Brasilien vs. Belgien – Spiel für die Äonen

Fantastisches Spiel, das als eines der besten, weil intensivsten, in die WM-Geschichte eingehen wird. Belgien eliminiert dank 2:1-Sieg den Turnierfavoriten Brasilien mit viel Geschick, aber auch viel Glück – und nicht gänzlich unerwartet, steht im Halbfinale und hat seinen Statement-Sieg gegen eine große Fußballnation. Weiterlesen

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WM-Caipirinha 2014: Argentinien – Belgien | Viertelfinale

Belgien vs Argentinia war eines der enttäuschenden Spiele in diesem Turnier, und gegen Spielende wurde ich mit jedem Abseits- oder Handpfiff aggressiver und musste meinen Frust ertränken. Argentinien kam dank eines Zufallstreffers von Higuain weiter. Higuain schloss geistesgegenwärtig und richtig stark ab, aber die Vorarbeit für den schnellen Siegtreffer war gar nicht für Higuain gedacht, sondern kam nur per Ablenkung vor seine Füße.

Was folgte, war eine frustrierende Partie, in denen man den Belgiern tausendmal zurief, probiert doch endlich mal was!, aber sie hörten nicht zu. Sie standen ratlos herum, wie die scheuen Rehe, die sich nicht in deine Nähe trauen. Weiterlesen

Belgien – Algerien | Gruppe H

Die Algerier kann man schnell abhaken: Das war eine sehr clevere Defensivleistung aus einem recht klaren 4-4-2. Algerien presste nicht grundsätzlich, ging aber lange Zeit extrem bissig drauf, wenn der ballführende Spieler in der Nähe war – und hatte lange Zeit gegen ein geistig nicht präsentes Belgien Erfolg damit. Weil man vom Gegner quasi einen Elfer geschenkt bekam – der algerische Stürmer hätte große Schwierigkeiten gehabt, den Ball vor dem Foul überhaupt noch zu erlaufen – führte man aber lange 1:0.

Zum allseits gelobten Geheimfavoriten Belgien: In etwa mit sowas wie der 1. Halbzeit hatte ich gerechnet. Bei aller Liebe für dieses Team, in jedem Tippspiel habe ich ein müdes 1:0 für das Auftaktspiel eingetragen. Ich hatte mit minimum einer Viertelstunde Eingewöhnungsproblemen gerechnet – schließlich ist es das erste Turnier dieser jungen Mannschaft, die kulturell so vielschichtig ist, und die dann gleich noch als monstermäßiges dark horse ins Turnier gehen muss.

Die Lethargie dauerte länger als die erwartete Viertelstunde. Es war sogar zwischendurch soweit, dass sich Belgier gegenseitig anpflaumten (z.B. bei einem „vergessenen“ Querpass von Hazard auf einen freistehenden Lukaku). Probleme machte der inexistente De Bruyne, und der sichtlich genervte Hazard, aber auch Lukaku fand überhaupt keine Bindung.

Nach der Pause reagierte Wilmots. Belgien kam nach der Kampfschweinrede erstmal motivierter aus der Kabine. Bald ersetzte der blutjunge Origi von ManUnited Lukaku, und es wurde bei den Belgiern immer flüssiger. Sie schraubten lange, bohrten, versuchten, diese nicht einfach zu bespielenden Algerier zu durchbrechen. Der wahre Champ-Wechsel kam nach etwa einer Stunde, als der wuschige Fellaini reinkam und gleich mal mit seiner Präsenz als Kopfballspieler auffiel, immer wieder in den Strafraum ging und schließlich auch den Ausgleich setzte.

Der Siegtreffer fiel sogar aus einem verkappten Gegenstoß, einem Mini-Konter der Belgier in einer sehr feinen Aktion. Es war letztlich ein verdienter Sieg, mal wieder ein gedrehtes Spiel, ein Spiel, aus dem die Belgier trotz der insgesamt blassen Leistung vieles mitnehmen können. Die drei Punkte natürlich. Aber auch die Gewissheit, im Turnier angekommen zu sein. Die Gewissheit, dass man zwar wohl nicht die homogenste Truppe hat, dass man sich aber eingrooven kann. Dass man Geduld gezeigt hat, Stellschrauben gedreht hat.

Insofern ist für diese Mannschaft glaube ich schon wichtig, dass man nicht nur eine Reaktion gezeigt hat, sondern dass man die Reaktion auch im Ergebnis sieht und dass man gewonnen hat. Die Belgier haben insofern einen guten Auftakt mit Sternchen abgeliefert.

