Fortsetzung des Wildcard-Weekends heute Abend ab 19h MEZ (live SPORT1 US und NFL-Gamepass) mit der AFC-Ansetzung zwischen den Cincinnati Bengals (11-5, Sieger AFC North) und den San Diego Chargers (9-7, Dritter der AFC West) aus dem Paul Brown Stadium in Cincinnati. Es ist das vierte Mal in den letzten fünf Jahren, dass sich die Bengals vom sympathischen Head Coach Marvin Lewis für die Playoffs qualifiziert haben, aber ein Spiel dort gewonnen? Haben sie noch nie, und die Begeisterung in Cincinnati ist dann auch so groß, dass man Probleme hatte, die Hütte voll zu bekommen.
Es ist überhaupt das Spiel zwischen zwei ewigen Underdogs in der NFL-Geschichte. Beide Franchises wurden in den 60er Jahren als ursprüngliche AFL-Teams (AFL = damalige Konkurrenzliga zur NFL) gegründet, und beide hatten ihre Blütezeiten in den 80er Jahren: Cincinnati war dort zweimal in der Superbowl, während es die Chargers zwar erst 1994 dorthin schafften, aber das war eher Zufall; die großen Chargers-Mannschaften waren jene aus den frühen 80ern. Damals spielten diese beiden Franchises auch schon einmal gegeneinander um den Superbowl-Einzug, damals in der „Freezer Bowl“ bei minus 20 Grad ohne Windchill. Heute wird es etwas gesitteter.
Bengals gegen Chargers, das ist eine klassische Ansetzung zwischen einer starken Defense (Cincinnati, Defense-Ranking bei mir: #3) gegen eine starke Offense (San Diego, #3).
Wenn die Cincinnati Bengals den Ball halten
Dass die Bengals defensivstark sind, heißt nicht, dass sie in der Offense nix zu bieten haben, im Gegenteil: Viele Mannschaften wären froh, ein solches Offense-Arsenal zu besitzen wie die Bengals, die momentan von ihren exzellenten Drafts in den letzten Jahren leben.
Die Offense Line gilt trotz Verletzungsproblemen als eine der besten im Lande mit zwei massiven Ankermännern in RT #76 Smith und LT/LG #77 Whithworth. Die Runningbacks dahinter gelten als komplett unterschiedliche Spielertypen: Der parasitäre RB #42 Green-Ellis gilt als Power-Back, der zwar keine Fehler begeht, aber auch nicht viel mehr an Raumgewinn kreieren kann als das, was ihm die Offense Line bietet (nur 3.4yds/Carry). Ellis’ Backup ist der Rookie #25 Gio Bernard, der mit seiner spektakulären Spielweise schnell eingeschlagen hat und sowohl als Speed-Back als auch als Ballfänger für das gefährliche Screen-Passspiel der Bengals einsetzbar ist (56 Catches, 514yds, 3 TD).
Der Star im Angriff ist WR #18 A.J. Green, ein Schlaks von Receiver in seinem dritten Jahr. Green wurde heuer 178x angespielt, in 30% der Fälle davon downfield. Er machte 98 Catches für 1462yds und 11 TD. Von einem Manndecker allein ist er quasi nicht aus dem Spiel zu nehmen. Green wird flankiert von Leuten wie TE Gresham (soll heute fit sein), WR Sanu, WR Jones und Rookie-TE Eifert (alle zwischen 39 und 51 Catches).
Cincinnatis Problem liegt in der Quarterback-Position, wo der blässliche Rotschopf QB #14 Andy Dalton sehr schwankende Vorstellungen hat. Dalton hat immer wieder starke Phasen, aber dann kollabiert er wieder und reißt sein Team mit 3 INTs und 2 Fumbles in die Scheiße. Alles schon passiert – mehrfach, und das in einer einzigen Saison. Dalton ist mobil, er bringt 62% der Pässe an den Mann, trifft eigentlich gute Entscheidungen, aber er fabrizierte trotzdem mal wieder 20 INTs. Das liegt u.a. in Daltons Präzisionsschwierigkeiten. Den ganz großen Wurfarm hat er nicht.
OffCoord Jay Gruden versucht, Dalton und der Bengals-Offense seit Jahren mit restriktivem PlayCalling zu helfen, und viele Screen-Pässe anzusagen. Dieses Spiel funktioniert auch ganz gut, aber immer wenn es tief geht, kannst du bei Dalton nur hoffen, dass er dir deine Receiver nicht meterweit überwirft (so geschehen z.B. im „Hinspiel“ zwischen Chargers und Bengals in San Diego, als er Green gut fünf Meter (!) überfeuerte; Resultat: INT). Dalton macht 6.7 NY/A, was ein eigentlich recht guter Wert ist, aber diese 6.7 NY/A kommen relativ unkonstant. Mal Bombenspiele, mal Graupen. Cincinnati hofft heute besser, dass es die Bombe ist.
Cincinnatis Vorteil: San Diegos Abwehr ist eine einzige Baustelle. Schlechte Drafts in den letzten Jahren machten aus der Charger-D einen Trümmerhaufen. Dieses Jahr kassierte man 7.1 NY/A im Passspiel und ließ sich vom Laufspiel „überlaufen“. 46% Success-Rate ist der schlimmste Wert in der Liga, noch unter Chicago und Green Bay.
