Um einen potenziell ausufernen Einleitungsabsatz kurz und knackig zu halten: Am Sonntag findet das zweite Saisonspiel er NFL-International Series statt. Mit dabei sind diesmal die San Francisco 49ers (waren schon 2010 eingeladen) und das designierte Heimteam für NFL-Wembley, die Jacksonville Jaguars. Zu denen gleich mehr. Es ist die London-Premiere der Jaguars. Aufzupassen ist wie immer Ende Oktober auf die Kickoffzeit: Diese ist 17h Ortszeit oder 18h MEZ, da die Vereinigten Staaten wie immer ihre Zeitumstellung auf Winterzeit nicht schon morgen Nacht, sondern erst nächste Woche vornehmen.
Nein, ich werde nicht vor Ort dabei sein, und nein, ich bin diesmal auch nicht „einfach so“ in London. NFL-Wembley gibt es für mich wieder vom Arbeitszimmer aus, aber ich weiß von einigen Lesern, dass sie dort sein werden. Wer Fotomaterial oder einen kurzen Erlebnisbericht beisteuern will, möge mir entsprechende Unterlagen in textlicher oder bildlicher Form zukommen lassen (eMail Adresse ist im Impressum zu finden). Ich werde es gerne veröffentlichen, wenn gewünscht.
Zustand der International Series
Schon letztes Jahr erörterte ich den Zustand der NFL-International Series und insbesondere auch der für vier Jahre zum Heimteam deklarierten Jacksonville Jaguars. Seither wurde bekannt, dass ab 2014 noch ein drittes Wembley-Spiel installiert wird, was mich verblüffte, da die NFL jahrelang ergebnislos versuchte, ein zweites Europaspiel zu implementieren, ehe es nun innerhalb kürzester Zeit gar zu einem dritten kommt. Man muss wissen, dass für das UK-Territorium Wembley seit Jahren die Exklusivrechte auf die NFL-Spiele besitzt, und es hatte lange den Anschein, als dass weder London/Wembley, noch irgendeine andere Stadt innerhalb oder außerhalb des UK bereit war, die finanziellen Forderungen auf das Heimspielrecht (die nicht gering sind), zu erfüllen.
Mir ist nicht bekannt, ob die NFL sich den Wembley-Spaß mittlerweile aus eventuell strategischen Gründen weniger fürstlich entlohnen lässt und wenn ja, warum, oder ob Wembley auf der Suche nach Auslastung (oder aus anderen Motiven) mehr Geld in die Hand nimmt, um eine bis dato noch immer ausverkaufte Veranstaltung weiter auszubauen. Werden die Grenzen von „NFL in Europa“ ausgelotet? Verfolgt die eine (NFL) oder andere (Wembley) Partei damit wirklich längerfristige Ideen mit Blick auf eine zukünftige NFL-Franchise in London? Fragen, auf die ich keine Antwort liefern kann.
London Jaguars
Meine Überraschung zum Thema „Jaguars und London“ habe ich schon vor fast genau einem Jahr kundgetan. Meine Einstellung Richtung der neuen Besitzerfamilie Khan hat sich seither entwickelt, und das zum Positiven: Ich halte Khan für einen ambitionierten Owner, der viele Bausteine bewegt hat, um die kleinste und anonymste NFL-Franchise auf Vordermann zu bringen. Nicht nur, dass sich die Auslastungsproblematik bei Heimspielen verbessert hat: Senior Shadid Khan hat mittlerweile eine neues Front-Office unter der Aufsicht seines Sohnes installiert, einen neuen General Manager im ambitionierten David Caldwell, der aus dem Hause der Atlanta Falcons kommt, und einen Trainerstab um Gus Bradley.
Freilich fruchtet das noch nicht in einem sportlich brauchbaren Produkt, das zweifellos dringend notwendig ist, um die Jaguars auch als „Marke“ in London und Europa zu implementieren bzw. zu platzieren. Schlimmer: Die Jaguars 2013 sind auf dem Weg, die schlechteste Saison ihrer Franchise-Geschichte (2012 mit 2-14) nochmal zu unterbieten.
Bei aller guten Grundlagenarbeit, die Khan in den nunmehr fast zwei Jahren seit Besitzübernahme der Franchise gemacht hat, sind leblose 2-14 oder 1-15 Saisons für schnelle Fanbindung nicht gut. Denn der gemeine Fan will für einen Sieger jubeln, und nicht einen Loser.
Jacksonville Jaguars 2013
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Sieben Spiele, sieben Niederlagen. Schlechteste Punktausbeute in der Offense (76 in sieben Spielen). Zweitschlechteste Punktausbeute in der Defense (222 in sieben Spielen). Pythagoreische Erwartung von 1.1 (!) Spielen – das gab so noch nichtmal 2008 bei den Lions. Platzierung im Power-Ranking: 32. Dazu ein Kader, aus dem man selbst mit etwas Wohlwollen nur RB Jones-Drew und LB Poluszny als sowas ähnliches wie „Stars“ herauspicken kann. Mal ehrlich: Der momentane Kader der Jaguars ist so schwach wie gesichtslos. Da kann ein Trainerstab eben nur Begrenztes herausholen, selbst wenn das bedeutet, dass meine Ankündigung von Saisonbeginn, Jacksonville werde „deutlich mehr“ als zwei Saisonsiege holen, mittlerweile zu hoch gegriffen klingt.
