Die Vorschau auf die heutige Gruppe E fällt notgedrungen etwas kürzer aus.
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Abgesang des Weltmeisters: Spanien – Chile | Gruppe B
Die Spanier konnten viele Jahre lang nervtötend sein. Sie konnten wunderschön anzuschauen sein, aber sie konnten genauso gut das Spiel zerstören, erdrücken mit Ballbesitzfußball der unansehnlichen Sorte. Sie konnten sich aber immer auf eines verlassen: Ihr Defensivverbund würde halten. Er würde in den acht, neun Minuten reiner Spielzeit, die der Gegner den Ball kontrollieren würde, keine Böcke schießen, und so konnte man jedes Spiel mit 1:0 gewinnen.
2014 war anders. Spanien offensiv war so anders nicht. Der beste spanische Fußballer aller Zeiten, Xavi, war, wie schon in der Vorschau angedeutet, ein leichter Bremsklotz, aber kein echter Problemfall. Auch andere Protagonisten wie Iniesta, Pedro oder Busquets waren nicht „schlecht“. Sie waren einen kleinen Zacken weniger beweglich, ineffizienter, langsamer als früher. Die Bindung zum neuen Stoßstürmer Diego Costa (zum dümmsten Zeitpunkt die Nation gewechselt) funktionierte nie so wirklich, aber die Chancen gab es trotzdem, auch für Costa.
Spanien war einen kleinen Tick farbloser in der Offensive. Nur alle 8ter statt alle 10ter Pass ein Fehlpass. Der Ball nach Fallrückzieher zwei Zentimeter daneben statt – wie vor vier Jahren – zweimal vom Pfosten in den Kasten. Und so weiter.
Die wahren Probleme hatte man diesmal hinten. Angefangen vom völlig entnervten Torwart Casillas (José Knows) hin zu den ungewöhnlich hölzrigen Innenverteidigern. Die Kacke dampfte vor allem dort, wo man sich selbst ins Knie schoss bzw. wo clevere Gegner mit schnellem bzw. wuchtigem Spiel die erkennbaren Schwachstellen auf brutalste Art und Weise offenlegten. Aber Iker hat die Champions League gewonnen. Also muss Iker doch ein Großer sein.
Die Ära Spanien war eine große. Für mich war sie nicht nur deswegen eine große, weil sie dreimal zum Titel führte. Dafür brauchst du auch viel Glück. Spanien brauchte zweimal ein Elfmeterschießen. Spanien hatte gegen Paraguay Glück. Robben schoss fünf Minuten vor Schluss den Tormann an. Ronaldo verschoss freistehend. Kroatien hatte die Spanier liegen. Aber du darfst Glück beanspruchen.
Viel faszinierender an den Spaniern fand ich, dass sie in den sechs Jahren ihrer Regentschaft in den großen Turnieren nie, wirklich nie, aus dem Spiel waren. Sie bestimmten immer die Schlagzahl, liefen nie Gefahr, ernsthaft die Kontrolle zu verlieren. Das ist ganz groß. Zum Teil war es groß, weil Gegner in Ehrfurcht erstarrten. Das hat diesmal gefehlt. Der Gegner traute sich, den Spaniern missglückte alles, man war drei Prozent schwächer.
Spanien wird damit ein weiteres Mal ohne Playoff-Gegentreffer heimfahren, nur diesmal wird das nicht zum Titel reichen.
Der gefühlte Nachfolger stand heute auf dem Platz. Die Chilenen wechselten diesmal erst in der Schlussphase in ein klassisches 3-3-1-3 des alten Schlags, als es gar nicht mehr brauchte. Sie hatten mal wieder fantastische Spielzüge. Sie waren diesmal auch kalt im Abschluss, kälter als noch vor vier Jahren. Sie waren giftig im Gegenpressing. Ab 15m um den Strafraum waren das Kletten, die sich an den Gegner hängten und nicht mehr losließen. Das war eine runde Gesamtleistung. Die Frage wird nun sein, ob oder wie lange sie die Pace und dieses aufwändige Spiel halten können. Noch eine, zwei, drei Runden? Noch vier Runden?
Chile wird nächsten Montag gegen Holland um den Gruppensieg spielen. Weil man den Weltmeister nur 2:0 demontierte anstelle ihn abzuschießen, wird Chile einen Sieg brauchen, dem Torverhältnis sei Undank. So oder so – Brasilien wird sich hinterher den Gegner aussuchen, und sie werden sich überlegen, ob sie tatsächlich gegen die Chilenen spielen wollen.
WM-Caipirinha 2014, Spanien vs Niederlande | Gruppe B
Warnung. Spanien wird nicht Weltmeister, das war meine Meinung, und bleibt meine Meinung. 1:5 gegen Holland, ein Ergebnis mit der Strahlkraft, als symbolisch für den Abgesang der mächtigen spanischen Dynastie zu stehen – wenn es denn der Abgesang wird.