Europas Mittelklasse in der furchtlosen WM-Vorschau 2014

Kommen wir nach den Topfavoriten zur zweiten Garnitur der europäischen Topmannschaften.

Frankreich

Die launische Diva des Weltfußballs– zumindest in den letzten Jahren. Und es ging bei den Franzosen schon munter weiter: Man Citys Nasri aus primär stimmungstechnischen Gründen aus dem Kader gelassen, und dann folgte ein nettes Techtelmechtel zwischen dem Nationalcoach und der Journaille. Medien: Coach, Ihre Spieler, geh’n die immer noch in‘ Puff? Deschamps: Schnauze. Wenn Sie nicht sofort die Schnauze halten, verrate ich die Namen derjenigen aus Euren Reihen, die mit dabei waren. Die Konfrontation ist also schon im Gange. Dabei hätte man noch was gutzumachen von der berüchtigten WM-Performance 2010.

Man sagt Deschamps nach, ein sehr pragmatischer Coach zu sein, der sich nicht um große Systemfragen schert, sondern das spielen lässt was er kriegen kann. Für die Franzosen scheint er sich diesmal auf ein 4-3-3 fixiert zu haben, eine Formation, mit der er in der Qualifikation des Öfteren baden ging, die aber in den letzten Monaten am besten zu funktionieren schien.

Vom Material her haben die Franzosen eine relativ klare Stammformation, die es locker mit den besseren Mannschaften des Turniers aufnehmen kann: Hugo Lloris ist nicht nur Captain, sondern auch einer der besten Tormänner des Turniers. Die Viererkette davor ist mit zwei bombenstarken Innenverteidigern besetzt: Varane von Real Madrid ist ein selten vornehm anmutiger Spielertyp, und sein Nebenmann wird entweder Koscielny von Arsenal oder Sakho von Liverpool sein – letzterer hatte eine schwierige Saison in einem krassen Spielsystem zu absolvieren, gilt aber als relativ sichere Tüte. Die Außenverteidiger in Frankreichs System sind im RV Debuchy und im LV Evra am ehesten als Schwachpunkte anzusehen.

Bockstark dürfte die französische Mittelfeldzentrale sein, die aus drei verkappten Weltklassespielern besteht: Cabaye und Matuidi vom PSG sowie das Juwel von Juve, Paul Pogba. Cabaye erwies sich unter Deschamps dabei vor allem als der Selbstlose, der den anderen beiden den Rücken freihält und als zentrale Schaltstelle vor der Abwehr agiert. Matuidi ist mehr der Typ Wirbler, während der extrem dynamische Pogba die Angriffe einleitet. Alle drei sind auch robust genug für härtere Zweikämpfe, und ihnen wird eine Schlüsselrolle zukommen.

„Vorne“ wird man Ribery nach seinem WM-Ausfall wegen Knieproblemen schwer vermissen: Ribery hatte etliche unglückliche Momente in der Nationalelf, galt aber unter Deschamps als geläuterter Hoffnungsträger. Riberys Flanke gilt es, halbwegs adäquat nachzubesetzen; die andere wird eh von Valbuena beackert, galt aber immer nur als zweite Geige zu Ribery. Ganze vorne drin muss Benzema seine Gedanken auf das fokussieren, was er am besten kann: Abschließen. Einen Benzema, der zweitausend Kilometer nach hinten arbeiten muss wie bei der EURO 2012, wird es nimmer geben.

Frankreich hat eine recht einfache Gruppe, in der man weiterkommen muss. Frankreich hat das Spielermaterial um das Turnier – Vorsicht – mit etwas Glück zu gewinnen. Trotzdem traut man diesen Jungs nicht wirklich; zu viel lief in den letzten Turnieren schief. Zu wenig vom Potenzial wurde in den letzten Jahren und Monaten ausgeschöpft. Zu oft kam man nicht in die Gänge. Zu wenig Erfahrung hat man heuer (ich las etwas von neun WM-Spielen Erfahrung von allen 23 Kaderspielern combined). Aber rein vom Potenzial? Meine Fresse…

Niederlande

Holland ist immer eines „meiner“ Teams, und was freute ich mich auf einen Bondscoach Van Gaal mit seiner attraktiven, dynamischen Spielweise. Nun scheint es leider so, dass Van Gaal kurz vor dem Turnier notgedrungen wegen einiger Ausfälle von seinem gepflegten 4-3-3 abrücken musste um ein völlig untypisches 5-3-2 einzuführen, das aber in den Testspielen durchaus nicht schlecht funktionierte. Van Gaals offizielle Begründung war frappierend: Mittelfeldanker Strootman war ausgefallen, und er könne ihn nicht einfach in einem 4-3-3 ersetzen, daher der Systemwechsel.

