Über Lamar Jackson und die Baltimore Ravens

Die Baltimore Ravens haben gestern ihrem Star-QB Lamar Jackson die Franchise-Tag übergestülpt. Es war die „billige“ von den beiden Franchise Tags. Und dann ist etwas passiert, womit niemand gerechnet hatte.

Es gibt in der NFL zwei Franchise-Tags:

  • Die „exclusive“ Franchise Tag, die für Quarterbacks etwa 45 Mio für die eine Saison wert ist. Dieses Preisschildchen verhindert, dass andere Teams mit dem Spieler ohne Einverständnis der haltenden Franchise verhandeln. Der Spieler kann aber im Einvernehmen von zwei Mannschaften für jeden zu vereinbarenden Trade-Wert getradet werden.
  • Die „non exklusive“ Franchise Tag ist etwas weniger rigide. Teams dürfen dem Spieler ein Angebot machen, das die den Spieler haltende Franchise per Vorkaufsrecht „matchen“ darf. Verzichtet sie darauf, wird der Spieler für zwei 1st Rounder getradet. Gibt es kein Angebot, bleibt der Spieler im Team, kann sich aber wie bei jeder Art von Franchise Tag noch dazu entscheiden, ihn nicht zu unterschreiben. Dieses Preisschildchen ist nur etwa 32.5 Mio wert.

Baltimore entschied sich, Jackson die „non exklusive“ Tag zu geben und riskiert damit, ihn zu verlieren, wenn eine Mannschaft einen entsprechend strukturierten Vertrag anbot, den die Ravens mit ihrer Salary-Cap nicht vereinen konnten.

Jackson ist der Franchise-QB in Baltimore seit Mitte der Saison 2018. 2019 war der der erste einstimmige NFL MVP ever. In den Jahren danach wurde immer wieder klar, dass die Ravens-Offense ohne Jackson aufgeschmissen ist, weil die O-Lines zerfielen und die Receiver ihren Namen nicht wert waren. Baltimores Offense war in den Spielen mit Jackson eine Top-6 Unit in EPA/Play, in den Spielen ohne eine der drei schlechtesten in der NFL.

Aber der läuferisch einzigartige Jackson verpasste 2021 und 2022 jeweils das Saisonende mit Verletzungen.

Seit einem Jahr galt es in Baltimore als Deal-Breaker, dass Jackson wie Deshaun Watson bei den Browns einen „fully guaranteed“ Rekordvertrag haben wollte. Jackson, der ohne einen Spieleragenten seine Sache selbst managt, sieht sich nicht zu Unrecht sportlich mindestens auf einer Stufe mit Watson, der noch dazu den ganzen bekannten Rucksack an Problemen mit sich brachte.

Und Jackson hat sich in seinen fünf Jahren in der NFL anders als man denken mag noch keine goldene Nase verdient: Einem 9 Mio-Rookievertrag über vier Jahre (nicht pro Jahr!) folgte die 5th Year Tag: 32 Mio für fünf Jahre. Ein Trevor Lawrence bekommt als #1 Pick mehr in vier Jahren. Ein Derek Carr unterschrieb zuletzt für 35 Mio pro Jahr.

Die Ravens wollten aber keinen vollumfänglich garantierten Scheck ausstellen. Seit spätestens gestern wissen wir: Wohl niemand in der NFL will das.

Schon wenige Minuten nach Bekanntwerden der billigen Franchise Tag sagte ein Team nach dem anderen sein Interesse an Jackson ab:

Falcons
Panthers
Raiders
Commanders
Dolphins

Diese offensive Haltung wird vielerorts als geheime Absprache zwischen den NFL-Ownern interpretiert, die einem weiteren voll garantierten NFL-Vertrag ein für allemal eine Absage erteilen wollen. Sollte das der Fall sein und die Ravens das im Vorfeld gewusst haben, würde es in einem weiteren Streitfall für das Schiedsgericht enden.

Aber es kann auch anders sein. Jackson war zeit seines Lebens von Zweiflern begleitet, die ihm seine Qualität als NFL-QB absprechen wollten, und die Verbindung zu seiner Hautfarbe ist nicht schwer herzustellen. Jackson konnte in den drei Jahren nach dem atemberaubenden Breakout 2019 nie mehr annähernd an diese zugegeben astronomisch gute Performance anschließen und erwies sich zuletzt als eher verletzungsanfälliger QB.

Trifft diese Interpretation zu, dann sind wir relativ nahe bei der Vermutung, dass die Ravens einfach riskiert haben und Jackson einen Denkzettel verpassen wollten – „dein Markt ist nicht so gut wie du meinst, der Fall Deshaun Watson war ein Einzelfall und wird sich so nicht wiederholen.“

Der beste Cap-Guru da draußen, Jason Fitzgerald, stellte in seinem Blogartikel die Vermutung auf, dass NFL-weit eventuell das Gefühl bestehe, dass die Ravens ohnehin jedes Vertragsangebot „matchen“ würden und sich daher das ganze Trara mit Vertragsstrukturierung und der Schaffung von Salary-Cap-Space nicht so wirklich lohne, und man sich besser auf die eigenen vier Wände konzentriere, in denen in den nächsten Tage ohnehin genug zu tun sei.