Es war ein Freak-Ergebnis. 1:5 gegen eine eindimensionale holländische Mannschaft, deren Offensivspiel recht durchschaubar bleibt. Es war eines der Spiele, in der letztlich alles für eine Mannschaft läuft – alles, außer eines: Der Elfer. Es wirkte wie ein geschenkter Elfer. Den kannst du pfeifen, wenn du nicht weißt, wie Fußball in Südlanden funktioniert. Es war ein italienischer Schiri, also hätte er es wissen müssen. Es war ein Elfer, den du nicht pfeifen solltest. Costa rutschte aus, Costa fiel. Costa bekam den Elfer. Alonso verwandelte. Sollte Spanien – Gruppe B – die Gruppe gewinnen (Brasilien = Gruppe A)?
Holland kam zurück, aber es war nicht nur Holland. Es war die Mixtur aus Hollands Offensive, Spaniens Defensive und dem Faktor 100%: Es ging den Holländern alles auf. Langer tiefer Ball aus dem halblinken Feld, Fehler Casillas, Tor. Eine einfache Erfolgsregel, die für einen Abend gilt, die nicht zwingend für vier Playoffabende gelten wird.
Casillas ist eine Flasche. Ich stehe zu der Meinung, die ich schon offenbarte, Casillas verschuldete zumindest zwei, wenn ich meinen Compagnons glaubte, drei, Gegentore.
Ich bin auch der Meinung, das 3:1 muss zurecht zählen. Es ist das längst überfällige Stürmerfoul-Tor. Fußball 2014 = Stürmerfoul, wenn der Tormann den Angreifer überrennt. Eine Auslegung, die fast immer so gepfiffenwird, aber Bullshit ist, Bullshit hoch drei. Van Persie ging wuchtig in die Flanke. Der Tormann ging in die Flanke. Van Persie gewann, der folgende Treffer zählte. Für mich zurecht.
Der Rest war simpel. Spaniens vogelwilde Abwehr, Spaniens (erwartet) vogelwilder Goalie, killten die eigene Mannschaft minimum gleich wild wie Hollands lange tiefe Bälle nebst individuell gut besetzte Offense. Langer Ball, Stürmer umkurvt Abwehr und Goalie, Gol.
Holland spielte hart, aber nicht WM-2010 Finale hart. Holland hatte sogar südländische Momente. #4 Martins Indi gehört mit seiner Schauspieleinlage per sofort in eine Serie A. Aber das war überwiegend erste Halbzeit. Zweite Halbzeit war langer orangener Ball, Stürmer trickst, Tor.
Holland muss aufpassen. Holland muss auf dem Boden bleiben. Es war ein 5:1, aber es war nur gefühlt die Demontage. Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit das symbolische Ende der spanischen Ära, aber es war nicht der Beginn der holländischen. Der Moment ist ein Genuss, aber er ist nicht mehr. Es wird kein Viertelfinale geben, in dem Italien mit langen Bällen und Robbens Zirkusnummern gekillt wird. (aber es wird wohl auch kein Achtelfinale geben, in dem man gegen Brazil anrennen muss)
Es war ein kleiner Schritt für Holland. Ein brutaler Schritt gegen Spanien. Ein Ergebnis, das man nicht vergessen wird. Aber wohl noch keines von epischen Ausmaßen.
(Ist einer der Verlierer des Abend Chile?)
Spanien in der furchtlosen WM-Vorschau 2014
Das dominante Team der letzten Jahre, und trotzdem kriegt Spanien im Vorfeld dieser WM nicht mehr den ganz großen Favoritenstatus zugespielt: Woran liegt’s? Die Annahme, ein Team kann einfach nicht immer gewinnen, ist eine irrationale. Viel greifbarer sind die Dinge wie langsame Alterung, der zuletzt eher zähe Titel-Run 2012, und, viel mehr noch, die konditionelle Verfassung in schwül-heißen Gefilden und Spielweise der Seleccion.
Spanien hat sich in den letzten Jahren als extremst wandelbar gezeigt und von 4-3-3 über 4-2-3-1 über 4-5-1-0 so ziemlich alle großen Trends im Weltfußball vor- und mitgemacht, aber im Confed-Cup vor einem Jahr fiel auf, dass diese Offensivpressing-Maschine in klimatisch extremen Bedingungen (wie eben in Brasilien) nicht über mehrere Wochen durchhält. Es mag an mangelnder Ernsthaftigkeit gelegen haben oder woran auch immer, aber Spanien war spätestens im Halbfinale schwer angeschlagen, und war im Endspiel komplett shot, läuferisch drei Meter unter der Erde.
