Eines ist fix: QB Cameron Newton von den Carolina Panthers ist einer der Footballer, die die Geister scheiden. Er war es von Anfang an. Cameron Newton war einst in Florida der Backup von Tim Tebow und als solcher hätte er eigentlich dessen Nachfolger werden sollen, doch der Teenie Newton war unreif, stahl Laptops und wurde selbst vom laxesten aller Coaches, Urban Meyer, von der Uni geschmissen. Erst fast zwei Jahre später, im Spätsommer 2010, tauchte Cam Newton wieder auf der Bildfläche auf, als potenzieller Sleeper auf den Quarterback-Job an der Auburn University, einem Kult-College aus einer Kleinstadt in Alabama, das alle zwei Wochen ein Stadion füllen kann, das locker doppelt so groß ist wie die Stadt selbst.
Newton gewann den Job als #1-Quarterback, und der Rest ist Geschichte: Newton dominierte den College Football wie nie ein Spieler vor ihm. Als 1,96m-Mann, geschmeidiger Scrambler und sehr gute Wurftechnik pulverisierte Newton Schul- und Conference-Rekorde in der hochklassigsten aller College-Ligen, der SEC, und er machte es ohne adäquaten Supporting-Cast: Der Running Back war gut, aber alles andere waren solide Spieler, nicht mehr. Auburn hatte ein Team, das bei gutem Saisonverlauf 8-4 gegangen wäre und an #22 in irgendeiner Silvester-Bowl gespielt hätte – ohne Newton.
Mit ihm gewann Auburn 2010/11 die BCS-National Championship. Auburn scorte 65 Punkte gegen die Arkansas Razorbacks. Auburn drehte ein legendäres Spiel in Alabama, nur das verrückteste von vielen Comebacks. Auburn war nicht dominant, aber Newton war es. Und Newton fand sich alsbald mitten drin in einem Recruiting-Skandal, der ihn fast seine Reputation, Auburn fast den Titel, und die Heisman-Trophy fast ihre Integrität gekostet hätte. Es gilt als sicher, dass Newtons Vater eine sechsstellige Summe von Auburns Boostern für die Dienste seines Sohnes kassierte, dass zumindest einige Dinge nicht rechtens gelaufen waren. Newton kam damit durch, mutierte zwar nicht zu einem Helden der Güteklasse Tebow (der mit sehr viel stärkeren Mannschaftskollegen ähnlich dominant am College war), aber Cam Newton konnte sicher sein, dass er NFL-Talent hatte.
Am College hatte er in der offenen spread offense von Guru Gus Malzahn gespielt, eine Art one read-System, das dem Quarterback sein Leben stark vereinfacht. Trotzdem war nicht zu übersehen, dass der Hüne Newton mit seiner Beweglichkeit und seiner Wurftechnik gutes NFL-Potenzial besaß. Im Draft-Prozess 2011 machte er vieles falsch („Ich werde eine Ikone sein“) und wurde immer und immer wieder als großer Unsympath porträtiert, und am Ende wanderte er tatsächlich, längst nicht von allen erwartet, mit dem Top-Pick an #1 nach Carolina.
Ich gestehe, ich habe Newton gehasst wie die Pest und ich fand, dass Carolinas Trümmerhaufen von Offense vieles vertragen würde, aber an einem unerfahrenen und nur bedingt reifen Rookie-Quarterback, sei er noch so talentiert, zu knabbern haben würde. Ich schrieb:
Bis zu allerletzt hatte ich es nicht geglaubt, aber die Carolina Panthers haben sich unter dem neuen Head Coach Ron Rivera tatsächlich entschieden, gleich zu Beginn die Football-Variante von Russisch Roulette zu spielen. Cameron Newton hat kaum 300 Bälle geworfen und ist nun #1-Pick.
Der Amerikaner sagt dazu: high risk, high reward. Newton ist ein Entwicklungsprojekt für die nächsten Jahre und wird eine sehr speziell auf ihn zugeschnittene Offense brauchen. Carolina hat mit diesem Pick den QBs Matt Moore und vor allem Jimmy Clausen mit beiden Fäusten in die Fresse geschlagen. Der Gedanke hinter diesem Pick ist: Alles oder nichts. Kann zweifellos funktionieren. Aber das Gefühl sagt eher: Nope.
