Als Superbowl-Kandidat gestartet, mit dem Top-Draftpick geerdet: Das waren die Houston Texans 2013/14, die dann auch noch stilvollerweise den besten Head Coach der noch jungen Franchise-Geschichte, Gary Kubiak, mitten in der Saisonschlussphase feuerten. Der Move stellte sich letztlich sogar als vorteilhaft für die Texans heraus, die ihren zeitlichen Vorsprung nutzten um sich ihren Wunsch-Nachfolger zu greifen: Bill O’Brien von der Penn State University, einen Mann, der entschieden optimistisch zu Werke geht, ohne den Kraftmeier oder Lautsprecher zu markieren. O’Brien lebt von seinem Bonus der Belichick-Schule, aber er hat genügend Erfahrung auf dem Buckel und hinreichend Positives bei Penn State bewirkt, dass man ihm seine Linie zunächst einmal bedingungslos abnimmt.
O’Brien umgibt eine ganz eigene Aura. Eigentlich ist seine Coaching-Vita eher blass, aber seit er vor einigen Jahren an der Weiterentwicklung jener atemberaubenden Patriots-Offense mitwirkte, ist er ein landesweit bekannter Name geworden. Die Geschichte seines todkranken Sohnes gehört zum Bild O’Briens ebenso wie sein ambitioniertes Anpacken als Paterno-Nachfolger an der (Achtung, Euphemismus) darniederliegenden Penn State University. Ohne jemals vorher ein NFL-Headcoach gewesen zu sein, sind sich alle bei ihm sicher: Er hat es drauf.
Überblick 2013
Record 2-14 Enge Spiele 2-9 Pythagorean 4.1 31 Power Ranking 0.367 25 Pass-Offense 5.6 25 Pass-Defense 6.1 12 Turnovers -20
Management
Salary Cap 2014.
Die erste Nuss, die O’Brien zu knacken haben wird, ist die Quarterback-Frage. Welchen Typus Quarterback O’Brien bevorzugt, ist nicht genau bekannt, aber es ist in etwa bekannt, welche Vorstellung von Offense er hat: Es ist ein System, das seinen Quarterbacks viel Verantwortung überträgt. Der Quarterback muss im Playbook eintauchen. Er muss die Defense lesen können und ihre Signale schon vor dem Snap interpretieren können – andernfalls ist er zum Scheitern verdammt. Beweglichkeit war zumindest bisher keine überragende Notwendigkeit – nur natürlich die Mutter aller Bewegungen in der NFL-Pocket: Der Schritt nach vorne im rechten Moment um den Blitz zu verbrennen. O’Briens Quarterbacks müssen an der Line-of-Scrimmage arbeiten, die Protection der Blocker und die Routen der Receiver umstellen. O’Brien, der so oft betonte wie sehr er an Brady dessen wahnsinnigen Willen liebte, scheint einen Arbeiter zu bevorzugen.
Die Zeit des blassen Matt Schaub scheint trotzdem vorbei zu sein, denn Schaub besitzt nicht den Wurfarm und die Handlungsschnelligkeit um eine NFL-Offense an ihre Limits zu bringen. Der Lokalhero Case Keenum begeiserte zwar in seinen ersten Auftritten, wurde aber recht schnell ausgespäht und gilt nicht mehr als ernsthafte Option. Die Frage ist demnach: Welcher der potenziellen #1-Quarterbacks im 2014er-Draft überzeugt ihn am meisten? Überzeugt ihn überhaupt ein Quarterback genug um ihn mit dem Top-Pick zum Start seiner Amtszeit zu ziehen?
Eine Frage, die bei Matt Schaub auch mitspielt: Das Geld. Die Texans haben Stand heute in etwa 8 Millionen Cap-Space, was gerade reicht um die Rookie-Klasse unter Vertrag zu bringen. Schaub zählt 14 Mio. gegen die Salary-Cap, aber das bei einem potenziellen dead money (bei Entlassung) von 10.5 Mio! Der GM, der Schaub diesen Vertrag unterjubelte, dürfte mittlerweile unruhige Nächte erleben.
Abseits der QB-Position dürfte die Offense vor allem am überrumpelten RT Newton kranken, der so schnell wie möglich ersetzt werden soll. Wie die Offense Line ihren Shift weg vom Kubiak’schen Zonensystem zu einem Power-orientierten Blocksystem hinkriegt, bleibt abzuwarten. Wird unter Umständen gar noch ein Guard geholt, der das Herz der Line verstärken soll?