Die Defense ist dabei noch das kleinere Übel, auch wenn diese am Sonntag gegen San Diego die bisher schlechteste Saisonleistung zeigte und absolut kein Land gegen den „underneath“-Stuff der Chargers sah. Ein Hoffnungsträger ist Poluszny. Die anderen der zukunftsträchtigeren Spieler sind im Defensive Backfield aufgestellt: FS Jonathan Cyprien gefällt mir ungemein mit seiner Dynamik, und manch einer sieht auch im 6th-Rounder SS Josh Evans einen echten Hoffnungsträger. Nun ist eine Defense, die auf ILB und Safety gut, im Rest schwach besetzt ist, nie die Vertrauen erweckendste, aber immerhin: Es sind einige Bausteine für Bradley vorhanden.
Viele der Probleme bei den Jaguars kann man wie so oft in der NFL an der QB-Position festmachen: Der 2011 gedraftete Blaine Gabbert ist aufgegeben und wird mit quasi 100%iger Sicherheit kein Franchise-QB mehr. Backup Chad Henne ist nur marginal besser und mittlerweile auch von mir als einem der wenigen verbliebenen Henne-Gläubigen als Hoffnungsträger abgeschrieben. Mit solchen Quarterbacks geht in der NFL nix.
Jacksonville Jaguars 2014
Das Gute: Im Draft 2014 hat man etliche Optionen, einen guten Quarterback an Land zu ziehen, vom aus Florida stammenden Terry Bridgewater über exotischere Männer wie Mariota, Carr, Boyd, Hundley oder Manziel. Fix ist: Jacksonville wird einen Quarterback draften, und wenn sie den richtigen erwischen, kann es in der NFL innerhalb von 2-3 Jahren schnell mal steil nach oben gehen.
Die Offense Line muss dafür sicher eine zweite Priorität bekommen: Den Left Tackle hat man in Luke Joeckel bereits heuer gedraftet, bloß sitzt der momentan auf der Injuried Reserve Liste. Der Rest der Line ist eine Katastrophe.
Hinter RB Jones-Drew gibt es keine Tiefe im Backfield, aber ich sehe durchaus Potenzial im Corp der Ballfänger: Justin Blackmon mag ein charakterlicher Problemfall sein, aber den lass mal mit einem echten QB spielen. TE Marcedes Lewis gehört zu den überbezahltesten Spielern, aber ein Mittelklasse-TE ist er trotzdem, und als solcher sicher brauchbar. Und in der „Irrwisch-Kategorie“ haben wir drei potenzielle Kandidaten:
- Denard Robinson
- Ace Sanders. Finde ich bisher… hm. Gut, er war 5th-Rounder. Insofern für 2013 entschuldigt.
- Mike Brown. Den habe ich am Sonntag zum ersten Mal registriert. Soll ein UDFA von einem kleinen FCS-College sein, der dort QB spielte. Vom ersten Eindruck ist der klar besser als Robinson und Sanders zusammen. Brown ist mit 1.78m zwar per Definition eher Typ Slot-WR, aber gegen San Diego spielte er meinen Eindrücken nach vor allem außen. Bei diesem Herrn würde ich abwarten, aber wenn das kein einmaliger Ausrutscher nach oben war, ist das ein potenzieller Sleeper für die nächsten Jahre.
Jacksonville könnte ein weiteres dieser Umbau-Experimente werden, das es sich zu verfolgen lohnt. Ich habe es nach der berühmten sieglosen 2008er-Saison der Detroit Lions mit „meinem“ Lieblingsteam erlebt: Ein radikaler Schnitt hat was, und man ist bei allen hohen Niederlagen, die zu Beginn kommen werden, dankbar, es erlebt zu haben. Jacksonville 2014 ist längst nicht so gut aufgestellt wie Carolina 2011 oder Indianapolis 2012 und Lichtjahre von Kansas City 2013 entfernt, aber Jacksonville 2014 hat ein besseres Fundament als die Lions nach 2008.
Ich erwarte, dass man Bradley selbst im „Worst-Case“ (die unwahrscheinliche, aber nicht mehr ganz auszuschließende 0-16 Saison) behalten wird. Dann würde ich alle Ressourcen in der Offseason rücksichtslos in meine Offense stecken, um dem neuen Franchise-QB eine passable Offense Line und Skill-Players zu geben mit denen er arbeiten und sich entwickeln kann.
Also. So vermurkst die Situation im Moment aussieht: Es rührt sich was. Ich sehe einige Hoffnung am Firmament.