Diese Ballbesitzorientierung, dieses ständige Verlangen, Pressing zu spielen und somit dem Gegner den Ball abzujagen, kostet Kraft – ähnlich viel Kraft wie das Wetter in Brasilien. Das ist ein greifbarer Grund, weswegen Spanien diesmal vielleicht Probleme kriegen könnte.
Wie man die Spanier in Nöte bringen kann, haben in den letzten Jahren Mannschaften wie Portugal (EM-Halbfinale 2012) oder Italien und Brasilien (Confed-Cup 2013) eindrucksvoll gezeigt: Eigenes Gegenpressing oder einfach nur gezielte Phasen mit Pressing. Das schmeckt der spanischen Mannschaft nicht, aber es sind eben nur wenige Mannschaften in der Lage, hohes Pressing gegen die rote Furie zu spielen – und die, die es könnten, trauten sich zu selten.
Spanien hat diesmal potenziell einige Sollbruchstellen. Die rechte Abwehrflanke ist mit Juanfran eher notdürftig besetzt, und im Tor dankt #1 Casillas immer noch einem Kopfball in der 93. Minute CL-Finale, dass er nicht zum Trottel der Nation erklärt wurde. Casillas wird mehr deswegen spielen, weil er als Kapitän Hausmacht und wichtig für Stimmung und Zusammenhalt im Team ist.
Die entscheidenden Stellen im spanischen Spiel sind aber ohnehin in Mittelfeld und Angriff zu finden, denn dort steht und fällt die spanische Spielweise, und dort liegt auch primär das Geheimnis, dass diese Mannschaft so wenige Gegentreffer bekommt: Sie gibt einfach zu selten den Ball her, und wenn sie es doch tut, luchst sie ihn sich schnell wieder zurück.
Es gilt als relativ sicher, dass Head Coach Del Bosque wieder versuchen wird, mit #16 Busquets und #14 Xabi Alonso (oder #4 Martinez) das zentrale Mittelfeldpärchen zu bilden. Es gilt auch als sicher, dass die Legende #8 Xavi noch einmal die zentrale Anlaufstelle für die Offensive sein wird, aber man darf durchaus fragen, in welcher Verfassung Xavi antreten wird: Der wichtigste Mann des spanischen Erfolgswunders ist mit mittlerweile 33 Lenze nicht mehr ganz der schnellste und war in manchen Spielen fast schon – Achtung, Gotteslästerung – ein Bremsklotz.
Knackpunkt wird auch sein, wer ganz vorne spielt: Die berühmte „Falsche Neun“ in #10 Fabregas oder der echte Mittelstürmer #19 Diego Costa. Costa kommt aus einer sensationellen Saison, ist aber trotz Pferdeblut wohl noch nicht ganz fit, und er ist vom Verein ein direkteres Spiel gewohnt, als es sich die kurzpassverliebte spanische Elf auf die Fahne geschrieben hat. Beweismaterial von Costas Integration in dieser Mannschaft gibt es nicht viel – gegen Italien im März funktionierte das aber eher dürftig. Mit einem Costa wird Spanien wohl fast sicher direkter spielen als mit jeder anderen Sturmlösung.
Das Spiel mit einem Fabregas als der berühmten Falschen Neun funktionierte in der Vergangenheit immerhin zufriedenstellend, aber Fabregas hat keine gute Saison gespielt. #7 Villa und #9 Torres dürften zu Notfalloptionen verkommen sein; bei einem Torres ist der sportliche Abstieg seit minimum vier Jahren offensichtlich, und bei Villa war nicht zuletzt im CL-Finale erkennbar, dass auch er längst nur noch ein Schatten alter Tage ist.
Als verkappte Flügel hinter dem Stürmer werden wohl zwei aus dem goldenen Trio #6 Iniesta, #21 Silva und #17 Pedro agieren. Iniesta ist dabei logisch der Star, aber unterschätze einen Pedro nicht: Pedro wurde heuer bei Barca oft geopfert, weil man dort den 80-Mio. Mann Neymar auflaufen lassen musste, aber ehrlicherweise funktionierte Barca mit Pedro stets besser. Und Pedro ist rein zufällig der Mann, der in der Nationalelf häufig den Job als Goalgetter übernahm: Letzte 21 Partien – 12 Tore für Pedro.
Beeindruckend an diesem Team ist weiterhin ihre Flexibilität und die sensationelle Kadertiefe, die auf Auswahlebene am ehesten mit jener der heutzutage besten Vereinsmannschaften mithalten kann. Ich erwarte aber aufgrund der ausgeführten Zweifel, dass diesmal früher oder später jemand den Erfolgslauf der Furia Roja stoppen wird.