Möglich, aber unwahrscheinlich, dass signifikante Investments in die WR-Position gemacht werden, wo hinter dem überragenden, aber nicht mehr jüngsten Andre Johnson und dem als Rookie eher blass gebliebenen DeAndre Hopkins (immerhin 37% tiefe Anspiele, aber nur 52 Catches und nur 2 TD) nicht viel Zählbares im Kader steht.
Mehr Augenmerk kriegt aber die Defense, die sich unter dem neuen DefCoord Romeo Crennel und mehreren neuen Coordinators (u.a. LB-Coach: Mike Vrabel) weg von der sehr aggressiven 3-4 Defense (die fast eine 5-2 Defense war) bewegt. Crennel ist dafür bekannt, nicht viel „1-gap“ Defense spielen zu lassen, sondern seine D-Line eher in „2-gap“ Situationen steckt, was im Fall von J.J. Watt fatal ausschaut: man würde Watt seiner größten Stärke berauben. So ganz kann ich eine ganz krasse Systemumstellung noch nicht glauben, zumindest nicht nachvollziehen. Watt ist neben den Blitzes des oft verletzten ILBs Brian Cushing aktuell auch die einzige nennenswerte Passrush-Waffe der Texans-Defense. Manch einer vermutet, dass Houston Jadeveon Clowney zieht, sollte man von den Quarterbacks nicht vollends begeistert sein.
Ein Clowney in Houston? Clowney und Watt in einer Defense Line? Das klingt unbedingt danach, dass ein Crennel hier ein “2-gap” System installieren sollte um Clowney und Watt 90 Snaps lang gegen Zwei-Mann-Wände anrennen zu lassen…
Ironie-Modus aus: Clowney ist eine Möglichkeit, wenn Houston ein eher hybrides Defensivsystem anpeilt. Clowney ist vor allem deswegen eine Option, weil die letzten höheren Draftpicks der Texans für die „Edge Rusher“ eher gefloppt sind: Mercilus und Brooks Reed konnten sich beide bislang nicht in der NFL durchsetzen. Beide werden dank ihrer Vertragssituation noch eine Chance erhalten, aber sie sind angezählt.
Was in Houston auch noch fehlt: Ein dominanter Nose Tackle, oder, im Fall, dass doch eher traditionell gespielt werden soll, ein Defensive Tackle von Format. Es kann ein Oldie sein, oder ein Prospect aus den späteren Runden, aber man sollte nicht drauf wetten, dass es mit einem Vollzeitstarter McClain in den Herbst geht.
Dass die Texans großes Augenmerk auf die zweite Linebacker-Position neben Cushing oder auf die Safetys werfen werden, glaube ich nicht. Wenn sich eine Option zufällig auftut, kann man schonmal zugreifen, aber insgesamt ist man in Breite und Tiefe dort besser besetzt als auf anderen Schlüsselpositionen. Die Prioritätenliste sollte in etwa so aussehen:
- Quarterback: Gibt es einen, wird zugegriffen.
- Right Tackle.
- Passrush/Edge Rush: Es wird entweder ein Quarterback oder Clowney.
- Defensive Tackle
- Wide Receiver
O’Brien hat sich selbst als OffCoord installiert. Das Hauptaugenmerk wird also – richtigerweise – dort liegen. Crennel managt die Defense. Personell sind die Texans schon jetzt nicht unterirdisch besetzt. Nicht vergessen: Im Sommer war das ein erweiterter Titelkandidat. Man schmierte zwar auf 2-14 Siege ab, aber man war 2-9 in engen Spielen. Man war nach Play-by-Play Effizienz im Power-Ranking an #25 gerankt – nicht gut, aber viel besser als 2-14. Und man wurde in der volatilsten aller Kategorien abgeschossen: Turnovers. 31 eigenen Turnovers standen ganze 11 von der Defense generierte gegenüber. -20 bei Turnovers, ein Wert, der sich ganz von allein Richtung Mitte bewegen wird, da muss sich O’Brien nicht einmal eine Fingerkuppe dreckig machen.
Houston wird schon diese Saison wieder weit weg von Top-Pick Nähe mitspielen, egal welche Moves O’Brien macht. Das nimmt ihn freilich nicht aus der Verantwortung, die richtigen Moves zu machen.