Die Olympische Eishockey-Vorschau für Gelegenheitszuschauer, Gruppe B

Zweiter Teil der großen Eishockey-Vorschau für die Olympischen Spiele 2014 mit der Gruppe, die folgende vier Teams umfasst:

Kanada
Finnland
Norwegen
Österreich

Beginnen wir mit dem Titelverteidiger.

Kanada

Eishockey ist in Kanada Nationalsport Nummer 1. Als ich vor eineinhalb Jahren in Toronto war und die Toronto Argonauts in der eigenen Stadt das Endspiel in der immer noch populären Canadian Football League vor Augen hatten, war die NHL gerade in der Lockout-Pause. Gesprächsthema waren nicht die Argos. Gesprächsthema waren die möglichen Neueinkäufe der Toronto Maple Leafs für den Fall, dass die NHL doch irgendwann weitergehen würde. Deutschland = Fußball. Österreich = Skifahren. Kanada = Hockey.

Entsprechend hoch wird das fantastische Olympia-Finale von 2010 gegen die USA in der kanadischen Sporthistorie wohl auch gereiht sein:

Die “Ahornblätter” bringen eine ganze Latte an Stars mit, und es ist nur bezeichnend, dass das Team trotz des Ausfalls des torgefährlichsten Centers der Welt, Steven Stamkos von den Tampa Bay Lightning (Schienbeinbruch), noch immer als einer von zwei Topfavoriten gehandelt wird. Besser: Sogar das kanadische Ersatzteam gälte als Gold-Anwärter.

Der kanadische Sturm dürfte auch nach Stamkos‘ Ausfall der tiefstbesetzte aller Olympia-Teams sein (Stamkos wird ersetzt durch Martin St Louis). Sidney Crosby ist nur der Superstar und bekannteste Name. Es wird häufig diskutiert, wie schwierig es für einen Spieler ist, Crosbys Nebenmann zu geben, aber Punkt ist, wenn du mit so einem versierten, aggressiven, vielseitigen Mann spielst, dann darf das kein Problem sein. Die Frage ist eher, welchen Spielertyp die Kanadier Crosby zur Seite stellen? Ist es ein „echter Winger“ wie der mittlerweile fast schon zu hüftsteife Rick Nash oder setzt man eher auf verkappte Center wie Patrice Bergeron oder Jonathan Toews?

In den ersten gemeinsamen Trainingseinheiten sollen die Kanadier folgende Reihen getestet haben:

    • Jeff Carter – Crosby – Chris Kunitz
    • Sharp – Toews – Nash
    • Tavares – Getzlaf – Perry

Plus eine Powerplay-Unit mit der Blueline Sharp und Keith, sowie Crosby mit Kunitz und Tavares vorn.

Besser geht kaum. Die Auswahl ist gigantisch. Du kannst minimum drei hochkarätige Reihen mit den kanadischen Angreifern bilden. Du hast extremen Speed, egal ob du Crosby und Toews einwechselst oder auf Leute wie Marleau oder Duchene setzt.

Die Frage wird sich eher darauf konzentrieren, wie sich die Defensive zusammensetzt. Es gibt mit Subban, Weber, Drew Doughty (ein fabulöser Skater) und vor allem Duncan Keith minimum vier Weltklasse-Verteidiger für exzellentes Umschalten, aber Leute wie Vlasic oder Hamhuis gelten als potenzielle „Schwachstellen“, weswegen viele erwarten, dass Kanadas Gegner vornehmlich über Vlasics Seite (häufig die linke Abwehrseite) attackieren werden.

Tja, und dann sind da die Goalies – ein permanentes kanadischens Gesprächsthema ähnlich der „T-Frage“ in Deutschland. Es ist seit ich denken kann das erste Olympiaturnier ohne die Goalie-Legende Martin Brodeur, der schon vor vier Jahren von Roberto Luongo verdrängt wurde. Luongo konnte seinen Platz behalten, gilt aber als Unsicherheitskandidat. Von den Stats her ist der Goalie der Montreal Canadiens, Carey Price, dieses Jahr der souveränste kanadische Tormann, wobei man bei Price stets die wenig sattelfeste Habs-Defense beachten muss. Nicht ausgeschlossen, dass es eine erneute Wachablöse gibt.

Also: Das ist der logische Topfavorit vieler.

Finnland

Ein permanenter Geheimfavorit ist Finnland, der Bronzemedaillengewinner von Vancouver. Die Finnen bauen seit Jahren stets primär auf ihren kompakte Defense und exzellentes Goaltending. Die Offense hat fast schon traditionell nicht die allergrößte Feuerkraft, aber mit ihrer zeckigen Spielweise sind die Finnen nicht einfach zu bespielen.

Im Tor wird vermutlich der Bruins-G Tuukka Rask (92.8% Save-Quote) die meiste Spielzeit gegenüber Antti Niemi bekommen; Rask hat die meisten Shutouts in der NFL dieses Jahr. Auch Niemi ist kein schlechter: Letztes Jahr wurde er zum zweitbesten Goalie der NHL gewählt, und sein Name steht seit 2010 auch in der Siegerliste des Stanley Cups.