Van Gaal ist ein verrückter Mann, der sich während des Turniers häufig Fragen anhören wird müssen bezüglich seiner nächsten Trainerstation (hat ja schon in Manchester unterschrieben), und er ist ein Genie darin, junge Spieler einzubauen. Hat Van Gaal erst einmal einen Nachwuchsspieler gefunden, der genau das macht was er von ihm verlangt, wird dieser Spieler mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kürze internationaler Topmann sein.

Man kann nur hoffen, dass dies auch für die Tormänner und Abwehrspieler der Holländer 2014 gilt, von denen du keinen einzigen beim Namen nennen kannst falls du nicht gerade fanatischer Feyenoord- oder Ajax-Fan bist oder Grundzüge sozialen Lebens führst. Okay, van Gaal testete Kuyt als AV, insofern: Einen könntest du kennen, wenn auch in der Position nicht wiedererkennen.

Diese Dreierkette mit zwei Außenverteidigern wird in der Mitte von zwei defensiven Mittelfeldmännern abgesichert; einer von ihnen wird der Meister aller Treter, Nigel de Jong, sein. Vor diesem eher auf Absicherung fixierten Oktett dürfen die Superstar-Angreifer wirbeln: Offensiv-Spielmacher Sneijder auf seinem letzten Halali, die hängende Flügelspitze Robben und Mittelstürmer Van Persie (Backup ist Huntelaar). Das ist dann aber mit das beste an Angriffs-Power, was es im Weltfußball heuzutage gibt – wenn Van Persie fit ist: Im letzten Testspiel wurde er verletzt runter getragen.

Van Gaal stand für mich immer für den unbedingten Willen, eine Truppe auf das Feld zu schicken, die zwingend als Team auftritt und in der jeder seine Rolle im Gesamtgefüge ausüben muss. Insofern war ich vor allem vom Ghana-Testspiel überrascht, das eine andere Strategie andeutete: Ein Achterblock als Absicherung, damit vorne die Klasse-Angreifer alles zu Staub verwirbeln dürfen?

Wird spannend. Holland wird auf alle Fälle interessanten Fußball zeigen, aber man ist in einer schwierigen Gruppe gelandet: Zum Auftakt gibt es Spanien, und neben dem halben Freilos Australien muss man noch gegen Chile ran, die viele hoch einschätzen. Zumindest das Achtelfinale sollte trotzdem drin sein, aber holla: Dann wartet wahrscheinlich ein Kaliber wie Brazil. Mit dem Titel dürfte es happig werden, aber ich glaube auch, dass den in Holland diesmal keiner ernsthaft erwartet; nicht mit so einer unerfahrenen Abwehr.

Portugal

Die Portugiesen stehen dafür, wie man Kontinuität zum Exzess bringen kann: Coach Bento vertraut seit gefühlt zehn Jahren auf einen identischen Mannschaftskern. Zumindest in den letzten drei, vier Jahre gab es kaum Änderungen am Gerüst: Die Mountinhos, Coentraos, Nanis und Ronaldos sind Teil dieser portugiesischen Verlockung, die so oft so viel versprochen haben, aber letzten Endes immer knapp gescheitert ist.

Portugals Stammelf ist angeblich fast 29 Jahre alt im Schnitt. Trotzdem sind die Portugiesen immer gefährlich für Upsets. Deutschland gewann zwar die letzten Male immer, aber es war nie diskussionslos, es war immer knapp. Auch diesmal wird Deutschland wieder auf diese Mannschaft treffen.

Vieles steht unter fällt mit Cristiano Ronaldo, dem traurigen Kasper, der es notwendig hat, in einem Europapokalfinale Muckis für ein verwandeltes Elfmeterchen zu zeigen. Ronaldo ist ein Weltklassespieler, der das Problem hat, zur gleichen Zeit wie der beste ever, Messi, zu spielen: Er ist eine Sensation, aber Messi ist eine Legende. Ronaldo ist gut genug um Portugals Offensive kurzfristig im Alleingang zu tragen, aber das hat in den letzten Jahren nie die ganzen Turnier-Playoffs lang funktioniert. Zu eindimensional sind die Portugiesen.