Da kann sich Gruden aussuchen, ob er den Lauf oder den Pass als Giftmittel wählt. Absoluter Schwachpunkt bei den Chargers ist gewiss die Cornerback-Position: CB Marshall und CB Wright gelten als nicht NFL-tauglich, aber die Bolts haben nix besseres. Ohne Hilfe vom brauchbaren S #32 Weddle geht das gegen einen Green oder ein Set mit 2 TE nicht.
Pass Rush bei den Chargers gilt ebenso als mau. Die besten Hoffnungen hat man, wenn man bend but don’t break spielt und darauf hofft, dass Dalton in den 8-Plays langen Drives irgendwann einen Bock einschiebt, einen Sack zu viel kassiert, eine INT wirft, oder beim Sack fumbelt. Ansonsten sehen zumindest 24-28 Punkte für die Bengals unvermeidlich aus.
Wenn die Chargers den Ball haben
San Diegos Offense 2013/14 ist nicht nur eine der größten Überraschungen des Jahres, sondern eine schlichte Augenweide. Was Head Coach Mike McCoy und OffCoord Ken Whisenhunt innerhalb eines Jahres aus einer Offense gemacht haben, die zuletzt nichtmal mehr Norv Turner im Griff hatte, stellt vieles in den Schatten, was Coaches dieses Jahr an Aufbauarbeit geleistet haben.
QB #17 Philip Rivers, von vielen schon abgeschrieben, läuft plötzlich als ganz neuer Mann über den Rasen und spielte eine begeisternde Saison: Rivers geht mit 19% der Würfe nicht mehr so oft tief wie früher, aber das Kurzpassspiel funktioniert reibungsfrei mit sensationellen 69.5% Completions-Rate für 4478yds (7.5 NY/A, #2 der Liga) und nur 11 INTs.
Sogar die Pass-Protection erwies sich nicht als das ganz große Problem: Der fußsteife LT Dunlap und der nicht minder als fußsteif bezeichnete Rookie-RT Fluker sollen richtig gute Saisons gespielt haben. Allerdings geht es heute für die beiden gegen gefährliche Passrusher: DE #93 Michael Johnson und #96 Carlos Dunlap haben zwar nicht viele Sacks, aber dafür umso mehr Hits und Hurries. Dahinter operiert in den Flat-Zonen mit OLB #55 Vontaze Burfict ein Kandidat für den Award zum Defensivspieler des Jahres. Da könnte Rivers früher unter Druck geraten als ihm lieb wird.
Gegenmittel könnte der fantastische Rookie-WR #13 Keenan Allen sein, der auf den Mitteldistanzen alles abräumt, was an Bällen in seine Richtung fliegt. Allen ist mit 71 Catches für 1046yds und 8 TD ein Mitfavorit auf den Rookie-des-Jahres Preis. Im ersten direkten Duell fing Allen Anfang Dezember 8 Pässe für über 100yds und war der Alleinunterhalter. Dazu gesellt sich der alte TE #85 Antonio Gates, der allerdings im ersten Spiel gegen die Bengals komplett abgemeldet war.
Was Whisenhunt und McCoy dieses Jahr nie gemacht haben: Das Laufspiel vernachlässigen. RB #24 Ryan Mathews kriegt immer seine Carries, egal ob effizient oder nicht (285 Carries für 1255yds, 4.4yds/Carry, 6 TD). Zwischendurch werden die klassischen Draws eingestreut, die der schmächtige weiße RB #39 Woodhead ausspielt. Woodhead kann dir die Offense nicht allein tragen, aber er ist so vielseitig und effizient, dass man ihn dringend beachten muss: 106 Carries für 425yds, 76 Catches für 605yds, 6 TD, und am gefährlichsten ist dieser wendige Wusler in 3rd-Downs.
Die Chargers halten die Balance, dass es manchmal fast zu viel wirkt. Aber eine suspekte Offense Line willst du nicht zu schnell dem Druck des Passrushes aussetzen, schon gar nicht gegen jenen der Bengals.
Ehre und Respekt für das, was die Bolts-Offense drauf hat. Ehre und Respekt aber auch für das Werk des Bengals-DefCoords Mike Zimmer, der seine beiden besten Verteidiger (DT Atkins, CB Hall) früh in der Saison verlor, ohne dass seine Defense hernach nennenswerte Leistungseinbrüche hinnehmen hätte müssen. Die Bengals kassieren nur 5.1 NY/A im Passspiel, die zweiteffizienteste Pass-Defense der Liga, obwohl dort hinten in der Secondary mit Pacman Jones, Dre Kirkpatrick (hatte als Rookie 2012 nur 2 Snaps als CB) und dem Oldtimer Newman eher suspekte Leute tummeln.
Cincinnati ist der Favorit, keine Frage. Die Bengals sind laut Power-Ranking mit 8 Punkten zu favorisieren; die Wettbüros sagen 7 Punkte. Eine Chance haben die Chargers, wenn ihre Defense so zeckig spielt wie in manchen Partien wie z.B. gegen die Broncos. Aber bei aller Liebe, man sieht es nicht kommen. Erstens hat Cincinnati wohl einen klaren Vorteil auf beiden Seiten der Anspiellinie – Offense Line und Defense Line – und dass diese Defense ein deep threat wie AJ Green kaltstellen kann und gleichzeitig die Flat-Zonen und Screenpässe lange genug abdecken kann… nein, schwer zu glauben.