Und dann besteht noch die Möglichkeit, dass es doch ein Team gibt, das ausschert und Jackson ein Angebot macht, das die Ravens nicht matchen können. Der Die-Hard in mir hat natürlich registriert, dass die Detroit Lions nicht unter den Mannschaften waren, die Jackson sofort eine Absage machten, weiß aber auch, dass die Lions-Owner über Jahrzehnte eine NFL-treue Linie gefahren haben und es schon eine dicke Überraschung wäre, wenn gerade sie den unkonventionellen Move machen.

Sollte Jackson unter der Franchise Tag in Baltimore bleiben, ist sein Stellhebel begrenzt, und dann wird auch der massive Unterschied zwischen der exklusiven und nicht-exklusiven Tag sichtbar: Angenommen, Jackson bleibt seiner Linie treu und verzichtet auf nicht voll garantierte Vertragsangebote, könnten die Ravens Jackson dreimal hintereinander eine Franchise-Tag überstülpen. In Jahr 2 kostet diese 120% vom heurigen Wert. In Jahr 3 kostet sie 144%, ausgehend immer vom jetzigen Wert.

Starten wir bei 45 Mio, würde das für drei Jahre 177 Mio bedeuten – 59 Mio/Saison. Starten wir bei 32.5, sind wir in etwa bei 127 Mio und damit nicht wesentlich über der Marke von 42 Mio/Saison – ein gewaltiger Unterschied, und 42 Mio/Jahr sind am aktuellen QB-Markt ein Schnäppchen für einen Top-QB wie Jackson.

Wie auch immer das weitergeht: Es bleibt spannend. Ich denke nicht, dass sich die Medien auf die Mannschaften einschießen, denn Jackson hat keine Lobby und keine gut verhandelten Agenten im Hintergrund. Aber es braucht am Ende doch nur ein Team, das ausschert und den Preis in die Höhe treibt…

Daniel Jones

Der eine QB, der den Vertrag schon bekommen hat, ist ein Jahr nach Jackson gedraftet worden, hat vier bestenfalls durchschnittliche Jahre gespielt, und unterschrieb nun für satte vier Jahre mit 160 Mio Gesamtwert, mit weiteren Incentives um die 35 Mio on top: Daniel Jones bei den Giants.

Wie viel der Vertrag genau wert ist, das steht noch in den Sternen, weil die genauen Guarantees noch nicht bekannt sein, aber Tom Pelissero posaunte gestern raus, dass der Vertrag etwa 82 Mio in den ersten beiden Jahren beinhalte. Das wären 41 Mio/Saison. Mehr als zwei „non exklusive“ Franchise-Tags in Folge.

Für Jones ist das ein extrem guter Vertrag gemessen an dem, was er in der NFL geleistet hat. Für mein Empfinden sollte er gleich mal 15-20 Mio/Jahr an seinen Coaching-Staff rüberschieben, die seine Karriere gerettet haben, nachdem er in den ersten drei Jahren wie ein ziemlicher Bust ausgesehen hatte.

Jones ist kein „schlechter“ QB. Er ist bloß kein wirklich hochwertiger. Er ist „workable“, wie sich gezeigt hat. Er kann eine gut durchdesignte Offense anführen, weil er nicht viele brutale Bolzen begeht und gut bei Fuß ist. Aber er bietet nicht viel an, wenn Defenses wirklich beginnen, einen Plan B zu verlangen.

Mein Gefühl sagt mir, dass der Deal schon Mitte der nächsten Saison auch für beiläufige NFL-Beobachter beginnt, schlecht auszuschauen. In einem Jahr sprechen wir von einem Vertrag, der die Giants limitiert. Die Chance ist hoch, dass sich die Giants für zwei Jahre in eine Ecke hineinmanövriert haben, die einen wirklichen Breakout der Mannschaft verhindert.

Das Positive an dem Vertrag, wenn man so will, ist: Jones wird 2023 bessere Waffen haben als davor, weil die Giants Step 2 ihres Umbruchs vornehmen werden. Vielleicht ist Jones ja der Bridge-QB für die Giants, mit denen sich das Team Alex-Smith-like entwickeln kann, ehe in zwei Jahren Chiefs-like der aggressive Move für ein Supertalent folgt. Das klingt jetzt schon wie Best-Case für die Giants.