Und Ronaldo geht bei aller Genialität nur halb fit ins Turnier. Portugal wird also wieder auf einen kompakten Kern und Ronaldos Geniestreiche hoffen. Kommen die aber nur regelmäßig genug, ist auch ein schnelles Aus nicht undenkbar: Zu schwach sind alle anderen Offensiv-Optionen.

Belgien

Das belgische Fußballwunder ist eines der spannendsten Themen im Vorfeld des WM-Turniers: Eine Mannschaft vor dem Herrn, aber die komplett mangelnde Erfahrung auf der großen Bühne sorgt noch für Skepsis und dafür, dass nicht alle restlos vom meistgenannten Geheimfavoriten überzeugt sind.

Es ist aller, aller Ehren wert, was diese eigenartige „Nation“ Belgien über das letzte Jahrzehnt für ein Talentprogramm auf die Beine gestellt hat. Ich kann mich noch erinnern an die letzten belgischen Turniermannschaften, als sich eine alte Mannschaft auf dem Zahnfleisch kriechend gerade so zu Achtelfinalteilnahmen würgte. Kapitän und Sturmführer damals: Marc Wilmots, das Kampfschwein. Wilmots ist jetzt Nationaltrainer, und er führt einen exzellenten Kader voller Spieler von Topvereinen ins Turnier.

Der Superstar ist vielleicht der Tormann Courtois, der selbst nach den sensationellsten Paraden so unbeeindruckt dreinschaut wie beim täglichen Sonnenuntergang. Courtois sieht man nicht an, dass er erst 21 ist: Das ist ein kompletter Keeper, und wenn du so einen im Kasten stehen hast, kann das einer Abwehrkette schon massiv Stabilität verleihen. Zumal diese Defense ja nicht unbedingt aus Gurken besteht: Ein Kompany ist seit zirka acht Jahren europäische Oberklasse, einen Vermaelen oder Verthongen kannst du auch in den besseren Vereinen in die erste Formation stellen.

Belgien ist im Kern ein Team, das von seinem schnellen Umschaltspiel lebt. Die wichtigsten Figuren sind dafür im Mittelfeld Witsel und Fellaini: Letzterer hat eine unglückliche Saison hinter sich gebracht, gilt aber im Nationaldress als Garant und wie ausgewechselt. Vorne wird man den verletzten Benteke (Aston Villa) vermissen, weil sich sein möglicher Ersatzmann Lukaku nicht so gut als mitspielender Stürmer eignet. Lukaku gilt zwar schon als relativ kompletter Jungspund, aber es sind sich eigentlich alle einig, dass er ein anderer Spielertyp als Benteke ist und sich aktuell noch nur für wirkliches Konterspiel eignet – aber Belgien wird nicht nur Konter spielen können.

Aber wenn du von den offensiven Halbpositionen einen Hazard und einen De Bruyne gen Strafraum schicken kannst, und vorn drin einen Lukaku oder einen Origi stehen hast, merkst du als Zuschauer: Hier ist Qualität ohne Ende vorhanden – bemerkenswert für ein so kleines Land, das zuletzt so lange Jahre weg von der Bildfläche war und sich vor zwei Jahren noch nichtmal für die EURO qualifizieren konnte.

Gespannt bin ich neben dem Sportlichen auch darauf, wie sich die Belgier als Mannschaft aufführen: Es ist ja durchaus mit Flamen und Wallonen plus dem Faktor Einwandererland nicht das einfachste kulturelle Umfeld vorhanden, und einem Fellaini oder Hazard sagt man durchaus Egos nach, die schonmal den neuesten 80-Zoller sprengen.

Insgesamt befürchte ich, dass wir zu hohe Erwartungen an Belgien hegen. Man hat zwar die extrem überzeugenden Bilder vom Qualisieg in Kroatien immer im Hinterkopf, aber nach der relativ machbaren Gruppenphase wartet im Achtelfinale schon der erste Brocken. Wenn alles glatt geht, können die Belgier durchmarschieren, aber es spricht noch einiges dafür, dass man sich noch ein bissl in der Findungsphase befindet, und ein „off-day“ in den Playoffs reicht oft, um rauszufliegen.