Zwei Jahre später spaltet Newton die Massen noch immer. Seine Mobilität ist unbestritten ein gigantisches asset, und der Trainerstab machte einen exzellenten Job um Newtons Talente zu maximieren. Seine Statistiken sind gewaltig, und Carolina hatte in beiden Saisons mit Newton eine der besten Pass-Offenses mit über 7 NY/A, obwohl es außer einem alternden Steve Smith nicht einen einzigen weiteren Ballfänger von Format gibt. Carolina verlor mehr Spiele, als es gewann, aber die Hauptschuld ist eindeutig an anderen Orten zu suchen: Die Defense zeigte erst ab Mitte Saison 2012 Anzeichen von Leben, und Head Coach Ron Rivera geht in engen Spielen nicht bloß der Killerinstinkt ab, sondern regelrecht die Muffe.
Die, die Newton spielen sehen sehen, berichten ganz gerne kritischere Dinge. Es ist unbestritten, dass der Mann nicht der feingeschliffenste Werfer ist, der jeden Ball sauber in die Dreifachdeckung bekommt. Eindeutig geht Newton auch der letzte Zapfen Spielintelligenz ab und er lässt sich ganz gern auch mal von einfacheren Abwehrschemen verarschen. Newton ist nicht der große Student des Spiels und ist manchmal aufreizend lässig, aber hey: Er kann sich das leisten.
Beweglichkeit und, noch besser, die Option auf 1A-Scrambles, sind Voraussetzungen, die viele dieser Probleme kaschieren. Sie sind positive Attribute, die ein NFL-Quarterback haben kann. Newton hat sie, und es ist dadurch kein allzu großer Schaden, wenn er nicht die präzisesten Pässe der Liga wirft: Carolina kann nämlich die Offense so designen, dass sie offener wird als mit einem generischen Pocket-Passer. Beweis sind die letzten beiden Jahre und die Offensivsysteme, die mittlerweile in anderen Orten Einzug gehalten haben. Wie lange der Trend anhält und ob die Defenses darauf eine schnelle Antwort finden, bleibt abzuwarten, aber ein gewisses Maß an Vorsprung haben sich Scramble-QBs immer schon erarbeitet.
Newton ist auch kein Fragilchen wie ein RG3, um dessen Knochen man bei jeden Sprung ins Getümmel Angst haben muss. Newton ist selbst ein Brocken von Mann, der austeilt. Und er scrambelt intelligent, geht den übelsten Hits ganz gut aus dem Weg, rennt nicht mit 180 Sachen blindlings in die Scheiße. Verletzungsgefahr bleibt, aber sie ist bei Newton minimiert.
Es bleibt festzuhalten, dass Newton nach zwei Jahren gewaltige Effizienz-Zahlen eingefahren hat, noch dazu mit einem bestenfalls lauwarmen Supporting-Cast. Newton hat eine durchschnittliche Turnover-Anfälligkeit. Ballsicherheit und Risikomanagement sind ausbaufähig, aber nix nervös zu werden. Newton ist noch längst nicht mit der Konstanz da, wo ein Rodgers oder Brees sind, aber er bietet einem Coach an, eine Offense allein um ihn herum zu bauen – ein Luxus, den nur wenige Teams haben; zum Beispiel ist das nichtmal in Atlanta der Fall, wo man Matt Ryan teure Waffen geben musste um ähnlich effizient zu spielen.
Newton ist einer der faszinierenden Spieler vor dieser Saison 2013. Er hat alle Tools der Welt. Er muss allerdings mit zwei Schwierigkeiten fertig werden: Erstmals hat er nach Chudzinskis Abgang einen neuen Offensive Coordinator. Und dann ist da noch die Lokalpresse, die sich immer mal wieder gerne auf Newton einschießt – die alte Leier bei Jungs, die ihren eigenen Kopf haben und nicht nach der Pipe der Journaille tanzen. Bei arroganten Jungs wie Newton sicher noch schwerer.
Cameron Newton hat bei mir schon gewonnen. Er hat in den zwei Jahren ausreichend gezeigt, dass die meisten Befürchtungen überflüssig waren. Er hat genügend angedeutet um einen #1-Draftpick zu rechtfertigen. Der letzte Schritt zum Elite-QB (sagen wir: Top-5 auf Jahre hinaus) fehlt freilich noch, aber wenn wir das nach zwei Jahren erwarten, legen wir die Latte bei ihm höher als bei allen anderen.
Vielleicht schafft er den Sprung dorthin nie (nur fünf können die Top-5 bilden!), aber das Experiment Cam Newton ist den Versuch wert und noch besser: Auf gutem Wege, zu gelingen.