Franchise Tags

Ich weiß aber nicht, ob die Giants so denken, denn sie haben gestern noch einen Move gemacht: RB Saquon Barkley die Franchise Tag gegeben. Das klingt alles so uninspiriert, wie man es von den Giants befürchtet, und ist kein gutes Zeichen für GM Joe Schoen und Headcoach Brian Daboll. Da steht wohl bei einer weiteren sportlichen Leitung das Credo „Jobsicherheit“ über dem Credo „go for the Title“.

Barkley ist übrigens einer von gleich drei Runningbacks unter Franchise Tag 2023. Die anderen sind Tony Pollard in Dallas und Josh Jacobs in Las Vegas. Dazu TE Evan Engram in Jacksonville. Die sechste Franchise Tag (neben Jackson) bekam Washingtons DT Daron Payne. Ein geballter Haufen an NFL-Kompetenz bei diesen Franchises, muss ich sagen…

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8 Kommentare zu “Über Lamar Jackson und die Baltimore Ravens

  1. Lamar ist, wie du oben beschrieben hast, äußerst verletzungsanfällig. Ich finde es richtig für ihn nicht Haus und Hof zu verkaufen. Er hatte eine unfassbare Saison und sonst….viel aua. Da ist es auch egal ob er schwarz, weiß, oder eine sonstige Hautfarbe hat…

    Lama ist eine Waffe und als Läufer genial, aber kein QB wie Mahomes. Ich sehe ihn als zur Zeit relativ einzigartigen Spieler, der als QB aber gerade so in das Tier unter Mahomes passt und zwar an das Ende. Und vor ihm habe ich bestimmt vier oder fünf, die ich als viel besser erachte.
    So sollte er auch bezahlt werden. Und zwar marktgerecht.
    Was ist das? Keine Ahnung.

    Aber wenn mein Team ihn via Trade holen könnte würd ich das bestimmt feiern. Aber zu jedem Preis? Definitiv nicht! 50 Mio im Jahr ist zu viel für Lamar, dann noch vollständig garantiert….nein.
    Aber über Geschmack lässt sich bekanntermaßen nicht streiten.
    Fakt ist aber: der QB Markt ist eine Blase, die wird den Teams früher oder später um die Ohren fliegen.
    Es wird halt immer wichtiger in der Draft zuzugreifen. Leider ist das eine Lotterie und es greifen halt einige/viele daneben oder sind beratungsresistent. Dann gibt es halt die Verzweifelten….Browns, etc

    Bin gespannt, wie das ausgeht.

  2. Als ich „unkonventionellen Move“ in Zusammenhang mit Lamar Jackson gelesen habe, kamen mir sofort die Patriots in den Sinn….

  3. Wenn ich mir angucke was Seattle für Wilson bekommen hat kommen mir zwei 1st rounder für Jackson günstig vor.
    Insofern: ich würde pokern. Jackson anrufen, probieren mich mit ihm x Jahre fully guranteed zu einigen und dann mit seinem Einverständnis ein zusätzliches, nicht garantiertes Jahr dran hängen damit die anderen owner ruhig sind. Und dann Mal sehen… Jackson ist auf jeden Fall der einzige QB der evtl verfügbar ist und wenn alles gut läuft eine langfristige Lösung sein kann.

  4. Aber ist bei RBs das Tag nicht ne gute Lösung?
    Für 10 Millionen (lt over the cap für Jacobs) bekommst du 1 Jahr von nem Spieler im 5. Jahr, die statistisch nicht viel länger Leistung bringen. Keine langzeitverträge mehr für eine immer unwichtigere Position die du spätestens in Jahr 2 bereust.

    10 Mio ist bei dem CapSpace zwar immer noch kein Schnäppchen , aber du bindest dir halt keine 50+ ans Bein

  5. milaidin +1
    Wäre schon komisch, wenn bei 31 Teams, von denen die meisten keinen Playoff-QB haben, nicht ein einziges zumindest verhandelt oder ein Angebot macht.

  6. Ich denke, dass die Browns mit dem Vertrag für Watson die Liga in zweierlei Hinsicht in die Bredouille gebracht haben. Zum einen fordern die QBs jetzt vermehrt voll garantierte Verträge und zum Anderen immer höhere Summen.

    Beides Sachen, die man als Team nicht machen will und ich denke die Ravens sind als Franchise gefestigt genug um an Jackson ein Exempel zu statuieren. Schade um und für den Spieler, aber ihn wird es halt erwischen, vor allem weil die Owner mit ziemlicher Sicherheit einen zweiten Fall Watson (vertragstechnisch) verhindern wollen.

    Für die QBs generell ist Watson ja auch ein Schlag ins Gesicht. Ein Jahr ausgesetzt, fast vor Gericht gestanden, hat immer noch mit neuen Vorwürfen zu tun, einen 31-29 record und bekommt dennoch den größten garantierten Vertrag allerzeiten.

    Die Browns haben sich mit der Personalie weder bei den Owner, Fans noch Spieler beliebt gemacht.

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