Die Frage bei Suomi ist mehr: Wer soll die Tore schießen? Mikko Koivu und Valterri Filppula fallen beide mit Knöchelverletzungen für die Spiele aus; Mikkos älterer Bruder Saku hat mit 39 Lenze keine Lust mehr auf Olympia. Da lacht die 43jährige Stürmerlegende Teemu Selänne, der noch immer in der dritten oder vierten Reihe aufläuft. Selänne wird in der NHL in Anaheim nur noch sporadisch eingesetzt und muss nicht mehr jede Auswärtsfahrt mitmachen, aber als Joker und für die Erfahrung gilt dieser Methusalem noch immer als wertvoll.

Erfahrung ist auch etwas, was den Finnen sonst abgeht. Mehrere Spieler sind jung; etliche verdienen ihre Sporen im eigenen Land oder in der russischen KHL und wollen sich für die NHL empfehlen. Mit diesem Team ist aber zu rechnen. Sie werden dich nicht 8:3 aus dem Stadion schießen, aber vielleicht ein 2:1 heraus wringen, das dann die großen Titelfavoriten (mal wieder) ratlos hinterlässt.

Österreich

Zugegeben: Ausgerechnet die österreichische Mannschaft ist mir nicht überaus bekannt, da ich die EBEL aus diversen Gründen kaum verfolgen kann. Die Österreicher waren zuletzt 2002 für Olympia qualifiziert, und sie haben ein recht junges, gutes Team. Und vor allem: Eines, das beißt. Die Qualifikation für Sotschi schaffte man als #15 der Weltrangliste und ohne die beiden großen NHL-Stars, die Winger Vanek (linker Flügel) und Grabner (rechter Flügel) von den New York Islanders. Auch der dritte der aktuell drei österreichischen NHL-Profis ist offensiver Flügelspieler: Michael Raffl von den Flyers. Allerdings könnte die eklatante Center-Not die Österreicher dazu bewegen, Raffl in die Mitte zu schieben; Raffl hatte dieses Jahr auch in Philadelphia durchaus einige Minuten Einsatz als Ersatz-Center. Aber diese Offense-Fragen sind bei Rot-Weiß-Rot eher angenehme Fragen.

Denn: Die Probleme der Österreicher sind eher in der Defensive zu verorten, wo einige der Verteidiger im Olympiakader schon in der heimischen EBEL manchmal eher maue Kritiken bekommen. Dazu gelten die Stürmer nicht als allergrößte Abwehrbeißer vor dem Herrn. Der einstige NHL-Profi Pöck hat als Verteidiger die größte Stärke im schnellen Aufbauspiel, aber die Frage ist halt, ob du gegen die Crosbys überhaupt zu einem schnellen Aufbauspiel kommst oder eher schauen musst, nicht abgeschossen zu werden. Auf alle Fälle offenbarte das Testspiel gegen Dänemark letzte Woche teilweise gravierende Abwehrlücken. Immerhin gelten die Goalies als erfahrene Recken, die sich nicht nervös machen lassen, wenn Kanada im ersten Drittel gleich mal einen Hattrick einschenkt.

Ich bin gespannt. Rein personell und vom Speed her dürfte die Mannschaft nicht allzu weit über Slowenien einzuordnen sein. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass die Österreicher die Fachwelt überraschen, indem sie einem Arrivierten den einen oder anderen Punkt abluchsen. Alles andere als ein Aus vor dem Viertelfinale müsste allerdings als Sensation gewertet werden.

Norwegen

Auch die Norweger kommen als (mir) eher unbekanntes Team daher. Sie gelten international als schwächste der Big-3 in Skandinavien (Schweden, Finnland, Norwegen), aber knapp über Dänemark angesiedelt. Sie gelten auch als leicht favorisiert gegenüber dem „anderen“ Zwerg in dieser Gruppe, Österreich.

In Erinnerung dürften die Elche wohl vor allem den deutschen Eishockeyfans sein: Von vor zwei Jahren ist noch ein 12:4-Abschuss aus der WM-Vorrunde in Erinnerung. Überhaupt gaben diese Jungs bei jener WM Gas: 8 Spiele, sage und schreibe 35 Treffer!

LW Mats Zuccarello von den New York Rangers ist der einzige NHL-Profi im Kader. Zuccarello ist aktuell der Scoring-Leader bei den Rangers und natürlich gesetzt. Aber um ihn herum hat der stockkonservative Coach Roy Johansen endlos viele Optionen, da es zwar keine herausragenden Spieler, aber viele gleichwertige geben soll. Eine Option als Center könnte Thorensen sein, der in St. Petersburg spielt. Es gilt auch als wahrscheinlich, dass Johansen schön durchmischt – es wird schwierig, sich taktisch auf diese Offensive einzustellen.

Die Blueline gilt als geschwindig, aber zu wenig physisch um gegen die NHL-Cracks gegenzuhalten. Die Erfahrung in den ersten zwei Reihen ist gegeben, aber Erfahrung kompensiert dir halt nicht für alles. Goalie soll keine Problemzone darstellen, aber keiner der Keeper hinten wird dich aus der Scheiße retten.

Klingt ein wenig wie Überraschungsfreiheit in dieser Gruppe: CAN > FIN > NOR > AUT, wobei ich den Österreichern durchaus ein Upset gegen Norwegen zutraue.

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