenn Chaos-Agent Kyler Murray übernimmt. Mein Glaube, dass mit der Rückkehr von Nuk Hopkins wieder mehr Struktur reinkommt, ist so begrenzt, weil ich schon lange nicht mehr dran glaube, dass Kliff Kingsbury als Schemer irgendwas drauf hat.

Die Hoffnungslosen

Die Offenses, bei denen ich nicht mehr an eine Lösung glaube: Carolina, Jets, Colts.

Für Carolina geht es nur mehr darum, im nächsten Draft einen Franchise-QB zu draften.

Die Colts haben gestern Matt Ryan gebencht, und so wie es kommuniziert wurde, wirkt es eher wie ein „Owner-Move“ denn ein Headcoach-Move. Die versteckte Message dahinter: Frank Reich und Chris Ballard sind nicht mehr bloß auf dem Hot-Seat. Sie sind dead men walking.

Die Jets fühlen sich mit 5-2 Bilanz wie die großen Könige und sind schon auf Einkaufstour, aber Zach Wilson erinnert mich mehr an den Hühnerstall vom Bauer nebenan als an einen NFL-QB:

Defenses?

Da hab ich schon lange aufgegeben, Sinn reinzukriegen.

I mean: Die 49ers hatten nach sechs Wochen trotz Verletzungsproblemen mit Abstand die #1 Defense nach EPA/Play, DefCoord DeMeco Ryans wurde mit seinem Scheme als neuer heißer Scheiß diskutiert – und dann wird diese Defense von den Chiefs wie ein Schülertrupp in der dritten Stufe zerlegt. Nach der Interception gleich zu Beginn hatte Kansas City:

  • 9 Plays, 73 Yards, TOUCHDOWN
  • 10 Plays, 90 Yards, TOUCHDOWN
  • 8 Plays, 73 Yards, MISSED FIELD GOAL
  • 3 Plays, 33 Yards, TOUCHDOWN
  • 9 Plays, 75 Yards, TOUCHDOWN
  • 6 Plays, 80 Yards, TOUCHDOWN
  • 5 Plays, 72 Yards, TOUCHDOWN

Für den geneigten Zuschauer eine Wohltat zwischen all dem schlechten Football, aber wenn die #1 Defense in der Liga so hilflos ist, dann können wir nicht zu viel auf die EPA/Play Rankings geben. Wir können auch keine Abgesänge auf die 49ers-Defense anstimmen, denn Patrick Mahomes zu verteidigen, ist ein anderes Biest als den Rest der NFL zu verteidigen.

Auch die Buccs hatten eine der effizienteren Defenses in der NFL, hielten die Schotten für eine Halbzeit lang gegen Carolina dicht und wurden dann für ein Big Play nach dem nächsten in der zweiten Halbzeit auseinander genommen.

Unter den aktuellen Top-10 Defenses haben wir nach Woche 7:

#1 Cowboys
#2 Broncos
#3 Bills
#4 Eagles
#5 Patriots
#6 Bengals
#7 Buccaneers
#8 49ers
#9 Rams
#10 Jets

Cowboys mit ihrem Passrus und Broncos und Bills mit ihrer „completeness“ kann man vielleicht für voll nehmen – aber sonst? Wer würde auch nur einen Finger ins Feuer legen, dass eine dieser Defenses reicht um Josh Allen oder Patrick Mahomes im Zweifelsfall zu stoppen?

Gegen die meisten anderen Offenses in der 2022er Form wird es wahrscheinlich reichen, aber praktisch bei keiner dieser Defenses wäre der distanzierte Zuschauer überrascht, wenn sie im nächsten Spiel einen Stinker hinlegen.

Ausblick

Mir geht es aktuell nicht viel anders als letztes Jahr: Wie damals hatten wir einen kleinen Pool an Teams, denen wir trauen konnten, und dahinter ein unübersichtliches Mischmasch an Mannschaften mit ihren Stärken, die aber die Zufälligkeit der NFL brauchen würden um in den Playoffs Radau zu machen.

Schon damals wartete ich ab ca. Ende Oktober/Anfang November nur noch auf den Playoffstart, weil der zu erwartenden Erkenntnisgewinn fortan gering war.

Nur: Der Pool an Spitzenteams ist 2022/23 wesentlich kleiner als letztes Jahr. Er besteht aus zwei Mannschaften (Bills und Chiefs), die sich noch dazu gegenseitig spätestens im AFC-Finale aus dem Superbowl-Rennen nehmen, und dahinter ist der Abstand zum „Tier 2“ beträchtlich größer als noch vor einem Jahr. Ich fühle so: Diese Saison hat ein episches AFC-Finale Bills-Chiefs verdient, mit anschließendem Kantersieg gegen den NFC-Vertreter in der Superbowl.

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2 Kommentare zu “Was wir über die NFL-Saison 2022/23 nach sieben Wochen wissen

  1. Die Steelers nicht einmal erwähnenswert genug für den „Aufgegeben“ Abschnitt? Mit Pickett sieht das schon besser aus, auch wenn man mit den Fehlern leben muss und die Arm Limits deutlich sind, mit ihm können die Steelers wenigstens mehr Seiten vom Play Book spielen. Beim OC freilich hat noch niemand genau verstanden, was sein Plan ist, daß die Motions die Defense auseinanderziehen ist es jedenfalls nicht 😀

    PS Aaron Rodgers war wieder einmal bei Pat McAfee:

    Da ist der Abschied auch nicht mehr weit.

  2. Jedes Team, das für Rodgers traded müsste sich aber fragen warum es mit ihm nicht so laufen wird wie bei Denver und Wilson…
    Klar, GB Weigerung sich um die WR Position zu kümmern erklärt einiges, aber nicht alles – Wilson ist ja offenbar auch nicht nur von der O-Line in Seattle gebremst worden.

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